Einleitung
Wie schafft es ein Mensch, unter feindlichem Feuer einen ausgewachsenen Mann drei Treppen hochzuschleppen oder ohne Schlaf sechs Tage und Nächte mit einem angebrochenen rechten Bein durch die Gegend zu laufen? Wie überwindet man sich dazu, eine Tür einzuschlagen, obwohl man genau weiß, dass dahinter ein Mann mit einem Sturmgewehr nur darauf wartet, dich zu töten? Wie erträgt man es, lange Zeit körperlich misshandelt zu werden oder über eine Woche lang ohne Essen in einem Betonwürfel mit einem Meter Kantenlänge eingesperrt zu sein, und bringt am Ende sogar noch ein Lächeln zustande? Wie überlebt man nicht nur quälend lange Tage und Nächte in einem Schneesturm bei Temperaturen unter null, sondern fühlt sich dabei auch noch gut und geht gestählt daraus hervor? Wie kann ein Mensch zehn Kilometer in eiskaltem Meerwasser schwimmen? Und was bringt jemanden dazu, immer wieder freiwillig in ein Kampfgebiet zurückzukehren?
Mit einem Satz: Wie wird man ein Navy SEAL?
Derzeit gibt es neun SEAL-Teams und ungefähr 2500 aktive SEALs in der U.S. Navy. Präsident John F. Kennedy rief diese Spezialeinheit im Jahr 1962 ins Leben. Er gab seine Pläne in der gleichen historischen Rede bekannt, in der er auch versprach, Menschen auf den Mond zu schicken. Der Präsident wünschte sich spezialisierte Einheiten, die imstande waren, extrem gefährliche und verdeckte Operationen auszuführen, und in der Folge entwickelten sie sich zur Elitetruppe für unkonventionelle Kriegsführung. Seit ihrer Gründung waren die Navy SEALs an Tausenden von Kampfeinsätzen beteiligt und machten sich zuerst in Vietnam einen Namen, wo die SEAL-Teams Eins und Zwei eine unglaubliche Tötungsrate von 200 : 1 erzielten. SEALs wurden von den feindlichen Truppen so sehr gefürchtet, dass man sie nur »die Männer mit dem grünen Gesicht« nannte. Einheiten der SEALs kamen auch in Grenada, Panama, Somalia, Bosnien, Afghanistan und im Irak zum Einsatz; zusätzlich führten sie unzählige streng geheime Operationen in anderen Ländern durch. Zu den jüngsten Einsätzen zählt die Befreiung des entführten Kapitäns der »Maersk Alabama«, die Rettung amerikanischer Geiseln in Somalia und die Tötung von Osama bin Laden.
Mr. President, Ihr Einsatz hat sich gelohnt.
»SEAL« ist die englische Abkürzung für »Sea, Air, Land«. Dahinter steckte die Idee, eine militärische Einheit zu bilden, die in jeder Umgebung effektiv operieren kann. Vor der Gründung der SEAL-Teams gab es mehrere spezialisierte Einheiten wie die 1942 gebildeten »Scouts and Raiders«, Kommandotrupps für besondere Kampfeinsätze, die neun Monate nach dem Überfall auf Pearl Harbor gebildet wurden. Diese Männer wurden für heimliche Operationen ausgebildet und erkundeten vor einem Angriff das Landungsgebiet, markierten Angriffsziele und übernahmen alle Aufgaben, die erforderlich waren, damit der Einsatz anderer Einheiten erfolgreich sein konnte. Außer diesen Einheiten gab es die Naval Combat Demolition Units (NCDU) und die Underwater Demolition Teams (UDT), die vielen als die klassischen »Froschmänner« des Zweiten Weltkriegs in Erinnerung sind. Hier handelte es sich um amphibische Einheiten, die vor konventionellen Schlachten zum Einsatz kamen, um Hindernisse auf dem Strand zu räumen, feindliche Unterwasserkabel zu kappen, oder Bojen, Brücken oder feindliche Schiffe mit Sprengladungen zu zerstören. Bei der Landung am »Omaha Beach« in der Normandie, dem Beginn des Siegeszuges der Alliierten im Zweiten Weltkrieg, hatten sie beispielsweise die Aufgabe, Breschen in die deutschen Befestigungsanlagen zu sprengen. Außerdem verfügte das Office of Strategic Services, der Vorläufer des heutigen Auslandsgeheimdienstes CIA, über eine Gruppe namens Operational Swimmers, deren Einsätze jenen der heutigen SEALs schon näher kamen. Diese Männer wurden für Guerillaoperationen mit Fallschirmen hinter den feindlichen Linien abgesetzt und legten die ersten Taucherbrillen und Flossen aus biegsamem Gummi an, um vom Meer aus unter Wasser anzugreifen.
Die SEALs wurden als militärische Einheit gebildet, die all diese militärischen Aufgaben miteinander vereint und imstande ist, in jeder Umgebung zu operieren. Sei es die arktische Tundra, der tropische Regenwald, die Wüste oder das Meer, SEALs werden dazu ausgebildet, sich an alle Rahmenbedingungen anzupassen und jeden beliebigen Auftrag auszuführen, von streng geheimen Missionen bis hin zu konventioneller Kriegsführung. Sie erledigen die gefährlichsten und oftmals unvorstellbare Aufgaben, und zwar kompromisslos prinzipientreu und absolut loyal.
Wer ein SEAL werden möchte, muss US-Bürger sein, einen körperlichen Fitnesstest bestehen, scharfe Augen haben und darf noch keine achtundzwanzig sein. Wer bei der Musterung der US-Streitkräfte gut abgeschnitten hat, in weniger als 12,5 Minuten einen halben Kilometer weit schwimmt, 42 Liegestützen und 50 Sit-ups in jeweils zwei Minuten schafft und eineinhalb Meilen in weniger als 11,5 Minuten läuft (erheblich höhere Werte sind allerdings nötig, um nach der Ausbildung ein SEAL zu werden), bekommt mit etwas Glück die Chance, an der Ausbildung teilzunehmen.
Nur einer von tausend Bewerbern bekommt die Gelegenheit, am BUD/S (Basic Underwater Demolition/SEAL Training), der 26-wöchigen Grundausbildung der SEALs teilzunehmen; und bereits hier bestehen nicht einmal 15 Prozent die Prüfung. Nach der Grundausbildung geht es mit dem 28-wöchigen Kurs für Fortgeschrittene weiter, dem sogenannten SQT (SEAL Qualification Training), in dem die Kandidaten alles lernen, was sie brauchen, um sich offiziell Navy SEAL nennen zu dürfen. Die Jungs, die meinten, es sei cool, ein SEAL zu werden, weil sie die Teams in Filmen sahen oder weil sie glaubten, mit ihrem Status als SEAL würden ihnen die Frauen nur so nachlaufen, brechen meist nach zwei Tagen ab. Wer durchhält, muss die weltweit härteste militärische Ausbildung ertragen, und alle verfügen über gemeinsame Charakterzüge wie Ausdauer, Hingabe und Hartnäckigkeit; mit einem Wort: Diese Männer sind wirklich hart. Aber das ist längst nicht alles.
Diese neuen SEALs melden sich anschließend bei einem der folgenden Teams: Die Teams Eins, Drei, Fünf und Sieben haben ihren Stützpunkt in Coronado, Kalifornien. Die SEAL-Teams Zwei, Vier, Acht und Zehn sind in Little Creek, Virginia, stationiert. Wenn die neuen Rekruten bei ihrem Team sind, müssen sie mit ihrer Einheit eine weitere achtzehnmonatige Ausbildung absolvieren, bevor sie zu einem sechsmonatigen ersten Einsatz geschickt werden. Wenn man also das Glück hat, bei der Ausbildung nicht verletzt zu werden, und man die Torturen gut übersteht, dauert es mindestens 31 Monate, bis man ein voll kampfbereiter Navy SEAL ist.
Vermutlich hast du bemerkt, dass SEAL-Team Sechs in der Aufzählung fehlt, weil dieses Team vor der Tötung Bin Ladens theoretisch nicht existierte und niemand von seinen Einsätzen oder Aktivitäten wissen durfte – es war unser Geheimnis. So viel zur Einsatzsicherheit, englisch: Operational Security. Jedenfalls muss ein SEAL, um überhaupt für Team Sechs infrage zu kommen, zuerst sechs Jahre in anderen Teams dienen, erst dann bekommt er die Chance, einen gründlichen Check für dieses Team aus den Besten der Besten zu absolvieren.
Als ich die Grundausbildung BUD/S begann, war ich fest entschlossen, auf keinen Fall abzubrechen. Ich redete mir ein, dass ich keine Alternative hätte: Entweder schaffe ich die Prüfung oder sterbe bei dem Versuch, das war meine Devise. Allerdings brauchte ich neun Monate länger als üblich, weil ich mir drei Mal das Bein brach und einen Schädelbasisbruch erlitt. An allen sechs Tagen der sogenannten »Hell Week« lief ich mit einem angebrochenen rechten Bein durch die Gegend. Zu behaupten, mit jedem Schritt hätte sich meine Komfortzone wieder ein Stück erweitert, wäre deutlich untertrieben. Am Ende legte ich die Prüfung im Rang eines Lieutenant ab, und alles, was ich während der Ausbildung gelernt und durchgemacht hatte, hat mir später gute Dienste geleistet und mich am Leben gehalten.
In Washington, D.C., sagt man: »Wenn wir wollen, dass eine Mission ordentlich erledigt wird, dann schicken wir die SEALs.«
Das sage ich keineswegs, um anzugeben. Wer einmal in einem Team gedient hat, wird nicht gerne über die Prüfungen reden. Die genannten Beispiele sollen zeigen, dass meine Ratschläge auf sehr realen und aktuellen Erlebnissen beruhen. Die Informationen in diesem Buch kommen nicht von einem »Internet-Experten« oder jemandem, der seit Vietnam »raus« ist. Vielmehr kommen sie von einem, der dabei gewesen ist, der gekämpft und überlebt hat.
Für einen Navy SEAL ist optimale körperliche Fitness die Grundvoraussetzung. Während des größten Teils meines Lebens habe ich hart dafür trainiert, immer physisch topfit zu bleiben, aber ich werde niemals den stärksten Muskel vergessen: unser Gehirn. Der Kopf ist das Fundament, auf dem alles aufbaut. In diesem Buch beschreibe ich die konkreten und geheimen Methoden, die SEALs anwenden, und zeige, wie man die eigenen Überlebenschancen in jeder Situation deutlich steigern kann.
Die realen Erfolge und Leistungen, die uns SEALs zugeschrieben werden, verdanken wir in Wirklichkeit der Weise, wie wir unseren Verstand trainiert und konditioniert haben. Es ist die Fähigkeit, die Realität wahrzunehmen, blitzschnell auf jede Situation zu reagieren und in Bruchteilen von Sekunden Entscheidungen zu treffen, die theoretisch globale Auswirkungen haben können.
Mit diesem Buch möchte ich dir die nötigen Werkzeuge an die Hand geben, damit du...