Bevor sich mit Festivalisierung an sich beschäftigt wird, wird der m.E. normativ grundlegende Charakterzug eines Festes, die Außeralltäglichkeit einleitend betrachtet, der Festivals so attraktiv macht. Festivals können als Institutionen verstanden werden, mit denen Charisma heraufbeschworen werden kann.
„Das Fest gestattet [...] die regelmäßig wiederkehrende, teils bewusst vollzogene, teils nur dunkel geahnte Erfahrung des charismatischen Ursprungsereignisses, hält das Charisma also in einer institutionellen Ordnung präsent, ohne dass es zwangsläufig zu einer Gefahr für diese wird.“ (Gebhard 1993, 62 nach Ibert 2003, 11)
Oliver Ibert[5] ist der Meinung, Charisma sei die „Organisation von Außeralltäglichkeit“. Darüber hinaus kann Charisma als ein Ansatz zur Erklärung von Innovationen[6] sein, was aus der Schumpeterschen Theorie (1964, 1987) und der Herrschaftssoziologie Max Webers (2002) abgeleitet werden kann. Charisma biete eine Erklärung dafür, wie „nicht regelkonformes ungewöhnliches und ungewohntes Verhalten in ein ansonsten starres System eingeführt wird.“ (Ibert 2003, 10) Das ‚institutionelle Charisma’ (vgl. Gebhard 1993) des Schumpeterschen Unternehmers wird in die aktuelle Diskussion transportiert, in der soziale Arrangements die Funktion erfüllen, Außeralltäglichkeit zu erzeugen. Diese ‚anti-institutionellen Sonderinstitutionen’ (vgl. Loureau nach Gebhard 1993, 64. In: Ibert 2003, 10) können kontrolliert heraufbeschworen werden und äußern sich in der Praxis beispielsweise als Feste, Exponate und Sonderorganisationen, die Gegenstand der Festivalisierungsdebatte sind. Für Feste bzw. große Ereignisse sind außeralltägliche Anstrengungen erforderlich. Diese Anstrengungen werden mit einer Selbstverständlichkeit des Arbeitens unter ‚Hochspannung’ ausgenutzt, um innovative Vorhaben, wie es Festivals sein sollen, durchzusetzen. Durch die zeitlich befristeten Veranstaltungen werden Herrschaftsverhältnisse außer Kraft gesetzt, um zum Teil erwünscht außerhalb der Norm zu arbeiten. Durch das zeitlich befristete Aussetzen der Alltagsregeln, ist eher ein Einlassen auf eine ungewöhnliche Lösung möglich. Die Notwendigkeit der Legitimation von beispielsweise Sonderausgaben sinkt beträchtlich, wenn ein Fest erwartet wird, als es im Alltag der Fall wäre. (vgl. Ibert 2003, 11)
Nach dieser kurzen Annäherung über den Grundcharakter eines Festes – die Außeralltäglichkeit - soll nachfolgend die präzisere Kennzeichnung von ‚Festivalisierung’ als Typus von Stadtpolitik und deren ‚unausweichliche Entfaltung’ betrachtet werden.
1. ‚Festivalisierung’: ein Charakterisierungsversuch
„Ein neuer Typus von Politik scheint auf: die Politik der großen Ereignisse. Gelder, Menschen und Medien werden auf ein möglichst klar umrissenes Ziel hin mobilisiert. Die Kampagne ist zeitlich befristet, räumlich begrenzt und publikumswirksam fokussiert.“ (Siebel 1992, 62)
Diesen neuen Politiktypus der Großveranstaltungen seit den 1990er Jahren prägte Walter Siebel in einem Artikel in der Zeit[7] mit dem Terminus ‚Festivalisierung’, der sich heute grundsätzlich folgendermaßen charakterisieren lässt. Großereignisse wie Weltausstellungen, Olympische Spiele, Kulturhauptstädte auf europäischer Ebene und Bundesgartenschauen auf bundesdeutscher Ebene etc. sind neben der räumlichen, zeitlichen und thematischen Konzentration der Stadtpolitik auf einen Punkt – dem Projekt, noch durch weitere typische Merkmale gekennzeichnet. Mit in der Regel jahrelanger Vorlaufzeit finden sie regelmäßig in Städten oder Regionen statt, die sich in einem – mehr oder weniger aufwendigen – Auswahlverfahren gegen ihre Mitbewerber durchgesetzt haben. (vgl. Huning/Peters 2003) Die Größe des Projektes, welche sich nach Investitionssumme, Bauvolumen, Besucherzahl oder Beschäftigten richtet, kann auch kleineren finanziell schwächeren Akteuren ein großes Projekt durch die Konzentration aller Ressourcen ermöglichen. Industriebrachen, durch den Deindustrialisierungsprozess entstanden, sind bevorzugte Standorte für Großprojekte. Träger, Projektgruppen und Entwicklungsgesellschaften fungieren als Sonderorganisationen, die speziell für die Planung und Durchführung des Projektes eingerichtet werden. Public-Private-Partnerships, in denen die Gebietskörperschaften nur noch als Partner unter anderen agieren, sollen zudem privates Kapital mobilisieren und für breite Unterstützung für das Projekt werben. Großereignisse werden von der Ideenfindung, über Planung, Finanzierung bis zu Bau Marketing und Management möglichst aus einer Hand organisiert, was die Umsetzungsorientierung von Großereignissen kennzeichnet. Zudem sind große Ereignisse eindeutig wettbewerbsorientiert, da sie „in ihrem Kern Instrumente der Städtekonkurrenz“ sind. (vgl. Häußermann/Siebel 1993, 9-10) Großveranstaltungen werden als Aufhänger für Infrastruktur- und/oder Entwicklungsmaßnahmen der Städte oder Regionen genutzt, die häufig im Bundesdeutschenraum zusätzlich durch die Bundes- oder Landesebene kofinanziert werden. Somit sind sie Auswirkungen des Großprojektes über den eigentlichen Veranstaltungszeitraum hinaus spürbar. (vgl. Huning/Peters 2003)
Zu Recht wird – immer wieder – die Frage nach der Neuheit dieses Politiktypus gestellt. Denn bekanntlich gibt es Festivals, große Ereignisse oder Attraktionen schon lange und sind auch kein Phänomen nur der Stadtpolitik, ob es der von Ort zu Ort ziehende kaiserliche Hof im frühen Mittelalter ist, die seit Mitte des 19. Jh. stattfindenden Weltausstellungen[8] sind.
Der von Walter Siebel herausgestellte Unterschied zu früheren Entwicklungen setzt aber an einem anderen Punkt an. Seit den 1970er Jahren wird die Politik der Festivalisierung[9] dadurch besonders deutlich, dass Großereignisse als Motor einer Stadt genutzt werden, um den Umbau der Stadt, Ausbau der Infrastruktur und die regionale Wirtschaft anzukurbeln. Das bedeutet, dass die ehemals sekundären stadtpolitischen Ziele in den Vordergrund treten. Die Zeiten in denen die Folgen von Großereignissen für Stadt und Bevölkerung kaum eine Rolle gespielt haben, sind vorbei. (vgl. Siebel 1992, 62; Häußermann/Siebel 1993, 16) Häußermann und Siebel formulieren eindeutig, dass „[...] hinter Spiel und Spaß [...] handfeste stadtpolitische Überlegungen“ stehen und diese Art „’Inszenierungen’ wird regelrecht zum Kristallisationspunkt der Stadtentwicklung“. (Häußermann/Siebel 1993, 8) Weiterhin wird festgestellt, dass der Wandel des gesellschaftlichen Konsenses, der im folgenden Abschnitt erläutert werden wird, auch einen Wandel bezüglich des Diskurses über große Ereignisse zur Folge hat. Es ist die „Demonstration nationaler Macht und des Technischen Fortschritts hin zu einem Instrument der Stadtpolitik, [was] den Anteil der immateriellen Wirkungen zunehmend aus dem Bewusstsein der Öffentlichkeit“ verdrängt. (Häußermann/Siebel 1993, 19)
Abschießend lässt eine von Walter Siebel beschriebene Metapher den Charakter eines Festivals heute deutlich werden: Ein Gaukler jeden Tag des Jahres auf einem Marktplatz, erregt wenig Aufsehen, aber „365 Jongleure an einem Nachmittag auf dem Marktplatz sind ein Medienereignis.“ (Siebel 1992, 62) – und so wird das „Ereignis zum Ereignis, das Gaukeln zum Festival“, schlussfolgernd Klaus Selle. (Selle 1994, 259)
2. Neue ‚Unsichtbarkeit’ der Städte: Der Rahmen für die Politik der Festivalisierung
„Großprojekte sind ‚in’. Mit Blick auf Europa ist man versucht, an den ersten Halbsatz des Kommunistischen Manifestes zu denken: ‚Ein Gespenst geht um in Europa – (nein, nicht das des Kommunismus, sondern) das Gespenst der Städtekonkurrenz.“ (Selle 1994, 241)
Diese von Klaus Selle[10] beobachtete Ableitung beschreibt Walter Siebel als den Zeitpunkt des Beginns der Festivalisierung Anfang der 70er Jahre nach dem industriell bedingten Ende des Wachstums. Eine Zeit ansteigender Arbeitslosigkeit, neuer Wohnungsnot und einsetzender Finanzkrise einerseits und die expandierender Dienstleistungen, ansteigender Wohlstand und gewandelte Lebensweisen der Mittelschicht, die zu teurem Umbau der Städte ‚zwingen’ andererseits. Das durch die eklatante Finanznot des Staates, der häufig nicht mal seinen Pflichtaufgaben nachkommt, nicht vorhandene nötige Kapital zur Durchführung des Stadtumbaus, scheint durch die Durchführung eines Großereignisses als „Patentlösung“ mobilisierbar. Dabei handelt es sich um die Aktivierung von privaten und überregionalen Geldern. (vgl. Siebel 1992, 62; Huning/Peters 2003)
Bei einer Rückschau der Stadtentwicklung ab dem Ende des zweiten Weltkrieges, wird deutlich, dass Großprojekte die Konsequenz von veränderten Bedingungen der städtischen Politik sind, die auf den ökonomischen Strukturwandel in den Städten reagieren. Es lassen sich drei Phasen nach Häußermann und Siebel unterscheiden; die expansive Urbanisierung bis zu den 60er Jahren, die intensive Urbanisierung seit Mitte der 60er Jahre und die Desurbanisierung...