7. Darstellung von vier zusammen hängenden Stunden der Unterrichtsreihe
7.1 Die dritte Stunde der Unterrichtsreihe: Geschehen Wunder einfach so? – Die Heilung des blinden Bartimäus
7.1.1 Theologische Aspekte der Perikope über die Heilung des Bartimäus (Mk 10,46-52)[49]
Die Perikope markiert formal wie inhaltlich den Übergang vom vierten Hauptteil des Markusevangeliums zur nachfolgenden Passionsgeschichte.
Die Erzählung wird von Dialogen dominiert und ist in knapper, aber dafür sehr anschaulicher Form dargestellt.[50] Die dialogisierte Form, sowie konkrete Namens- und Ortsangaben sind nur zwei von vielen weiteren Hinweisen, die zu der Annahme führen, dass die Erzählung auf einer wirklichen Begebenheit gründet.[51]
Bartimäus, dessen Name mit „Sohn der Unreinheit“ übersetzt werden kann[52], ist die dominierende Figur in dieser Perikope. Sein starker Glaube wird mehrfach betont. Bartimäus riskiert sowohl Zurückweisung als auch Gewalttaten seitens des Volkes, um zu Jesus zu gelangen. Dies wird spätestens bei seinem zweiten Hilferuf sichtbar, nachdem die Volksmenge ihn beim ersten Rufen schon fast bedrohlich zurückgewiesen hat.[53] Die Anrede Jesu als „Sohn Davids" unterstreicht seinen Glauben: Bartimäus erkennt in Jesus den Messias und damit die große Chance, sein Leben in geordnete Bahnen lenken zu können. Für diese Hoffnung riskiert er viel.
Damit dominieren seine Handlungen die Erzählung: Nach den wiederholten mutigen Anrufungen Jesu bewegt er sich trotz seiner körperlichen Blindheit auf Jesus zu. Und auch bei der Darstellung des Wunders scheint es, als ob Jesus nur noch feststellen würde, dass Bartimäus wieder sehen kann. - Von einer Wunderhandlung oder einem wunderwirkenden Wort Jesu ist nicht die Rede.[54] Die dargestellte Aktivität des Bartimäus reicht noch über das Wundergeschehen hinaus. So wird im Anschluss an die Heilung berichtet, Bartimäus "folgte Jesus nach auf dem Weg"[55].
Diese Nachfolgebekundung steht innerhalb des Markusevangeliums als Gegensatz zur Bereitschaft der Jünger Jesu, die auf die Ankündigung des Leiden und Sterbens Jesu zunächst mit Unverständnis reagieren. Bartimäus erkennt damit vor den körperlich sehenden Jüngern, worauf es in der Begegnung mit Jesus ankommt. „So gehen die Jünger zwar äußerlich mit Jesus nach Jerusalem, dem Ort der Passion, innerlich aber fehlt ihnen noch die Bereitschaft zu echter Nachfolge.“ Damit zeigt die Geschichte einmal mehr: „Nachfolge Jesu bedeutet Kreuzesnachfolge. Jüngerschaft bedeutet nicht Bequemlichkeit und Anpassung, sondern mutiges Bekenntnis und Dienst am Nächsten.“[56]
Die „Doppelbödigkeit[57]“ der Wundergeschichten, die in der UR erarbeitet werden, spielen auch in der genannten Perikope eine große Rolle: Eigentlich sind die Jünger Bartimäus überlegen: Sie können körperlich sehen. Aber sie sind blind für das Eigentliche, wie in Mk 8,18 formuliert ist: "Habt ihr denn keine Augen, um zu sehen, und keine Ohren, um zu hören?“
Die Haltung des Bartimäus zeigt: Wer auf Gott vertraut, kann sich selbst überbieten.[58]
7.1.2 Didaktische Entscheidungen
Die Perikope von der Heilung des Bartimäus eignet sich in besonderem Maß für die Erarbeitung der Tatsache, dass persönlicher Glaube und aktiver Einsatz – wie es der blinde Bartimäus gezeigt hat - als mögliche Voraussetzungen für ein Wundergeschehen gelten. In dieser Unterrichtsstunde steht daher die Person, an der das Wunder gewirkt wird, im Mittelpunkt.
Das Herausarbeiten des festen Glaubens des Bartimäus kann für die SuS eine Anregung darstellen, den eigenen Glauben zu reflektieren, zu legitimieren und daraus Kraft für persönliche Handlungen zu schöpfen.
Um den SuS die Identifikation der Geschichte mit ihrem eigenen Leben, in dem sie sich nicht als Blinde erkennen, zu ermöglichen, ist ein Transfer der Geschichtshandlung in das Alltagsgeschehen der SuS hilfreich. Dieser Transfer sollte zunächst kein Element der Geschichte erkennen lassen, da der Inhalt der Erzählung den SuS präsent ist. Ansonsten kann eine Verwischung der eigentlichen Intention geschehen, da SuS dazu neigen, die zu erarbeitende Identifikationsgeschichte direkt in Rückbindung an die mögliche Bibelgeschichte zu konstruieren, anstatt sich selbst mit ihren Gefühlen in das Geschehen hinein zu begeben.[59]
Auf der Basis eines einfachen Gesprächsverlaufes, wie er den SuS in ihrem Schulalltag schon einmal begegnet sein kann, soll die beängstigende Situation des Bartimäus nachempfunden werden. Dazu konstruieren die SuS eine Geschichte, in der besonders die Gefühle der beteiligten Personen beachtet werden sollen.
Auf der Basis dieser selbst konstruierten Geschichte wird den SuS dann die Erzählung von der Heilung des Bartimäus präsentiert. Im Anschluss identifizieren die SuS die selbst konstruierten Akteure mit denen der Perikope.
Um die SuS zu einer persönlichen Deutung des Textes zu führen, ist eine Interpretation des Ereignisses aus der Sicht der handelnden Akteure hilfreich, da so die Motive für die einzelnen Handlungen, sowie die dahinterstehenden Haltungen, noch einmal verdeutlicht werden.
Den SuS wird damit bewusst, dass jeder der Beteiligten aufgrund eines bestimmten Motives handelt und dadurch kein Zufall darin besteht, dass gerade Bartimäus geheilt wird.
Im Sinne des Elementarisierungsmodells[60] wird durch diesen Unterrichtsverlauf zunächst die Lebenswelt der SuS, werden ihre elementaren Erfahrungen bei der Erörterung einer Alltagssituation angesprochen. Diese wird mit der sog. elementaren Wahrheit in Verbindung gebracht, der Erzählung von der Heilung des Bartimäus. Durch die methodische Annäherung an die Erzählung üben die SuS sowohl eine Methode ein, die sie auf weitere Problemfelder anwenden können, zudem erarbeiten sie eine Verständnisgrundlage biblischer Texte.
Dem entwicklungsbedingten Zugang der SuS entsprechend, wurden die Methoden ausgewählt und Hilfestellungen geboten, das Wundergeschehen kritisch zu hinterfragen und persönliche Rückschlüsse zu erörtern.
7.1.3 Methodische Entscheidungen
Zu Beginn der Stunde wird den SuS auf der Basis der Redeanteile der Perikope eine kurze Gesprächssituation an der Tafel präsentiert. Diese identifizieren die SuS in einem weiteren Schritt mit einer Alltagssituation, um dadurch eine emotionale Verbindung mit der Geschichte zu erhalten.
Damit stehen im ersten Teil der Stunde die vier Aussagen: „Hilf mir!", „Halt den Mund! Wen interessiert´s?", „HILF MIR, BITTE!!!" und „Komm zu mir!" im Mittelpunkt[61], die zunächst als Stummer Impuls an die Tafel gehängt werden. Zu dem dargestellten Gespräch entwerfen die SuS eine konkrete Geschichte und entfalten diese in Form eines Lehrer-Schüler Gesprächs, indem sie die möglichen Gefühle der jeweils beteiligten Personen benennen. So können sie sich in diese Person besser hineinversetzen.
Im zweiten Teil der Unterrichtsstunde lesen die SuS die Perikope und übertragen die zuvor selbst konstruierte Gesprächssituation sowie die eruierten Gefühlszustände der beteiligten Personen auf die Bartimäusgeschichte.[62] Gleichzeitig werden fast unterschwellig die an der Geschichte beteiligten Parteien identifiziert, aus deren Sicht die SuS im Folgenden die Heilungsgeschichte berichten. Die Methode des kreativen Schreibens aus der Haltung einer beteiligten Partei eignet sich besonders gut, sich mit einer Position zu identifizieren und gleichzeitig ein Geschehen anfänglich zu deuten.
Für diese Erarbeitungsphase bietet sich eine themen-differenzierte Einzelarbeit an.[63] Die SuS erarbeiten jeweils eine Position, indem sie die Erzählung mit der Methode des Kreativen Schreibens[64] aus der Perspektive eines Beteiligten darstellen und dessen Gedanken und Gefühle beschreiben.
Für die SuS ist es vermutlich am einfachsten, die Geschichte aus der Sicht der Menschenmenge zu bearbeiten, da in der vorhergehenden Stunde der Umgang mit kranken Menschen zu Zeit Jesu bearbeitet wurde und dieser nun noch einmal innerhalb einer konkreten Situation dargestellt werden soll. Aus diesem Grund wird diese Aufgabe, ebenso wie die Darstellung der Sichtweise des Bartimäus nicht von den leistungsstärksten SuS der Klasse bearbeitet.
Die Sichtweise von Jesus, der auf beide Parteien, Bartimäus und die...