KAPITEL I
RENDEZVOUS IN MUIR WOODS
Ich hatte mich verirrt. Der Pfad, den ich durch die gigantischen Mammut-Bäume in Muir Woods nördlich von San Francisco gewählt hatte, war eingehüllt in dicken Bodennebel, und ich war weit entfernt vom ausgetretenen Pfad gewandert, der durch den Wald ging. Ich hatte keine Ahnung, in welche Richtung ich gehen sollte, und so wanderte ich bergauf, meine Sicht auf ein dutzend Schritte beschränkt, unter dem Blick der stummen Wächter, die sich in den Himmel streckten. Während ich mit den uralten Bäumen sprach und hoffte, dass sie vielleicht meine Gedanken hörten, sehnte sich mein Herz so sehr nach einer Begegnung mit einer erleuchteten Seele, die mir erklären würde, warum ich hier auf der Erde war.
Bis nach Indien war ich gegangen, um nach solchen Wesen zu suchen, aber ich fand keines – oder wenn ich jemanden gefunden hatte, blieb er still. Ich hatte noch keine persönliche Gottheit entdeckt, noch glaubte ich daran, dass Wesen von anderen Ebenen, falls diese sich der Erde bewusst waren, überhaupt von meiner Existenz wussten.
Es war 1973, ich war damals 28 Jahre alt und ich hatte ein sattes Leben gelebt. Ich hatte alles bekommen, von dem die Welt meint, es wäre wert, danach zu streben, aber nichts davon brachte mir anhaltendes Glück. Vielmehr hinterließen die vorübergehenden Freuden des Lebens in mir ein Gefühl der Leere. Ich hatte eine lange Reise in den Osten unternommen, in der Hoffnung, den Sinn des Lebens zu finden, und obwohl ich viele Wunder sah und Momente des erweiterten Bewusstseins erlebte, konnten mir die Heiligen Männer in Indien nicht meine Frage beantworten: Warum bin ich hier?
Jetzt wollte ich nicht mehr länger in diesem materiellen Dasein leben und suchte nach Wegen, wie ich meinen Körper verlassen konnte, um die Reise in eine höhere Sphäre anzutreten, in eines von diesen Reichen der Glückseligkeit, die ich in meinen Meditationen erfahren hatte, in denen Wesen in Liebe und Harmonie zusammenlebten. Ich wollte jedoch nicht im Paradies ankommen, damit mir gesagt wird, ich solle wieder auf die Welt zurückkehren, vielleicht als Tier, weil ich mir selbst das Leben genommen hatte.
Ich hatte in den Himalayas mit Gangotri Baba gelebt, einem Jünger von Hariakhan Baba, auch bekannt als Babaji, dem berühmten indischen Yogi, über den Paramahansa Yogananda geschrieben hatte, und welcher die Jugendlichkeit seines Körpers über hunderte von Jahren erhalten hatte.1 Als Gangotri Baba zum ersten Mal seinem Guru, der ihm seit Jahren in Träumen erschienen war, in einer Straße von Delhi begegnete, legte Babaji seinen Arm um ihn und transportierte ihn in seinem physischen Körper zum Himalaya. Nun bereitete sich Gangotri darauf vor, bei vollem Bewusstsein seinen Körper zu verlassen und sich mit seinem Meister zu verbinden, der nicht mehr in einem physischen Körper weilte, und auch ich sehnte mich nach derselben Freiheit von den Sorgen der Welt. Denn meistens hatte ich mich in meinem Leben wie ein Fremder an einem feindseligen und unvertrauten Ort gefühlt.
Lasst mich die Erde verlassen und an den Ort zurückkehren, von dem ich gekommen bin, betete ich.
Als es zu regnen begann, suchte ich Schutz im Stamm eines riesigen Redwood-Baumes, der durch Feuer ausgehöhlt worden war und eine natürliche Kathedrale bildete, in der ich sitzen und meditieren konnte. Ich praktizierte die Vipassana-Methode, wie ich es gelernt hatte, die Augen geöffnet und leicht auf den Boden gerichtet, und beobachtete den aufsteigenden Dunst meines Atems vor mir. Als ich zu meditieren begann, nahm ich das Auf- und Absenken meines Brustkorbes wahr, das Ein- und Ausatmen, das stille Mantra, das Siddhartha benutzt hatte, um der Buddha zu werden – einer der wach ist.
Ich fühlte, wie mich der ruhige Rhythmus in die Stille führte, in welcher sich die Begrenzung auflöste, während sich mein Bewusstsein ausdehnte. Das Gefühl von ich, mir und mein verschwand, die Gedanken verlangsamten sich und ich verweilte in einem Raum zwischen den Gedanken, wo ein Gedanke aufhörte und der nächste noch nicht da war, ein zeitloses Fallen in bedingungsloses Bewusstsein.
Dann, wie eine Luftblase, die in einem Teich aufsteigt, kam ein Gedanke an die Oberfläche – der Gedanke an die Aufgestiegenen Meister, über die ich, als ich Gast bei der Theosophischen Gesellschaft in Indien war, gelesen hatte. Besonders dachte ich an den „Wundermann“, den Meister Saint Germain, der in den Angelegenheiten Europas über 150 Jahre lang aktiv war, und den Voltaire als „der Mann, der alles weiß, aber niemals stirbt“, beschrieben hatte. Ich hatte über ihn in dem Buch Unveiled Mysteries von Godfre Ray King gelesen, da ich jedoch von Natur aus skeptisch bin, hatte ich seine Erfahrungen mit den Meistern aber als zu fantastisch verworfen, als dass sie wahr sein könnten.2
Nun bat ich flehentlich: Saint Germain, wenn es dich wirklich gibt und wenn du dieses Gebet hörst, dann sage mir, warum ich hier bin. Sonst werde ich einen Weg finden, meinen Körper zu verlassen…
Ich hatte einige Zeit in dieser Baum-Kathedrale gesessen und meinen Atem beobachtet und den Regen, der auf die Kiefernnadeln am Waldboden tropfte, als ich fühlte, wie ein kraftvoller Strom durch meinen Körper floss. Die Energie wurde stärker und ich fühlte, dass ich mich auflöste, alles um mich herum flirrte.
Plötzlich erschienen zwei Füße vor meinen halbgeschlossenen Augen und ich bemerkte eine Gestalt, die vor mir stand. Wie lange sie bereits hier war, wusste ich nicht. Ich hatte niemanden herankommen sehen. Wegen des kalten Regens war der Wald verlassen, auch konnte sich mir niemand genähert haben, ohne dass ich das Knacken von Zweigen gehört hätte. Doch hier stand ein Mann vor mir, in Jeans, einer Wildlederjacke und Tennisschuhen. Ich sah zuerst die weißen Tennisschuhe, mit denen er fest auf dem braunen Waldboden stand, an der Stelle, wohin meine Augen gerichtet waren.
„Erschrecke nicht, Peter“, sprach der Fremde mit einer Ruhe, die ich als behaglich empfand, „deine Gebete wurden erhört.“
Ich sah in das Gesicht eines Mannes, den ich für einen Wanderer wie mich in diesem Wald gehalten hatte, und der mich nun eindringlich anschaute. Obwohl es regnete, bemerkte ich, dass weder seine Haare noch seine Wildlederjacke auch nur eine Spur von Nässe aufwiesen. Ich wollte ihn auf diese Merkwürdigkeit gerade ansprechen, als er fortfuhr:
„Ich bin ein Teil der Gottheit, die auf deinen Ruf geantwortet hat. Wisse, dass der Ruf die Antwort erzwingt, und alle ernsthaften Gebete erhört werden. Du hast so inständig und schon so lange gebetet, dass die Antwort nicht länger zurückgehalten werden konnte. Die Antwort auf deine Frage ist ja, du kannst die Erde verlassen, wenn du willst. Ich biete dir Befreiung an, denn du hast genügend Karma geklärt und bist spirituell so weit vorangeschritten, dass du den Bereich der Menschheit verlassen kannst, ohne wiederkehren zu müssen, wenn das dein Wunsch ist. Du hast die Wahl. Bevor du mir jedoch antwortest, möchte ich dir etwas zeigen.“
Bevor ich mich vom Schock dieser außergewöhnlichen Erscheinung erholen konnte, denn es war offensichtlich, dass er trotz seiner gewöhnlichen Erscheinung kein gewöhnlicher Mann war, berührte der Fremde meine Stirn zwischen den Augen und ich befand mich außerhalb des Körpers. Während ich nun in meiner ätherischen Form da stand, schaute ich zurück zu meinem Körper, der immer noch mit gekreuzten Beinen im Baumstamm saß. Dann, bevor ich meine Freude über die neue Freiheit ausdrücken konnte, legte der Fremde seinen Arm um mich und wir schwebten über der Erde.
Sogleich erreichten wir einen Ort im Himmel, an dem ich leuchtende Wolken sah, und in diese Wolken schmiegten sich Lichtkugeln. Mir wurde gesagt, dass dies die Höheren Selbste (Monaden) von Wesen waren, welche einmal auf der Erde gelebt hatten, jetzt aber von der physischen Ebene für immer befreit waren. Wie durchsichtige Perlen von ungefähr einem Meter Durchmesser glühte jedes in funkelnden Regenbogenfarben, die sich mit der Meditation veränderten, in der sie versunken waren.
„Hier, in dieser Großen Stille, kannst du in ewiger Glückseligkeit bleiben“, sprach mein Begleiter, gerade so, als ob ich bereits Bewohner dieses himmlischen Ortes war. „In der Großen Stille wirst du eins mit Gott sein und du wirst dich hier ausruhen, bis zu einem fernen Zeitalter, wenn du zu einem neuen Zyklus von Aktivität kommen wirst.“
Ich beneidete diese glückseligen Wesen, eingehüllt in die Wolken der Ewigkeit und fühlte, dass ich endlich gefunden hatte, wonach ich mich immer gesehnt hatte – ein Paradies. Ich war gerade dabei, sein Angebot, zu bleiben, anzunehmen, als ich unter mir ein Jammern hörte, das qualvolle Schreien unzähliger Stimmen, die im Schmerz waren.
„Woher kommt dieser schreckliche Klang?“, fragte ich meinen Führer.
Er zeigte auf die blaue Kugel unter mir, von welcher Töne so großen Leidens und dringender Bitten um...