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Flächenbombardierung als Kriegsmittel

Die Luftangriffe auf Kassel im Zweiten Weltkrieg

AutorChristopher Koch
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2004
Seitenanzahl161 Seiten
ISBN9783638254892
FormatPDF/ePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis14,99 EUR
Fachbuch aus dem Jahr 2003 im Fachbereich Geschichte Europa - Deutschland - Nationalsozialismus, II. Weltkrieg, Note: 2, Universität Kassel (Fachbereich 05), 70 Quellen im Literaturverzeichnis, Sprache: Deutsch, Abstract: Die Bombardierung deutscher Städte im Zweiten Weltkrieg war lange Zeit ein Tabuthema und wurde folglich nur spärlich in der deutschen Öffentlichkeit diskutiert. 'Deutsche Täter sind keine Opfer' hieß lange Zeit die Devise. Erst die Veröffentlichung von Jörg Friedrichs Buch 'Der Brand' im Jahre 2002 entfachte eine hitzige, emotionsgeladene Diskussion quer durch die deutsche Medienlandschaft. Die vorliegende Arbeit legt zum einen die Entwicklung vom taktischen zum strategischen Luftkrieg dar, um sich dann den verschiedenen Phasen der Luftkriegsführung im Zweiten Weltkrieg zu widmen. Dabei wird sowohl das Vorgehen der deutschen als auch der alliierten Luftstreitkräfte untersucht. In diesem Kontext ist auch der Fortschritt der technischen Entwicklungen zu beachten, wie beispielsweise die Entwicklung der Brandbombe, welcher im Kriegsverlauf eine immer entscheidendere Rolle zukam. Am Fallbeispiel Kassel wird ausführlich auf die Auswirkungen des strategischen Bombardements eingegangen, denn die nordhessische Metropole war eine jener Städte, in welchen dieses ausgeklügelte System der Flächenbranderzeugung vortrefflich funktionierte - eine historische Tatsache, die bis heute unübersehbar im Stadtbild verankert ist. Ferner wird sich zeigen, dass die damals dort ansässigen militärischen Schlüsselindustrien entgegen häufig geäußerter Thesen eben nicht das Ziel des schwersten aller Luftangriffe vom 22.10.1943 waren. Schlussendlich werden verschiedene Erklärungsmodelle für diese Art der Luftkriegsführung wie etwa das 'moral bombing' auf ihre Stichhaltigkeit hin näher untersucht.

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Leseprobe

2 Vorgeschichte


 

2.1 Der Luftkrieg zwischen 1914 und 1918


 

Die Geschichte des Luft- bzw. Bombenkrieges beginnt nicht erst mit dem Zweiten Weltkrieg, sondern rund ein viertel Jahrhundert früher. Zumeist denkt man in diesem Kontext eher an die ritterlichen Luftgefechte eines Manfred Freiherr von Richthofen, jedoch wurden auch schon zu dieser Zeit erste Angriffe mit Bombenabwürfen durchgeführt. Erste Einsätze dieser Art sollen gar vor dem Ersten Weltkrieg von Italien in Tunesien im Jahre 1913 stattgefunden haben[63].

 

Unmittelbar vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs setzten sich mit der technologischen Fortentwicklung von Fluggeräten aller Art zu militärisch nutzbaren Waffen, in den Führungsstäben der Armeen konkrete Vorstellungen für deren militärischen Nutzen durch. Diese Folgerungen wurden zu Beginn des Krieges schließlich konsequent umgesetzt. Anfänglich bestand die Aufgabe von Flugzeugen, Zeppelinen und Heißluftballons in der operativen Fernaufklärung sowie der taktischen Luftaufklärung[64], doch zunehmend wurden sie auch als Jagdmaschinen und Bombenträger eingesetzt. Ab 1914/1915 gehörten z.B. Angriffe von deutschen Luftschiffen auf britische Städte zu den Begleiterscheinungen des damaligen Kriegsgeschehens. Großbritannien und Frankreich setzten dagegen auf Bombenflugzeuge, die im Kriegsverlauf stetig weiterentwickelt wurden. Auch das Deutsche Reich ersetzte bald Zeppeline und Heißluftballons durch Bombenflugzeuge, obgleich erstgenannte an Flughöhe und Bombenkapazität allen anderen Fluggeräten weit überlegen waren. Ausschlaggebend hierfür erwiesen sich ihre Trägheit und die damit verbundene Verwundbarkeit. Die Nachfolge traten zunächst die zweimotorigen Gothas an, gefolgt von den viermotorigen Riesen- Bombern. Gegen Kriegsende standen den Briten viermotorige Handley-Page HPV/1500 Bomber zur Verfügung, welche jedoch nicht mehr zum Einsatz kamen[65].

 

Obgleich die Erfolge der verschiedenen Luftstreitkräfte in diesem Kriege größtenteils taktischer Natur waren, sollten die weinigen strategischen Angriffe weitreichende Konsequenzen haben. Die Militärs erkannten den Nutzen der Flugwaffe zur Bombardierung von Zielen im feindlichen Hinterland und damit gewannen Konzepte für Bombenangriffe auf rückwärtige Industrie- und Verkehrszentren immer mehr an Bedeutung.

 

Auch wenn die ersten strategischen Bomberangriffe auf das Jahr 1915 datiert werden[66], galt der Bomber in jener Zeit als ein taktisches Kriegsinstrument, sozusagen als vertikale Artillerie[67]. Obwohl es bezüglich der Luftangriffe keinerlei Regelungen von völkerrechtlichem Status gab, wurden diese von allen Seiten im Sinne einer Art Gewohnheitsrecht anerkannt bzw. die Haager Landkriegsordnung (HLKO) auf den Luftkrieg übertragen. Angriffe dieser Art mussten sich auf militärische Ziele im Kriegsgebiet beschränkten[68], wobei militärische Ziele noch nicht näher definiert worden waren. Eine Ausnahme bildeten hier die sogenannten Repressalien, welche nach einer Völkerrechtsmissachtung des Gegners zu dessen Lasten durchgeführt werden konnten und sich durchaus auch gegen Zivilisten richten durften, solange der Charakter der Repressalie klar erkennbar war und die Dimension im Verhältnis zum Erduldeten stand[69].

 

Die Bilanz dieser trilateralen Auseinandersetzung liest sich angesichts der technologischen Unausgereiftheit noch relativ unbedarft. Die Opferzahlen hielten sich im Rahmen eines Bruchteils der jährlichen Verkehrstoten zu jener Zeit[70]. 1413 Menschen kamen durch deutsche Angriffe auf London ums Leben, 746 Opfer forderten britische und französische Angriffe auf das Reichsgebiet[71].

 

2.2 Die Entstehung verschiedener Luftkriegstheorien und Luftkriegsdoktrinen zwischen den Weltkriegen


 

Die blutigen Grabenkämpfe und Materialschlachten des Ersten Weltkrieges, jener ersten vollindustrialisierten militärischen Auseinandersetzung, traumatisierte alle beteiligten Nationen. Fortan war es nicht mehr das militärische Geschick der Strategen und Offiziere, sondern die industrielle Leistungsfähigkeit der kriegführenden Staaten, welche über Sieg und Niederlage entschied[72]. Der Wandel vom Söldnerheer zum Millionenheer erzeugte einen erhöhten Bedarf an Hilfsquellen, welcher wiederum die Schaffung von neuen Industriebetrieben forcierte[73]. Die im Hinterland der Front vermehrt produzierten Waffen ermöglichten die Kriegsführung, Verkehrsanlagen sicherten den Nachschub und den Güteraustausch zwischen den Industriegebieten, während die Zivilbevölkerung in den Städten den politischen und gesellschaftlichen Rückhalt der kriegsführenden Staaten bildete. Hieraus resultieren die in der Nachkriegszeit angestellten Überlegungen, wie in künftigen Konflikten solcherlei Blutvergießen an der Front vermieden werden könne.

 

Die Antwort auf diese Frage schien einzig und allein der Wandel vom taktischen zum strategischen Luftkrieg zu sein, die Umfassung der Erdfront - und sinngemäß auch der Seefront - durch die dritte Dimension mit Hilfe des Bombers[74]. Was aber genau ist der Unterschied zwischen diesen beiden Formen des Luftkrieges?

 

Der Unterschied zwischen dem Angriff gegen die Manifestationen der militärischen Stärke des Feindes in unmittelbarer Nähe des eigentlichen Kampfgeschehens und dem Angriff auf die Quellen dieser Stärke läßt sich wohl leicht, aber nicht immer genau mittels der Wörter „taktisch“ und „strategisch“ bezeichnen[75].

 

Hieraus wird deutlich, dass die Übergänge zwischen beiden Luftkriegsstrategien fließend sein können. Hinzu kommt die Überlegung, durch die strategischen Bombardements einen Krieg allein mit dem Einsatz von Bombern gewinnen zu können, wohingegen taktische Angriffe immer im Zusammenhang mit Boden- oder Marineeinheiten stehen. Einer der Vordenker dieses Konzeptes war Winston Churchill. In seinem Werk Thoughts and Adventures aus dem Jahre 1925 beschreibt der damalige Rüstungsminister seine Pläne über eine für das Jahr 1919 geplante Offensive gegen das Deutsche Reich, welche den Krieg hätte beenden sollen, für den Fall, dass die deutsche Westfront 1918 gehalten hätte:

 

Der Feldzug des Jahres 1919 hätte eine gewaltige Steigerung der Zerstörungskräfte gesehen. Hätten die Deutschen ihre Moral aufrecht erhalten und den Rückzug an den Rhein durchführen können, so wären sie im Sommer 1919 mit Kräften und Methoden angegriffen worden, die weit über alles bisher Dagewesene hinausgegangen wären. Tausende von Flugzeugen hätten ihre Städte in Trümmer gelegt[76].

 

Es versteht sich von selbst, dass eine solche Attacke nicht ohne große Verluste unter der Zivilbevölkerung hätte durchgeführt werden können, doch beinhaltet die Theorie des strategischen Bombenkrieges nicht zwangsläufig die Terrorisierung der Zivilbevölkerung.

 

In dieser Tradition stehen auch die Gedanken Hugh Trenchards, des ersten Befehlshabers der Royal Air Force nach deren Gründung am 1. April 1918[77], die er im Jahre 1928 wie folgt konstatierte und welche als die Trenchard-Doktrin in die Geschichte eingehen sollten:

 

Streitkräfte anzugreifen bedeutet, den Gegner an seiner stärksten Stelle anzugreifen. Andererseits läßt sich mit einem Angriff auf die Quellen, die diese Streitkräfte versorgen, eine unendlich größere Wirkung erzielen. Greift man einen Tag lang die Flugplätze des Feindes an, könnten vielleicht fünfzig Flugzeuge zerstört werden, während ein moderner Industriestaat aber hundert pro Tag produziert. Die Produktion übertrifft bei weitem jegliche Zerstörung, die wir vielleicht in der vorderen Kampfzone erzielen können. Durch einen Angriff auf die gegnerischen Fabriken hingegen läßt sich die Produktion in wesentlich größerem Maß verringern[78].

 

Trenchard sprach nicht ausdrücklich von gezielten Bombenangriffen auf Zivilisten, sagte aber an anderer Stelle, dass zwischen zivilen und militärisch relevanten Bombenzielen angesichts der Verzahnung der Wirtschaft in industrialisierten Nationen nicht unterschieden werden könne[79]. Die Trenchard Doktrin sollte fortan zur Richtschnur der RAF werden oder wie Friedrich es ausdrückt: ihre Daseinsgrundlage[80]. Es fanden sich darüber hinaus weitere, für die spätere Kriegsführung entscheidende, Formulierungen in Trenchards Ausführungen. So spricht er ebenfalls von den möglichen Folgen seiner Luftangriffe. Unter anderem seien dies Arbeitsausfälle in den Fabriken und Verwirrung unter der Zivilbevölkerung, wodurch der Zusammenbruch herbeigeführt würde[81].

 

Ein weiterer Vordenker des strategischen Luftkrieges war der Italiener Giulio Douhet. Er vertrat in seinem 1921 veröffentlichten Buch Il domino dell’aria, welches 1935 unter dem Titel Luftherrschaft auch in deutscher Sprache erschien, offen folgende Meinung: Der Krieg ist nunmehr...

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