Um die Bedeutung von Kundenbindung in der Energiebranche beurteilen zu können, ist es notwendig, die Entwicklung in diesem Bereich zu beobachten und Schwierigkeiten bzw. Herausforderungen zu analysieren. Aufgrund der Heterogenität der Branche, wird eine Differenzierung nach Porters Konzept der strategischen Gruppen vorgenommen, die als Vorbereitung für das folgende Benchmarking dient.
Wie bereits in der Einleitung erwähnt, gewann das Thema Kundenbindung für die Energiebranche bereits Ende der 1980er durch den erhöhten Wettbewerbsdruck, die zunehmende Angebotsvielfalt und die Homogenität von Produkten an Bedeutung.[53] Diese Entwicklung ist das Resultat der Liberalisierung des Strommarktes. Mit der Verabschiedung des Gesetzes zur Neuregelung des Energiewirtschaftsrechtes 1998 eröffnet sich erstmals die Möglichkeit, den Strom-Lieferanten frei zu wählen. Mit dieser Gesetzesänderung treten zahlreiche neue Anbieter in den Markt. Die Preise sinken und Gebietsmonopole entfallen.[54] Auch heute sind es dieselben Faktoren, die eine Auseinandersetzung mit dem Thema rechtfertigen, wie die Stadtwerkestudie 2011 von Ernst & Young schreibt:
„Energieversorgungsunternehmen haben in Deutschland zunehmend mit einem stagnierenden Gesamtmarkt zu kämpfen: Bevölkerungsrückgang, Reduzierung des Gesamtenergieverbrauchs durch ambitionierte Energieeinsparziele sowie Kostendruck aufgrund von Regulierung und zunehmender Wettbewerbsintensität [...]“. [55]
Insbesondere die Energiewende hat aktuell großen Einfluss auf die Gesellschaft und das Konsumverhalten – und damit auch auf Energieversorger. Laut TNS Infratest lässt sich ein Nettozuwachs von Wechselkunden bei den Ökostromanbietern von 6% in 2010, bzw. 11% in 2011 verzeichnen, während die großen überregionalen EVU mit einem Nettoverlust von 22 Prozentpunkten im Vergleich zum Vorjahr die großen Verlierer sind.[56] Unterstützt wird diese Entwicklung durch gesetzliche Änderungen, die seit April 2012 greifen. Durch diese Änderung wird Energiekunden der Wechsel zu Konkurrenten zunehmend erleichtert: Zu jeder Zeit und mit einer 3-wöchigen Kündigungsfrist können Strom- und Gaskunden nun zu einem Anbieter ihrer Wahl wechseln.[57]
Am Beispiel des Strommarktes wird das Wechselverhalten der letzten Erhebungsperioden gezeigt: Im Erhebungszeitraum 09/2011 hat sich der Anbieterwechsel im Vergleich zum Erhebungszeitpunkt 04/2011 um 0,6% erhöht. Im Vergleich zum Erhebungszeitraum 09/2010 wurde sogar ein Wechsel von 3,5% verzeichnet (siehe Abb. 2).
Abbildung 2: Wechselquote im Strommarkt
Quelle: Eigene Bearbeitung nach Promit Marktforschung/BDEW, BDEW-Energietrends - Ergebnisbericht der 12. Und 13. Welle, 2011, S. 5.
Diese Ergebnisse zeigen, dass Unternehmen sich aktiv um Kunden bemühen müssen um eine Abwanderung zu verhindern und neue Kunden zu gewinnen. Nach einer 2011 durch-geführten Umfrage von Ernst & Young tritt genau dieser Prozess ein: 70% der Befragten haben bereits Maßnahmen zur verstärkten Kundenbindung ergriffen und weitere 15% planen zumindest eine Verstärkung ihrer Tätigkeiten (siehe Abb. 3).
Abbildung 3: Maßnahmen zur Wettbewerbsfähigkeit
Quelle: Eigene Bearbeitung nach Ernst & Young/BDEW, Stadtwerkestudie 2011, S. 33.
Deutlich wird in der Abbildung außerdem, dass mehr EVU auf Kundenbindung setzen als auf die Akquisition von neuen Kunden. Das liegt daran, dass die Gewinnung von Neukunden in der Regel schwieriger und mit höheren Kosten verbunden ist als die Bindung von bestehenden Kunden.[58]
Relevant bei der Untersuchung der Wechselzahlen ist der Blick auf die Medien, die einen Einfluss auf den Wechsel zu einem Mitbewerber haben. Die Studie des Bundesverbandes der Energie- und Wasserwirtschaft zeigt, dass sowohl das Internet, als auch die persönliche Empfehlung von Bekannten bei der Wechselentscheidung relevant ist: Gemeinsam machen sie 60 % aus (siehe Abb. 3). Der zur Erhebung im April 2011 festzustellende Zuwachs lässt darauf schließen, dass diese Informationsquellen auch in Zukunft bei der Wahl des Energieanbieters an Bedeutung gewinnen. Wird dieses Potenzial der Weiterempfehlung im Social Web von Unternehmen ausgeschöpft und gezielt eingesetzt, so kann Social Media auch für die Neukundengewinnung an Bedeutung zunehmen.
Abbildung 4: Zustandekommen des Wechsels
Quelle: Eigene Bearbeitung nach Promit Marktforschung/BDEW, BDEW-Energietrends - Ergebnisbericht der 13. Welle, 2011, S. 7.
In der Fachzeitschrift ET Energiewirtschaftliche Tagesfragen wird die Herausforderung für EVU aktuell behandelt: Energie ist ein Low-Involvement-Produkt, welches den täglichen Nutzen deckt, darüber hinaus aber kein Interesse beim Verbraucher weckt. Hinzu kommt, dass den Verbrauchern ca. 9000 verschiedene Stromtarife zur Auswahl stehen. Nach Haller und Pargfrieder sind weitere Preissenkungen und der Kampf um die niedrigsten Preise kein Lösungsansatz um dem Wettbewerbsdruck standzuhalten. In den Fokus der Marketing-aktivitäten wird vielmehr das Sicherheitsbedürfnis der Kunden gestellt, welches z.B. durch Preisgarantien und Rücktrittsoptionen gedeckt werden könnte. Das bietet EVU Möglich-keiten, sich von Mitbewerbern zu differenzieren und diese Positionierung klar zu kommu-nizieren, um letztendlich Kunden an sich zu binden und ein Abwandern zu verhindern.[59]
Neben dem Aspekt der verminderten Wechselbereitschaft können jedoch durch Kundenbindung auch Kostenvorteile entstehen, die angesichts des Wettbewerbsdrucks in der Energiebranche von Bedeutung sind. Zum einen entstehen bei der Gewinnung von Neukunden weitaus höhere Kosten, zum anderen sind Kunden, die sich dem Unternehmen verbunden fühlen weniger preissensitiv, d.h. toleranter bei Preiserhöhungen.[60] Die Ökostrom-anbieter beschreiten diesen Weg bereits durch die klare Differenzierung von Mitbewerbern. Das Ansprechen von emotionalen Bedürfnissen, wie Naturverbundenheit, Nachhaltigkeit und Ressourcenschonung schafft ein erhöhtes Involvement bei den Kunden. Somit kann bei den Ökostromanbietern trotz höherer Preise eine stärkere Kundenbindung und verminderte Wechselbereitschaft vermutet werden.
Die Informationsquellen, die bei der Entscheidung für einen Wechsel des Energieversorgers genutzt werden (vgl. Abb. 4), lassen ein Potenzial für Social Media als Instrument in der Kommunikation und Kundenbindung von EVU mit Verbrauchern vermuten: Die Nutzung des Internets zur Kommunikation mit Kunden ist keine Neuheit und bereits gelernt und umgesetzt, besonders da sich genau dort die relevante Zielgruppe bewegt und Informationen zu Unternehmen sucht. Interessant erscheint nun der Gedanke, die persönliche Empfehlung durch Bekannte bzw. den Austausch der Nutzer für sich als Unternehmen zu nutzen. Wie bereits beschrieben, liegt genau hier die Stärke von Social Media. Auch Hecht und Birnhäupl haben dieses Potenzial für EVU erkannt, beschrieben und bewertet. Sie kommen zu dem Entschluss, dass der Einsatz von Social Media nicht in jedem Fall zum Einsatz kommen sollte, sondern mithilfe von Opportunitätskostenberechnungen, der eigenen Positionierung und Potenzialen abgewägt werden muss.[61] Unberücksichtigt bleibt jedoch der Aspekt, dass das Gespräch über ein Unternehmen im Social Web auch ohne seine Teilnahme stattfindet und Möglichkeiten der offenen Kommunikation und Reaktion ungenutzt bleiben. Aus diesem Grund müsste zumindest ein regelmäßiges Social Media-Monitoring stattfinden, in dem Gespräche zum Unternehmen im Social Web beobachtet werden und ggf. aktiv eingegriffen wird, z.B. bei Beschwerden.
Zur Untersuchung der Aktivitäten der EVU im Social Web ist es sinnvoll, die Branche differenziert zu untersuchen. Auch wenn eine Branche in sich relativ homogen ist, so lassen sich auch innerhalb der Branchen unterschiedliche Strategien entwickeln. Porter erachtet diese Differenzierung als nützlich, um Zusammenhänge zwischen der strategischen Aus-richtung der Unternehmen, z.B. im Marketing, zu erkennen. Dies erfolgt mithilfe von strategi-schen Gruppen, die als Instrument bei der Branchenanalyse dienen. Die strategischen Grup-pen bilden das Bindeglied zwischen der Analyse der gesamten Branche und der Betrachtung jedes einzelnen Unternehmens.[62] Für diese Arbeit soll der Einsatz des Konzeptes dazu die-nen, sich einen Überblick über die Branche zu verschaffen und ggf. Unterschiede im Umgang mit Social Media im Kundenbindungsmanagement hinsichtlich der verschiedenen Gruppen zu eruieren. In...