Anhand der vorhergehenden Ausführungen wurde deutlich, dass es sehr gute Motive (siehe Kapitel 2.5) für das Offshoring von IT-Dienstleistungen gibt. Damit die häufig sehr hoch gesteckten Erwartungen auch erfüllt werden, müssen Unternehmen bereit sein, deutliche Neustrukturierungen in ihrem Unternehmen durchzusetzen. Neben dem Personalübergang und veränderten Rollen zwischen IT und Fachbereich gibt es eine Vielzahl an Veränderungen, die dem Unternehmen bei ihrem Offshoring-Vorhaben begegnen werden. Im IT-Offshoring hegen hohe Chancen, aber auch hohe Risiken. Deshalb betrachtet das folgende Kapitel diese genauer, um herauszufinden worauf Unternehmen ein genaues Augenmerk bei ihrem Auslagerungsvorhaben legen müssen. Auch wenn das Business-ProcessOutsourcing, wie bereits in Kapitel 2.6.2 beschrieben, in Deutschland noch in den “Kinderschuhen” steckt, soll es im Rahmen der Chancen- und Risikenanalyse ebenso Beachtung ünden, wie das IT-Offshoring von Teilprozessen. Nachdem in den vorherigen Ausführungen häufig von Motiven zur Konzentration auf das Kerngeschäft und zur Kosteneinsparung gesprochen wurde, erscheint es außerordentlich wichtig, auch auf die bestehenden Risiken hinzuweisen und diese genau zu untersuchen. Erfahrungsgemäß scheitern Unternehmen nicht an der Erreichung ihrer Ziele, sondern an der Vernachlässigung der vorhandenen Risiken, weshalb der Fokus der Betrachtung etwas stärker auf diesen hegen wird.
Die Verlagerung von IT-basierten Funktionsbereichen in Offshore gelegene Länder stellt für das beauftragende Unternehmen eine Vielzahl erschließbarer Nutzenpotenziale dar. Sowohl in der Literatur, als auch in der Praxis reichen die Beweggründe der Unternehmen von der Konzentration auf die Kernkompetenzen, über attraktive Kosteneinsparungen, höhere Flexibilität und Effizienz bis hin zu einer möglichen Reduzierung des Personalbedarfs im eigenen IT-Bereich.[50] Auch wenn in der Öffentlichkeit häufig nur das geringere Lohnniveau in Ländern wie Indien thematisiert wird, existiert eine Vielzahl von Chancen, die Unternehmen dazu bewegen das Thema Offshoring in Erwägung zu ziehen. Die Sichtweise in der Öffentlichkeit ist jedoch nicht vollkommen unbegründet. So zeigte sich im Rahmen einer Umfrage bei einem schweizerischen Versicherungskonzern und einem deutschen mittelständischen Chemieunternehmen, dass nicht die qualitativen Vorteile des nach CMMI Level 5 zertifizierten indischen IT-Service-Providers ausschlaggebend waren, sondern vor allem die finanziellen Chancen der Offshore-Verlagerung die wichtigste Rolle spielten.[51]
Wie bereits in Kapitel 2.5 beschrieben, erhoffen sich Unternehmen im Vergleich zur Onshore Verlagerung ihrer Prozesse, neben den deutlich höheren Einsparpotenzialen, aufgrund des geringen Lohnniveaus, am häufigsten eine höhere Flexibilität bei wirtschaftlichen Schwankungen durch die Verlagerung von Fixkosten in variable Kosten sowie eine Qualitätsverbesserung ihrer Prozesse durch den erleichterten Zugang zu hochqualifiziertem Personal. Neben diesen Kernmotiven für das Offshoring von IT-basierten Dienstleistungen ünden sich in der Literatur eine Vielzahl weiterer Chancen, die zumeist Schnittmengen der genannten Motive darstellen.(siehe Abbildung 2.4) Anhand der in der Literatur und bei Umfragen, unter großen international tätigen Unternehmen, angegebenen Motive lassen sich folgende Kategorien für die Betrachtung der Chancen festlegen:[52]
1. Finanzielles Einsparpotenzial
2. Qualitative Chancen
3. Strategische Vorteile
Die ausgewählten Chancen und Motive sollen im weiteren Verlauf der Arbeit ebenfalls der Gliederung dienen und werden deshalb in der angegeben Reihenfolge erarbeitet. Die unterschiedlichen Chancenkategorien sollen nun im Rahmen der anschließenden Abschnitte genauer betrachtet werden, wobei zu jeder Kategorie exemplarisch konkrete Chancen vorgestellt werden sollen.
Im Rahmen der Literaturrecherche stellt sich heraus, dass im Hinblick auf die finanziellen Chancen verschiedene Ansätze vorhanden sind. Wie bereits im Verlauf der Arbeit erwähnt wurde, stellt die Reduzierung der IT-Kosten eine wichtige Rolle für Unternehmen dar. Diese These ließ sich ebenfalls im Rahmen einer empirischen Studie der BITKOM im Jahre 2005 bestätigen. Von 109 befragten Unternehmen gaben mehr als 80 % an, die Erschließung von Kostensenkungspotenzialen durch die Offshore Verlagerung nutzen zu wollen.[53] Große Outsourcing- Projekte, wie das bekannte “Herkules Projekt” der Bundeswehr wurden eindeutig unter dem Aspekt der Kostenreduzierung durchgeführt.[54] Die geringen Kosten resultieren beim Offshoring von IT-Dienstleistungen vor allem durch die niedrigen Lohn- und Nebenkosten für die Arbeitskräfte im jeweiligen Land. Zusätzlich können seitens der IT-Dienstleister deutliche Skaleneffekte durch die Spezialisierung auf bestimmte IT-Leistungen ausgenutzt werden und an den Kunden weitergegeben werden.[55]
Personalkosten
Indische IT-Dienstleister haben sich insbesondere auf die Verlagerung personalintensiver Unternehmensprozesse spezialisiert, da im Bereich des Service Offshoring die Höhe der Personalkosten einen deutlichen Einfluss auf die Gesamtkosten der IT hat. Geht man davon aus, dass die Arbeitsstunde eines Softwareentwicklers in Indien lediglich ca. 7 Euro kostet, wird deutlich, dass trotz der beobachteten Lohnkostenanstiege in den letzten Jahren, die IT-Löhne weiterhin eine deutliche Spanne zum deutschen Lohnniveau aufweisen. Allerdings dürfen Löhne nicht als einziger Kostenblock gesehen werden, da durch das Offshoring weitere Zusatzkosten entstehen, welche im Rahmen der Risikoanalyse Erwähnung finden sollen. Im betriebswirtschaftlichen Umfeld werden deshalb Einsparpotenziale mit einer Spanne von 20 % bis 30 % als realistisch betrachtet.[56] Zusätzlich sei zu berücksichtigen, dass die im Unternehmen anfallenden Lohnkosten nicht vollständig wegfallen. In Kapitel 2.2.2 wurde bereits darauf verwiesen, dass viele Unternehmen lediglich IT-Prozesse unterhalb der Anwendungsebene offshore verlagern. Demzufolge ist am Unternehmensstandort der Einsatz von leitendem Personal unumgänglich, um die Weiterentwicklung und Gestaltung der fachlichen Prozesse weiterhin intern steuern zu können. Deutlich wird, dass das Offshoring von IT-Dienstleistungen den Unternehmen die Möglichkeit eröffnet, auf Mitarbeiter mit innovativem und technologischem Know-how zurückzugreifen, was zu einer zusätzlichen Effizienzsteigerung der Unternehmensprozesse führen kann.
Fixkostenumwandlung
In der IT bestehen die internen Kosten größtenteils aus Fixkosten. Dazu zählen beispielsweise Personal- und Lizenzkosten, die das technische IT-Geschäft überhaupt erst handlungsfähig machen. Das IT-Offshoring stellt in diesem Zusammenhang eine Möglichkeit dar, um den bisherigen Fixkostenanteil erheblich zu verringern.[57] Durch die Auslagerung von IT-Dienstleistungen reduziert sich die Wertschöpfungstiefe des Unternehmens und damit beispielsweise die Fixkosten für das zu beschäftigende Personal.
Es wird deutlich, dass ein wesentlicher Vorteil der Offshore-Verlagerung darin besteht, dass künftig weniger Ressourcen dauerhaft durch das Unternehmen vorgehalten und gepflegt werden müssen. Zusätzlich fallen nicht zu vernachlässigende IT-Kosten, wie beispielsweise der Stromverbrauch von Servern und Rechenzentren im Unternehmen weg. Nach einer Berechnung des Borderstep Instituts für Innovation und Nachhaltigkeit lag der Stromverbrauch von Servern und Rechenzentren in Deutschland im Jahre 2008 bereits bei 10,1 Terrawattstunden. Die damit verbundenen Stromkosten beliefen sich auf damals 1,1 Milliarden Euro. Für das Jahr 2013 prognostiziert das Institut einen Anstieg des Stromverbrauchs um bis zu 47 % auf 14,85 Terrawattstunden. Aufgrund der gestiegenen Energiekosten, ist daher mit einer Verdoppelung der Energiekosten auf geschätzt 2,2 Milliarden Euro zu rechnen.[58]
Skaleneffekte
Werden IT-Dienstleistungen von einem Provider nicht in einer streng getrennten, sondern gemeinsam genutzten “Shared” Umgebung erbracht, entstehen für den IT-Dienstleister sogenannte Economies of Scale (Skaleneffekte), welche durch die gemeinsame Nutzung mit anderen Unternehmen eine Verringerung der Fixkosten verursachen und vom Dienstleister an die Unternehmen weitergegeben werden können.[59] Diese Skaleneffekte ermöglichen es dem Dienstleister flexiblere Preismodelle anzubieten und nach der angefallenen Leistungserbringung abzurechnen. In Abhängigkeit von der ausgelagerten Tätigkeit kann die Abrechnung, wie in Rechenzentren Üblich, pro MIPS (Million Instructions per Second), pro Arbeitsplatz oder pro Geschäftstransaktion erfolgen. Wurde mit dem Offshore-Dienstleister ein leistungsbezogener Vertrag geschlossen, können auf diesem Wege die ehemaligen Fixkosten in variable IT-Kosten gewandelt werden.[60] [61] [62] Ebenso können zusätzlich anfallende Kosten für die Schulung der Mitarbeiter des IT-Dienstleisters auf mehrere Kundenprojekte verteilt werden oder die vorhandenen Softwarelizenzen je nach Bedarf bei den Unternehmen eingesetzt werden. Hinsichtlich der nutzbaren Skaleneffekte...