VOR
SPANN
(… damit man gleich weiß, wer mitspielt und worum’s eigentlich geht)
Krieg der Stars und Sternchen
»Es war einmal vor langer Zeit« ist da als Erstes auf der Leinwand zu lesen. Zu John Williams packender Filmmusik läuft fast zwei Minuten lang in gelben Lettern ein Textband über den Sternenhimmel, verschwindet in den unendlichen Weiten des Weltalls und zieht einen zugleich in die noch unbekannte Welt der Jedi-Ritter. So beginnt einer der größten Erfolge der Filmgeschichte: Krieg der Sterne (Star Wars, 1977). Ohne diesen scheinbar langweiligen Einstieg in die Handlung würde man vieles, was danach passiert, wohl kaum verstehen. Und weil man aus der Film-Geschichte lernen soll, hier und jetzt kurz zusammengefasst, wie in Österreich die Bilder laufen lernten.
Die »Siebente Kunst« erblickte das Licht der Welt in Frankreich, doch schon vier Monate nach der ersten Kinovorstellung am 28. Dezember 1895 in Paris schreibt die Neue Freie Presse in Wien, am 17. April 1896, auf Seite eins: »Der Kaiser wohnte heute mittags einer Vorführung der ›lebenden Photographien‹ durch den Cinematographen bei, welche dem Publikum seit einiger Zeit im Mezzanin des Hauses Krugerstraße 2 geboten werden. Der Kaiser wurde vom Unternehmer, Herrn Dupont, empfangen und in den Productionssaal geleitet, der gleich verfinstert wurde, worauf die Bilder auf eine weiße Fläche projiziert wurden. Ein großer Theil des Repertoires des Cinematographen, der Meeresstrand mit den schwimmenden Kindern, die Ankunft eines Zuges, die einstürzende Mauer etc., wurde dem Kaiser vorgeführt, der sein lebhaftes Interesse für den sinnreichen Apparat äußerte, der bekanntlich von den Herrn Auguste und Louis Lumière in Lyon erfunden worden ist. Man macht mit diesem Apparat fünfzehn Aufnahmen in der Secunde, sodaß der Vorgang einer Minute 900 Photographien umfaßt, die in ihrer Gesamtheit Vorgänge der verschiedensten Art und selbst die geringsten Bewegungen wiedergeben, aus welcher ein Vorgang sich zusammensetzt. Die Conversation des Kaisers mit Herrn Dupont wurde in französischer Sprache geführt.«
In der Anfangszeit mutet ein Kinobesuch abenteuerlich an: Die Projektoren werden mit Petroleum betrieben, es stinkt bestialisch, und wegen des leicht entflammbaren Nitro-Filmmaterials lauert ständig Feuergefahr. Überliefert ist auch jener Moment, an dem bei der Vorführung des erwähnten Kurzfilms mit der heranbrausenden Lokomotive zahlreiche Besucher in Panik aus dem Kino stürmen. In Österreich ist man zu Beginn nicht sonderlich begeistert von der modernen Laufbild-Technik: Im Jahr 1903, acht Jahre nach der ersten Filmvorführung, gibt es erst ganze drei ständige Kinos in Wien – und anders als in Frankreich oder Italien hat man in Österreich noch kein Interesse, selbst Filme zu produzieren – das überlässt man zunächst widerstandslos der Konkurrenz im Ausland.
Ein erster Hinweis auf eigene, österreichische Spielfilme findet sich in einem Inserat der Filmzeitschrift Der Komet vom 3. November 1906: »Wer Bedarf an hochpikanten Herrenabend-Films hat, wende sich an [Atelier Saturn]. Für tadelloses Material und erstklassige Ausführung garantiert. Normalperforation. Desgleichen liefern wir künstlerisch ausgeführte Glasdiapositive (Aktstudien) in schwarz und koloriert zu billigsten Preisen in reichster Auswahl.« Fünf Jahre später ist es damit schon wieder vorbei: Eine »Formierung gegen Schmutz und Schund« kann sich bei den Behörden durchsetzen. Nachdem die Polizei sämtliche Materialien beschlagnahmt, muss die Saturn-Film 1911 ihre erotischen Produktionen einstellen. Von 52 freizügigen Filmen sind immerhin 26 erhalten geblieben.
Erstes »seriöses« österreichisches Filmerzeugnis ist Von Stufe zu Stufe aus dem Jahr 1908, mit einer Laufzeit von für die damalige Zeit beachtlichen 30 Minuten: Leider gilt diese Liebesgeschichte zwischen einem süßen Wiener Mädel und einem hochwohlgeborenen Grafen mit Happy End heute als verschollen. Regisseur Heinz Hanus, der auch den Grafen spielt, die Produzenten Anton und Luise Kolm, sowie der Kameramann Jakob Fleck sind die beteiligten Filmpioniere. Die drei Letztgenannten gründen bald darauf die Erste österreichische Kinofilms-Industrie, später die Wiener Kunstfilm, und machen sich mit Dokumentationen und Wochenschauberichten einen Namen.
1912 gibt es bereits mehr als 100 Kinos in Wien. Im diesem Jahr gründet der begeisterte Autorennfahrer und Lebemann Graf Alexander »Sascha« Joseph Kolowrat-Krakowsky die Sascha-Filmfabrik. Um die astronomische Gage von 25 000 Kronen engagiert er den betagten Wiener Operettenstar Alexander Girardi, der als Der Millionenonkel (1913) 30 Rollen seiner Schauspielkarriere in einem einzigen Stummfilm darstellt. Burgschauspielern allerdings bleibt es bis 1916 verboten, in Filmen mitzuwirken.
Mit Beginn des Ersten Weltkrieges im Sommer 1914 hält zum ersten – und leider nicht zum letzten – Mal die Propaganda Einzug in die Kinos. Bereits in der Kinematographischen Rundschau vom 16. August ist zu lesen: »Gewisse Filme patriotischer Tendenz, wie Manöver, Übungen und das Leben unserer oder verbündeter Truppen, die der gegenwärtigen Stimmung Rechnung tragen und durch Strammheit und Haltung das Vertrauen zu unseren Armeen kräftigen, werden gewiß Beifall finden … keine französischen, englischen, belgischen und russischen Filme mehr!«
In den Kriegsjahren wird die Leinwand von monarchistischer Filmpropaganda und seichter Unterhaltung beherrscht. Ausländische Produktionsfirmen auf k. u. k.-Gebiet werden aufgelöst, die österreichische Filmindustrie rüstet buchstäblich auf. Graf Kolowrat lässt im Wiener Vorort Sievering einen Hangar errichten und schafft so das erste frei stehende Filmatelier des Landes. In fünf Kriegsjahren werden an die 200 Spielfilme produziert, die Hälfte davon im Elendsjahr 1918, obwohl Rohfilmmaterial Mangelware ist. »Für das Vaterland – gegen den Kinowahn« wird auch von mancher Kanzel herunter gefordert. Magda Sonja, Hubert Marischka und Liane Haid, für die ein eigenes Atelier in Schönbrunn gebaut wird, sind die ersten Publikumslieblinge des österreichischen Films – und bleiben auch nach Kriegsende 1918 populär.
Filmpionier Sascha Kolowrat-Krakowsky
Das Habsburgerreich mit 50 Millionen Einwohnern zerfällt, die Erste Republik wird ausgerufen, jede Art von Zensur zunächst abgeschafft. Anton und Luise Kolm gründen nun die Vita-Film und beginnen mit dem Bau der Rosenhügel-Filmstudios. Man erfährt in Wien jetzt von Großproduktionen in Hollywood, die während der letzten Jahre entstanden sind, nimmt sich vor, sie zu übertreffen, und inszeniert dreistündige Monumentalepen wie Sodom und Gomorrha, Samson und Delila oder Die Sklavenkönigin.
Doch Jahre gesellschaftlich-politischer Orientierungslosigkeit und die galoppierende Inflation treiben viele Filmfirmen in den Ruin: Die etwa 750 Kinos im Land werden von ausländischen Produkten überschwemmt, während die Weltwirtschaftskrise den Absatz eigener Produktionen erschwert. 1925 sind es fast 1200 Filme, die vor allem aus den USA importiert werden, während man in Österreich selbst nur ganze fünf Spielfilme fertigstellt.
Am 23. August 1929 hat der erste österreichische Nadeltonfilm G’schichten aus der Steiermark, bei dem der Ton synchron zum Filmstreifen auf Schallplatte zugespielt wird, in Graz Premiere, im Jahr darauf erscheint ein erster Kurzfilm im Selenophon-Tonfilmsystem (mit Karl Farkas), bei dem die Tonspur sich bereits auf dem Filmband befindet, sowie der erste abendfüllende Lichttonfilm. Damit ist der Stummfilm in Österreich Geschichte, obwohl selbst der große Charlie Chaplin bei einem Wienbesuch im März 1931 noch seine Skepsis äußert und – quasi als Gegenbeweis – seinen neuesten Film Lichter der Großstadt präsentiert, dem er seine Stimme konsequent verweigert.
»Adabei« anno 1931: Chaplin auf Wien-Besuch
Jene Stoffe, mit denen man sich auf dem internationalen Markt gute Chancen verspricht, werden zu Beginn der Tonfilmära zunächst Szene für Szene, aneinander direkt anschließend in mehreren Sprachen in denselben Dekors gedreht, wobei Schauspieler, die mit Fremdsprachen Probleme haben, in der englischen oder französischen Fassung entweder ausgetauscht werden – oder ungewollt für Heiterkeit sorgen. Die Technik der Synchronisation gibt es 1930 noch nicht. Der Tonfilm macht das nunmehr kleine Österreich jedenfalls noch abhängiger von Deutschland, zumal dort für deutschsprachige Filme der größte Absatzmarkt besteht.
Vor allem Musikfilme werden vom Publikum gut angenommen, zumal das gesungene Wort die mangelhafte Tonqualität eher verzeiht...