Statt eines Vorworts
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Das Wort »Oldie« ist von Werbeleuten aus dem Englischen entliehen worden, weil es so viel weicher und charmanter klingt als unser deutsches Wort dafür: »Alter« oder »Alte« wird zwar oft kumpelhaft untereinander von jungen Leuten verwendet – wenn aber tatsächlich wir ältere Menschen gemeint sind, hat es gelegentlich einen abfälligen Unterton. Aber selbst das Wort »Oldie« wird von vielen (meist jungen, von sich selbst ausgehenden) Marketingexperten nicht sonderlich geschätzt, denn sie glauben, dass in Wahrheit niemand ein Oldie sein will.
Da ich selbst ein Oldie bin, sehe ich das Ganze etwas entspannter. Zwangsläufig. Zumal ich weiß, dass man tatsächlich so alt ist, wie man sich fühlt oder, besser ausgedrückt, wie man sich selbst »programmiert«. Mit dreißig oder vierzig gab es Tage, da habe ich mich nach durchgemachten Nächten gefühlt wie »eine Hundertjährige« (auch wenn ich nicht aus dem Fenster stieg). Dass ein Buch mit dem Wort »hundertjährig« im Titel ein Bestseller werden kann, beweist eigentlich schon, dass Oldie ein Schmusewort ist. Denn hundert Jahre alt zu werden wünscht sich wahrscheinlich nur ein in der Wolle gefärbter Superoptimist. Oder ein Operettensänger. Die schießen ja schon gern mal übers Ziel hinaus …
Ich habe lang nicht gemerkt, dass ich Oldie geworden bin. Ein paar da und dort auftretende Altersflecken gingen immer noch als Sommersprossen durch, und von Falten werden so kleine, übergewichtige Speckmäuse wie ich ohnedies länger verschont als stromlinienförmige Idealfiguren. Es sind eben meist nicht die Äußerlichkeiten, die die neue Lebensära einläuten.
Als mir eines Tages auffiel, dass ich mit dem modernen »Liedgut«, sprich Schlagern, häufig so gar nichts mehr anfangen konnte, da kam ich das erste Mal ins Grübeln. Ich war offenbar nicht mehr auf dem Laufenden. Als ich allerdings bemerkte, dass es sich gar nicht lohnt, in Bezug auf Musik unbedingt »in sein« zu wollen, war ich wieder beruhigt.
Ähnlich ging es mir beim Friseur. Was mir da in den bunten Blättern als Prominenz serviert wurde, kannte ich zum größten Teil nicht. Schnell stellte ich fest, dass es gar keinen Sinn hatte, sich die Namen der Leute zu merken (die sich übrigens alle erstaunlich ähnlich sehen, so als seien sie verwandt), weil ihre Bekanntheit eine verblüffend geringe Halbwertszeit hat, da war ich wieder beruhigt.
Als man mir in der Apotheke ständig Vitaminprodukte empfahl, die »ab einem bestimmten Alter« unabdingbar seien, und ich beim Einkaufen ständig als »gnädige Frau« angesprochen wurde, ging mir zum ersten Mal richtig auf, dass ich offenbar in eine andere Altersliga eingetreten war. Früher hat mir kein Taxifahrer die Tür aufgerissen und meine Einkaufstüten im Kofferraum oder auf der Rückbank verstaut. Dass ich mich in der Parfümerie freiwillig zu Tiegelchen führen ließ, die an »die reife Haut« adressiert waren, war wohl eine Folge dieser veränderten Außenwahrnehmung. Alles kein Problem, man muss es nur zur Kenntnis nehmen, verinnerlichen und verdauen.
Als ich bemerkte, dass ich Jüngeren gegenüber Sätze von mir gab wie »Aber was erzähle ich da, das können Sie ja gar nicht mehr wissen, dafür sind Sie ja viel zu jung!«, da war ich das erste Mal ein wenig erschrocken. Dafür erfreute ich mich an meinem neu erwachten, erfreulich wahrnehmbaren Qualitätsbewusstsein und bemerkte, dass damit eine nicht zu unterschätzende Konsumentenmacht verbunden ist. Dass ich jetzt die Schwelle zum Oldie-Dasein überschritten hatte, war mir klargeworden. Aber auch, dass wir mit der »reifen Haut« Einfluss nehmen können, und zwar nicht zu knapp. Genießer wie wir sorgen dafür, dass das gute Handwerk überleben kann, dass es noch richtige Metzger, Bäcker und Gemüseläden gibt. Und Hersteller von Kleidern und Schuhen, die nicht nach zwei Wochen schon aussehen, als hätte man wochenlang im Biwak geschlafen und das Erdenrund zu Fuß abgegangen. Alles Sachen, die nicht das Wegwerfwort »Klamotten« verdienen.
»Geiz ist geil«-Sprüche und was sonst noch mit erhöhter Lautstärke aus dem TV-Gerät brüllt, prallt an Oldies ab und auch vieles andere. Infotainment nennt man das, was heutzutage als Nachricht verkleidet ist. Sogar der Wetterbericht muss unterhaltend sein. Da entdeckt unsereins plötzlich, nach so vielen unkritischen Jahren, dass die Fernbedienung auch einen Knopf zum Ausschalten hat. Und dass es auch tatsächlich noch Zeitungen gibt, die nicht nur von klugen Köpfen gemacht, sondern von solchen auch (sogar online) gelesen werden können.
Womit ich mich nicht als TV-Hasser outen will – im Gegenteil. Ich genieße es, endlich zugeben zu können, dass ich den Vorabendkrimi als zum Tag gehörig empfinde und dass ich am Nachmittag gelegentlich bei einer Soap entspanne. Endlich bedeutet es keinen Imageverlust mehr für mich, dass die mit mir älter gewordene »Lindenstraße« das Vorprogramm für den »Weltspiegel« und den »Tatort« ist. Nur die Nachrichtensendungen sind in ihrer Häppchenhaftigkeit ein zunehmendes Ärgernis. Wenn es das Internet nicht gäbe oder die Zeitung, könnte man mit den meisten Informationen nichts anfangen. Das wissen wir Oldies, allerdings sind wir im Zweifel, ob es der jüngere Rest der Bevölkerung genauso weiß. Eine Beunruhigung, die leider durch so manchen Talkshow-Teilnehmer und seine Äußerungen bestätigt wird.
Die neue Ära hält aber auch viele positive Überraschungen bereit. Wenn man beispielsweise entdeckt, dass weder die Welt zusammenbricht noch ein Nervenstrang reißt, sobald man beschließt, das Handy einfach mal klingeln zu lassen. Und feststellt, dass es ebenso wie der Fernseher einen Knopf zum Abstellen hat. Auch das Neinsagen kann die pure Lust erzeugen und ein ganz neues Gefühl von Freiheit. Genauso die Entdeckung, dass man sich nur mehr mit Dingen und Projekten beschäftigt, die einen wirklich interessieren. Sich Luft zu verschaffen, indem man Überflüssiges und längst Überholtes aus dem Haus schafft, kann ebenfalls ungeahntes Vergnügen bereiten. Und es beweist, dass das Sprichwort stimmt – weniger kann sehr viel mehr sein.
Eine der Überraschungen ist übrigens, dass man trotz des ständigen Mediengeschwätzes über »Senioren«, die »Alterspyramide« und altersbedingte Krankheiten viel näher an den Jungen dran ist, als aufgrund dieser ständigen, unausgewogenen Berieselung anzunehmen ist. Auch Oldies sind für die Erhaltung der Natur, für erneuerbare Energien, wollen, dass die eigenen Kinder und Enkel gute Schul- und Ausbildungschancen haben, dass sie in zukunftsfähigen Berufen ordentlich bezahlt werden. Auch Oldies sind dagegen, dass Lebensmittel im Autotank landen und virtuelles Geld (hinter dem keine reale Wertschöpfung steht) um den Globus saust, dass jeder Finanzhai für das angerichtete Unglück auch noch mit Millionen belohnt wird und wir auf Kosten der Menschen in der Dritten Welt leben. Kurzum, wir Oldies haben nicht nur unsere Renten und das eigene Wohl im Sinn. Gerade wir, die wir die Welt noch in einem besseren Zustand kennengelernt haben, wollen, dass sie lebenswert bleibt, und hängen nicht dem Motto »nach uns die Sintflut« an. Das verbindet uns mit allen Jungen, und damit schließt sich der Kreis des Lebens. Es ist leicht zu durchschauen, wem es dient, wenn man Alt und Jung gegeneinander ausspielt und aufhetzt. Gegen diese Kräfte müssen wir lernen aufzubegehren. Und das ist gar nicht so schwer, denn noch nie war eine Oldie-Generation so fit und geistig auf dem Damm wie die unsere.
Eigentlich ist es schade, dass wir erst jetzt, im Älterwerden, herausfinden können, wer wir eigentlich sind und wer wir sein wollen. All die Jahre, während Karriere und Vorwärtskommen im Mittelpunkt unserer Interessen standen, waren wir so sehr mit dem Anpassen und den Masken beschäftigt, die wir aufgesetzt haben, um nicht negativ aufzufallen, dass wir uns selbst kaum kennenlernen konnten. Wer sich jetzt traut, genauer hinzuschauen, wird ganz neue Seiten an sich entdecken und die erstaunliche Tatsache zur Kenntnis nehmen können, dass wir in der Lage sind, uns auch als Oldies ständig weiterzuentwickeln.
Natürlich ist nicht alles lustig, was uns Oldies widerfährt. Da und dort tut gelegentlich etwas weh, und es gibt öfter etwas zu »reparieren«. Wie auch bei echten, kostbaren Oldtimern. Es ist nicht ganz einfach, damit immer gut gelaunt umzugehen. Wogegen man allerdings angehen kann und muss, das ist, schon im Vorfeld Angst davor zu haben. Angst auf Vorrat ist unserer Lebenserfahrung nicht würdig. Den Kopf oben zu behalten und ihn vor allem zum Denken und Nachdenken zu benutzen, das ist oberste Oldie-Pflicht. Die grauen Zellen werden es uns danken und unseren Körper so gut wie möglich bei Laune halten. Damit wir der Welt weiter mit offenen Augen und Ohren begegnen können. Auch wenn uns der Optiker und der HNO-Arzt dabei ein wenig unterstützen müssen.
Die ungewöhnlichste, aber wohl wichtigste Neuerung für Oldies ist die zunächst banal erscheinende Erkenntnis, dass wir da sind, weil wir dazugehören und Teil der Welt sind. So wie Frühling, Sommer, Herbst und Winter. Dass wir nicht die Krone der Schöpfung sind, sondern aus demselben Stoff wie die Pflanzen und Tiere, die mit uns auf dieser Erde leben. Sie haben alle – genau wie wir – ihre Zeit und sind dem Kreislauf von Werden und Vergehen unterworfen. Das Leben und seine Phasen so zu betrachten haben wir leider nicht rechtzeitig gelernt, in unserer vom Jugendwahn...