ERSTER SCHLÜSSEL
Achtsamkeit
Meditation im Alltag und andere Glücks-Übungen
Achtsamkeit ist nicht unbedingt ein Wort unserer täglichen Umgangssprache. Und doch ist es ein Begriff, der unseren Zugang zur Gelassenheit entscheidend mitbestimmt. Achtsamkeit bedeutet, behutsam mit mir selbst, mit meinem Körper, meinem Geist und meiner Seele umzugehen, mich nicht zu verletzen und nicht verletzen zu lassen, mich von schlechten Gewohnheiten zu trennen, die mir schaden, und für mich zu sorgen, damit es mir gut geht. Denn ich bin der wichtigste Mensch auf der Welt für mich. Ein Satz, der manche verunsichert: Aber er hat nichts mit Arroganz oder Rücksichtslosigkeit zu tun. Es ist die Verbeugung vor der Schöpfung. Wozu bin ich auf der Welt? Um zu leben. Mein Auftrag ist es, das Beste aus dieser Zeitspanne zu machen.
Voraussetzung für Achtsamkeit ist Wahrnehmung: die äußere, über unsere Sinne, und die innere, über unsere Gedanken und Gefühle. Menschen, die unachtsam mit sich umgehen, spüren sich oft selbst nicht, hören nicht auf ihren Körper, auf die feinen Signale, die er uns sendet. Menschen, die unachtsam sich selbst gegenüber sind, so meine Erfahrung, nehmen sich selbst nicht wichtig genug. Alle anderen gehen vor. Aber die selbstlose Aufopferungshaltung bringt leider nicht das Maß an Zufriedenheit, das sie verspricht, sondern eher Bitterkeit, Überlastungsgefühle, Eifersucht, Neid, Ärger – »ach, es dankt einem ja doch keiner!« Und leicht entwickeln aufopferungswillige Menschen den Glaubenssatz: »Alle anderen haben es gut, nur ich bin hier der Depp.« Menschen, die sich selbst nicht wichtig genug nehmen, nehmen anderen gern etwas übel.
Der Weg aus dem Dilemma: Sich selbst wahrnehmen. »Ja, das tut mir gut, davon will ich mehr.«
Achtsamkeit heißt, meine Sehnsucht zu spüren, meine Wünsche zu erkennen, mir klar zu werden, was mich glücklich macht. Das hört sich einfach an, ist es aber nicht. Die meisten Menschen brauchen einen kleinen Umweg, um sich selbst auf die Schliche zu kommen. Dabei können Spiele und Übungen helfen, wie beispielsweise die »Glückskurve«.
Schauen Sie sich doch mal die Glückskurve Ihres Lebens an. Zeichnen Sie dafür auf einem großen Blatt eine Lebenslinie von Ihrer Geburt bis heute (siehe Vorlage auf der nächsten Seite), tragen Sie wichtige Ereignisse Ihres Lebens ein, zusammen mit den Jahreszahlen: Schulabschlüsse, Zeiten der Berufstätigkeit, Jobwechsel, Beförderungen, Kündigungen, Umzüge, Verliebtheiten, Zusammenziehen, Kinder, Trennungen... Nehmen Sie sich Zeit dafür, viele Erinnerungen sind verborgen und brauchen Raum, sich zurückzumelden.
Betrachten Sie die Stationen. Wie zufrieden waren Sie in den verschiedenen Phasen, was waren die glücklichsten Momente Ihres Lebens? Bewerten Sie die Phasen auf der Glücksskala von 0 bis 10. Schauen Sie sich nun die »Ausreißer« nach oben an. Was machte Sie froh und glücklich zu dieser Zeit? Erkennen Sie Gemeinsamkeiten zwischen den Spitzenzeiten? Im nächsten Schritt notieren Sie Ihre »Glücklichmacher«. Das heißt, analysieren Sie, was damals zu dem Wohlgefühl beigetragen hat. Diese Punkte können Ihnen wichtige Hinweise geben, wovon Sie mehr in Ihrem Leben brauchen.
Ihre Glückskurve
Bitte entscheidende Stationen Ihres Lebens eintragen (Umzüge, Jobs, Erfolge, Krisen, familiäre Veränderungen) und für jede Station den Glücksfaktor ankreuzen (1 = wenig, 10 = sehr glücklich).
Auswertung
Was haben die Stationen mit hohem Glücksfaktor gemeinsam?
Was haben die Stationen mit niedrigem Glücksfaktor gemeinsam?
Welche Schlussfolgerungen ziehen Sie daraus?
Hier das Beispiel einer an sich erfolgreichen Frau, die trotzdem nicht richtig glücklich ist, Maria K., 34, kaufmännische Leiterin in einem mittelständischen Unternehmen. Im Coaching zeichnet sie ihre Glückskurve, die Ergebnisse fasst sie folgendermaßen für sich zusammen: »Die glücklichsten Zeiten waren während meines Aufenthalts als Austauschschülerin in England, in meiner Au-pair-Zeit in Paris und zu Beginn meines vorherigen Jobs, vor circa sieben Jahren.« Während sie das sagt, leuchten ihre Augen.
Was verbindet diese drei Zeiträume? »Ich war frei, kam aus der Enge unserer Kleinstadt heraus, entzog mich den Erwartungen meiner Familie, konnte das machen, was ich wirklich wollte.« Ihr Körper strafft sich, Energie fließt. »In diesem Job konnte ich ziemlich frei entscheiden, hatte ein eigenes Arbeitsgebiet mit großen Erfolgserlebnissen. Ich hatte einen fantastischen Chef, der mir dies ermöglichte. Als er nach ein paar Jahren ging, kam ich mit dem Nachfolger nicht zurecht. Da war es aus mit der Freiheit. Ich suchte mir eine andere Stelle.«
Als ihre »Glücksmacher« notiert sie: Unabhängigkeit, Freiheit, Selbstentscheidung, Abenteuer, Herausforderungen, Spaß, interessante Menschen, Selbstverantwortung.
Als sie sich diese Liste ansieht, weiß sie, warum sie in ihrem jetzigen Job unglücklich ist: zu viel Routine, zu viel Kontrolle, zu wenig Entscheidungsfreiheit. Dazu kommt: Sie ist in die Nähe ihres Heimatortes zurückgezogen und fühlt sich verpflichtet, ihre Eltern regelmäßig zu besuchen. Ihr Freiheitsdrang und der Wunsch nach Selbstbestimmung leiden darunter, ihre Freude am Entdecken von Neuem liegt brach. Doch vor lauter Pflichtbewusstsein und »du musst doch froh sein, einen so schönen Job zu haben«, hat sie ihre Sehnsüchte ignoriert.
Sie beschließt, sich ganz in Ruhe eine andere Stelle zu suchen. Nichts Überhastetes, Unüberlegtes, nichts aus dem Reflex Geborenes, sondern ganz überlegt. Kein Wunder, dass in der Beschreibung ihres Traumjobs Unabhängigkeit und Herausforderung ganz vorne stehen.
Unsere Werte zu leben, das bringt uns in Einklang, führt zur Gelassenheit. Was sind wichtige Werte? Überlegen Sie einmal für sich, was Ihnen wirklich wichtig ist: Freiheit, Spaß, Gerechtigkeit, Sinn, Verantwortung, Abenteuer, Erfolg, Muße, Unabhängigkeit, Sicherheit, Einfluss, Harmonie, Status, Ästhetik, Kollegialität, Ordnung, Anerkennung, Freude...? Können Sie Ihre wichtigsten Wertvorstellungen leben? Fehlt Ihnen etwas?
Viele Menschen schrecken vor Veränderungen in ihrem Leben zurück, weil sie fürchten, ihren »Lebensstandard« nicht halten zu können. Doch wenn ich mir manche traurigen, grauen Gesichter ansehe, frage ich mich, von welchem Lebensstandard sie sprechen? Die zwei Wochen teurer Urlaub im Jahr? Das große Haus? Das luxuriöse Auto? Viele zahlen dafür einen hohen Preis. Das Wort Lebensstandard klingt so verdammt nach »Leben von der Stange«. Wie wäre es mit einem Leben, das für Sie maßgeschneidert ist?
Gegen unsere Werte zu leben, das habe ich in Hunderten von Gesprächen gelernt, raubt uns Energie und Lebensfreude, kann letztendlich krank machen. Liebevolle Achtsamkeit hilft uns, auf die feinen Signale des Körpers zu hören, die uns sehr früh Unzufriedenheit anzeigen: Die morgendliche Unlust, aufzustehen und ins Büro zu gehen. Das leichte Kopfweh nach einem anstrengenden Tag mit den Kindern. Das Sodbrennen, der verspannte Rücken, diese Müdigkeit, die Lustlosigkeit... Unser Körper ist unser bester Verbündeter, wenn wir es nur wollen, denn er signalisiert uns rechtzeitig: Es geht mir nicht gut.
Ignorieren wir allerdings die feinen Signale, dann muss er zu härteren Bandagen greifen: Aus dem Kopfweh wird vielleicht die Migräne, aus den Verspannungen eventuell der Bandscheibenvorfall, aus dem Sodbrennen das Magengeschwür... Und schon sind wir – wenigstens für einige Zeit – aus der belasteten Situation heraus, müssen uns schonen, finden gezwungenermaßen die Ruhe, die wir uns selbst nicht gönnen wollten. Aus vielen Erzählungen kenne ich den Zusammenhang zwischen Unglücklichsein und Krankwerden. Seltsam, dass wir erst des richtigen »Hammers« bedürfen, um endlich etwas zu ändern.
Achtsamkeit kann uns, wenn wir offen dafür sind, auch unsere eigenen schwachen Seiten zeigen. Sie ist Grundlage von Selbstreflexion. Wir sollten uns nicht scheuen, auch unsere »Schattenseiten« genau anzuschauen, was treibt mich an, worauf bin ich eifersüchtig oder neidisch, wen mag ich einfach nicht? Ja, es gibt solche Gefühle, machen wir uns nichts vor. Ich kenne wenige Menschen, die nie auch nur einen Hauch von Neid oder Abneigung verspüren. Wenn wir die Schattengefühle ignorieren, verschwinden sie dadurch nicht automatisch. Sie machen sich nur unsichtbar, ätzen aber weiter. Nur wenn wir sie wahrnehmen, bekommen wir die Chance, sie auch wieder loszuwerden.
Konfrontieren wir diese Schatten: Woher kommt dieses Gefühl? Warum glaube ich, im Vergleich zu anderen, zu kurz zu kommen? Was reizt mich an dem, was der andere hat? Was...