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Die Novemberrevolution in Dresden 1918/19

AutorBen Bütner
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2008
Seitenanzahl107 Seiten
ISBN9783640159048
FormatePUB/PDF
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis20,99 EUR
Magisterarbeit aus dem Jahr 2006 im Fachbereich Gesch. Europa - Deutschland - I. Weltkrieg, Weimarer Republik, Note: 1,7, Technische Universität Dresden (Philosophische Fakultät - Institut für Geschichte), 145 Quellen im Literaturverzeichnis, Sprache: Deutsch, Abstract: Die Revolution, von der das deutsche Reich im November 1918 erschüttert wurde und welche die Republik von Weimar gebar, zählt wohl unbestritten zu den bedeutendsten Zäsuren der jüngeren deutschen Geschichte. Das Geschehen in den Zentren der Erhebung, Kiel, Hamburg, München und natürlich die Reichshauptstadt Berlin, gilt daher als hinlänglich erforscht, ebenso wie die regionalgeschichtlichen Untersuchungen der Kerngebiete des Aufstandes in den einzelnen Bundesstaaten. Nun bildete sich jedoch im Königreich Sachsen eine Konstellation heraus, die für das gesamte Deutsche Reich einmalig bleiben sollte. Das Zentrum der linken Kräfte und der revolutionären Erhebung im 'Roten Königreich' - denn so wurde das Königreich Sachsen aufgrund sei-ner sozialdemokratischen Tradition genannt - war mit Leipzig nicht mit der Zentrale der politischen Macht identisch. In der sächsischen Hauptstadt und dem Regierungssitz Dresden hatten nach zähem Ringen am Ende des Ersten Weltkrieges die rechten Sozialdemokraten die Vorherrschaft errungen und sich im Zuge der Oktoberreformen auch an der Bildung einer sächsischen Landesregierung beteiligt. Was folgte, war ein zähes Ringen zwischen den Revolutionszentren Leipzig und Dresden, bzw. zwischen Unabhängigen und Mehrheitssozialdemokraten, bei dem die anderen sächsischen Bezirke eine eher untergeordnete Rolle spielten. Im Folgenden soll nun der Verlauf der Novemberrevolution in Dresden betrachtet werden. Wie gestaltete sich die wirtschaftliche, gesellschaftliche und politische Situation in der sächsischen Hauptstadt am Ende des Ersten Weltkrieges und unmittelbar vor dem Novemberumsturz? Worin lagen die Besonderheiten im Verlauf des Umbruchs im Vergleich zu den beiden anderen sächsischen Revolutionszentren, Leipzig und Chemnitz? Wer trat vor, während und unmittelbar nach der Revolution in der Elbemetropole besonders in Erscheinung? Welche Bedeutung hatten die Ereignisse in Dresden für die politische Entwicklung auf das Revolutionsgeschehen in Sachsen und wie weit reichte der Einfluss der Landespolitik auf die kommunale Ebene?

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Leseprobe

II. Dresden im Novembersturm


 

Die revolutionären Ereignisse und Kämpfe um die Macht in der Elbestadt vom November 1918 bis zum Januar 1919.


 

1. Die revolutionäre Erhebung in der sächsischen Hauptstadt


 

1.1. Der Ausbruch der Revolution in Dresden


 

Am 25. Oktober 1918 hielt der sächsische Abgeordnete und einstige Wanderlehrer der SPD[168], Otto Rühle, im Reichstag eine flammende Rede wider den kapitalistischen Verständigungsfrieden, den Parlamentarismus und den Völkerbund und rief die deutsche Arbeiterschaft zum bewaffneten Aufstand auf:

 

„Für die arbeitende Klasse gibt es keinen Verständigungsfrieden auf der Grundlage des Kapitalismus. Sie fordert einen Machtfrieden in dem Sinne, daß ihr Todfeind, diese Bourgeoisie, überwältigt, die bürgerlich-kapitalistische Regierung gestürzt, der Militarismus zertrümmert wird und das revolutionäre Proletariat der bürgerlichen Gesellschaft nach ihrer Niederwerfung und Überwindung den sozialistischen Frieden diktiert. Wir lehnen weiter die sogenannte Demokratie und den Parlamentarismus ab, [w]ir lehnen weiter den sogenannten Völkerbund ab […] Ich rufe die Arbeiterschaft, insbesondere die deutsche Arbeiterschaft, auf, diesen Sozialismus zu erkämpfen mit der Waffe der Revolution. Die Zeit zum Handeln ist gekommen!“[169]

 

Die Spartakisten arbeiteten gezielt auf einen bewaffneten Aufstand hin und forcierten zusehends ihre Anstrengungen, die Arbeiterschaft zu radikalisieren, doch fehlte es ihnen weitestgehend an Rückhalt in der Bevölkerung. Bereits auf ihrer Reichskonferenz am 7. Oktober hatten die Linksradikalen einen Forderungskatalog aufgestellt, der neben der Freilassung aller politischer Gefangenen, der Aufhebung von Belagerungszustand und Hilfsdienstgesetz auch weitgreifende Enteignungen von Großkapitalisten und Großgrundbesitzern und eine Übergabe der Lebensmittelverteilung an Vertrauensleute der Arbeiter beinhaltete. Der „Kampf um die wirkliche Demokratisierung“ wäre nicht einer um „Parlament, Wahlrecht oder Abgeordnetenminister oder anderen Schwindel“, man müsse das Fundament der Feinde des Volkes erschüttern, „Besitz an Grund und Boden und Kapital, Herrschaft über die bewaffnete Macht und über die Justiz.“ Die Konferenz beschloss zudem die umgehende Bildung von Arbeiter- und Soldatenräten allerorts, wo dies noch nicht geschehen war, und beabsichtigte erkennbar, eine revolutionäre Bewegung nach russischem Vorbild auf deutschem Boden zu entfesseln[170]. In diesem Sinne wurden Flugblätter verfasst und in der Dresdner Wohnung Otto Rühles Zusammenkünfte von Spartakisten abgehalten, um einen Aktionsplan zu entwerfen. So bereitete man für den 9. November beispielsweise eine Versammlung in der ‚Zentralhalle’ am Fischhofplatz vor, auf der Karl Liebknecht als Hauptredner geladen war, jedoch kam es nicht mehr zu dieser Veranstaltung[171].

 

Ein Flugblatt („An das werktätige Volk Deutschland“[172]) das auf Initiative der USPD-Führung in Ostsachsen verteilt wurde, enthielt die Forderung an die Arbeiter, sich zum sofortigen Eingreifen bereitzuhalten. Doch offensichtlich basierte dieser allgemein gehaltene Aufruf ebenso wenig auf konkreten Strategien und fortgeschrittenen Planungen wie unmittelbaren Vorbereitungen auf einen revolutionären Kampf, so dass die Dresdner USPD während einer Kreisvorstandssitzung am 8. November vollkommen von den Ereignissen in der Hauptstadt Sachsens überrascht wurde[173]. Aber wie hätte die USPD auch die Kräfte aufbringen sollen, eine revolutionäre Bewegung zu entfesseln. Sie stand noch immer – den Bezirk Leipzig ausgenommen – wie gelähmt im Schatten der Mehrheitssozialdemokratie und ein Großteil ihrer verfügbaren Energien wurde im Ringen mit der Schwesterpartei absorbiert. Hinzu kommt, dass die USPD zwar bedeutende Protestbewegungen, wie beispielsweise den Aprilstreik 1917, unterstützt hatte, jedoch eigens initiierte Auseinandersetzungen mit der Staatsgewalt, deren Ausgang schwer vorherzusagen war, stets vermieden hatte[174]. Allerdings muss betont werden, dass die USPD, wenn sie es schon nicht vermocht hatte, das Feuer der Revolution zu entfachen, zumindest alles daran setzte, die revolutionäre Situation weiter voranzutreiben. Die ersten Aktionen in der Elbestadt waren, wie im übrigen auch in Leipzig und Chemnitz, den Soldaten überlassen, aber daraufhin versuchten die Unabhängigen die Bewegung zu instrumentalisieren, das Heft in die Hand zu nehmen, die revolutionäre Erhebung zu führen und zu forcieren.

 

Gegenüber der abwartenden und entscheidungsscheuenden Position, welche die Unabhängigen Sozialdemokraten zu einer Revolution in Sachsen einnahmen, war die der (M)SPD recht deutlich. Georg Gradnauers Artikel „Die deutsche Revolution“ war zwar schon mit seiner Veröffentlichung am 9. November überholt, dennoch legte er den Standpunkt des rechten Parteiflügels unmissverständlich dar[175]. Entgegen der radikalen Kräfte warb Gradnauer für die im Oktober ins Werk gesetzte Demokratisierung und Parlamentarisierung und für eine schrittweise Eroberung der politischen Macht. In Anlehnung an die Neuerungen im Reichstag müssten die Länder analoge, geordnete Reformen durchführen, die letztendlich auf eine parlamentarische Monarchie hinausliefen. Keinesfalls jedoch dürfte die Arbeiterschaft in ein Chaos einer allumfassenden Zerrüttung verfallen[176]. Diese eindeutige politische Haltung, welche die (M)SPD ein Stück weit in Richtung der Position der Liberalen rücken ließ, soll aber nicht über die Passivität der Dresdner (M)SPD hinwegtäuschen. Auch hier war man sich zunächst unsicher, wie einer revolutionären Erhebung zu begegnen wäre, und unterschätzte – gleich den Unabhängigen – die aktuelle Situation, so dass auch die (M)SPD von der sich radikalisierenden Volksbewegung in der Elbestadt „völlig überrascht und regelrecht überrannt“[177] wurde. Die sächsischen Mehrheitssozialdemokraten, die de facto als Puffer zwischen dem alten Regime und den wachsenden sozialen und politischen Protesten wirkten, waren einfach nicht in der Lage gewesen, gemeinsam mit den Nationalliberalen eine grundsätzliche Reform der sächsischen Verfassung durchzusetzen, die den radikalen Kräften allen Wind aus den Segeln genommen und einer Revolution ‚von unten’  weitestgehend der Basis beraubt hätte[178].

 

Die deutsche Novemberrevolution 1918 erreichte Sachsen gewissermaßen per Funk. Im Fliegerhorst Großenhain, ca. 25km nördlich von Dresden, hatte man Meldungen über die Rebellion der Kieler Matrosen aufgefangen[179]. Am 6. November versammelten sich 3.000 Fliegersoldaten im Hof der Kaserne, wählten den ersten Soldatenrat Sachsens und solidarisierten sich sogleich mit den Forderungen der meuternden Matrosen[180]. Tags darauf setzten die Aufständischen sämtliche Offiziere gefangen und besetzten gemeinsam mit Zivilisten die Wache des Großenhainer Husarenregiments. Am 8. November waren auch das Postamt und mehrere Bahnhöfe in und um Großenhain in den Händen der Revolutionäre[181]. Der Soldatenrat verfasste ein Flugblatt, das über Dresden aus Flugzeugen heraus abgeworfen wurde und eine eindeutige Botschaft in die Hauptstadt Sachsens sandte:

 

„Die Garnison Großenhain hat die Beschlüsse des Kieler Soldatenrates anerkannt. Wir erwarten von Euch das gleiche.“[182]

 

Schon an den Tagen zuvor war es in Dresden zu Demonstrationen unzufriedener Militärs gekommen. Am 4. und 5. November protestierten bereits einige hundert Soldaten, gemeinsam mit vielen Frauen und Jugendlichen[183], auf dem Altmarkt gegen schlechte Verpflegung und Unterbringung. Eine weitere Protestversammlung, zu welcher daraufhin die USPD für den 6. November aufgerufen hatte, wurde von der Polizei aufgelöst[184], ebenso wie die Demonstration am Abend des Folgetages. Nun waren die Protestteilnehmer nicht mehr bereit, sich der Staatsmacht zu beugen. Unter ihnen wurde die Aufforderung verbreitet, am Freitag den 8. November erneut an gleicher Stelle zusammenzukommen[185]. Und sie kamen, Soldaten und Kriegsversehrte, bewaffnet und derart zahlreich, dass die auf dem Altmarkt postierten Polizisten dem nichts mehr entgegenzusetzen hatten[186]. Zwei unbekannte Redner riefen zur Revolution auf[187]. Gegen 8 Uhr abends erging vom Siegesdenkmal her die Aufforderung an die zusammengeströmten Massen, sich in Bewegung zu setzten und sternförmig in alle Richtungen zu ziehen. Die Versammelten sollten überall zur Bildung von Arbeiter- und Soldatenräten aufrufen. Die umliegenden strategisch wichtigen Gebäude, das Rathaus, das Telegrafenamt, das Schloss, das Polizeipräsidium, die Bahnhöfe, die Ministerien und die Kasernen, sollten unter Kontrolle gebracht und alle unterwegs getroffenen Polizisten wie Offiziere entwaffnet werden[188]. Kurz darauf zogen die ersten Kolonnen vom Platz[189].

 

Zunächst rückte die Menge über die Augustusbrücke gen Neustädter Hauptwache, die ohne größere Schwierigkeiten eingenommen wurde. Die Aufständischen konnten gleichfalls das Polizeipräsidium besetzen. Die dortigen Beamten...

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