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KAPITEL 2:
IM ZWIEGESPRÄCH MIT MEINER SEELE
Eigentlich hätte ich ziemlich gute Gründe gehabt, an jenem Abend nicht in die Kirche zu gehen. Erstens war ich erst sieben Jahre alt und musste am nächsten Tag in die Schule. Dann sollte der Abendgottesdienst von einigen kalifornischen Gästen gestaltet werden, über die niemand besonders viel wusste. Doch der wichtigste Grund war, dass ich gerade einen Monat zuvor auf den gleichen Kirchenbänken gesessen und die Beerdigung meines Vaters erlebt hatte.
Sein Tod war ein doppelter Schock für mich, denn ich erfuhr nicht nur, dass er nicht mehr bei uns sein würde, sondern ich fand später auch heraus, dass er sich das Leben genommen hatte. Das Wissen, dass ein Elternteil Selbstmord begangen hat, wirft viele Fragen auf, wenn man noch so jung ist. Man beginnt sich zu fragen, ob es irgendwo etwas mit einem selbst zu tun hatte. Und das Herz ringt auch noch mit vielen anderen Fragen. Hat er uns nicht genug geliebt, um bei uns zu bleiben? Womit hatte ich das verdient? Hatte ich etwas Schreckliches getan; hatte ich es vielleicht selbst irgendwie verursacht?
Es ist kaum verwunderlich, dass ich mich nur an sehr wenige Einzelheiten der Beerdigung meines Vaters erinnern kann. Wie kann ein Kind so etwas auch nur ansatzweise verarbeiten? Ich erinnere mich daran, wie ich ins Auto stieg, und ich habe noch vor Augen, dass ich im Krematorium war. Mehr nicht.
Doch im Gegensatz dazu ist jener Abendgottesdienst nur einen Monat später, an dem ich mit meiner Mutter und meinem Bruder teilnahm, für mich eine meiner lebhaftesten Kindheitserinnerungen überhaupt.
ERSTE BEGEGNUNG
Unsere Kirche war kein beeindruckendes Gebäude. Es war fürs Mitmachen gedacht, fürs Abenteuer. Das Kirchengebäude war modern und für britische Verhältnisse groß, und obwohl es immer noch Holzbänke, eine Orgel und Chorgestühl gab, war alles hell, informell und bequem. Der Platz hinter der Kommunionbank war geräumig, mit Teppich ausgelegt und so gestaltet, dass er eine offene Einladung an alle und jeden war, nach vorn zu kommen. Am Ende jedes Gottesdienstes rannten dort immer Kinder herum und rollten über den Teppich. Sie freuten sich über den weiten, offenen Raum. Manchmal kam mir das Gebäude weniger wie eine Kirche und mehr wie ein Spielzimmer für alle Altersgruppen vor.
An jenem Abend gingen nicht viele andere Kinder den Hügel zur Kirche hinauf, doch als meine Mutter uns über den belebten Parkplatz führte, wusste ich, dass ich dort sein wollte. Die Luft draußen war nach dem Sommertag noch warm und drinnen war es, als wäre das warme Abendlicht durch die Türen hineingeströmt.
Wir saßen etwas eingezwängt im Chorgestühl, und so hatte ich einen guten Blick auf die Musiker, die sich darauf vorbereiteten, durch den Gottesdienst zu führen und die Gemeinde im Lobpreis anzuleiten. Sie wirkten größer auf mich als die meisten anderen Erwachsenen, und sie waren anders angezogen. Keiner von ihnen trug eine Krawatte oder ein Jackett, und wenn sie lachten, waren ihre Stimmen laut und fröhlich.
Ich war nicht der Einzige, der sie anstarrte. Vertraute Gesichter aus unserer Gemeinde bemühten sich, einen besseren Blick auf das zu erhaschen, was vorne vor sich ging. In dem normalerweise weiten, offenen Raum waren nun Musikinstrumente auf dem Teppich aufgebaut – ein Keyboard und eine Gitarre, und dazu eine Handvoll Mikrofonständer.
Ich musste nicht reden oder Fragen stellen oder wissen, was als Nächstes geschah. Einfach nur zuzuschauen reichte mir. Als sie anfingen zu spielen, konnte ich den Blick kaum von dem weißhaarigen, bärtigen Bär von einem Mann abwenden, der am Keyboard saß. Er hatte etwas Magnetisches an sich, etwas so Fesselndes, dass es unmöglich zu ignorieren war.
Doch das Größte war der Klang. Die Lieder waren so entspannt und natürlich – kein steifes religiöses Korsett oder hohles Ritual weit und breit. Ich war Feuer und Flamme. Es wirkte alles so echt und war meinen jungen Ohren viel näher als die meiste Kirchenmusik, die ich bisher gehört hatte.
Sie spielten ein Lied nach dem anderen, und ein Lied floss ins andere über. Ich bekam wohl mit, dass sich in der Kirche einige Hände hoben und eine neue Art von Wärme einstellte, doch die einzige Person, die ich wirklich anschauen wollte, war der Teddybär am Keyboard. Das muss die beste Musik sein, die ich je gehört habe, dachte ich. Zu hören, wie die Band spielte und die ganze Kirche sang, war, wie reinen Sonnenschein einzuatmen. Hier begegnete mir etwas, von dessen Existenz ich nichts geahnt hatte.
In jenem zarten Alter hatte ich noch keine Worte dafür, und es sollten Jahre vergehen, bevor ich auch nur anfangen konnte zu verstehen, was an jenem Abend mit mir – und mit dem Rest der Gemeinde – geschah. Heute würde ich sagen: Es war das Volk Gottes, das in der Gegenwart Gottes stand und ihn von Herzen lobte. Dort in jenem Raum, wo ich wenige Wochen zuvor bei der Beerdigung meines Vaters gesessen hatte, lernte ich eine der herrlichsten, stärksten Kräfte auf dieser Erde kennen: die anbetende Gemeinde.
Ich bezweifle, dass ich auch nur einen Bruchteil der Liedtexte verstand. Doch das Erlebnis war herrlich, so wenig greifbar und unbegreiflich es auch war. Ich denke, es war gar nicht nötig, dass ich definieren oder verstehen konnte, wie bedeutsam dieser erste Besuch der Vineyard-Bewegung für die Kirche im Vereinigten Königreich sein sollte. Ich wusste nur, dass in den Liedern selbst etwas Stärkeres lag, als ich es bis dahin je erlebt hatte. Noch heute erinnere ich mich, wie es klang, als ich meine erste unvergessliche Begegnung mit dem Heiligen Geist Gottes hatte. Die Lieder, die sanft und doch monumental waren, waren der Zugang für mich. Sie waren so einfach und so schön geschrieben, dass man sie sofort mitsingen konnte, selbst als kleines Kind, das noch verstört und verzweifelt vor Trauer war. Diese Lieder richteten keine Barrieren auf; nichts Kompliziertes hinderte einen daran, in sie einzustimmen. Sie waren ein Fenster zu den Wegen Gottes und eine offene Tür in sein Herz.
Erst einige Jahre später fing ich an, Gitarre zu spielen, und lernte, diese Lieder selbst zu singen. Doch an jenem Abend in jenem Gottesdienst wurde der Same in mein Herz gelegt. Ich sah, wie Musik auf die Seele einwirken und wie ein Lied etwas Besonderes im Herzen eines Anbeters aufschließen kann.
EHRFURCHT UND ZUFLUCHT
Der Weg zum Gitarrespielen verlief für mich in zwei Etappen. Ich war zehn, als ich es zum ersten Mal ausprobierte. Meine Mutter schenkte mir eine Gitarre und fand jemanden, der mir das Spielen beibrachte. Die Gitarre selbst war eine klassische Gitarre, die schon von vielen anderen gespielt worden war. Das Muster um das Schallloch war längst verblasst und der Korpus hatte mehr lädierte Stellen als die Motorhaube unseres Autos. Aber es war meine Gitarre, und ich liebte sie.
Der Mann, der mir Unterricht gab, passte perfekt zu meiner Gitarre. Er war ebenso angeschlagen und man merkte ihm deutlich an, dass er von Zeit zu Zeit etwas rau behandelt wurde. Selbst in meinem jungen Alter wusste ich, dass es nicht ganz normal war, wenn ich zu einer Stunde kam und ihn mit einem blauen Auge oder leicht hinkend antraf. Als eine unserer Stunden von einem Klopfen an der Wohnungstür unterbrochen wurde, bekam mein Lehrer einen leicht panischen Gesichtsausdruck, drückte mir ein dickes Bündel Geldscheine in die Hand und sagte mir, ich solle gut darauf aufpassen, während er mit dem Besucher sprach. Nach dieser Stunde sagte ich meiner Mutter, dass es wahrscheinlich an der Zeit für eine Pause war.
Das Ende meines Unterrichts fiel mit der Nachricht von der Prüfungskommission zusammen, dass ich meine Stufe-2-Prüfung nicht auf einer Gitarre mit Metallsaiten ablegen durfte. Es mussten klassische Nylonsaiten sein. Ich hatte der Kommission einen langen und wahrscheinlich altklugen Brief geschrieben, in dem ich sie darauf hinwies, wie altmodisch sie waren und wie viel besser meine Stahlsaiten für meinen Geschmack klangen, aber es hatte nicht funktioniert. Also pinnte ich den Brief an die Korktafel in meinem Zimmer – als dauerhafte Erinnerung daran, dass ich mich gegen das Gesetz zur Wehr gesetzt und das Gesetz gewonnen hatte. Dann steckte ich meine Dreiviertel-Gitarre zurück in ihre abgenutzte Hülle aus braunem Kunstleder und deponierte sie auf meinem Kleiderschrank. Dort blieb sie die nächsten Jahre über und staubte ein. Das war Phase 1.
Phase 2 kam in meinen frühen Teenagerjahren. Inzwischen war ich von ganzem Herzen ein Nachfolger von Jesus geworden, und die Anbetungsmusik, die ich im Alter von sieben Jahren zum ersten Mal gehört hatte, fand immer mehr einen festen Platz in meinem Leben. Ich war ständig auf der Suche nach neuen Liedern und beschloss, nicht einfach zu warten, bis jemand sie am Sonntag in der Kirche spielte, sondern sie an den Wochentagen dazwischen selbst zu Hause auszuprobieren. Ich wollte nicht von einem Sonntag bis zum nächsten warten, ohne auch in der Zwischenzeit einige Augenblicke zu finden, in denen ich durch diese Lieder mit meinem himmlischen Vater in Verbindung treten konnte.
Also zog ich meine kleine Gitarre aus der schlaffen Hülle, staubte sie ein wenig ab, kaufte neue (Stahl-)Saiten und beschloss, mir die Grundlagen selbst beizubringen.
Zuerst taten mir die Fingerspitzen ziemlich weh und ich bedauerte ein wenig, mich gegen die angenehmeren Nylonsaiten entschieden zu haben. Aber der Schmerz war mir im Grunde egal; ich wollte einfach die Lieder spielen. Immer und immer wieder.
Es dauerte nicht lange, bis ich Hornhaut auf den Fingern bekam, und die Gitarre wanderte nie wieder...