Ausgehend von verschiedenen Elementen des Schumpeterschen Werkes hat sich seit Beginn der 90er Jahre eine nun rasch wachsende Neo-Schumpetersche Strömung bzw. eine Art Schumpeter-Renaissance in den Wirtschaftswissenschaften herausgebildet. Dies ist zunächst an der Anzahl der Publikationen festzumachen, welche sich auf Schumpeter beziehen. Vor allem wird Schumpeter in Veröffentlichungen ausdrücklich erwähnt, die sich mit dem Thema „Innovation“ und „dynamische, innovative Unternehmer“ beschäftigen.
Schumpeter entwickelte seine Konzeption des „schöpferischen Wirtschaftsführers“ erstmalig in seinem einflussreichen Jugendwerk „Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung“ (1911), auf das er in seinen späteren Werken „Business cycles“ (1939) und „Capitalism, Socialism and Democraty“ (1942) immer wieder zurückgreift. Damit markierte Schumpeter im deutschsprachigen Raum den Beginn der wirtschaftlichen Auseinandersetzung mit der Person des „Unternehmers“, indem er ihn in den Mittelpunkt eines geschlossenen Modells der wirtschaftlichen Entwicklung rückte.[12] Dabei betonte Schumpeter die fundamentale Bedeutung der Unternehmerfunktion für die Dynamisierung des ökonomischen Prozesses insgesamt.[13] Das Schumpetersche Unternehmer-theorem und dessen genereller Erklärungsanspruch der Entwicklungsgesetze der Wirtschaft wurden zum Ansatzpunkt für eine Reihe von Erklärungsversuchen, indem man den langfristigen Wechsel im Wachstumsrhythmus mit der Wirksamkeit von durch Unternehmerentscheidungen bewirkten Innovationszyklen zu erklären versuchte. Damit rückte auch die funktionelle Rolle des Unternehmers erneut in das Blickfeld des Interesses.[14]
Bevor nun die theoretischen Grundlagen des unternehmerischen Elementes im gesamtwirtschaftlichen Kontext bei Schumpeter beschrieben und in diesem Zusammenhang der „Prozess der schöpferischen Zerstörung“ mit den für diese Arbeit relevanten Elementen der wirtschaftlichen Entwicklung, nämlich der Innovation und dem Unternehmer im Schumpeterschen Sinne, näher beleuchtet werden, soll die Person Joseph A. Schumpeter im Mittelpunkt der folgenden Betrachtung stehen.
Es soll nun Schumpeters Biographie beleuchtet werden, wobei es aber nicht das Hauptinteresse der vorliegenden Arbeit sein wird, ein absolut vollständiges Bild von Schumpeters Aktivitäten zu zeichnen. Um der eigentlichen intellektuellen Leistung Schumpeters voll gerecht zu werden, wären biographische Aspekte zwar nicht unbedingt notwendig, dennoch sind Schumpeters wissenschaftliche Schriften sehr deutlich von seiner Persönlichkeit geprägt, weshalb auch die Aussage, welche Schumpeter in einem Aufsatz über Vilfredo Pareto schrieb, ebenso gut auf ihn selbst zutreffen kann:[15] „Aber in allem, was nicht die reine Logik ökonomischer Lehrsätze betraf, waren Persönlichkeit und Lebensumstände von so großem Einfluss, dass es notwendig erscheint, auf diesen Mann und was ihn bewegte, näher einzugehen, als man es in Würdigungen wissenschaftlicher Leistungen zu tun gewohnt ist“.[16] In diesem Zusammenhang stellt Swedber (1994) fest: „Schumpeters Denken gewinnt an Faszination, lernt man die Ereignisse in seinem Leben kennen. Und man würde viel versäumen, ließe man sich nicht auf dieses Leben ein“ (Schwedberg, 1994, S. 13). Deshalb soll nun folgend eine stark komprimierte, nur auf den wichtigsten Eckpunkten von Schumpeters Leben basierende biographische Abhandlung chronologisch dargelegt werden. Ein Exkurs in das historische Umfeld und die zeitliche Einordnung Schumpeters soll dann folgen und diesen Abschnitt abschließen.
Schumpeter wurde am 8. Februar 1883 in einer österreichischen Provinzstadt in Triesch, Mähren geboren. Sein Vater war Besitzer einer Tuchfabrik und setzte die Familientradition in diesem Gewerbe fort. Die Mutter, Johanna Schumpeter, stammt aus einer Arztfamilie in Iglau. Die Familie Schumpeter gehörte zur deutschsprachigen Minderheit der wohlhabenden katholischen Familien in Triesch, die das wirtschaftliche und politische Leben der Stadt beherrschten.[17] Nach dem Tod seines Vaters 1887 zogen die Mutter und der junge Schumpeter nach Graz, wo er die Volkshochschule besuchte. 1893 heiratete seine Mutter den Leutnantfeldmarschall Sigismund von Kéler, worauf sie nach Wien zogen. Sein Stiefvater ermöglichte es dem jungen Schumpeter, das Theresianum, eines der besten Wiener Gymnasien, zu besuchen. Hier erhielt er eine klassische humanistische Bildung und schloss sein Examen mit Auszeichnung 1901 ab. Danach immatrikulierte er sich an der Universität Wien, um Jura und politische Wissenschaften zu studieren. Alsbald zeigte sich, dass sein Hauptinteresse der Ökonomie galt. Er lass die Werke von Léon Walras, Vilfredo Pareto und Francis Edgeworth. Seinen ersten größeren Aufsatz über die „mathematischen Methoden der theoretischen Ökonomie“ veröffentlichte er 1906. Am 16. Februar 1906, nach fünf Jahren Studium, promovierte Schumpeter an der Universität Wien zum Doktor der Rechte. Um diesen Titel zu erwerben, musste er keine Doktorarbeit schreiben, sondern lediglich eine Reihe von Prüfungen bestehen. Danach erfüllte er sich den lange gehegten Wunsch zu reisen. Zuerst hielt er sich in Deutschland auf, wo er ein wirtschaftswissenschaftliches Seminar der Universität Berlin besuchte. Weitere Reisen führten ihn nach Frankreich und England. In England war er für ein Jahr Student an der London School of Economics. Dort lernte er seine erste Frau, Gladys Ricarde Seavers, kennen, die er 1907 heiratete. Gegen Ende des Jahres 1907 ging er als Vermögensverwalter einer ägyptischen Prinzessin nach Kairo und schrieb dort sein erstes Buch "Das Wesen und der Hauptinhalt der theoretischen Nationalökonomie“, jenes Werk, das er 1908 der Fakultät für Rechtswissenschaften und Politik in Wien als Habilitationsschrift vorlegte.[18] 1911 veröffentlichte er das Buch der „Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung“.
In den nachfolgenden zehn Jahren eignete sich Schumpeter während der Professur für politische Ökonomie an der Universität Graz ein breites theoretisches Wissen an und wurde berühmt dafür, dass er seine Vorlesungen im Reiterkostüm hielt.[19] Zwischen 1913 und 1914 war er Gastprofessor in den Vereinigten Staaten an der Columbia University in New York. Nachdem er nach Graz zurückgekehrt war, erschien sein drittes Buch mit dem Titel "Epochen der Dogmen- und Methodengeschichte“. 1916 bis 1917 war die Zeit verstärkter politischer Ambitionen in Schumpeters Leben. Er verfasste mehrere Memoranden, in denen er sich zu den Beziehungen zwischen Deutschland und Österreich äußerte. 1919 wurde er Mitglied der Sozialisierungskomission in Berlin, die sich mit der Vergesellschaftung von Betrieben beschäftigte.
Mit dem Ende des Ersten Weltkrieges wurde der Zusammenbruch der österreichisch- ungarischen Monarchie besiegelt, die in mehr als ein halbes Dutzend Nationalstaaten zerfiel. Für Restösterreich, welches von Inflation und wirtschaftlicher Misere heimgesucht wurde, gab es „nur eine Hoffnung“: Der beste Wirtschaftshistoriker des Landes, der 36-jährige Schumpeter, wurde zum Finanzminister berufen.[20] In dieser Zeit kaufte er sich ein Schloss und eine Pferdekoppel und fing zahlreiche Liebschaften an, weshalb auch ein Jahr später die Scheidung von seiner Frau folgte.
Frauen waren in Schumpeters Leben in verschiedenster Hinsicht ein wichtiges Thema. Er liebte es, in Männerrunden mit seinem Erfolg als Schürzenjäger zu prahlen. Die meisten Kollegen und Studenten hörten irgendwann einmal den Ausspruch von ihm, dass er drei Ziele im Leben hätte: „der beste Liebhaber Wiens, der beste Reiter Europas und der größte Ökonom der Welt zu sein. Zwei Ziele habe er erreicht, so Schumpeter weiter, aber leider habe er nur einen zweitklassigen Sattel geerbt“.[21] Schumpeter kümmerte sich wenig um gesellschaftliche Konventionen und betätigte sich als „schamloser Frauenheld“. So hatte er sich eine offene Kutsche gemietet und ist mit zwei Prostituierten im Arm am heiligten Tag quer durch Wien gefahren.[22] Selbst mit über 50 Jahren fühlte sich Schumpeter immer noch stark zum anderen Geschlecht hingezogen. Er konnte offenbar kaum mit einer Frau zusammentreffen, ohne sich Gedanken über deren „weibliche Qualitäten“ zu machen. Sein Tagebuch ist voll von entsprechenden Bemerkungen über Studentinnen und Frauen von Kollegen.[23] So schrieb er beispielsweise in sein Tagebuch: „O.K., ich habe eine Begabung für Frauen. Aber sie wissen nicht, was sie anrichten können und was es kosten kann, wenn sie ihre Ansprüche hörbar machen, sei es wenn die Arbeit beginnt, sei es, wenn die Arbeit stoppt, und Ruhe, Friede kommt.... Wenn die Seele spricht, muss der Partner den Mund halten“. [24]
Doch nun wieder zurück zum Schumpeter als Finanzminister:...