Teil 2: Die fünf Aspekte eines Geschäftsprozesses
In diesem Kapitel lesen Sie, wie Sie das Konzept der fünf Aspekte des Geschäftsprozesses für Ihre Analyse nutzen können. Mit den fünf Aspekten haben Sie eine gute „Checkliste“, mit der Sie die richtigen Fragen stellen – und sich so schnell und sicher einen ersten Überblick über Ihren Prozess verschaffen können. Denn: Nichts ist so praktisch wie eine gute Theorie.
Ein theoretisches Konzept hilft uns, unsere Umwelt mit ihren vielen Facetten in einer für uns nützlichen Ordnung zu verstehen. Für den Geschäftsprozess verwenden wir das Konzept der fünf Aspekte. Die verschiedenen Aspekte geben uns Aufschluss über einzelne Merkmale des Prozesses und bieten gleich den Ansatz zur Optimierung. Ein Geschäftsprozess kann in den folgenden fünf Aspekten dargestellt werden:
1. Steuerungsaspekt: Was wird wann und warum getan?
2. Organisationsaspekt: Wer erledigt wo welche Tätigkeit?
3. Informationsaspekt: Welche Informationen werden wie weitergegeben?
4. Kontrollaspekt: Erreicht der Prozess sein Ziel?
5. Sicherheitsaspekt: Wer darf was im Prozess?
Die folgende Tabelle stellt die Informationen zusammen, die wir in den verschiedenen Aspekten eines Prozesses ins Auge fassen müssen.
2.1 Steuerungsaspekt: Tätigkeiten und Reihenfolge
Dieser Blickwinkel hilft uns, die Arbeit eines Prozesses ins Auge zu fassen. Wir wollen wissen, was wann und warum getan wird, um den Output des Prozesses zu erreichen.
Steuerung | • Kunden des Prozesses • erwarteter Output • wertschöpfende Tätigkeiten • nicht wertschöpfende Tätigkeiten • unnütze Tätigkeiten • Reihenfolge der Aufgaben • mögliche Parallelität von Aufgaben • bedingte Ausführung von Arbeitsschritten |
Organisation | • organisatorischer Aufbau des Unternehmens • Voraussetzungen für Aktivitäten: Qualifikation, Werkzeuge, Berechtigungen, geografische Verfügbarkeit • Übergaben im Prozess • Übergaben über Abteilungen |
Information | • interner Input • externer Input • interner Output • externer Output • Medien, Medienbrüche • Definitionen, Begriffe |
Kontrolle | • Kennzahlen: Anzahl, Durchlaufzeit, Pünktlichkeit, Qualität, Kosten |
Sicherheit | • Initiierung • Lese- und Schreibrechte • Abbruch • Entscheidungen |
2.1.1 Wer ist der Kunde?
Das setzt natürlich voraus, dass wir uns über den gewünschten Output eines Prozesses Klarheit verschaffen, und das bringt uns zurück auf die erste Frage aus der Einführung: „Wer ist der Kunde?“ An dieser Stelle müssen wir bereits Prioritäten setzen, wenn verschiedene Kundengruppen in Betracht kommen – und das ist fast immer der Fall.
Die Sache mit dem Kunden ist dabei nicht immer so eindeutig. Schwierig wird es vor allem, wenn nur ein Kunde offensichtlich ist, andere Interessen aber – quasi verdeckt – die Erwartungen an den Prozess bestimmen. Schauen wir zum Beispiel in die öffentlichen Verwaltungen: Der Kunde des Prozesses „Bauantrag bearbeiten“ ist offensichtlich: der angehende Bauherr mit seiner Zeichnung natürlich. Der Prozess ist aber nicht darauf optimiert, den Bauwilligen bestmöglich zu bedienen – diesen Eindruck gewinnt jedenfalls so mancher Bauherr.
Ist deshalb der Prozess schlecht organisiert? Es kann durchaus sein, dass der Prozess der Verbesserung bedarf, aber dieses Kriterium allein liefert ein unvollständiges Bild. Kunden dieses Prozesses sind alle, die ein Interesse an dem Bau – respektive an der Verhinderung des Baues – haben. Kunden sind auch die Gerichte, die über eine eventuell angefochtene Entscheidung befinden müssen.
Und hier kommt die knifflige Aufgabe zum Vorschein: Auch die Mitarbeiter im Bauordnungsamt würden die Frage nach dem Kunden spontan mit „der Bauwillige“ beantworten. Dieser Kunde steht schließlich leibhaftig vor ihnen. Vielleicht denkt der eine oder andere schnell weiter und führt auch die anderen Interessenten ins Spiel. Tatsächlich orientieren alle aber ihr Tun und Lassen an dem dritten Kunden, den keiner nennt – dem Verwaltungsgericht.
Bevor wir jetzt diskutieren, wie gerichtsfest Bauordnungsentscheidungen sein müssen, ziehen wir ein Fazit des Beispiels: Es genügt nie, sich auf den offensichtlichen Kunden zu konzentrieren!
Listen Sie also zunächst alle Kunden eines Prozesses auf. Sammeln Sie Kundeninteressen, bevor Sie den Output und seine Qualität festlegen. Bestimmen Sie die Prioritäten und entscheiden Sie dann, welcher Output für den Prozess als wichtig betrachtet wird. Welchen Output erwarten die Kunden vom Prozess und an welchen Qualitätskriterien messen sie diesen Output? Wenn klar ist, „was hinten herauskommt“, dann gehen wir Schritt für Schritt durch den Prozess zurück und fragen: Was ist notwendig, um diesen Output zu erreichen?
2.1.2 „Wertschöpfung“ und „Verschwendung“
Dieses Vorgehen – vom Output ausgehend Schritt für Schritt den Prozess zurückverfolgen – liefert schnell und zuverlässig einen Überblick über die notwendigen Arbeiten, die zusammen den Prozess bilden. Am Beispiel eines Versandhandels erkennen wir aber leicht, dass diese Tätigkeiten nicht den ganzen Prozess ausmachen.
Der Kunde des Versandhandelsunternehmens erwartet seine Ware – schnell und unversehrt ins Haus gebracht – und eine transparente Abrechnung: der Output.
Als Unternehmen benötigen wir dazu als Bausteine
• einen schnellen Transportweg,
• eine sichere Verpackung,
• die Ware selbst,
• eine saubere Dokumentation von Bestellungen, Zahlungen, Rücksendungen etc.
Was ist zu tun, damit die einzelnen Bausteine des Outputs rechtzeitig bereitstehen?
Die Bestellung dokumentieren, den Preis berechnen, die Ware aus dem Lager entnehmen, die richtige Verpackung aussuchen, die Ware verpacken, das Paket adressieren, die Ware versenden: die wertschöpfenden Arbeiten. Der Ablauf wird natürlich im realen Leben noch etwas genauer aufgeschlüsselt.
Das folgende einfache Prozessdiagramm eignet sich für einen ersten Überblick des Prozesses. Es stellt die wesentlichen Schritte dar und bietet die Möglichkeit, ergänzende Bemerkungen zu einzelnen Schritten einzufügen. Eine Präsentation mit einer Folie pro Arbeitsschritt dient als Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse für einen Prozess. Ein solches Diagramm ist unter geringem Aufwand mit allen Präsentationsprogrammen zu erstellen.
Abb. 2.1: Prozess Versandhandel – Warenauslieferung
Dieses Verfahren führt zu einer Beschreibung von notwendigen Tätigkeiten, die uns dem Zielzustand näher bringen. Wir nennen solche Tätigkeiten wertschöpfende Arbeit (neudeutsch: value added work). Vergleichen wir aber jetzt diese Wertschöpfungskette mit dem tatsächlichen Ablauf in besagtem Versandhandelsunternehmen, stoßen wir auf zahlreiche Arbeitsschritte, die in diese Kette nicht hineinpassen: Listen pflegen, Tabellen abgleichen, Ware suchen, bei Kollegen rückfragen etc. Bei genauerem Hinsehen stellen wir fest, dass viele dieser Tätigkeiten regelmäßig ausgeführt werden, sie also zum festgelegten Ablauf des Prozesses gehören. Warum werden sie ausgeführt?
Der Vergleich einer idealisierten Wertschöpfungskette mit einem tatsächlichen Ablauf fördert nicht wertschöpfende Tätigkeiten zutage (ja, richtig erkannt: im Consulting-Deutsch non value added work genannt).
Den Puristen genügt diese Differenzierung: Es gibt nur „Wertschöpfung“ und „Verschwendung“ – alles, was nicht wertschöpfend ist, ist Verschwendung. Das klingt zwar besonders innovativ, bringt aber in der Praxis nicht viel. Wir bevorzugen eine Dreiteilung der beobachteten Tätigkeiten:
• wertschöpfende Arbeit
• nicht wertschöpfende Arbeit
• überflüssige Arbeit
Diese Kategorisierung hilft beim Verständnis von realen Prozessen weiter. Nicht wertschöpfende Tätigkeit kann nämlich nicht ganz vermieden werden, sie ist notwendig, auch wenn der Kunde nichts davon hat.
Zur Kategorisierung dient eine einfache Frage: Wären Sie als Kunde bereit, für diese Tätigkeit Geld zu bezahlen? Es ist ersichtlich, dass Kunden nur die erste Kategorie, die wertschöpfende Arbeit, zu schätzen wissen.
• Wertschöpfende Tätigkeiten („Arbeit für den Kunden“): Diese Arbeiten bringen dem Kunden direkten Nutzen (die Ware besorgen, die für den Kunden optimale Versandmöglichkeit finden, die Ware sicher verpacken und versenden, dem Kunden eine übersichtliche Darstellung seiner...