Die Fahrt nach Ulm – Die Münsterkirche – Das Stadtregiment – Zeitungen und die Zensur – Bibliotheken und Schulen – Sitten und Gewohnheiten – Der Charakter der Schwaben – Der Murrle – Das Fischerstechen in Ulm – Die Weiterreise nach Stuttgart – Geislingen – Esslingen – Das St. Urbanusfest
Wir reisten am 16. Juli, einem heiteren Sommerabend, ab. Die grünen Hecken, von einem kurzen Regen erfrischt, ergaben mit der vor uns liegenden fruchtbaren Landschaft einen erfreulichen Anblick. Eine Allee von schönen, gesunden Weiden führte bis an die Wertach, ein kleines Flüßchen, das damals sehr seicht war, während der Schneeschmelze aber oft sehr stark anschwillt. Wir kamen über eine recht breite Brücke, auf der an beiden Enden ein kleines Zollhäuschen steht, wo für den Fürstbischof von Augsburg Brückenzoll erhoben wird. Von hier an war zu beiden Seiten des Hochweges eine Allee angelegt, die aber gar nicht recht gedeihen wollte. Jede Spur von Sorgfalt für die Nachwelt ist angenehm, aber unangenehm ist es zu sehen, daß sie vergeblich ist.
Etwa eine Viertelmeile von Augsburg entfernt liegt der zum österreichischen Schwaben gehörige Ort Grieshaber. Er wird als Weiler bezeichnet, aber der Ort ist besser, als die Benennung annehmen läßt, denn es gibt dort verschiedene Häuser von vier bis fünf Geschossen. Da wohnen, wie schon erwähnt, einige Uhrmacher sowie einige wenige Juden, die in Augsburg nicht wohnen dürfen, aber doch gegen eine gewisse jährlich zu zahlende Summe in die Stadt gehen und handeln können. Der Weg führte nun durch fruchtbare Äcker und von grünen Hecken eingeschlossene Wiesen, auf denen die Bauern mit Mähen beschäftigt waren. Der fröhliche, ländliche Anblick und die sinkende Sonne, die vor uns den Horizont vergoldete und die höheren Wolken mit Purpur färbte, öffneten unser Herz zum reinen Genuß der Natur. Ungefähr eine Viertelmeile weiter entfernt liegt der österreichische Ort Steppach, der auch von Uhrmachern und Juden bewohnt wird. Er ist kleiner als Grieshaber, hat aber einige hübsche Häuser. Unweit Steppach wird das Land und selbst der Fahrweg plötzlich sehr sandig. Der Weg windet sich um eine Anhöhe, und unvermutet wurden wir durch eine angenehme Aussicht überrascht. Auf der linken Seite lag ein mit Nadelholz bewachsener Grund, rechts ein hübsches Tal mit dem Dorf Einhofen und davor ein von der untergehenden Sonne ganz vergoldeter Teich. Danach führt der Weg zwischen grünen, etwas feuchten Niederungen bis an das Flüßchen Schmutter, über welches eine hölzerne Brücke geht. Jenseits fängt ein Wäldchen von Tannen und Birken an, die mit ihren balsamischen Düften den heiteren Sommerabend noch angenehmer machten. Unweit dem hübschen Dorf Biburg, wo verschiedene Augsburger Patrizier Gärten und Landgüter haben und wo ein wundertätiges Marienbild ist, erblickten wir eine sehr große Herde von Kühen – für uns ein erfreulicher Anblick, da wir ihn bei unserer Reise durch Österreich und Bayern so selten gehabt hatten. Hinter Biburg geht der Weg ziemlich bergan und erreicht bald darauf ein Wäldchen von jungem Nadelholz, erfreuliches Zeichen für die sorgfältige Erhaltung der Wälder. Bald darauf kamen wir in einen hohen Tannen- und Birkenwald, und die untergehende Sonne tilgte jede sinnliche Empfindung, ausgenommen den balsamischen Geruch, den die Bäume um uns aushauchten.
Wir kamen bei Einbruch der Nacht in Zusmarshausen an, einem Marktflecken mit Postwechsel, der dem Bischof von Augsburg gehört. In der Nacht durchfuhren wir den zum österreichischen Schwaben gehörigen Marktflecken Burgau, von dem die Markgrafschaft Burgau ihren Namen hat. Die Pferde wechselten wir in Günzburg, der, soviel ich weiß, einzigen Stadt in dieser Markgrafschaft, und kamen frühmorgens in Ulm an, wo wir im Greifen abstiegen. Unser wieder in Ordnung gebrachter Wegmesser zeigte folgende Strecken:
von Augsburg bis Zusmarshausen 3 3/8 Meilen
bis Günzburg 7 1/8 "
bis Ulm 9 29/32 "
Nach der Posttaxe wird für jede dieser Etappen 1 ½ Post oder 3 Meilen gerechnet.
Johann Herkules Haid hat 1786 die Stadt Ulm und ihr Gebiet beschrieben. Sein Buch ist zwar einigermaßen brauchbar, aber oft sehr weitschweifig und mit wenig oder gar keiner Ordnung verfaßt. Es enthält eine Menge unnützer Kleinigkeiten, während auf der anderen Seite wesentliche und wichtige Sachen vergessen wurden. Außerdem fehlen diesem so verwirrend geschriebenen, aber doch hauptsächlich als Nachschlagewerk gedachten Buch ein vollständiges Register und ein ausführliches Inhaltsverzeichnis. So ist es höchst beschwerlich, darin das zu finden, was man sucht.
Es ist unbegreiflich, daß sich Leute, die eine Stadtbeschreibung verfassen wollen, sich noch immer damit begnügen, die Gegenstände in eine oberflächliche Ordnung zu bringen. Doch ohne eine genaue Ordnung und das richtige Verhältnis und die Übereinstimmung der Nachrichten kann kein richtiges, geschweige denn ein anschauliches Bild einer Stadt entstehen. Diesen Mangel an Übereinstimmung zeigt Haids Werk in großem Maße. So erwähnt er unter der Rubrik »Beschaffenheit der Stadt« deren Umfang, zehn Seiten weiter erfährt man unter »Gestalt der Stadt« die Länge und Breite ihrer Ausdehnung. Den Umfang hat er in Schritten angegeben, allerdings ohne genauer zu sagen, welches Maß damit gemeint ist, die Länge und Breite der Stadt dagegen gibt er in Ruten und Schuhen an. Daß eine solche Rute 14 Ulmer Schuh mißt, erfährt man auch erst weitere 250 Seiten später. 50 Seiten vorher hatte er schon berichtet, daß ein Ulmischer Werkschuh 931/1000-tel eines Rheinischen Schuhs sei. Wer sich nicht sehr sorgfältig zurückerinnert, was Herr Haid an verschiedenen Stellen des Buches jeweils gesagt hat, findet sich in diesen Bestimmungen nimmermehr zurecht.
Man hat einen Grundriß von Ulm unter dem Titel Ulma memorabilis ac permunita libera Imperii civitas etc. von Seutter, der aber lediglich die Kopie eines alten in Merians Topographia-Sueviae 1643 erschienenen Grundrisses darstellt. Er ist, wie ich belehrt worden bin, hin und wieder unrichtig; es fehlen darauf z. B. mehrere kleine Gassen, und einige sind unrichtig benannt.
Das Gebiet der Stadt Ulm sieht man ziemlich deutlich auf der Karte von ganz Schwaben in neun Blättern, welche Jakob Michael gezeichnet und Matthäus Seutter in Augsburg verlegt hat. Zusätzlich gibt es eine besondere Karte von dem Ulmer Ingenieur und Architekten Johann Christoph Lauterbach, nebst einer kleinen Karte der ehemaligen Ulmer Herrschaft Wain. Diese letzte Karte soll in bezug auf die Vollständigkeit und Lage der Ortschaften sehr genau sein. Freilich sind beide keine Situationskarten. Der sehr häufig in Höhen und Tiefen wechselnde Weg nach Geislingen, den ich von Ulm aus bereiste, sieht auf dieser Karte z. B. ganz flach aus.
Ansicht der Stadt Ulm
Wenn man nun die Größe dieses Gebietes betrachtet, welches meist fruchtbarstes Land enthält, so fallen zweierlei Dinge sofort auf: 1) In welchem Wohlstand muß diese Stadt ehemals gewesen sein, daß sie ein so großes Gebiet hat erwerben können. Durch Waffengewalt allein wird es schwerlich geschehen sein. Das bekannte Sprichwort vom Ulmer Geld läßt vermuten (und von einem Teil des Gebietes ist es auch bekannt), daß es im vierzehnten Jahrhundert, zur Zeit des größten Wohlstandes der Stadt, als sich diese auch von Ansprüchen des Klosters Reichenau durch Geld befreite, gekauft worden ist. 2) Diese Stadt ist, trotz der großen Einkünfte, welche dieses Land gewährt und bei zweckmäßiger Einrichtung noch mehr gewähren könnte, sehr tief in Schulden geraten, so sehr, daß sie Teile ihres Landes verkaufen mußte. Selbst wenn man alle Unglücksfälle abrechnet, so muß man doch, die Redlichkeit und den guten Willen des Magistrats vorausgesetzt, auf wichtige Fehler in der Finanzverwaltung schließen, besonders wenn man das benachbarte Augsburg dagegenhält, das viel größer ist und trotz manchem Verfall immer noch eine blühende, schuldenfreie Stadt darstellt.
Wäre Winkelmann in Ulm, so wie es ihm in Augsburg erging, über die äußere Gestalt der Häuser melancholisch geworden, hätte es mich nicht sonderlich gewundert. Das Äußere der Häuser in Ulm ist sehr viel schlechter als in Augsburg. Fast alle sind entweder plumpe Steinmassen oder elende hölzerne Gebäude mit Giebeln, denen jegliche Zierde fehlt. Den steinernen Häusern, denen man Solidität nicht absprechen kann, fehlt es an Symmetrie, ihrer inneren Einteilung meist an Bequemlichkeit und fast immer an Zierlichkeit. Die Ausnahmen sind sehr selten, wie z. B. das v. Besserersche Haus, dem Wirtshaus zum Greifen gegenüber gelegen, das eine ziemlich moderne Fassade hat. Sonst sind selbst das Rathaus und alle öffentlichen Gebäude so nichtssagend und unansehnlich, wie ich es noch in keiner anderen Reichsstadt gefunden hatte. Die recht breiten Gassen lassen die Gebäude...