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E-Book

2865 Tage

Der Fall Peter Heidegger

AutorFranz Mahr, Reinhard Grabher
VerlagCzernin Verlag
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl256 Seiten
ISBN9783707605624
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis14,99 EUR
'Damals hatte ich noch die Hoffnung, dass bei der Hauptverhandlung endlich die Wahrheit ans Licht kommt und ich wieder nach Hause kann. Nach der Verurteilung wegen Raubmordes, den ich nicht begangen habe, brach alles zusammen, ich konnte nicht glauben, was da mit mir geschehen war.' Im Juni 1994 wird der Fliesenleger und Präsenzdiener Peter Heidegger wegen Raubmordes in Salzburg verurteilt. Er wird für schuldig befunden, die Taxifahrerin Claudia Deubler beraubt und erschossen zu haben. Peter Heidegger kämpft jahrelang um die Wiederaufnahme des Verfahrens. Seine Verteidiger stoßen dabei auf unzählige Versäumnisse und Fehler in der Arbeit der Kriminalbeamten. Es kommt zu einem zweiten Verfahren: Peter Heidegger wird wieder angeklagt, seine Unschuld klar bewiesen, die Ermittlungspannen werden aufgedeckt. Nach acht Jahren Gefängnis, nach 2865 Tagen Haft, wird er freigesprochen. Der Fall Peter Heidegger ist einer der größten Justizirrtümer Österreichs - wenn nicht der größte überhaupt. Das Buch schildert, sowohl aus der Sicht von Peter Heidegger als auch auf Basis der umfangreichen Protokolle und Akten, das Zustandekommen des Fehlurteils, die Wiederaufnahme des Verfahrens und den Beweis der Unschuld des Fliesenlegers.

Reinhard Grabher, Mag. phil., geboren 1961 Rankweil/Vlbg. Germanistik- und Geografiestudium Salzburg. Seit 1990 mit Unterbrechungen in der Informationsabteilung des ORF Landesstudio Salzburg als Redakteur, Chef-vom-Dienst und Nachrichtenmoderator tätig. Hat sich seit dem ersten Tag des Mordes intensiv mit dem Fall Peter Heidegger auseinandergesetzt. Franz Mahr, Prof. Mag. Dr. iur., geboren 1948 in Salzburg. Lehre: Technischer Zeichner, Bautechniker, Baukaufmann, Einkaufsleiter, Abendgymnasium für Berufstätige, Studium der Rechtswissenschaften, Rechtsanwalt, Organisation und Controlling im Bundesministerium für Wissenschaft und Forschung, Innungssekretär für das Bauhaupt- und Baunebengewerbe, Ass.-Prof. Universität Salzburg, Fachbereich Arbeits-, Wirtschafts- und Europarecht, Verteidiger in Strafsachen.

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Leseprobe

 

Prolog

 

Wann genau der Schuss fiel, der die junge Salzburger Taxifahrerin Claudia Deubler in der Nacht vom 5. auf den 6. Juli 1993 augenblicklich getötet hat, blieb lange Jahre im Dunkeln. Dabei wäre es angesichts der Entwicklungen und Fahndungsergebnisse, die dieser Bluttat folgen sollten, in vielerlei Hinsicht von besonderer Bedeutung gewesen.

Ebenso wichtig wäre es gewesen, die genaue Uhrzeit festzuhalten, zu der Zlatko Josipovic und Dunja Danica auf dem Heimweg von der Disco »L.A.« in Salzburg das Taxi gesehen haben, das mit offener Fahrertür und eingeschaltetem Standlicht neben dem Au­schneidersee in Wals-Käferheim gestanden ist. Die beiden waren eigentlich schon am Taxi vorbeigefahren, als sie eine Person neben der Fahrertür liegen sahen.

Käferheim ist ein Ortsteil der Gemeinde Wals-Siezenheim. Die von der Struktur her an sich landwirtschaftlich geprägte Nachbargemeinde von Salzburg hat sich in den vergangenen Jahren enorm entwickelt. Vor allem im unmittelbaren Grenzbereich zur Mozartstadt sind Gewerbeflächen und Einkaufszentren entstanden. Allein, davon ist im Jahr 1993 im Ortsteil Käferheim noch recht wenig zu spüren. Kleine Siedlungen, Reihenhäuser und einzelne Wohnhäuser bestimmen das Erscheinungsbild. Gewerbe gibt es kaum. Nur direkt neben der wenig befahrenen Käferheimstraße liegt die Schottergrube der Salzburger Sand- und Kieswerke und der kleine Auschneidersee. Unmittelbar vor der Einfahrt zur Schottergrube steht das Taxi von Claudia Deubler, ein dunkelblauer Ford Sierra Kombi.

»Es hat so ausgesehen, als würde jemand unterm Auto etwas reparieren«, erinnert sich Dunja Danica Jahre später an die Mordnacht und den Tatort.

Erst als sie und ihr Begleiter Zlatko näher kommen, sehen sie die Tote. Der Leichnam der 28 Jahre alten Taxifahrerin Claudia Deubler liegt neben der offenen Fahrertür, der Oberkörper ragt etwas in den Türrahmen hinein, unterhalb des Kinns können sie eine Wunde erkennen.

Dunja Danica wohnt lediglich 300 Meter vom Tatort entfernt. Mit dem Auto brauchen sie und Zlatko Josipovic weniger als eine Minute für diese Strecke. Ein Katzensprung, wie man zu solch kurzen Entfernungen zu sagen pflegt. Die junge Frau betätigt den Notruf der Polizei: Beim Auschneidersee im Ortsteil Käferheim von Wals-Siezenheim liegt direkt vor der Einfahrt zur Schottergrube eine Taxifahrerin tot neben ihrem Fahrzeug.

Gendarmerieinspektor Dieter Schnabel ist in diesen Minuten alleine am Posten in Wals-Siezenheim. Es ist eine milde Nacht. Tagsüber war es zwar wechselhaft, aber doch sommerlich heiß. Der starke und böige Westwind kündigt nun eine weitere Regenfront an. Schnabels Kollegen vom Gendarmerieposten Wals-Siezenheim, die mit ihm Nachtdienst haben, sind gerade unterwegs, einen kleinen Verkehrsunfall aufzunehmen. Auch er wird sich Jahre später nicht mehr genau erinnern können, wann er von der Einsatzzentrale vom Notruf der völlig aufgelösten Dunja Danica informiert worden ist.

Da seine Kollegen gerade mit dem Verkehrsunfall beschäftigt sind, beordern die Beamten in der Einsatzzentrale einen Streifenwagen aus dem Nachbarort Großgmain zur Schottergrube am Auschneidersee. Notrufe landen in der Funkleitstelle des jeweiligen Bezirkskommandos, von dort werden dann über Funk der zuständige Posten und jener Streifenwagen alarmiert, der den kürzesten Weg zum Einsatzort hat.

Vom Gendarmerieposten Wals-Siezenheim bis zum Tatort im Ortsteil Käferheim sind es für Schnabel mit dem Auto nur wenige Minuten, auch der Streifenwagen aus dem Nachbarort Groß­gmain ist innerhalb kurzer Zeit am Tatort.

Ein kurzer Blick und die Alarmierungskette wird in Gang gesetzt. Über Funk werden weitere Streifenwagen angefordert, die Spurensicherung und die Kriminalabteilung des Landesgendarmeriekommandos Salzburg werden informiert. Dort hat in dieser Nacht Herwig Lanschützer Bereitschaftsdienst. Ehe er sich selbst auf den Weg von der Zentrale in Salzburg hinaus zum etwa zehn Kilometer entfernten Tatort in Wals-Siezenheim macht, verständigt er der Reihe nach die Kollegen.

Einer der Kriminalbeamten, der erfahrene und lang gediente Hans-Jörg Lassnig, wohnt sogar in der Nähe des Tatorts, er ist deshalb nach den uniformierten Streifenbeamten und dem Gendarmerieinspektor Dieter Schnabel der erste Ermittler am Tatort. Schnabel informiert aber auch unverzüglich die Polizei in der benachbarten Stadt Salzburg, die Grenzkontrollposten und die Militärstreife der vier Kilometer entfernten Schwarzenbergkaserne, und bittet sie alle, die Augen offen zu halten.

Die Gemeinde Wals-Siezenheim liegt nicht nur in unmittelbarer Nachbarschaft zu Salzburg, sondern auch zur Grenze nach Deutschland. Der viel befahrene Autobahngrenzübergang Walserberg gehört zum Gemeindegebiet und ist nicht weit vom Tatort entfernt. In Wals befindet sich zudem eine der größten Kasernen in Österreich.

Auch Wolfgang Walkner sollte sich später nicht mehr genau entsinnen können, wann er im Polizeifunk auf den Mord aufmerksam wurde. Der damals 40-Jährige verdiente sein Geld damit, bei Unfällen und Verbrechen als Erster am Ort des Geschehens zu sein. Seine Fotos und seine Filmaufnahmen waren bei Zeitungen­ und Fernsehen sehr geschätzt. Dass er dafür ständig illegal den Polizeifunk mithörte, war seinen Auftraggebern und Kollegen ebenso bekannt wie vielen bei Polizei und Gendarmerie. Das eine oder andere Mal hatte er deswegen zwar schon eine Verwaltungsstrafe aufgebrummt bekommen, diese Strafen nahm er aber achsel­zuckend zur Kenntnis.

Wie so oft ist Wolfgang Walkner auch an diesem Abend der Schnellste. Er hat am Handfunkgerät, das er ständig mit sich trägt, gleich die erste Alarmierung mitbekommen. Zu diesem Zeitpunkt befindet sich der Pressefotograf in der Nähe des Salzburger Hauptbahnhofes. Raus aus dem Lokal, ins Auto einsteigen und losfahren, oder eigentlich: losrasen – das ist bei Wolfgang Walkner eine einzige zusammenhängende Bewegung. In seinem Auto hat er stets alles bei sich, was er für die begehrten Fotos und Videoaufnahmen braucht.

Fast zeitgleich mit dem ersten Streifenwagen trifft Wolfgang­ Walkner am abgelegenen Tatort ein. Im Schlepptau des rasenden Reporters befinden sich auch zwei Journalisten der »Kronen Zeitung«. Sie sind gerade dabei, ihren Arbeitstag in einem Lokal, dem »Fidelen Affen«, in der Salzburger Altstadt ausklingen zu lassen, als sie vom Roten Kreuz angepiept werden. Auch dort, in der Funkleitzentrale, hat man die Mordalarmierung mitbekommen.

Als die beiden bei der Fahrt von der Stadt Salzburg Richtung Wals vor sich plötzlich das Auto von Wolfgang Walkner und das Blaulicht eines Streifenwagens erkennen, brauchen sie sich nur anzuhängen – was schwierig genug ist –, um zum Tatort zu finden.

Lange noch bevor die Spurensicherung am Tatort mit ihrer Arbeit beginnt, hat Wolfgang Walkner schon die ersten Fotos geschossen und etliche Szenen für das österreichische Fernsehen mit seiner Kamera aufgenommen. Ausgerechnet seine Fotos und nicht jene der Spurensicherung sollten viele Jahre später vor Gericht eine besondere Bedeutung erlangen. Wolfgang Walkner fotografiert die Tote, wie sie neben dem Auto halb aufgerichtet liegt. Im Hintergrund dieser Fotos werden Teile des Fahrzeuginneren festgehalten: Lenkrad, Sitze, Armaturenbrett, Taxameter.

Den beiden Beamten der Spurensicherung und den ermittelnden Kriminalbeamten steht der Pressefotograf nicht im Weg. Sie kennen sich seit langer Zeit, keiner behindert den anderen. Für die Spurensicherung sind die Kriminaltechniker der städtischen Polizei Salzburg zuständig. Fritz Demoser hat die undankbare Aufgabe, den Leichnam oberflächlich zu untersuchen. Während sein Kollege Alfred Häusle am Tatort zahlreiche Fotos zur Beweissicherung macht, sucht Fritz Demoser nach Ungereimtheiten, nach Indizien und Beweisen, die erkennen lassen, wie es zur Gewalttat gekommen ist und ob der Fundort der Leiche auch der Tatort ist. Schon nach wenigen Minuten steht für ihn fest, dass Claudia Deubler hier getötet wurde, vermutlich durch einen Schuss aus unmittelbarer Nähe knapp unterm Kinn in den Hals.

Unterdessen kommen weitere Kriminalbeamte zum Tatort, darunter der mit knapp 33 Jahren noch relativ junge stellvertretende Leiter der Kriminalabteilung der Salzburger Gendarmerie, Albert Laschober. Da der eigentliche Chef der Kriminalabteilung derzeit auf Urlaub ist, übernimmt Laschober die Koordinierung der Ermittlungen und die Pressearbeit. Ein Kriminalbeamter nach dem anderen erscheint am Tatort, auch Peter Tutschku, Leiter der Salzburger Funktaxivereinigung, wurde aus dem Bett geläutet und ist von Salzburg nach Wals-Siezenheim geeilt. Es ist inzwischen weit nach Mitternacht.

Tutschku ist es, der die Kriminalbeamten auf den Taxameter im Auto von Claudia Deubler hinweist. Die Uhr läuft nämlich noch immer, zählt genau geeicht in Warteposition alle 22 Sekunden eine Einheit weiter, das ist nach damaliger Währung ein Schilling. Seiner Meinung nach könne man mit Hilfe des Taxameters eventuell den Abfahrtsort des Taxis ermitteln. Es ist genau 1:40 Uhr, als die Kriminalbeamten seiner Anregung nachkommen und 470 Schilling auf der Taxiuhr ablesen. Es sollten aber dann viele Jahre ins Land ziehen, ehe diese Notiz eine Bedeutung erlangte.

Ansonsten verläuft die erste Arbeit am Tatort für die Spuren­sicherung und die Kriminalbeamten wenig erfolgreich: Weder ein Projektil noch eine Patronenhülse, geschweige denn die Tatwaffe können sie in einer ersten Suchaktion rund um den Tatort finden. Sogar zwei Suchhunde werden zum Tatort beordert, ein brauch­bares Ergebnis, eine konkrete Spur,...

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