Den
Kompass
ausrichten
»Was verstehen wir
unter Management und
Leidenschaft?«
2013 habe ich eine Agentur für Markenpositionierung gegründet und gehe damit seitdem meiner Leidenschaft nach: Menschen dabei zu helfen, das Beste und Interessanteste der eigenen Arbeit für andere sichtbar zu machen. Innerhalb kürzester Zeit lernte ich die unterschiedlichsten Menschen kennen. Ich saß mit jungen Visionären zusammen und mit gestandenen Unternehmern. Dennoch dauerte es etwa drei Jahre, bis ich etwas Erstaunliches bemerkte: Jeder wollte so sein wie der andere. Die jungen Startups wollten so strukturiert sein wie die großen Etablierten und die gestandenen Unternehmer so leidenschaftlich wie die Neulinge. Gegensätze ziehen sich an, sagt man, und in diesem Fall auch zu Recht. Denn die jungen Visionäre haben genug Leidenschaft, um die ganze Welt zu bewegen, aber es mangelt ihnen häufig an der Erfahrung, um die spannenden Ideen in wachsende Strukturen zu gießen. Dem erfahrenen Unternehmer hingegen, dessen Strukturen schon erfolgreiche Umsätze bewegen, mangelt es nicht selten an Inspiration, an der Fähigkeit, Neues zu entdecken und innovativ am Puls der Zeit zu bleiben. Diese Gemeinsamkeiten, die auf den ersten Blick gar keine waren, fand ich faszinierend. Mit dieser Faszination im Blick machte ich mich auf die Suche nach Antworten. Haben Macher-Typen Gemeinsamkeiten, die für alle gelten, egal ob alt oder jung? Sind Macher besonders erfolgreich, wenn sie Leidenschaft und Struktur miteinander in Einklang bringen? Und wenn das zutrifft, welche Eigenschaften können wir dann ausbauen oder erlernen, um selbst über uns hinauszuwachsen? Mit diesen Fragen im Gepäck ging ich los und ich kam mit einem ganzen Koffer voller Antworten wieder, die ich in diesem Buch zusammengefasst habe.
Erkennen Sie sich in einer der oben beschriebenen Persönlichkeiten wieder? Damit meine ich nicht: Fühlen Sie sich jung oder alt, sondern: Sind Sie eher der leidenschaftliche Typ, der sich für das Ungewisse begeistert und dessen Motivation keine Grenzen kennt? Oder eher der strukturierte? Der Denker, der bereits im Kopf abwägt, bewertet und entscheidet? Beide haben ihre Berechtigung genauso wie ihre Herausforderungen. Beide sind wichtig, egal ob es darum geht, mit sich selbst in Balance zu kommen oder mit anderen Menschen. Welcher Typ Sie auch sein mögen, Sie werden bereits erlebt haben, dass das andere Extrem nicht immer leicht zu fassen ist. Zu unterschiedlich sind manchmal die Perspektiven, aus denen Leidenschaft und Struktur auf eine gemeinsame Aufgabe blicken. Hier eine Balance zu finden, ist eine Herausforderung. Von einem Macher zu lernen und über sich hinauszuwachsen, bedeutet, beide Pole kennen- und schätzen zu lernen.
Bevor wir uns ins Abenteuer stürzen, sollten wir daher auf beide Pole einen Blick riskieren und mit dem einen oder anderen Vorurteil aufräumen. Wenn wir das Bild des Machers greifbar gestalten und von ihm lernen wollen, dann wäre nichts schlimmer, als mit zwei Klischees zu starten. Daher möchte ich zunächst die beiden Bereiche näher untersuchen.
Was ist eigentlich Leidenschaft? Wie entsteht sie? Was macht sie mit uns? Warum bleiben wir ohne sie oft hinter unseren Möglichkeiten zurück? Leidenschaft ist ein spannendes Thema. Hätte man mir vor ein paar Jahren gesagt, dass ich zu diesem Thema mal ein Buch schreiben würde, hätte ich nur ungläubig den Kopf geschüttelt. Allerdings war mir vor einigen Jahren auch nicht bewusst, wie stark Leidenschaft mein Leben prägt. Wie auch? Wir sprechen in der Regel nicht über unsere Leidenschaft. Wir Männer jedenfalls nicht. Wir sprechen über Hobbys. Wir sprechen über das, wovon wir Ahnung haben oder glauben Ahnung zu haben. Obwohl wir häufig Leidenschaft meinen, wenn wir über Hobbys und Zeitvertreib reden, nennen wir das Kind nur selten beim Namen. Der Grund, warum ich selbst lange Zeit mit dem Begriff nicht viel anzufangen wusste, lag an den Vorstellungen, die ich mit dem Begriff verband. Leidenschaft wirkte auf mich sehr zerbrechlich, ungeschützt und stark gefühlsorientiert. Sie repräsentierte für mich Eigenschaften, die ein junger Kerl nicht unbedingt als Erstes wählt, wenn er sich und seine Interessen beschreibt. Mit diesem Gefühl stand ich nicht alleine. Grund genug, um zu recherchieren, was Leidenschaft bedeutet und ob an meinen jugendlichen Vorbehalten tatsächlich etwas dran war. Das Lexikon der Psychologie definiert Leidenschaft folgendermaßen:
»Dranghafte, stark ausgeprägte Emotion, starke Begeisterung, manchmal bis zur Besessenheit reichende Neigung zu einer bestimmten Person, Sache oder Aktivität.«1
Diese Definition wirkt alles andere als weiblich, zart oder zerbrechlich. Aber einen wirklich gesunden Zustand scheint der Begriff Leidenschaft auch nicht zu beschreiben. »Dranghaft«, »manchmal bis zur Besessenheit«, klingt nicht gerade ungefährlich und im Hinblick auf den Einsatz im Beruf auch nicht wirklich ratsam. Wer kann im Team schon »stark ausgeprägte Emotionen« gebrauchen? Auch wäre es katastrophal, würde man Budgetfragen, Personal- oder Strategieentscheidungen von »dranghaftem« Tun steuern lassen. Ich musste die Definition erst einmal sacken lassen. Doch letztlich blieb mir nichts anderes übrig, als festzustellen, dass Leidenschaft gefährlich sein kann, unberechenbar und überwältigend. Wahrscheinlich ist das einer der Gründe, weshalb die sachliche Wirtschaftswelt in ihrer Etikette gern auf leidenschaftliche Ausbrüche verzichtet. Aber muss es denn wirklich so weit kommen? Damit die »gefährliche« Leidenschaft uns keinen Strich durch unsere sachliche Rechnung macht, sollte sie vor allem eines sein: gezähmt. Oder besser gesagt: strukturiert.
Sportler brechen Weltrekorde aufgrund ihrer Leidenschaft. Musiker bewegen Emotionen dank der Leidenschaft für den richtigen Klang. Kreative Berufe im Allgemeinen leben von der permanenten Suche nach Leidenschaft, um sich von ihr tragen zu lassen. Struktur ist für Leidenschaft wichtig. Aber sie muss gemanagt werden. Ein Sportler würde sich permanent verausgaben, würde er seine Leidenschaft nicht zügeln. Ein Musiker würde ohne die Struktur von Tonart, wiederkehrenden Harmonien und eingängigen Texten keinen Ohrwurm landen. Leidenschaft ist wichtig. Essenziell sogar. Allerdings nur in strukturiertem Maße.
Leidenschaft scheint in ihrem Kern also weder etwas mit weiblicher Sanftheit zu tun zu haben noch mit eintönigen Gefühlen. Ganz im Gegenteil: Sie ist aufregend. Von etwas »besessen zu sein« bedeutet schließlich, nicht anders zu können, als sich einer Sache ganz hinzugeben, loyal zu sein und sich auch durch schwierige Zeiten zu dem »hindurchzuleiden«, wofür das leidenschaftliche Herz schlägt.
So »unmännlich«, wie ich den Begriff Leidenschaft früher empfunden habe, ist er also gar nicht. So »fraulich« jedoch auch nicht. Als Mann interessierte mich, wie wir Kerle Leidenschaft nun verstehen sollten. Um es mit den Worten von Danny Fresh zu sagen, schaute ich daher »im Netz nach, was wir gerade denken«. Zu meiner Überraschung landet man bei »Leidenschaft Mann« fast ausschließlich bei Themen romantischen Ursprungs. Als Kerl hätte ich in etwa Folgendes erwartet: »die Fußballweltmeisterschaft«, »Autos richtig pflegen« oder »Angeln für Abenteurer«.
Während ich mir gleichermaßen irritiert wie schmunzelnd die zahlreichen Suchergebnisse ansah, lernte ich von dem, »was wir alle denken«, vor allem zwei Dinge:
1. Leidenschaft hat fast ausschließlich etwas mit Sex oder Liebesbeziehungen zu tun.
2. Männer haben damit ein ganz großes Problem, das man unbedingt reparieren muss.
Ist das tatsächlich das Bild, das wir von Leidenschaft haben? Natürlich ist eine Google-Suche keine gängige Untersuchungsmethode, aber dass die Ergebnisse so weit von der eigentlichen Definition abweichen würden, hätte ich nicht gedacht.
Ich fragte mich, ob die Männer in meinem Umfeld wohl ähnlich darüber dachten, und rief kurzerhand fünf meiner Freunde an. Auf die Frage, was ihnen zum Thema »Mann und Leidenschaft« als Erstes in den Sinn kommt, erhielt ich fünf Antworten, die mich erleichterten. Herzblut, Ausdauer, Hingabe, Spaß, Freizeit. »Passt«, dachte ich. Oliver, der Letzte mit dem ich telefonierte, bemerkte meine Zufriedenheit und hakte nach. Ich erzählte ihm von den Suchergebnissen, die den Eindruck vermitteln, Leidenschaft würde immer etwas Sexuelles bedeuten. Er lachte und meinte: »Dann frag doch mal die Frauen, was sie denken.«
Gesagt, getan. Und raten Sie mal, welche Begriffe die fünf Frauen nannten? Gefühlvoll, zärtlich, Sex, Spanier und noch einmal Sex. Meine unprofessionelle Schlussfolgerung aus dieser gar nicht repräsentativen Umfrage: Nur Frauen benutzen das Internet. Ein zweites Fazit lautet: Leidenschaft ist in der Tat ein Begriff, den man nur schwer greifen und ganz unterschiedlich auffassen kann. Man kann ihn nicht in die Grenzen von nur einer Definition pressen, dafür ist Leidenschaft einfach zu leidenschaftlich. Wenn Sie Ihre Leidenschaft also nicht leicht greifen, beschreiben oder strukturieren können, dann sind Sie in guter Gesellschaft. Leidenschaft ist etwas höchst Persönliches. Etwas, das man nicht unbedingt vor sich herträgt und zur Schau stellt.
Vielleicht ist echte Leidenschaft deshalb so selten sichtbar. Und doch gibt es eine Leidenschaft, die weit verbreitet und akzeptiert ist, ich nenne sie »Leidenschaft light«. Leidenschaft light ist das Hobby, das Sie nach Feierabend ausüben, bis Ihre Partnerin oder Ihr Partner Sie daran erinnert, den...