Ein Reichstag (1431)
König Sigismund in Nürnberg. Die Hussiten. Vlad Dracul. Wo soll der herkommen? Aus der Walachei? Der Raum (geographische Beschreibung). Die Türken. Trübe Erfahrungen.
Um die Septembermitte 1430 zog Sigismund v. Luxemburg, deutscher, ungarischer und böhmischer König, in die Reichsstadt Nürnberg ein, um dort einen Reichstag abzuhalten. Bereits im März hätte der Reichstag eröffnet sein sollen, doch hatte ein Einfall der Hussiten nach Bayern, Franken und Sachsen die Wege unsicher gemacht und Sigismund selbst an der Möglichkeit zweifeln lassen, den Reichstag wie vorgesehen zu beginnen.
Es waren nicht viele Reichsstände1 erschienen, wie die königlichen Kommissare feststellen konnten, die im Juni anreisten, um Sigismund wegen seines Ausbleibens zu entschuldigen, und seine baldige Ankunft in Aussicht stellten. Als der König eintraf, hatte die Mehrzahl der Teilnehmer, des Wartens überdrüssig, Nürnberg den Rücken gekehrt. Sigismund setzte deshalb einen neuen Termin für Anfang Januar 1431 fest. Am 9. Februar konnte er den Reichstag endlich eröffnen.
Wie die vorigen stand auch dieser Reichstag im Zeichen der Hussitengefahr. Der böhmischen Krone, als deren rechtmäßiger Inhaber sich Sigismund seit 1419 verstand, war er nicht recht froh geworden. Mit der Verbrennung des Jan Hus auf dem Konstanzer Konzil war die böhmische ›Ketzerei‹ keineswegs erloschen, vielmehr erst richtig in Gang gekommen. Die Forderungen der Böhmen, die sich in der Nachfolge des Hus Hussiten nannten, enthielten in ihren religiösen, kirchenkritischen Parolen auch eine Fülle sozialen Zündstoffs, wie von den Kirchenfürsten und weltlichen Herren instinktsicher erkannt wurde.
Seit 1420 hatte Sigismund in vier Kreuzzügen vergeblich versucht, die Hussiten zu unterwerfen. Ihr nationaler Zusammenhalt, ihre hohe Moral, die Entwicklung neuer Kampftechniken, nicht zuletzt die militärischen Fähigkeiten ihrer Anführer Zizka von Trocnov und Prokop hatten alle Angriffe scheitern lassen. Die letzte Niederlage datierte von 1427, wo das auf 100.000 Mann geschätzte Kreuzfahrerheer bei der Nachricht, daß die Hussiten kämen, kampflos auseinandergelaufen war. Das sollte sich nun ändern. Ein fünfter Kreuzzug war ins Auge gefaßt, der ein für allemal Schluß machen sollte mit den böhmischen Ketzern. Dazu war Geld nötig, und Sigismund hoffte, es von den versammelten Reichsständen zu erhalten.
Das Feilschen darüber, wer wieviel zu geben habe, zog sich hin. Sigismund, dem die Chronisten übereinstimmend eine ausgeprägte Begabung zur Repräsentation attestieren, demonstrierte derweil die Größe seines Einflusses in der Welt damit, daß er in feierlicher Handlung einen rumänischen Adligen namens Vlad zum neuen Woiwoden (Fürst) der Walachei erhob und ihn zum Ritter des von ihm 1418 zum Kampf gegen die Türken gegründeten Drachenordens schlug. Der Beiname, den Vlad fortan führte, lautete dementsprechend Dracul, was im Rumänischen allerdings Teufel bedeutet.
Vlad Dracul, ungefähr Mitte dreißig, war kein Unbekannter in Sigismunds Gefolge. Schon vor dem Jahr 1418 war er an den Hof des Königs gekommen: als Geisel eingefordert, um die Treue seines Vaters, des damaligen Woiwoden der Walachei, Mircea cel Batrin (der Alte), zu verbürgen. Wohl oder übel hatte er den König in den vergangenen Jahren begleitet, war auch nach dem Tode Mirceas (1418) bei Sigismund geblieben und hatte nur 1423 einen Versuch gemacht, die Gastfreundschaft des ungarischen Königs mit der des polnischen zu vertauschen, wahrscheinlich weil er von diesem die militärische Hilfe erhoffte, die jener ihm nicht geben wollte. Man hielt ihn aber an der Grenze auf und brachte ihn nach Buda2 zurück.
Jetzt, acht Jahre später, kniete Vlad Dracul vor Sigismund und schwor:
»Gnädigster König! Ich leiste den Eid der Treue und schwöre, und verspreche ohne Arglist und Betrug Eurer Majestät und Ihren Nachfolgern und der Krone Ungarn mit allen mir unterstehenden Ländern, Bojaren und Leuten Treue und Gehorsam. So helfe mir Gott, und das Kreuz Christi.«
Worauf der König antwortete:
»Wir nehmen Dich und Deine Länder unter Unsern Schutz, und belassen Dich bey dem Recht und Besitz derselben als Unsern Woiwoden.«
und ihm das Zeichen seiner Herrschaft, einen Streitkolben, überreichte.
Auf die Nürnberger Bürger wirkte das gebotene Schauspiel weit weniger exotisch, als man zunächst annehmen mag. Die Walachei lag im Bewußtsein der Zeitgenossen noch nicht in jener heutigen Grauzone »hinter den Bergen«, in der sich der Begriff höchstens noch als Synonym für Unordnung (›hier sieht’s ja aus wie in der Walachei‹) erhalten hat. Die Nürnberger Kaufleute handelten zwar nicht direkt mit Transalpinien, wie man die Walachei damals nannte, wenn man sich auf Latein verstand, aber ihre Kontakte mit den deutschen Städten Siebenbürgens (Transsilvanien) waren ausgezeichnet. Aus den Karpaten bezogen sie einen Teil der Erze, die sie für ihre florierende Rüstungsproduktion benötigten, und lieferten im Gegenzug Fertigwaren, Waffen vor allem und Tuche. Wer in der Walachei regierte, war ihnen nicht gleichgültig, so wenig ihnen der profitable Handel gleichgültig war, den sie mit Siebenbürgen und der Walachei trieben. Ihre Beteiligung am Türkenfeldzug von 1396 hatte es bewiesen.3
Ein Blick auf die Karte zeigt die strategische Bedeutung des Landes. Seit dem Ende des 14. Jahrhunderts standen die Türken an der Donau. Vom ungarischen Königreich, das damals neben dem Kernland, der ungarischen Tiefebene, Slawonien und Kroatien sowie Siebenbürgen umfaßte, trennte sie nur noch ein schmaler Gürtel von Kleinstaaten: Serbien, Bosnien, die Walachei. Ziel der Balkanpolitik Sigismunds war es, diese Staaten unter ungarische Oberherrschaft zu bringen, um so die ungarischen Südgrenzen zuverlässig vor den Türkeneinfällen zu schützen. Dabei kam der Walachei insofern erhöhte Bedeutung zu, als in ihrem Gebiet die Einfallstore nach Siebenbürgen lagen.
Die Hochebene von Siebenbürgen liegt im weiten Ring der Karpaten, die sie im Norden, Osten und Süden umschließen. Während die Pässe nach Osten, eng und gewunden in die Moldau führend, relativ leicht zu sperren sind, bieten sich im Süden zwei große Karpatendurchbrüche: der Rote-Turm-Paß, der Hermannstadt (Sibiu) mit der südlich gelegenen Kleinen Walachei (Oltenia) verbindet, und der Predeal-Paß, der die Verbindung Kronstadts (Braşov) zur Großen Walachei (Muntenia) darstellt. Der Rote-Turm-Paß bot sich für Einfälle nach Siebenbürgen besonders an. Die Bergzüge im Westen und Osten erreichen in ihren Gipfeln Höhen von über 2.500 Metern, der Paß selbst liegt nur 250 bis 380 Meter hoch, da er das Durchbruchstal eines Flusses, des Olt, bildet. Er ist zu breit, um mit Erfolg gesperrt werden zu können. Die Befestigungen des Passes an seinem nördlichen Ausgang hatten neben Kontroll- und Zollfunktionen nur die Aufgabe, den Feind möglichst so lange aufzuhalten, daß im kaum 40 Kilometer entfernten Hermannstadt Verteidigungsmaßnahmen getroffen werden konnten. Es war eine taktische, keine strategische Stellung. Eine effektive Verteidigung bedurfte des Vorfelds, der Walachei.
Das Fürstentum, in seiner Süd-Nord-Erstreckung von der Donau bis hinein nach Siebenbürgen reichend, im Osten durch den Milcov-Fluß vom Fürstentum Moldau getrennt, im Westen bis ans Eiserne Tor, den Donaudurchbruch, ausgreifend, hatte in seiner größten Ausdehnung ca. 125.000 qkm umfaßt. Das war um 1415 gewesen, unter der Herrschaft Mircea cel Batrins, Vlad Draculs Vater. Mircea hatte die nach der Schlacht von Ankara4 ausgebrochenen innertürkischen Machtkämpfe gut genutzt und sein Fürstentum um Gebiete südlich der Donau, vor allem um die Dobrudscha erweitert. Mit der Befestigung des Hafens und der Stadt Kilia, die die Donaumündung kontrollierte, und dem festungsmäßigen Ausbau der Donauübergänge Giurgiu, Silistria und Isacea suchte er die Donau als Grenze gegen die Türken zu sichern. Seine militärischen Erfolge fundierte er außenpolitisch durch eine ausgewogene Schaukelpolitik. Anerkannte er einmal die Oberherrschaft des Sultans, so unterwarf er sich ein anderes Mal dem ungarischen König, um schließlich dem Polenkönig Treue zu schwören. Es kam ihm auf den Schein nicht an, wichtig war ihm die erreichte De-facto-Unabhängigkeit.
Noch während Mirceas Regierung machte eine großangelegte türkische Offensive seine Erfolge teilweise zunichte. Nach seinem Tod beschleunigten der Streit um die Nachfolge und die Unmöglichkeit, ungarische Hilfe zu organisieren – Sigismund sah seine vordringliche Aufgabe in der Niederwerfung der Hussitenrebellion –, das türkische Vordringen. Um die Mitte der zwanziger Jahre des 15. Jahrhunderts waren die Landstriche südlich der Donau wieder verloren, über den von Mireea erbauten...