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E-Book

100 Jahre Südtirol

Geschichte eines jungen Landes

AutorHans Karl Peterlini
VerlagHaymon
Erscheinungsjahr2013
Seitenanzahl312 Seiten
ISBN9783709975855
FormatPDF/ePUB
KopierschutzWasserzeichen/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis16,99 EUR
In lebendiger Sprache und anhand vieler eindrücklicher Fotos führt Hans Karl Peterlini durch die jüngere Geschichte Südtirols. Er beleuchtet die Entwicklungen und Schlüsselereignisse, darunter die Kämpfe im Ersten Weltkrieg, die Option und Italianisierung des Landes unter den Faschisten, die politischen Bemühungen um Autonomie und die Bombenattentate. Peterlini erzählt aber auch die Geschichten der Menschen in Südtirol, ihres Wirtschaftens, ihres kulturellen Schaffens und ihrer Lebensstile, ihrer Missverständnisse und Versöhnungsleistungen - bis in die Gegenwart.

Hans Karl Peterlini, geboren 1961 in Bozen/Südtirol. Kulturwissenschaftler, Journalist und Autor zahlreicher Bücher und Essays zur Südtiroler Zeitgeschichte und Gegenwart. Bei Haymon u.a.: Tirol. Notizen einer Reise durch die Landeseinheit (2008), Südtirol in Geschichte und Gegenwart (zus. mit Michael Forcher, 2010) und Bauernleben in Südtirol. 12 Porträts (zus. mit Astrid Kofler, 2011).

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Leseprobe

Erben des Krieges


Nationalismus und Kriegstrauma an der Wiege des neuen Südtirol – Vom Londoner Geheimvertrag zum Ende der Donaumonarchie


Südtirol ist ein Kriegskind. So steht am Beginn der Geschichte eines Landes, wie es sich in seiner Gegenwart begreift, eine traumatische Erfahrung, die Zukunftsvorstellungen, Sicherheiten, Existenzgrundlagen hinwegriss und die Menschen vor völlig veränderte Lebensbedingungen und politische Perspektiven stellte. „Dies ist das Ende, ein Ende mit Schrecken“, schilderte die Tageszeitung „Der Tiroler“ am 8. November 1918 die Lage in Bozen. Ein Anfang, der den Schrecken beenden könnte, war damals wohl schwer zu sehen.

Das Ende des Ersten Weltkrieges bedeutete den Zusammenbruch der Donaumonarchie, der Tirol – mit dem italienischen Welschtirol von Salurn bis Borghetto, mit dem heutigen Südtirol, den ladinischen Tälern im Trentino und in Belluno, dem heutigen Nord- und Osttirol – über Jahrhunderte angehört hatte. Risse hatten sich in dieser Einheit schon lange früher angekündigt. Waren 1809 in den legendären Freiheitskämpfen der Tiroler gegen die napoleonischen Truppen welsche, ladinische und deutsche Schützen noch gemeinsam für ihr Ideal von „Gott, Kaiser und Vaterland“ ausgerückt, entwickelten sich vor allem Deutsch- und Welschtirol ab der Mitte des 19. Jahrhunderts zusehends auseinander. Die bürgerlichen Revolutionen von 1848, in denen Bedürfnisse nach mehr Freiheit vom erwachenden nationalsprachlichen Bewusstsein beflügelt wurden, lösten in Welsch- und Deutschtirol völlig unterschiedliche Stimmungen aus. Während etwa der Pustertaler Kreishauptmann Johann Jakob Staffler 1848 beklagte, dass „der böse Geist des Trotzes und der Zuchtlosigkeit“ um sich greife und überall das „unsinnige Geschrei“ von „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“ zu hören sei, versuchte eine liberale Elite in Trient die Stimmung für den Anschluss Welschtirols an die Lombardei zu nützen, die zwar damals auch noch österreichisch war, aber ein nationalsprachlich homogenes und wirtschaftlich starkes Gebiet darstellte. Als die Truppen um Giuseppe Garibaldi, beseelt vom nationalen Gedanken einer italienischen Einheit, gegen die österreichischen Grenzen vordrangen, marschierten Deutschtiroler Studenten und Schützen Schulter an Schulter an die Südfront, obwohl die Studenten vom nationalfreiheitlichen (allerdings deutschen) Geist durchaus inspiriert und begeistert waren, während die Schützen treu zum Kaiser standen.

Symbolbild einer Entzweiung: In Bozen wurde am 15. September 1889 das Denkmal an Walther von der Vogelweide auch im Sinne des erstarkenden deutschen Nationalgedankens enthüllt; die Errichtung des Dante-Denkmals in Trient wurde umgekehrt in Deutschtirol als Provokation empfunden.

In Welschtirol war die Lage weniger eindeutig. Breite Bevölkerungskreise identifizierten sich noch mit der Monarchie, aber intellektuelle und auch aufgeschlossene kirchliche Kreise orientierten sich zunehmend an Italien. Verhärtungen, Unfrieden, sich aufschaukelnde Nationalismen auch innerhalb des alten Tirol waren Vorboten des späteren Auseinanderbrechens: Welschtirol begehrte nach mehr Autonomie und einem Aufschwung aus seinem Hinterland-Dasein am Rande der Monarchie, maßgebliche und zunehmend nationalistische Kräfte in Deutschtirol stellten sich dagegen. Die Hundertjahrfeiern 1909 im Gedenken an 1809 standen im Zeichen einer deutschpatriotischen Mobilisierung und eines inneren Abrückens Welschtirols von der Monarchie. Der Krieg warf zu diesem Zeitpunkt schon seine Schatten voraus.

Die verregnete Enthüllungsfeier für das Dante-Denkmal in Trient am 11. Oktober 1896.

Die Schüsse von Sarajewo, mit denen der österreichische Thronfolger Franz Ferdinand erschossen wurde, trafen mitten in ein Pulverfass, sie entfesselten die nur mühsam mit Allianzen, Angriffs- und Nichtangriffspakten zurückgehaltene Kriegsbereitschaft. Die Kriegserklärung Österreichs an Serbien vom 28. Juli 1914 ist auch im Lichte der Machtkämpfe zwischen Deutschland-Österreich auf der einen, Russland-Frankreich und Großbritannien auf der anderen Seite zu sehen. Nur so konnte sie jene Kettenreaktion auslösen, an deren Ende Europa in einem bis dahin beispiellosen Krieg stand. Für Tirol eine besondere Rolle spielte das schwierige Verhältnis Österreichs zu Italien, das erst 1861 aus dem Königreich Sardinien-Piemont hervorgegangen war und seine junge nationale Identität gerade an den Unabhängigkeitskriegen um die von Österreich beherrschten oberitalienischen Gebiete aufgerichtet hatte, besonders durch die Eroberung von Piemont 1858 und Mailand 1859 als wichtigste Schritte zur Einigung Italiens. Ein früher Aufstand gegen Österreich war schon 1848 geglückt, aber noch von kurzer Dauer gewesen. Der aus Mailand vertriebene Feldmarschall Radetzky holte sich das Gebiet nach drei Monaten wieder zurück. 1866 konnte Österreich Venetien und Friaul zwar noch verteidigen, musste beide Gebiete aber wegen seiner Niederlage gegen Preußen abtreten, das mit Italien verbündet war. 1870 eroberte Italien auch Rom und drängte den Kirchenstaat zurück, die italienische Einigung war nahezu vollendet – bis auf die zwei letzten „unerlösten“ Gebiete von Trient und Triest, der „terra irredenta“.

Mit dem Kriegseintritt Italiens rückten Tirols Außengrenzen mit einem Schlag an die Frontlinie, ein erbitterter Gebirgskrieg begann.

Der italienische Irredentismus trachtete allerdings zunehmend nicht nur nach dem italienischen Teil Tirols, dem damaligen „Südtirol“ und heutigen Trentino, sondern nach dem gesamten Gebiet südlich des Brenners, also einschließlich des südlichen Deutschtirol. Daran änderte auch eine eher strategische Aussöhnung in der österreichisch-italienischen „Erbfeindschaft“ (Claus Gatterer) nichts, als das Königreich Italien 1882 in den Dreibund mit Österreich und Deutschland eintrat. Die formale Aussöhnung blieb ein von der Bevölkerung wenig gefühlter und daher leicht zu kündigender Pakt. Bei Ausbruch des Ersten Weltkrieges konnte Italien die Gunst der Stunde nützen. Streng juridisch war es vom Dreibund nur im Falle eines Verteidigungskrieges seiner Partner zur Solidarität verpflichtet, nicht aber bei Angriffskriegen. So erklärte sich Italien zunächst neutral und begann zugleich, mit beiden Seiten zu verhandeln. Von Österreich forderte es Triest, Istrien und Welschtirol, was Kaiser Franz Joseph I. zunächst strikt ablehnte. Erst mit zunehmender Propaganda Italiens für einen Eintritt in den Krieg gegen Österreich lockerte sich diese Position. Im Frühjahr 1915 signalisierte Wien, „Tirol soweit es italienischer Nationalität ist“ abtreten zu wollen. Zu spät: Italien hatte für den Fall seines Kriegseintrittes an der Seite von Frankreich, Großbritannien, Russland (Entente) weitergehende Zusagen erhalten. Mit dem Londoner Geheimvertrag vom 26. April 1915 wurden Italien die Gebiete von Triest mit der Halbinsel Istrien und „ganz Südtirol bis zu seiner natürlichen Grenze, als welche der Brenner anzusehen ist“, zugesprochen. Unmittelbar darauf, am 4. Mai 1915, kündigte Italien den Dreibund, am 23. Mai erklärte es seinem Eben-noch-Bundespartner Österreich den Krieg.

Abmarsch in den Krieg, im Bild ein Standschützen-bataillon aus Meran am 20. Mai 1915.

Damit lag Tirol mit einem Schlag unmittelbar an einer nahezu schutzlosen Front. Das österreichische Militärkommando hatte auf das Landlibell von 1511, das den Tirolern die Verteidigung ihres Landes anvertraute und dafür den Kriegsdienst außerhalb des Landes ersparte, längst vergessen – eine Laune der Tiroler Geschichte, wenn bedacht wird, dass dieses Prinzip einer der Gründe war, warum sich Tirol 1809 gegen die napoleonisch-bayrische Besatzung erhoben hatte. Die wehrpflichtigen Männer Tirols waren schon an die Ostfront eingezogen worden, einschließlich der Kaiserjägerregimenter, der Landesschützen und der als Reserve gedachten Landsturmregimenter. Warnungen der Landeshauptleute von Tirol und Vorarlberg waren in den Wind geschlagen worden. Die Landesverteidigung, zentrales Motiv der Tiroler Identität unter Altösterreich, oblag nun jungen Burschen und alten Männern, die zu einer Verteidigungstruppe von rund 30.000 Mann zusammengetrommelt und an die südlichen Außenposten der Monarchie geschickt wurden. Zu Hilfe eilte ihnen – eine weitere Laune der Geschichte – ein Hilfskorps aus Bayern, dem einstigen Feindland. Auftrag der 13 Bataillone des deutschen und weitgehend bayrischen „Alpenkorps“ war es, die Linie am Inn zu halten, das Gebiet südlich des Brenners schien offenbar schon verloren. Trotzdem konnte das gemeinsame Aufgebot den von italienischer Seite erhofften „Spaziergang nach Innsbruck“ schon an den Südgrenzen Tirols so lange stoppen, bis die Kaiserjäger und Landesschützen aus Serbien und Russland...

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