Kultur stellt ein von zahlreichen Disziplinen aufgegriffenes und in Folge auch vielfältig definiertes Phänomen dar (vgl. Perlitz 2004, 250). In Bezug auf die Managementlehre formulieren Kroeber/Kluckhohn folgende Synthese aus zahlreichen Definitionen: „Kultur ist die Gesamtheit der Grundannahmen, Werte, Normen, Einstellungen und Überzeugungen einer sozialen Einheit, die sich in einer Vielzahl von Verhaltensweisen und Artefakten ausdrückt und sich als Antwort auf die vielfältigen Anforderungen, die an diese soziale Einheit gestellt werden, im Laufe der Zeit herausgebildet hat“ (Kroeber/Kluckhohn 1963 zitiert nach Kutschker/Schmid 2008, 672).
In dieser Begriffsbestimmung wird zwischen Verhaltensweisen und Artefakten, die sichtbar werden und Elementen, die diesen Phänomenen zugrundeliegen, unterschieden. Diese Vorstellung von Kultur wird häufig mit der Metapher eines Eisberges veranschaulicht. Dabei entspricht der kleinen Spitze, die aus dem Wasser ragt, die Gesamtheit an materiellen (z.B. Architektur), interaktionalen (z.B. Zeremonien) und sprachlichen Symbolen (z.B. Anekdoten) sowie allen beobachtbaren Verhaltensweisen und wird auch als Percepta-Ebene bezeichnet. Der weitaus größere Teil, der sich einer direkten Sichtbarkeit entzieht, repräsentiert Werte, Einstellungen, Normen und Überzeugungen einer Kultur, die als Elemente der Concepta-Ebene bezeichnet werden (vgl. Perlitz 2004, 251).
Eine weitere Metapher, die der „Kulturzwiebel“, differenziert feiner: Die äußerste Haut stellt dabei die leicht erkennbaren Symbole dar, unter welchen sich die ebenfalls sichtbaren Helden und Rituale befinden, die wiederum als Schale um die unsichtbaren Normen und Werte zu betrachten sind. Tief im Kern finden sich dann die Grundannahmen einer Gesellschaft. Von dieser hierarchischen Strukturierung existieren zahlreiche Varianten mit unterschiedlichen Abgrenzungen der Schichten und Ebenen (vgl. Müller/Gelbrich 2004, 65-70).
Hofstede versteht Kultur zudem als Denk-, Fühl- und Handlungsmuster, die analog zu einer Computersoftware die mentale Programmierung eines Menschen darstellen (vgl. Hofstede 2001, 2-3). Diese Definition veranschaulicht, dass auf gegebene Umstände, wie z.B. eine Compliance-Maßnahme, unterschiedliche Reaktionen aufgrund der mentalen Programmierung erfolgen können. Außerdem erlaubt ein solch weit gefasstes Verständnis von Kultur das Heranziehen vieler kulturvergleichender Studien für die später folgenden Überlegungen zu Compliance-Maßnahmen. Nicht zuletzt wird Hofstedes Auffassung auch gefolgt, da seine Studie den zentralen Bezugspunkt der Kulturbetrachtung der weiteren Ausführung repräsentiert.
Desweiteren sei beachtet, dass die Spezifikation Landeskultur verwendet wird, um eine Abgrenzung gegenüber anderen Ausprägungen von Kultur zu verdeutlichen. Für eine Unternehmung sind neben der Landeskultur beispielsweise auch Branchen- oder Professionskulturen (z.B. kaufmännische Kultur) Faktoren, die auf die individuelle Unternehmenskultur einwirken. In der vorliegenden Arbeit findet eine Betrachtung der Landeskultur statt, wobei vergegenwärtigt werden sollte, dass Kulturen nicht an Staatsgrenzen gebunden sind, wie es z.B. an der Schweiz und ihren Subkulturen deutlich wird (vgl. Kutschker/Schmid 2008, 676-678; Meckl 2006, 264).
Unabhängig davon, ob für die Definition von internationalen Unternehmen ein quantitativer oder ein qualitativer Ansatz herangezogen wird, steht fest, dass ein solches Unternehmen im Rahmen seiner Geschäftstätigkeit Kontakte mit anderen Ländern hat. Eine Bearbeitung von Märkten über den Heimatmarkt hinaus zieht als logische Konsequenz die Konfrontation mit fremden Landeskulturen nach sich. Darüber hinaus stellt externes Wachstum durch Akquisitionen und Fusionen im Ausland eine Unternehmung vor die Herausforderung, sehr plötzlich innerhalb einer Organisation mit verschiedenen Landeskulturen umzugehen. Bereits strategische Investitionen in Form von Joint Ventures oder strategischen Allianzen entsprechen einer verstärkten Konfrontation (vgl. Kutschker/Schmid 2008, 807-808; Meckl 2006, 5).
Inwieweit Maßnahmen des Managements diesem kulturellen Kontext Rechnung tragen sollten, ist in der Wissenschaft umstritten. Vertreter der culture-bound-These, sogenannte „Kulturisten“, führen unterschiedliche Organisationsstrukturen auf den Einfluss von Kultur zurück und sehen grundlegende Unterschiede in Führungs- und Managementkonzepten in unterschiedlichen Kulturkreisen. Dahingegen verteidigen die „Universalisten“ die culture-free-These, welche besagt, dass Managementtechniken kulturunabhängig seien (vgl. Kutschker/Schmid 2008, 805). Zwischen diesen beiden Extremen existieren Vorschläge, die Bestandteile beider Thesen integrieren. So besagt eine These, dass „harte“ Elemente wie Finanzierung, Kostenrechnung oder Produktionssteuerung frei von kulturellen Einflüssen sind, wohingegen verhaltensbezogene Techniken, wie Führungsstil, Motivation oder Konfliktmanagement, als weiche Faktoren, eher kultureller Prägung unterliegen (vgl. Kutschker/Schmid 2008, 805; Bolten 1995, 24-42; Keller 1982, 539-544).
Wird Kultur als Einflussfaktor auf effiziente Managementsysteme akzeptiert, so folgt daraus die Notwendigkeit der Beschäftigung mit der Kultur zur Optimierung der Management-Maßnahmen. Ein Ignorieren der kulturellen Komponente würde deshalb zu ökonomisch suboptimalen Lösungen führen und könnte dadurch den Erfolg der internationalen Unternehmung gefährden (vgl. Meckl 2006, 265).
Ist die Notwendigkeit einer Beschäftigung mit der Landeskultur erkannt, stellt sich als nächstes die Frage, wie man sich diesem Phänomen zu nähern hat. Kultur ist ein theoretisches Konstrukt, also nicht direkt beobachtbar. Viele Ansätze betrachten ausgewählte Gesichtspunkte spezifischer Kulturen und versuchen durch anekdotenhafte Beschreibung ein Bild einer Kultur zu zeichnen. Um empirisch fundierte Aussagen zu treffen, wurden Ansätze entwickelt, um qualitative und quantitative Daten über Kulturen zu erheben und systematisch auszuwerten.
Als Grundlage der vorliegenden Arbeit wurden in erster Linie solche systematisch vergleichende Studien ausgewählt. Genauer wird auf dimensionsanalytische Ansätze fokussiert, die zur Darstellung der inneren Struktur des Konstrukts Kultur jeweils mehrere übergeordnete Faktoren mit dichotomen Ausprägungen definieren. Diese Faktoren werden Kulturdimensionen genannt. Da diese abstrakten Dimensionen wiederum nicht direkt beobachtbar sind, gilt es, repräsentierende Indikatoren zu finden. Dieser Prozess, der als Operationalisierung bezeichnet wird, mündet in der Formulierung von abfragbaren und auf Skalen messbaren Merkmalen, die auch als Items bezeichnet werden. Ein ordinales Skalenniveau erlaubt dabei relative Einordnungen und Vergleiche der betrachteten Kulturen (vgl. Backhaus 2006, 416-417; Meckl 2006, 266; Müller/Gelbrich 2004, 71-73; Perlitz 2004, 268). In den folgenden Abschnitten werden Kulturdimensionen vorgestellt, die in Verbindung mit den betrachteten Compliance-Maßnahmen (s. 4.2 - 4.4) wieder aufgegriffen werden. Da dort besonders häufig auf die Arbeit Hofstedes Bezug genommen wird, räumt das nächste Kapitel dieser Studie Platz für eine entsprechend ausführlichere Darstellung ein.
Kulturvergleichende Forschung bedeutet meistens auch länderübergreifende Forschung, die gegenüber nationaler Forschung mit einer Reihe zusätzlicher Probleme behaftet ist. Neben organisatorischen Problemen bei der Datenerhebung, z.B. aufgrund infrastruktureller Unterschiede, sind auch methodologische und konzeptionelle Probleme von Bedeutung. Besondere Relevanz wird der Vergleichbarkeit der erhobenen Daten beigemessen. Beispielsweise ist bei der Wahl der Untersuchungsmethode darauf zu achten, ob in bestimmten Regionen eine geringe Alphabetisierungsquote eine schriftliche Befragung scheitern lassen könnte und ob eine Substitution durch mündliche Befragungsmethoden das Antwortverhalten signifikant verändern würde. Darüber hinaus sind landestypische Verzerrungen, wie z.B. die Tendenz zu bejahenden Antworten in südostasiatischen Regionen (Höflichkeits-Bias) bekannt, die unter Umständen eine regionale Anpassung von Formulierungen sinnvoll erscheinen lassen. Diese, als Äquivalenzproblem der interkulturellen Forschung bezeichnete, Erschwernis betrifft nicht nur die Forschungsmethode, sondern analog auch die Äquivalenz der Untersuchungssachverhalte, -einheiten, -situation und -aufbereitung (vgl. Kutschker/Schmid 2008, 809; Bauer 2002, 31-64).
Die hier vorgestellten Kulturdimensionen entstammen keiner bestimmten Arbeit des Anthropologen Edward Hall, sondern einer Reihe von Veröffentlichungen (vgl. Kutschker/Schmid 2008, 701-716), so dass hier keine konkrete Studie präsentiert wird.
Halls erste Dimension, die Kontextualität, behandelt, in welchem Umfang explizite Informationen in Kommunikationssituationen übermittelt werden müssen, um vom...