Der Ton unserer Ausbilder, die mit ihrer Amtsbezeichnung („Herr Polizeioberwachtmeister“ usw.) angesprochen wurden, war überwiegend rau und wenig herzlich. Meine Gruppe im 3. Zug der III. Lehr-Hundertschaft hatte Glück, denn unser Ausbilder („Tulle“ M.) gehörte zu der humaneren Sorte, was auch – bei aller Härte – für unsere höherrangigen Vorgesetzten (Zugführer Jürgen L. und Hundertschaftsführer Hans-Joachim „Henny“ J.) galt.
Foto: privat
Polizeiwachtmeister Ernst Hunsicker ( Juli 1962)
Das Zusammenleben auf einer „Stube“ (offizielle Bezeichnung) von ca. 30 qm Größe, die sich sieben Wachtmeister zum Schlafen und Leben teilen mussten, war schon gewöhnungsbedürftig. Das Mittagessen wurde im Speisesaal eingenommen; Frühstück und Abendbrot gab es in Form von „Kaltverpflegung“ auf der Stube. Duschen durften wir nur nach dem Dienstsport und nach schweißtreibender Formalausbildung („Nach hinten weg, Marsch, Marsch!“, „Volle Deckung!“ und immer wieder „Achtung!“). Zum Duschen mussten wir vorher auf dem Flur antreten. Das Duschen wurde von den Ausbildern überwacht, weil sich zum Beispiel einige wenige Polizeiwachtmeister zierten, ihre Badehosen auszuziehen. Übrigens: Beamtinnen gab es zu der Zeit noch nicht im Polizeidienst.
Exzessives:
Bier aus Stöckelschuhen
Das mit den Beamtinnen stimmt nicht so ganz. Es gab ganz wenige bei der Weiblichen Kriminalpolizei (WKP). Besonders Qualifizierte schafften auch den Sprung in den gehobenen Dienst („Kommissarslaufbahn“). Dazu mussten die geeigneten Frauen und Männer der Kriminal- wie auch der Schutzpolizei grundsätzlich einen Oberstufenlehrgang (zwölf Monate), einen Vorbereitungslehrgang und danach einen Kommissarslehrgang (acht Monate) besuchen.
Unser spezieller Auftrag war es, die Damen und Herren des Oberstufenlehrgangs morgens mit Kaffee und Tee zu versorgen, d.h., wir mussten je eine Kanne Kaffee und Tee vor einem separaten Wohnbereich in einem anderen Wohnblock abstellen. Wenn wir diesen Auftrag mal vergessen hatten, gab es eine Beschwerde und wir erhielten einen Sonderdienst verpasst (z.B. einen zusätzlichen Wachdienst am Wochenende).
Doch dann geriet unser Bild von der anständigen Polizei ins Wanken. Wir, einige „Stubenkameraden“ und ich, gingen nach dem Abendessen und den täglich erforderlichen Schularbeiten in eine Mündener Kneipe. Dort trafen wir auf einen Teil unserer vermeintlich blitzsauberen „Oberstufler“, die wir jeden Morgen mit Getränken zu versorgen hatten. Sie, Damen und Herren gleichermaßen, waren ziemlich betrunken. Wir trauten unseren Augen nicht, als die „Herren“ den „Damen“ die Stöckelschuhe auszogen, die Schuhe mit Bier füllten und anschließend das Bier aus den Schuhen tranken.
Ich gehe davon aus, dass die „Oberstufler“ das Bestehen des Lehrgangs oder die Rückgabe gelungener Klausurarbeiten auf übermütige und unbekümmerte Weise ausgiebig gefeiert haben.
Die Ausbilder achteten nicht nur auf körperliche Sauberkeit, sondern auch auf pünktliche Nachtruhe (in den ersten sechs Monaten grundsätzlich 22.00 Uhr, am Wochenende 23.00 Uhr), einen ordentlichen Kurzhaarschnitt (damals orientierten wir uns mehr an den Pilzköpfen der „Beatles“), saubere Stuben, Spinde und Kleidung. Unsere Wäsche wurde von der Reinigung „Schneeweiß“ gewaschen und geplättet.
In den ersten Wochen erhielten wir nach Dienstschluss wiederholt „Besuch“ vom so genannten Stammpersonal, das sich aus gutem Grund äußerst zuvorkommend und freundlich zeigte. Es wurde uns dringend empfohlen – und wer mochte sich da schon widersetzen – eine Kofferschreibmaschine anzuschaffen (die hatte ich ja bereits), in die „Gewerkschaft der Polizei“ (GdP), in den „Polizeisportverein (PSV) Hann. Münden“ und in die „Deutsche Lebens- und Rettungsgesellschaft“ (DLRG) ein- sowie verschiedenen Versicherungen und Kassen beizutreten.
Besonderer Wert wurde auch auf körperliche Fitness gelegt. Neben der Formalausbildung (ein mehrere Stunden andauendes Hin und Her auf dem Ausbildungsplatz) standen Leichtathletik (das Sportabzeichen war Pflicht), Geräteturnen, Schwimmen (das DLRG-Leistungsabzeichen musste gemacht werden) und Waldlauf auf dem Wochenprogramm. Hinzu kam die Geländeausbildung im Bereich Meensen/Jühnde.
Zur Abwechselung ein Ernteeinsatz
Im September 1962 wurde unsere Hundertschaft vierzehn Tage lang jeden Morgen zu einem riesigen Bohnenfeld nach Geismar bei Göttingen gefahren. Die Bohnen waren notreif und mussten dringend vom Strauch. Pro Zentner gepflückte Bohnen gab es zusätzlich 20 DM, die jeden Abend bar ausgezahlt wurden. Wenn man sich anstrengte, konnte man pro Tag auf einen guten Zentner Bohnen kommen und mehr als 20 DM mit nach Hause nehmen. Ein Teil des Baren wurde am Abend in Getränke und halbe Hähnchen umgesetzt. Beim Pflücken tat sich besonders Ausbilder Rainer G. hervor, der sich gerade einen nagelneuen VW Käfer gekauft hatte.
Apropos Geismar:
Orientierungsmarsch bei klirrender Kälte
An einem Wintertag 1962/63, es waren etwa zwanzig Grad unter Null und es lag ziemlich viel Schnee, wurde unsere Hundertschaft jeweils in Gruppenstärke am frühen Morgen im Raum Geismar „ausgesetzt“. Wir erhielten einen Kompass, eine Geländekarte und eine Marschzahl mit dem Auftrag, auf schnellstem Wege die etwa 25 km entfernt liegende Unterkunft (Kaserne) in Hann. Münden zu erreichen.
Meine Gruppe war besonders ehrgeizig. Ich und weitere Marschierer hätte lieber unterwegs in einer Waldgaststätte eine kurze Pause gemacht und etwas Alkoholfreies getrunken, da sich im Marschgepäck lediglich eine kleine Feldflasche mit schwarzem Tee befand. Die Mehrheit wollte aber durchmarschieren. Wir kamen total kaputt und mit blutverschmierten Gesichtern (Äderchen im Gesicht waren von der „beißenden“ Kälte aufgeplatzt) gegen Mittag in unserer Unterkunft an. Der Ehrgeiz hatte sich aber gelohnt: Da wir mit großem Zeitabstand als erste Gruppe zurück waren, gab es zur Belohnung am Nachmittag dienstfrei.
Nach unserer Rückkehr habe ich erst einmal zwei Liter Milch getrunken und eine Tafel Schokolade verspeist, um dann für mehrere Stunden in einen Tiefschlaf zu versinken. Das ging aber nicht nur mir so.
Nun darf nicht der Eindruck entstehen, dass die Ausbildung überwiegend sportlich ausgerichtet war. Nein, wir wurden auch unterrichtet (Fachausbildung, Allgemeinbildung) und an der Pistole (P 38) sowie am US-Karabiner ausgebildet. Großer Wert wurde auf die Waffenpflege gelegt. Nicht nur nach jedem Übungsschießen mussten die Waffen in alle Einzelteile zerlegt und gründlich gereinigt werden.
„Erschossene Koreaner“
An den Rohren unserer US-Karabiner befanden sich eingefeilte Kerben. Es ging das Gerücht um, dass so markierte US-Karabiner bereits im Koreakrieg (1950 - 1953) im Einsatz waren. Jede Kerbe sei Indiz für einen erschossenen Nordkoreaner.
In diesem Zusammenhang konnte ich mich noch entsinnen, dass wir während meiner ersten Schuljahre, die ich in Lengerich (Westfalen) verbrachte, das Lied „Ei, ei, ei Korea, der Krieg kommt immer näher … “ gesungen haben. Über die Bedeutung eines solchen Schwachsinns waren wir uns als Kinder offenbar nicht im Klaren.
Mit diesen US-Karabinern „zogen wir auch in den Krieg“, wie die Ausbildung im Gelände manchmal scherzhaft umschrieben wurde. Tatsächlich hatte diese Geländeausbildung mit der Grundausbildung bei der Bundeswehr viele Gemeinsamkeiten.
Einmal kam es knüppeldick:
Große Geländeausbildung
Die letzten vierzehn Tage vor dem Sommerurlaub (1962) zogen wir täglich mit unseren US-Karabinern und Platzpatronen ins Gelände. Auf dem Dienstplan stand „Große Geländeausbildung, Ausbildungsorte Barlissen, Meensen, Wiershausen“. Wir wurden täglich von morgens bis abends durch die Gegend gescheucht. Laufend kamen angeblich Tiefflieger von vorne, von hinten oder von der Seite, verbunden mit dem Kommando „Volle Deckung!“. Tatsächlich waren weit und breit keine Flugzeuge zu sehen, schon gar nicht Tiefflieger.
Einmal hatte ein genervter Wachtmeister die Faxen dicke. Er ging nach dem Kommando „Volle Deckung!“ nur in die Hocke, woraufhin sich etwa folgendes Wortgefecht ergab:
Ausbilder (schreiend): Volle Deckung! Volle Deckung!
Wachtmeister: Bin ich doch, Herr Oberwachtmeister!
Ausbilder: Sind Sie nicht!
Wachtmeister: Doch, ich hocke...