Wie alles anfing
Zu verdanken habe ich die Segelleidenschaft meinen Eltern. Das Abitur war bestanden, und als Belohnung fuhren wir ein letztes Mal gemeinsam in Urlaub, an den Wörthersee in Österreich. Ich durfte mich für einen 14-tägigen Segelkurs anmelden. Bei allerbestem Flauten-Wetter dümpelte die Ausbildungsgruppe auf Jollen und einer Yacht auf dem See herum, nur gelegentliche kleine Brisen ließen ahnen, dass Segeln auch so richtig Spaß machen kann.
Studium, Beruf, Alltag – knapp zwei Jahrzehnte vergingen, in denen das Segeln bis auf die seltene Ausleihe einer Jolle in Vergessenheit geriet.
Es war Anfang der 80er Jahre, als das Windsurfen in Mode kam und mein Interesse am Segeln neu entfachte. Ersten Versuchen auf dem Oortkatener See im Südosten Hamburgs mit einem riesigen Brett (wie man es heute für das Stehpaddeln wieder sieht, jede Mode scheint sich irgendwie zu wiederholen:) und extrem schlecht geschnittenem Segel folgten mit zunehmender Erfahrung und besserem Material ganz allmählich wunderbare Wochenenden auf Fehmarn und in Hvide Sande. Im Flachwasser konnte man dort nach einem Sturz leicht wieder auf das Brett kommen, die neuen Bords waren klein und schlank, die Segel leicht, am Achterliek ausgestellt und gelattet. Kurz und gut, es war ein Flitzen und Rauschen über das Wasser, herrlich.
Wäre da nicht die Kälte gewesen, wäre ich dem Surfen treu geblieben. Der Neopren-Anzug schützte zwar vorm Auskühlen, aber die Feuchte auf der Haut, der kalte Wind, das ständige Frösteln und Zittern waren nicht sonderlich angenehm.
Wieder folgten Jahre ohne Segeln. Mitte der 90er Jahre war es dann soweit, dass mich das Yachtsegeln interessierte. Die finanziellen Voraussetzungen für die Anschaffung eines Kielbootes waren gegeben, Neugierde und Interesse wieder geweckt. Zwangsläufig mussten die Segelscheine her, ich besaß ja nur den A-Schein.
Für den Sportbootführerschein See zum Führen eines Bootes mit einem Motor von mehr als 5 PS meldete ich mich ganz brav bei einer Segelschule an. Im Wesentlichen ging es um das Erlernen der Theorie, das Praxis-Angebot beschränkte sich auf die eine Trainingsstunde auf einem Motorboot mit entsprechender Leistung. Die Unterrichtsabende in der Schule gestalteten sich sehr angenehm. Eine junge Studentin führte durch sämtliche Themen, die Atmosphäre war locker und entspannt. Die Zeit verstrich im Nu. Wenige Tage vor der Theorie-Prüfung musste ich allerdings feststellen, dass ich viele Fragen aus dem Prüfungspool nicht beantworten konnte. Mir wurde klar, dass ich den Stoff nochmals in aller Gründlichkeit alleine durchgehen musste. Das war auch gut so, denn anders hätte ich die Prüfung nicht bestanden. Das gab mir zu denken. Die Theorie zu allen weiteren Führerscheinen und Zeugnissen habe ich autodidaktisch gelernt, mit Erfolg und einer großen Ersparnis an Geld und Zeit.
Die Praxisprüfung für den Sportbootführerschein See musste auf einem echten Schlepper ablegt werden, einem wesentlich größeren und stärkeren Boot als in der Trainingsstunde. Ich hatte Glück, musste lediglich ein Ablege-, und ein Mann-über-Bord Manöver fahren (das heißt wohl neuerdings politisch korrekt Mensch-über-Bord Manöver, das sagen mir meine Chartergäste, später mehr dazu). Ob ich das Anlegen mit dem schweren Kahn geschafft hätte, wage ich zu bezweifeln. Der weiterführende Schein war der BR-Schein, heute Sportküstenschifferschein, SKS, schließlich wollte ich auf die Elbe, die Nord-und die Ostsee. Die wesentlich umfangreichere Theorie erlernte ich wiederum in Eigenregie, die Prüfung fand beim DSV in Hamburg Steilshoop statt. Ein beglückendes Gefühl, eine Prüfung zu bestehen, die diesen Namen auch verdient. Mehrere Prüfer hatten ein wachsames Auge auf das Geschehen, man musste sich also verdammt anstrengen, die Durchfallquote beim DSV war nicht ohne. Die Praxisprüfung zum BR-Schein stand an beim BSC, dem Blankeneser Segel-Club e.V., ein spannendes, lehrreiches Ereignis, machte riesigen Spaß. Peilen mit der Peilscheibe, mit dem Stand-, dem Handpeilkompass, das Herstellen eines Tacklings, Leinenwurf und natürlich die Segel-Manöver auf der Elbe im Gezeitenstrom. Geschuldet war dieses wundervolle Prüfungsevent dem selbstlosen Engagement eines Seniors des Vereins. Seemannschaft at its best! Unbezahlbar, wenn einem etwas vorgelebt wird, was man später in der Realität so häufig vermisst. Hilfsbereitschaft, Rücksichtnahme, Respekt vor der See. Seemannschaft ist viel mehr als nur das fachgerechte Steuern eines Bootes.
Parallel zum Theorie-Erwerb wollte ich endlich auch Praxis gewinnen auf einer ´richtigen´ Yacht. Bei der Hamburger Agentur Schoenicke Skipperteam, buchte ich einen Überführungstörn von Kiel in die Westerschelde.
Die Dinge, die man das erste Mal tut, vergisst man bekanntlich selten. So ist mir dieser Törn auch heute noch in guter Erinnerung. Der Skipper war ein Schwergewicht in seinen 40ern, entsprach dem Bild eines Seebären. Er hatte viel Erfahrung, strahlte Ruhe aus, agierte mit Bedacht. Bis heute profitiere ich von ihm. In schwierigen Situationen nicht die Ruhe zu verlieren, eine Grundvoraussetzung für sichere Seefahrt, ein wichtiger Baustein bei der Bewältigung eines Seenotfalls.
So fuhr ich das erste Mal durch die Kieler Schleuse, den NOK, die Brunsbütteler Schleuse, segelte auf der Unterelbe, steuerte Cuxhaven an, auf einer Malö 106. Die Yacht gefiel mir auf Anhieb, ein gemütlicher Salon, zwei schöne Kammern, die passende Größe für eine 3-Mann Besatzung: Skipper Hans, Mitsegler Uwe, mit dem ich noch heute in Kontakt stehe und ich. Uwe kam später mehrfach bei mir an Bord, eine Woche sogar mit seinen Neffen, spielverrückte Jugendliche, die auch noch weit nach Mitternacht ein endlos dauerndes Brettspiel nicht beenden wollten, dabei Unmengen an Süßigkeiten, zuckerhaltigen Getränken und Knabberkram zu sich nahmen. Das gleiche Phänomen konnte ich beobachten bei den Familientörns in der Adria, aber auch dazu später mehr.
Die Crew, also Uwe und ich, wurde in Cuxhaven zum Bunkern von Lebensmittel an Land geschickt. „Eine Flasche Rum bringt bitte auch mit!“ Der Wunsch des Skippers war uns Befehl und wurde natürlich erfüllt. Tide und Wind drängten uns am Abend abzulegen. Leinen los für eine Nachtfahrt auf der Nordsee, vorbei an den Ostfriesischen Inseln. Auf Höhe Wangerooge war es meine Wache. Die Leuchtfeuer waren gut auszumachen, den Fischern konnte ich ausweichen, die See blieb ruhig, der mittlere Wind gut beherrschbar, alles ganz prima.
Anderntags vor Ameland war es wiederum meine Wache. Der Skipper hatte den Kurs vorgegeben, den ich so genau wie möglich hielt. Das Lot zeigte ganz allmählich immer weniger Tiefe, Uwe und ich schauten uns an, und wir beschlossen, den Skipper aus seinem süßen Schlaf zu holen. Uns war aufgefallen, dass die Buddel Rum leer getrunken war, und wir beide hatten davon keinen einzigen Schluck genommen.
Es dauerte eine ganze Weile, bis er an Deck kam, und zwischenzeitlich zeigte das Lot weniger als 2m. Hans bewies aber seine Nehmerqualität und steuerte uns professionell und sicher von den vorgelagerten Sänden herunter. Als wir die 5m Linie wieder erreichten, fiel mir ein Stein vom Herzen, schließlich hatte ich gesteuert. Die Vermutung lag nahe, dass der Skipper bei seiner Kursvorgabe den Versatz durch Strom und Wind nicht auf dem Zettel gehabt hatte, durch den wir zu weit in Landnähe gedrifftet waren. Zumindest wäre das die einzig nachvollziehbare Erklärung.
Unvergessen blieb mir auch, nur im Schneckentempo gegen die gewaltige Strömung im Ärmelkanal voran zu kommen. Man hatte den Eindruck zu stehen. Ferner, in die Schleuse der Westerschelde einzufahren. Ein bedrückendes Gefühl, in der engen, extrem hohen Schleusenkammer eingeschlossen zu sein, die 10 oder mehr Meter hochzuschauen und zu wissen, dass die Wassermassen der Schelde nur durch ein Schleusentor zurückgehalten wurden.
Eine zweite Überführungsfahrt startete auf Mallorca, ging über die ionischen Inseln durch die Straße von Messina, rund um den Stiefel in die Adria. Diesmal waren wir zu fünft, lauter Geschlechtsgenossen. Der Supermarkt-Transporter in Alcudia hatte Mühe, unseren Einkauf mit einer Fuhre zu transportieren, für jeden Tag eine Palette Bier, jeweils 24 Dosen á 0,5l. Nach 8 Tagen war dieser Vorrat erschöpft, es musste nachgebunkert werden.
Das ganze Gut auf der Nauticat 45 zu verstauen war überhaupt kein Problem. Der Motorsegler hatte jede Menge Platz, einen riesigen Decksalon, einen gewaltigen Motorraum, eine großzügige Pantry, drei geräumige Kammern und zwei Toiletten. Die Eignerkabine teilte ich mit jemandem aus dem Ruhrgebiet, eine eher unangenehme Erfahrung. Der gute Mann war ziemlich einfach strukturiert, kommentierte den Bordalltag häufig mit blöden Sprüchen. Da hätte ich mir schon mehr Abstand gewünscht als gemeinsam in einer Doppelkoje zu liegen. Trotzdem blieb mir auch diese Reise in bester Erinnerung. Ich ging zwar aus beruflichen Zeitgründen bereits in Dubrovnik von Bord, erfuhr später noch von den anderen, dass sie eine heftige Bora auf die Mütze bekommen hatten (hätte ich natürlich auch mal gerne miterlebt), aber Hans, er war auch diesmal Skipper...