HERZ UND KREISLAUF
Stimmt der Druck?
Abgeschlagenheit kann eine Herzkrankheit anzeigen – oder ganz andere Ursachen haben. Mit Spürsinn klärt der Hausarzt Beschwerden ab und schaltet, wenn nötig, Spezialisten ein
Von RAGNHILD SCHWEITZER
DAS HERZ ist ein mustergültiger Arbeitnehmer: Es treibt den Laden an, arbeitet fleißig, nimmt nie Urlaub – und geht auch mit 67 meist noch längst nicht in Rente. Doch wir sind ihm oft keine guten Arbeitgeber. Wir honorieren seine Mühen nicht, fügen ihm sogar eher noch Schaden zu und machen ihm den Job schwer. Häufig mit dramatischen Folgen: Seit Jahren führen Herz-Kreislauf-Leiden hierzulande die Liste der Todesursachen an.
Hat das System aus Herz und Blutgefäßen erst einmal Schaden genommen, können die Beschwerden ganz unterschiedlich sein. Manche Betroffenen haben Schmerzen in der Brust, andere bemerken Herzstolpern oder können auf einmal den Arm und die Hand einer Seite nicht mehr bewegen. Doch so verschieden die Symptome sind, sie alle erfordern die gleiche Reaktion: „Wer glaubt, er habe einen Herzinfarkt oder Schlaganfall, muss sofort den Notarzt über die Telefonnummer 112 alarmieren“, sagt Heribert Brück vom Bundesverband Niedergelassener Kardiologen.
Den meisten Beschwerden liegt allerdings keine lebensbedrohende Erkrankung zugrunde. „Hier ist der Hausarzt der erste Ansprechpartner“, sagt Brück. Er klärt mögliche Ursachen sowie die Schwere der Symptome ab und führt, falls nötig, die Basisbehandlung durch. Doch ihm bleiben durchschnittlich nur rund acht Minuten pro Patient, in denen er ernste von harmlosen Beschwerden unterscheiden muss. Brustschmerzen etwa können auf Erkrankungen hindeuten, die möglicherweise nicht nur auf das Herz zurückgehen, sondern auch auf Lunge, Speiseröhre, Rippen und Wirbelsäule (siehe Kasten rechts). Manchmal ist auch echte Detektivarbeit gefragt. Dann nämlich, wenn der Patient nur über sehr allgemeine Symptome klagt – was häufig vorkommt.
Nennen wir diesen Patienten Herrn Schmitt. Herr Schmitt kommt zu seinem Hausarzt, weil er müde ist, weniger belastbar und schnell aus der Puste gerät. Dahinter kann eine Herzschwäche stecken, es können aber auch viele andere Krankheiten die Ursache sein, wie Blutarmut oder Atemwegserkrankungen. „Die hausärztliche Kunst ist es, mit einfachen Mitteln aus der Fülle der Patienten mit den unterschiedlichsten Beschwerden jene herauszufinden, die etwas Ernstes haben“, sagt Martin Scherer, Direktor des Instituts für Allgemeinmedizin am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf.
Wichtigstes Handwerkszeug bei der Diagnose sind für den Hausarzt das Gespräch mit dem Betroffenen und die körperliche Untersuchung. Zudem helfen ihm die Bestimmung von Blutwerten sowie Blutdruckmessung und EKG-Gerät, Letztere auch in der 24-Stunden-Langzeitaufzeichnung. Dabei hat der Hausarzt einen großen Vorteil gegenüber dem Spezialisten: die Nähe zu seinen Patienten. Er betreut viele seit Jahren und weiß um ihre Familiengeschichte, Begleiterkrankungen sowie Medikamente. Daher fällt es ihm leichter, Beschwerden einzuordnen, Risikofaktoren aufzudecken und frühzeitig eine Erkrankung zu erkennen. Und die Patienten sind dem Hausarzt gegenüber vielleicht auch offener, weil sie ihm vertrauen. So berichtet dann etwa Herr Schmitt nicht nur, dass er oft müde und wenig belastbar ist, sonder nachts auch häufig auf die Toilette gehen muss – ein etwas peinliches, aber wichtiges Puzzleteil auf dem Weg zur richtigen Diagnose.
Die meisten Beschwerden kann der Hausarzt gut abklären und behandeln. Darüber hinaus hat er die Funktion eines Lotsen, der, wenn nötig, seinen Patienten zu einem Herzspezialisten, dem Kardiologen, überweist. Wie viel der Hausarzt bei Krankheiten des Herz-Kreislauf-Systems leisten kann, bevor er einen Spezialisten hinzuziehen muss, hängt von der jeweiligen Erkrankung ab. „Gewöhnlich sollte der Kardiologe vor allem in die Sicherung der Diagnose eingebunden sein“, sagt Scherer. „Danach kann der Hausarzt die Patienten gut weiterbehandeln. Bei Schwierigkeiten oder Komplikationen sollte er dann Rücksprache halten.“
Wie die Zusammenarbeit aussehen kann, lässt sich gut an dem Patienten Schmitt demonstrieren: Der Hausarzt hat im Gespräch ja schon erfahren, dass er müde und weniger belastbar ist, schnell aus der Puste gerät und nachts häufig zur Toilette muss – typische Anzeichen einer Herzschwäche. Also befragt er ihn noch ausführlich zu weiteren Beschwerden, Familien- und Krankengeschichte, Lebensumständen und Risikofaktoren wie Rauchen und Alkoholkonsum. Danach untersucht er ihn gründlich, misst den Blutdruck, schreibt ein EKG vom Herzen und nimmt ihm Blut ab, um Laborwerte bestimmen zu lassen. Deuten auch diese Untersuchungsergebnisse auf eine Herzschwäche hin, überweist er ihn normalerweise zu einem Fachmann. „Die meisten Hausärzte haben einen oder mehrere Kardiologen, mit denen sie zusammenarbeiten. Sie wissen sofort, wen sie anrufen müssen, damit ein Patient kurzfristig einen Termin bekommt“, sagt der Herzspezialist Brück.
Der Hausarzt bittet den Spezialisten, bei Herrn Schmitt das Herz per Ultraschall mittels einer Echokardiografie zu untersuchen. Mit deren Hilfe kann der Kardiologe die Diagnose sichern. Die Echokardiografie zeigt, wie das Herz arbeitet, wie seine Struktur beschaffen ist, und kann sogar Ursachen für die Herzschwäche aufdecken, etwa krankhafte Veränderungen der Herzklappen. Oft kombiniert der Kardiologe sie mit einer sogenannten Doppler-Sonografie, um darzustellen, wie das Blut durch das Herz strömt. Darüber hinaus können im Einzelfall weitere Untersuchungen, etwa eine Herzkatheteruntersuchung oder eine Magnetresonanztomografie des Herzens, nötig sein, um den Grund für dessen Kraftlosigkeit zu finden.
Nachdem bei Herrn Schmitt alle notwendigen Untersuchungen erfolgt sind, teilt der Kardiologe das Stadium der Herzschwäche entsprechend den Richtlinien der New York Heart Association ein. Dann bespricht er mit dem Patienten die Behandlung. Gerade bei der Verordnung von Medikamenten ist der Austausch zwischen Hausarzt und Kardiologe sehr wichtig. Wer von beiden die Medikation ändert, sollte sich vorher mit dem anderen abstimmen, sonst ist der Patient verwirrt, wenn er widersprüchliche Informationen hört. Und im schlimmsten Fall bekommt er Mittel verordnet, die nicht zusammen gegeben werden dürfen.
EINE VERTRAUENSVOLLE Partnerschaft zwischen Patient, Hausarzt und Kardiologe ist gerade bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen von großer Bedeutung. Denn deren Behandlung dauert meist bis zum Ende des Lebens, und die Betroffenen müssen viel dazu beitragen, dass sie erfolgreich ist. Dazu gehört, dass sie Gewohnheiten umstellen, regelmäßig Medikamente einnehmen und Verhaltensempfehlungen beachten. Das fällt vielen leichter, wenn Hausarzt und Kardiologe partnerschaftlich mit ihnen zusammenarbeiten, sie aufklären und dafür gewinnen, an ihrem Leben etwas zu ändern.
„Wenn ein Arzt nicht gut kommuniziert, also etwa zu forsch zu Werke geht, dann kann er auch mal einen Patienten abschrecken“, sagt Scherer. Das Gespräch zwischen Arzt und Patient ist das wichtigste medizinische Instrument und die solide Basis für eine erfolgreiche Behandlung. Daher lernen Mediziner heute im Studium nicht nur klinische Fertigkeiten, sondern auch, wie sie mit dem Patienten richtig kommunizieren. Scherer: „In Hamburg und auch an anderen deutschen Universitäten gibt es ein großes Simulationspatientenprogramm. Dabei werden Laienschauspieler eingesetzt, mit denen Medizinstudierende das ärztliche Gespräch trainieren können.“
Nach dem Termin beim Kardiologen übernimmt oft der Hausarzt die Betreuung des Patienten. Wie oft dann ärztliche Kontrollen nötig sind, hängt vom jeweiligen Krankheitsbild, den Symptomen und dem klinischen Zustand des Betroffenen ab. „Der Mediziner muss mit ihm individuell besprechen, wann er sich wieder vorstellen sollte, und klare Verhaltensempfehlungen geben“, sagt Scherer. Dabei stimmen sich Hausarzt und Kardiologe eng miteinander ab.
Doch auch die beste medizinische Betreuung, ob durch Hausarzt oder Kardiologe, nützt nur etwas, wenn der Patient mitarbeitet und sein Herz pflegt. Zum Beispiel indem er sich das Rauchen abgewöhnt, gesünder isst und sich mehr bewegt. All das gilt natürlich für herzgesunde Menschen genauso. „Kardiovaskuläre Prävention ist eine lebenslange Aufgabe, schon Kinder sollten einen gesunden Lebensstil lernen“, sagt Brück. Denn wenn man schon früh damit beginnt, bleibt das Herz eher fit und vielleicht sogar 100 Jahre im Dienst.
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Können Fischölkapseln Herz-Kreislauf-Erkrankungen verhindern?
Wer zweimal pro Woche Fisch statt Fleisch isst, tut Herz und Gefäßen etwas...