Kapitel 2
Meuterei im Weltall
Handfester Streit zwischen Houston und Apollo
Es war im Herbst 1968 schon eine geraume Zeit her, dass das Apollo-Programm Schlagzeilen auf den Titelseiten der Zeitungen produziert hatte. Die Kärrnerarbeit in der Planung, die Entwicklung der Mondrakete unter dem Deutschen Wernher von Braun, hatte seit dem Desaster von Apollo 1 keine spektakulären Nachrichten oder Erfolge im All mehr geliefert. Das Programm verzögerte sich, und zum Bedauern der NASA-Verantwortlichen gesellten sich zu den technischen auch noch finanzielle Probleme. Im US-Kongress begann man sich zu fragen, ob der Aufwand gerechtfertigt sei. All dies aber machte den großen Wettlauf nur noch spannender.
Bis 1966 hatten die USA den Vorsprung der Sowjets nach Sputnik und Gagarin aufgeholt. Die Meinung der vom Raumfahrtfieber gepackten Weltöffentlichkeit tendierte Mitte des Jahrzehnts dahin, dass es wohl ein Amerikaner sein würde, der den ersten Fuß auf den Mondboden setzen würde. Jetzt aber war man sich da nicht mehr so sicher. Der Spiegel konstatierte Ende 1968: »Je länger das Rennen andauert, umso deutlicher wird, dass die beiden Supermächte einander in der Raumfahrttechnik ebenbürtig sind.« Und in den USA begann man, nicht nur an den Siegeschancen zu zweifeln. Die Stimmen, die den ganzen Sinn des aufwendigen »Space Race« infrage stellten, wurden immer lauter. Der Raumfahrt-Journalist William Shelton kritisierte im angesehenen US-Magazin Fortune das Mammut-Unternehmen als »die kostspieligste Parallel-Entwicklung in der Geschichte der Menschheit«. Und der republikanische Kongress-Abgeordnete Charles E. Goodell meinte sarkastisch: »Unser Budget-Defizit wird den Mond vermutlich eher erreichen als unsere Astronauten.«
Ein Stimmungswandel mit Folgen. Inzwischen hatten die Haushälter des US-Kongresses den NASA-Etat für das Mondprogramm deutlich zusammengestrichen, von umgerechnet 24 Milliarden Mark im Jahr 1966 – dem letzten vor der Katastrophe von Apollo 1 – auf weniger als 16 Milliarden Mark 1968. Aus dem Programm, das nun erst seinem Höhepunkt zustrebte, mussten rund 100 000 Beschäftigte entlassen werden. »Amerika hat zu viel Energie für den Mond aufgebracht«, kritisierte Mike Mansfield, der für Präsident Johnsons Demokraten im Senat saß, »und nicht genug für die Probleme, denen wir uns hier auf Erden gegenübersehen.« New Yorks Bürgermeister John Lindsay machte sich Sorgen um die zunehmend prekäre Situation in seinem Gemeinwesen: »Ich möchte nicht, dass Amerika von künftigen Generationen als eine Gesellschaft beschrieben wird, die inmitten von Schmutz, Unterdrückung und Gewalttätigkeit in ihren Slums stand und Raketen auf den Mond schoss.« Die Raumfahrt hatte in der Öffentlichkeit um ihre Legitimation zu kämpfen.
Die USA – ein krisengeplagtes Land
Sowieso war das irdische Weltgeschehen zu der Zeit wenig geeignet, Optimismus zu fördern. Der Vietnamkrieg eskalierte 1968, das US-amerikanische Engagement steuerte auf seinen Höhepunkt zu. Inzwischen schien es nicht mehr ausgeschlossen, dass die Amerikaner von den Nordvietnamesen und dem Vietcong besiegt und aus dem Land gejagt werden würden, dass der Weltkommunismus auf einen epochalen Sieg zusteuerte – im Himmel und auf der Erde. Die Niederschlagung des Prager Frühlings passte da nur zu gut ins Bild.
Rassenunruhen erschütterten die USA von innen. Im April 1968 war der schwarze Bürgerrechtler Martin Luther King erschossen worden. Die Regierung in Washington hatte in den letzten Jahren mehr als einmal die Nationalgarde in Südstaaten der USA schicken müssen, deren Gouverneure von der Rassentrennung nicht lassen wollten. Apokalyptische Bilder aus dem Biafra-Krieg in Nigeria, der Nahostkonflikt, der seit dem Sechstagekrieg im Vorjahr wieder aufgebrochen war – all das dämpfte die Zukunftseuphorie.
Auch in Europa hatte die Begeisterung für die Vereinigten Staaten Kratzer erhalten. Vor allem der Vietnamkrieg sorgte hier für Zweifel. Die aufkommende linke, rebellische »68er«-Jugend, für die das Vietnam-Thema sinnstiftend war, ging unter dem Signet eben jenes Jahres in die Geschichte ein. Deutliche Ansätze der Liberalisierung der Gesellschaft markierten das Ende der transatlantisch gesinnten Ära Adenauer. Filme wie Zur Sache, Schätzchen sorgten zwar für eine neue Leichtigkeit in den Kinos, doch Schlagworte wie »Sexuelle Revolution« und »Emanzipation« spalteten die Bevölkerung in Alt und Jung, Hippies gegen Bürgertum, Links gegen Rechts, legal gegen illegal. Andererseits verlor der Blick über den »Großen Teich« auch an Neid und unstillbarer Sehnsucht, je schwächer der Dollar und je stärker die Mark wurde, je mehr Deutschland zum Exportweltmeister avancierte und die Wirtschaft, das »Modell Deutschland«, zum Erfolgsfaktor auf der Welt. Das Wirtschaftswunder war inzwischen eine etablierte Größe, neue Auto-Typen wie der Ford Capri und der Opel GT ließen nun auch »Otto Normalverbraucher« am Wohlstands-Protz teilnehmen. Wozu also noch vom Cadillac oder Chevrolet träumen?
Die Beatles standen Ende der 60er-Jahre vor dem Aus, und was tat sich sonst in der Musik? David Bowie arbeitete an seinem Jahrhundert-Hit Space Oddity, den er 1969 veröffentlichte, mit der Geschichte von Major Tom, der im Weltraum verloren ging – eine Schreckensvorstellung, die die Verantwortlichen in den USA und Russland bis zum heutigen Tag durch hyperkorrekte Berechnungen bei der Rückkehr der Astronauten zur Erde im Bereich eines Albtraums zu halten vermochten.
»So ein Affentheater – ich habe hier das Kommando«
So stellt sich die Weltlage dar, als die NASA am 11. Oktober 1968 die letzte Runde im Rennen einläutet. Noch ist in der Öffentlichkeit nirgendwo die Rede von dem Mond-Abenteuer, in das man Apollo 8 bald schicken will. Jetzt, drei Wochen nach der Landung der sowjetischen Mondsonde unter den Augen der CIA im Indischen Ozean, steht zunächst der erste bemannte Apollo-Flug (»Apollo 7«) auf der Agenda, seit Langem geplant und, wie gehabt, nur in die erdnahe Umlaufbahn. Auch noch ohne die Mondrakete Saturn V, stattdessen mit der kleineren, bereits fünf Mal getesteten Saturn IB. Ein neuer Versuchslauf immerhin ist geplant: Kommandant Walter Schirra soll schon mal ein wenig Mondlandung spielen dürfen, indem er die Apollo-Kapsel nach dem Abkoppeln von der dritten Stufe wendet und so tut, als wolle er die Landefähre aus der Rakete ziehen, auch wenn die noch gar nicht an Bord ist. Zwei Tage lang wird man entsprechende »Rendezvous«-Manöver üben.
Dass auch Apollo 7 bereits Raumfahrtgeschichte schreiben würde, auf gänzlich ungewollte Weise, liegt allerdings an etwas anderem. Zum Beispiel daran, dass nun eine Fernsehkamera an Bord mitfliegt. Jetzt, bei ihrem ersten Auftritt im All, wird sie gleich für Probleme sorgen. Nicht zuletzt an ihr wird sich eine Auseinandersetzung entzünden zwischen der Apollo-Crew unter ihrem Kommandanten Walter Schirra und der Bodenstation. Während des elf lange Tage andauernden Fluges kommt es zu Streitigkeiten zwischen Himmel und Erde, die in der Raumfahrtgeschichte beispiellos sind, aufgehängt an einer Vielzahl von Kleinigkeiten. Hinterher wird man bei Apollo 7 von der ersten »Meuterei im Weltraum« sprechen.
Womöglich hätte man das Drama kommen sehen können. Schon bei den Vorbereitungen von Apollo 7 »schlug Wally Schirra dauernd Krach, war zickig und brüllte wegen jeder Kleinigkeit herum«, beschreibt Flugdirektor Chris Kraft in seinen Memoiren (Flight) die Laune des eigentlich routinierten Raumfahrers, der schon beim Mercury- und auch beim Gemini-Programm im All gewesen war. »Zwei Wochen vor dem Start kündigte er an, dass er nach der Mission aussteigen wollte, zur Unzeit, das machte mich total wütend.« Schirra schien schon vor dem Start keine Lust mehr zu haben. »Im Verlauf des Fluges wurde es immer schlimmer, er machte sich lächerlich.«
Der Dissens beginnt bereits kurz vor dem Start, als Schirra, schon mit seiner Mannschaft oben in der Kapsel liegend, den Abbruch fordert, weil zu starker Wind vom Atlantik her auf der Rakete steht. Der »Notausstieg« mit der kleinen Rakete auf der Spitze der Kapsel, eine Art Schleudersitz für die Apollo-Astronauten, könnte deshalb im Fall eines Fehlstarts nicht funktionieren, weil er die drei über das Land wehen würde, wo der Aufprall zu hart wäre. Schirras Bitte wird nicht erhört, und der Kommandant wird das nicht vergessen können. Noch Jahre später zürnt er in einem Interview vom 1. Dezember 1998 über diesen Moment: »Die haben da klar die Regeln gebrochen.« Alles läuft dann glatt beim Start. Als die Mannschaft aber schon in den ersten Tagen gleich von zwei Krankheiten geplagt wird – nicht nur von heftigem Schnupfen, sondern auch von der Raumkrankheit, vergleichbar mit der Seekrankheit –, da ist die Stimmung zwischen Himmel und Erde schon mal angeschlagen.
Mit Beschwerden über die Verpflegung geht es weiter. Die energiereichen Süßwaren, die auf dem Speiseplan stehen, verschmähen die Raumfahrer und äußern dies auch deutlich. Die Nutzung des Apollo-Abortes, nun zum ersten Mal im Praxistest, ekelt die Raumfahrer an, sie ist mühselig und dauert jedes Mal eine halbe bis dreiviertel Stunde. Die Klagelieder und die Diskussionen darüber nerven im Kontrollzentrum längst gehörig. Für Flugdirektor Chris Kraft, der dort mitverfolgen muss, wie seine »Capcoms« mit der Raumkapsel über Funk kommunizieren, ist es, als »säße ich in der ersten Reihe von ›Wallys Affentheater‹«. Er erinnert sich später daran, wie einmal eine kleine Änderung im Flugplan an die Kommandokapsel durchgegeben wird und Schirra mitten hineinplatzt: »Welcher Idiot im...