Der Körper ist ein Freund der Seele
Leben will gelebt sein.
Leben will nicht gemieden werden.
Der Körper ist zum Leben da. Er ist der Freund der Seele. Wer lebt und sich zugleich dem Leben entziehen möchte, setzt sich einem unlösbaren Konflikt aus. Der Konflikt entsteht durch das Leugnen der Gesetzmäßigkeiten vom Leben im Körper oder durch den aussichtslosen Kampf gegen eben diese Gesetzmäßigkeiten.
Leben bedeutet Polarität und Dualität, und wenn eine Seele sich entschließt, einen Körper zu bewohnen, stellt sie sich diesen Gesetzmäßigkeiten.
Das Leben ist kein Jammertal. Das Leben ist auch keine Gipfelwanderung von einer Freude zur nächsten.
Die Gesetze von Polarität und Dualität bestimmen, daß Freude und Leid, Jammer und Glück wohlausgewogen an der Entwicklung der Seelle im Körper beteiligt werden müssen. Dies zu akzeptieren wird euch leichterfallen, wenn ihr Leben nicht als einmalige, niemals wiederkehrende kurze Episode betrachtet, sondern als einen langen Zyklus von Werden und Vergehen, von Sein und Nichtsein des Körpers.
Der Körper ist stark und zerbrechlich zugleich. Der Körper als Instrument der Seele dient ihr dazu, Erfahrungen zu sammeln, deren Summe darauf angelegt ist, alles zu erleben und nichts auszulassen.
Drei Erfahrungsbereiche gibt es, die einer Seele ausschließlich in der physischen Welt – sei es auf eurem Planeten oder auf einem anderen – zugänglich sind.
Der erste Bereich ist die Familie mit ihrer Blutsverwandtschaft, der zweite die körperliche Verletzbarkeit, der dritte ist die Tatsache, daß ein Mensch stets unausweichlich und unvermeidlich Entscheidungen trifft.
Nirgends als im Körper könnt ihr enge Beziehungen knüpfen, die nichts mit der Verbindung zu euren Seelengeschwistern zu tun haben und dennoch von großer Bedeutung sind. Die physischen Phänomene von Geburt und Tod und Sexualität gliedern euch ein in den Zyklus biologischen Lebens, und biologisches Leben ist nicht möglich, ohne daß ein Mensch Vater und Mutter hat. Diese Vorbedingung für Leben ermöglicht es der inkarnierten Seele, Liebe auf einer neuen, einer körperlichen Ebene zu erfahren und zu erproben und auch den Mangel an Liebe, der sich dadurch, daß sie verweigert wird, einstellen kann, zu erleiden.
Die Ursprungsfamilie, der jeder Mensch entstammt, zu der er gehört und die genauso wie seine Seele einen Faktor darstellt, von dem er sich nie trennen oder lösen kann, selbst wenn er es wollte – diese Familie hilft ihm, die wichtigen Erfahrungen von Kontakt und Intimität, von Liebe und Ablehnung, von Freude und Schmerz zu machen, die zur physischen Welt gehören. Die biologische Familie ist das vergängliche Gegenstück zur unvergänglichen Seelenfamilie. Blutsverwandtschaft und Seelenverwandtschaft ergänzen einander. Niemand ist ganz allein.
Zu dem rein physischen Phänomen der Familie gehört auch die Erfahrung, klein und hilflos auf die Welt zu kommen, nach und nach erwachsen und schließlich auch alt zu werden. Das Phänomen des Alterns ist ebenfalls untrennbar mit der physischen Welt verbunden und ist nur dort vorhanden, denn alle anderen Welten der Seele kennen das Altern nicht. Sie kennen wohl die Reifung und die Entwicklung, nicht aber den Verfall.
Und damit ist der zweite physische Erfahrungsbereich verbunden, die Versehrbarkeit des Körpers. Der Körper ist zerbrechlich und gebrechlich, und die Psyche, die mit dem Körper in engster Symbiose steht, unterliegt denselben Bedingungen. Auch sie kann verletzt und sogar zerstört werden.
Viele von euch halten die Tatsache, daß ein Körper krank sein oder durch Instrumente zerteilt werden kann, für einen Mangel, sozusagen für einen Fehler in der allgemeinen Planung der Existenz. Das ist eine irrige Sichtweise, und wir möchten dazu beitragen, euch mit dem Gedanken anzufreunden, daß ein Mensch, der Erfahrungen mit der Fragilität seines Körpers und seiner Psyche macht, höchst wertvolles Gut sammelt und darauf niemals verzichten möchte, sobald er seinen Körper zwischenzeitlich hinter sich läßt. Denn dann wird der Seele sogleich deutlich, daß sie durch die Auseinandersetzung mit der Verletzbarkeit einen großen Schritt weitergekommen ist.
Akzeptiert eure physische Instabilität, eure Empfindlichkeit gegenüber Gewalt, Klima und Krankheit als eine Bedingung von Menschsein und als ein Angebot, das sich allerdings – wir pflichten euch da bei – nicht jederzeit als freundlich zu erkennen gibt.
Das dritte Phänomen, das die physische Welt von den entkörperten Welten der Seele unterscheidet, ist die Tatsache, daß ihr in jeder Sekunde eures Lebens Entscheidungen trefft und sie treffen müßt.
Dabei kommt es nicht darauf an, ob ihr diese Entscheidungsprozesse bewußt erlebt oder nicht, und es ist auch bedeutungslos, ob ihr glaubt, Entscheidungen vermeiden zu können. Entscheidungen sind das Wasser des Lebens. Physische Existenz ohne Entscheidungen ist nicht möglich. Und wenn ihr euch klarmacht, daß niemand Entscheidungen ausweichen kann, ihr sie aber sehr wohl in die schattenhaften Bereiche des Unbewußten verdrängen könnt, anstatt sie im Licht eures Bewußtseins zu bejahen und damit Verantwortung zu übernehmen für das, was ihr seid, was ihr wollt und was ihr vor eurer Inkarnation für das physische Leben, das ihr lebt, geplant habt, werdet ihr leichter leben.
Darüber hinaus möchten wir euch ans Herz legen, daß jede bewußt getroffene Entscheidung und die Bejahung ihrer Konsequenzen euch auf dem Weg eurer seelischen Entfaltung weiterführt und euch weitgehend von den Konflikten und Schmerzen befreit, die ihr gewohnt seid auf euch zu laden durch unbewußte Entscheidungen und durch das Abladen der Verantwortung auf andere, auf die Umstände und auf die Bedingungen, unter denen ihr lebt. Das gilt für große und für kleine Entscheidungen.
Ihr selbst trefft eure Wahl. Ihr trefft die Wahl, geboren zu werden. Ihr trefft die Wahl, zu sterben. Ihr könnt euch entscheiden, wen ihr lieben und wen ihr hassen wollt. Ihr könnt über jede einzelne Reaktion auf alles das, was euch im Laufe eines langen Lebens zustößt, entscheiden.
Die Entscheidungsfreiheit, von der wir sprechen, und auf die wir euch immer hinweisen, ist eine Freiheit der Seele und nicht die Willensfreiheit des begrenzten Verstandes. Mit dieser Entscheidungsbereitschaft, ihren Konsequenzen und der damit verbundenen Verantwortung seid ihr eingebunden in ein unermeßliches Netzwerk von Entscheidungen, die ja auch jeder andere Mensch um euch herum, jeder andere, der zur selben Zeit mit euch auf dem Planeten inkarniert ist, trifft.
Jede Reaktion auf die Entscheidung eines anderen ist selbstgewählt. Das gibt euch Freiheit. Ihr könnt neue Entscheidungen treffen und alte revidieren. Damit seid ihr nicht Sklaven eurer Existenz. Wir sagten bereits: Der Körper ist der Freund der Seele. Er ist nicht ihr Sklave, und er ist auch nicht Sklave einmal getroffener Entscheidungen.
Verantwortung macht frei. Wenn in euren philosophischen Trakaten so viel von Willensfreiheit die Rede ist, beobachten wir, daß ihr euch dabei in Vorstellungen verstrickt, die eurem seelischen Fortschritt nicht förderlich sind. Wenn ihr den Begriff der »Willensfreiheit« als »Entscheidungsfreiheit« interpretiert, werdet ihr euch tatsächlich freier fühlen, anstatt eure Willenskraft dafür verantwortlich zu machen, ob es euch gutgeht oder nicht.
Und das ist der andere Punkt, der uns am Herzen liegt. Wir möchten euch zu eurem eigenen Heil davon überzeugen, daß das Leben zur Qual werden kann, wenn ihr das Postulat, jeder könne in jedem Moment glücklich sein, wenn er es nur wolle, zu einer Gesetzmäßigkeit erhebt. Dadurch versucht ihr völlig erfolglos, eure physische Existenz aus der Gesetzmäßigkeit der Polaritäten herauszuheben, und stellt euch Aufgaben, die unlösbar sind. Ihr manövriert euch in einen Konflikt hinein, der geeignet ist, euch unaufhörlich zu demütigen, zu entwerten und zu erniedrigen.
Die höchste Form eines erfüllten irdischen Daseins, eines Lebens in der physischen Welt, steht euch dann in Aussicht, wenn ihr bereit seid, alles, was euch widerfährt, als Ergebnis eines größeren und wohldurchdachten Plans und Zusammenhangs zu betrachten, auch dann, wenn ihr diesen Zusammenhang nicht erkennt. Dann wird euch aufgehen, daß jede Erfahrung – und wir meinen damit ausdrücklich jede, sei sie angenehm oder unangenehm – von Wert ist, und daß kein einziges Leben, kein einziger Moment eines Lebens jemals vergeudet ist. Auch wenn ihr lange Perioden des Unglücks oder der Stagnation erlebt und glaubt, daß damit kostbare Lebenszeit verloren geht, ist dem nicht so. Nichts ist vergeudet. Jeder Augenblick, den ihr lebt – gleichgültig unter welchen Umständen – bringt euch weiter auf der Straße zum großen Tor der Erfüllung.
Das Prinzip von Verlieren und Wiederfinden überspannt wie eine große goldene Klammer das Leben aus Fleisch und Blut. Wenn ein Mensch einen Körper zum erstenmal bewohnt und auch noch lange danach, ist ihm nicht bewußt, daß er etwas verloren hat. Und es wird viele Leben dauern, ehe er ahnt, was er verloren hat.
Der Sinn der vielen aufeinanderfolgenden Existenzen besteht darin, dieses Verlorene in ganz individueller Weise zu beschreiben und zu erfahren und sich mit detektivischer Akribie und viel Energie dahin vorzutasten, das Verlorene wiederzuerlangen.
Wenn das Verlorene wiedergefunden ist, zeichnet sich diese beglückende Erfahrung dadurch aus, daß die Seele zum erstenmal überhaupt in der Lage ist, das Verlorengegangene zu schätzen und zu preisen. Als es verlorenging, ruhte es tief in dunkelster Unbewußtheit. Und es dauert unendlich und doch...