Biologische Grundlagen
Bevor wir die Ursachen und möglichen Lösungen für jene Gegebenheiten, welche das Leben oftmals erschweren, näher erörtern, werden wir in diesem Kapitel die Grundlagen des Lebens – also den Geist und den Körper − näher betrachten. Dieses Kapitel erhebt aber keinesfalls den Anspruch, psychologisch oder physiologisch umfassend zu sein, sondern dient lediglich dazu, einige Scheinwerfer auf besondere Strukturen, Funktionen sowie die aktuellsten Erkenntnisse der Wissenschaft zu richten, um auf diese Weise zu verstehen, wie und warum wir so funktionieren, wie wir Menschen es täglich erleben.
Dieses Kapitel enthält theoretische Grundlagen und ist thematisch vor dem Training selbst angeordnet. Wenn Sie gleich weiter – näher zur Praxis − gehen wollen, so können Sie mit ruhigem Gewissen dieses Kapitel überblättern und später bei Bedarf einzelne Themen und Konzepte nachschlagen. Wenn Sie hingegen wissen wollen, warum und wie die empfohlenen Übungen wirken und funktionieren, so lesen Sie an dieser Stelle weiter.
Das menschliche Gehirn
Das Gehirn wird weithin als Basis oder Träger der geistigen Funktionen eines Menschen angesehen und ist so die bedeutendste biologische Grundlage für unser Trainingsprogramm. Auch wenn einige der aktuellsten Forschungen diese Annahme (zumindest partiell) in Frage stellen, möchte ich an dieser Stelle bei dem Verständnis bleiben, dass das Gehirn der physische Träger des Geistes ist. Als solches können Sie im Anhang 1 den strukturellen Aufbau sowie die Funktionsweisen und Besonderheiten des Gehirns nachschlagen, wenn Sie wissen wollen, auf welcher biologischen Basis die später angeführten Übungen ihre Wirkung zeigen.
Hier möchte ich noch explizit auf das Phänomen, welches als Selbsthindernis des Gehirns bezeichnet wird, näher eingehen:
Man fragt sich oft, warum man etwas Bestimmtes tut oder nicht, warum man sich selbst im Weg steht (stehen kann), wo man es doch intellektuell eigentlich besser weiß. Ein Themenkreis von Ursachen dafür wird in der Fachliteratur als sogenanntes Selbsthindernis beschrieben. Dabei handelt es sich um vererbte und erlernte Funktionen und Reaktionen aus früherer Zeit, in der sie überlebensnotwendig waren und dem Menschen geholfen haben, die Stellung in der Umwelt zu erreichen, die er heute hat. Mit der raschen Evolution und der massiven Veränderung der physischen und sozialen Umgebung sind diese Funktionen nicht schnell genug mitgewachsen, erweisen sich heute zum Teil als hinderlich und entsprechen nicht mehr dem Bedarf, ja sie sind sogar kontraproduktiv für die zur Zeit vorhandenen Ansprüche.
Oft handelt es sich bei einem Selbsthindernis um:
- Wachsamkeit und Ängstlichkeit: Wenn man wach ist und eigentlich nichts tut, also keiner bewusst gesteuerten geistigen Aktivität nachgeht, startet das Gehirn üblicherweise einen Zyklus, um die Umwelt laufend zu analysieren (Feststellen potentieller Bedrohungen) und zu überwachen. Dieser Automatismus war in früheren Zeiten hilfreich, um nicht überrascht zu werden und einem Angriff anderer Lebewesen entgehen zu können. Das daraus resultierende Problem liegt in der Menge an Umgebungsreizen, welche nun auf unsere Sinnesorgane einstürzen und in der Folge das Gehirn überfordern, da sie laufend auf ihr Gefahrenpotential hin überprüft werden müssen. Aus diesem Grund ist es wichtig zu lernen, diesen Mechanismus bewusst zu beruhigen, wenn Sie wissen, dass Ihnen keine Gefahr droht, und dem Gehirn so echte Ruhe zu ermöglichen.
Dieser Mechanismus bezieht sich aber nicht nur auf die laufende Evaluierung der Umgebung, sondern auch auf das Faktum, dass das Gehirn diese freien Zeiten zum Nachdenken, Erinnern und Planen verwendet. Dieses Vorgehen, welches in der Literatur als Default-Modus oder Selbstprojektion bezeichnet wird, erlaubt dem Menschen, sich in andere Situationen oder Personen hineinzuversetzen, also gleichsam zu simulieren, was war, was sein hätte können, und damit besser auf unbekannte Situationen vorbereitet zu sein. Dieses Verhalten ist eigentlich eine besondere Stärke des Menschen, problematisch ist nur die Tendenz, dass sich diese Geistestätigkeit gerne verselbständigt und die daraus resultierenden, unendlich kreisenden Gedanken alle anderen Empfindungen abblocken.
- Bleibende Spuren: Auch wenn Sie eine negative Erfahrung gedanklichemotional bereits abgelegt oder überwunden haben, bleiben davon Spuren im Gehirn über. Der Grund dafür liegt abermals in der Sicherheit und dem Schutz des Daseins (um sich unbewusst gegen ein erneutes solches Erlebnis abzusichern), macht aber Probleme, wenn man dieses Faktum ignoriert. Heute wird postuliert, dass mit geeigneten Methoden (z.B. der Psychotherapie) die Auswirkung eines Erlebnisses restlos behandelt (man nimmt damit an: entfernt) werden kann. Das ist aber eine Illusion und gefährlich, wenn Sie sich dessen nicht bewusst sind. Eine unpassende Situation und Sie können ganz unerwartet ein Flashback erleben. Wenn Sie sich hingegen bewusst sind, solche Erfahrungen zwar reduzieren, aber nie ganz loswerden zu können, dann gehen Sie damit anders um und können es in die eigene Persönlichkeit integrieren oder womöglich sogar zum eigenen Vorteil nutzen.
- Nicht nur das Gehirn, auch alle Sinnesorgane müssen kontinuierlich die Informationsmenge, welche sie aufnehmen, reduzieren, da sie diese Menge sonst nicht verarbeiten können. Die „Algorithmen“, nach denen das abläuft, sind uns oft nicht bewusst und basieren sowohl auf dem Leben und den Erfahrungen unserer Vorfahren im Kampf um das Überleben als auch auf den Prägungen der eigenen Kindheit und Jugend. Dieser Umstand führt dazu, dass Ihnen manche Dinge (Sehen, Hören) gar nicht wirklich bewusst sind, obwohl Sie vielleicht genau diese Informationen benötigen würden, um eine gute Entscheidung zu treffen. Diese Überlegung ist vor allem wichtig, um sich klar zu machen, dass Sie selbst nur einen Teil der Realität sehen können. Das kann Ihren Ansatz zum Thema Realität und auch die Basis Ihrer Kommunikation deutlich verbessern.
- Die Erkennung von Gegenständen führt das vorherige Prinzip noch einen Schritt weiter – es basiert auf der Abstraktion, der Mustererkennung und der Ähnlichkeitsfindung im Gehirn. Dies gilt für alle Sinne und das Denken – die wahrgenommene Realität ist demnach immer eine Abstraktion, die einem nicht zu unterschätzenden Fehlerpotential unterliegt (Bilder, verschiedene Erlebnisse, …). Dazu kommt, dass mit der Erkennung eines Gegenstandes unmittelbar eine Kategorisierung eintritt und das Gesamtbild verloren geht (der oben beschriebenen Reduktion unterliegt – insbesondere dann, wenn es nicht zum gewünschten Bild...