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E-Book

Ärger

Befreiung aus dem Teufelskreis destruktiver Emotionen

AutorThich Nhat Hanh
VerlagArkana
Erscheinungsjahr2009
Seitenanzahl256 Seiten
ISBN9783641033842
FormatePUB
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
Thich Nhat Hanh lehrt uns, Ärger nicht zu unterdrücken oder zu verstecken, sondern ihn in die positiven Energien des Verstehens und des Mitgefühls umzuwandeln. Anhand zahlreicher Beispiele belegt er, wie sich Frustketten innerhalb der Familie oder über Generationen hinweg bilden. Thich macht deutlich, dass Freiheit die grundlegende Bedingung für Glück ist, nicht nur politische Freiheit, sondern vor allem Freiheit von eigenen Verhaftungen.

Thich Nhat Hanh war einer der bekanntesten spirituellen Lehrer unserer Zeit. Der Zen-Meister, Dichter und Friedensaktivist lebte zwischenzeitlich aufgrund seines Engagements für ein Ende des Vietnam-Kriegs in Frankreich im Exil. Das von ihm gegründete Praxiszentrum Plum Village wird jährlich von Menschen aus aller Welt besucht. Die zahlreichen Bücher des Autors bringen den Menschen aller Kulturen die Kunst des achtsamen Lebens näher.

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Leseprobe
Einleitung

Die Übung des Glücklichseins


Glücklich zu sein heißt, weniger zu leiden. Wenn wir nicht fähig wären, den Schmerz in unserem Innern zu verwandeln, wäre kein Glück möglich.
Viele Menschen suchen ihr Glück in der Außenwelt, aber wahres Glück kann nur aus dem eigenen Innern kommen. In unserer Kultur scheint Glück davon abhängig zu sein, dass man viel Geld, viel Macht und einen hohen gesellschaftlichen Status hat. Doch bei genauem Hinsehen merken wir, dass reiche und berühmte Leute oft gar nicht glücklich sind. Viele von ihnen begehen Selbstmord.
Buddha und die Mönche und Nonnen zu seiner Zeit besaßen nichts als ihre drei Roben und eine Schale. Trotzdem waren sie rundum glücklich, denn sie hatten etwas sehr Kostbares – Freiheit.
Nach der Lehre Buddhas ist Freiheit die Grundvoraussetzung für Glück. Damit ist nicht die politische Freiheit gemeint, sondern die Freiheit von den geistigen Formationen der Wut, Verzweiflung, Eifersucht und Täuschung. Diese Geisteszustände werden von Buddha als Gifte beschrieben. Solange diese Gifte noch in unserem Herzen sind, kann kein Glück einziehen.
Das Freiwerden von Ärger und Wut erfordert Übung, egal ob wir Christen, Moslems, Buddhisten, Hindus oder Juden sind. Wir können nicht Buddha, Jesus, Gott oder Mohammed darum bitten, uns den Ärger und die Wut aus unseren Herzen zu nehmen. Es gibt ganz konkrete Anweisungen, wie wir die Gier, den Ärger, die Wut und die Verwirrung in uns umwandeln können. Wenn wir diese Anweisungen befolgen und lernen, uns um unser Leiden zu kümmern, können wir anderen helfen, es ebenso zu machen.

Eine Veränderung zum Besseren


Nehmen wir einmal an, in einer Familie sind Vater und Sohn wütend aufeinander. Sie sind nicht einmal mehr fähig, miteinander zu reden. Darunter leidet der Vater ebenso wie der Sohn. Eigentlich wollen sie beide ihre Wut loswerden, aber sie wissen nicht, wie.
Eine gute Lehre ist von der Art, dass sie direkt auf das Leben angewendet werden kann und zur Transformation des Leidens führt. Wenn wir wütend sind, leiden wir, als würden wir im Höllenfeuer brennen. Vollkommen verzweifelt oder eifersüchtig zu sein ist die Hölle. In diesem Fall müssen wir einen Freund aufsuchen, der übt, und fragen, durch welche Übung wir die Wut und Verzweiflung in uns verwandeln können.

Mitfühlendes Zuhören zur Aufhebung des Leidens


Wenn jemand voller Ärger oder Wut redet, liegt es daran, dass er oder sie innerlich leidet. Aufgrund dieses schweren Leides wird er böse. Er beklagt sich immer über andere und gibt ihnen die Schuld an seinen Problemen. Darum empfindet man es als sehr unangenehm, ihm zuzuhören, und geht ihm nach Möglichkeit lieber aus dem Weg.
Um Ärger und Wut verstehen und transformieren zu können, müssen wir uns im mitfühlenden Zuhören und liebevollen Reden üben. Es gibt einen Bodhisattva – ein erhabenes oder erleuchtetes Wesen -, der mit gesammelter Aufmerksamkeit und voller Mitgefühl zuhören kann. Er wird Kannon oder Avalokiteshvara, der Bodhisattva des großen Erbarmens, genannt. Wir alle müssen uns darin üben, so aufmerksam zuzuhören wie dieser Bodhisattva. Dann können wir denen, die Hilfe suchen, praktische Anweisungen geben, wie sie das Gespräch mit anderen wieder aufnehmen können.
Voller Mitgefühl zuzuhören kann das Leid des anderen Menschen lindern. Doch selbst mit den besten Intentionen können wir nicht wirklich aufmerksam zuhören, wenn wir uns nicht in der Kunst des mitfühlenden Zuhörens üben. Wenn wir still sitzen und dem betreffenden Menschen mitleidsvoll eine Stunde zuhören können, lindern wir sein Leid merklich. Wir hören dabei einzig in der Absicht zu, dem anderen die Möglichkeit zu geben, sich zum Ausdruck zu bringen und sich zu erleichtern. Wir müssen die ganze Zeit über, während wir zuhören, unser Mitgefühl lebendig erhalten.
Wir müssen vollkommen konzentriert zuhören. Wir müssen uns mit gesammelter Aufmerksamkeit, mit unserem ganzen Wesen auf die Übung des Zuhörens konzentrieren: mit Augen und Ohren, Körper und Geist. Wenn wir nur so tun, als würden wir zuhören, und nicht hundertprozentig bei der Sache sind, merkt der andere es und findet keine Erleichterung in seinem Leid. Wenn wir bewusst zu atmen verstehen und uns währenddessen auf den Wunsch konzentrieren können, ihm sein Leid lindern zu helfen, können wir auch unser Mitgefühl beim Zuhören aufrechterhalten.
Mitfühlendes Zuhören ist eine sehr tiefe Übung. Wir hören nicht zu, um ein Urteil abzugeben oder Schuld zuzuweisen. Wir hören zu, weil wir wollen, dass der andere Mensch weniger leidet. Der andere kann unser Vater, unser Sohn, unsere Tochter oder unser Partner sein. Dem anderen zuhören zu lernen kann ihm tatsächlich helfen, seine Wut und sein Leid umzuwandeln.

Eine Bombe kurz vor der Explosion


Ich kenne eine Katholikin, die in Nordamerika lebt. Sie hat viel gelitten, weil das Verhältnis zwischen ihr und ihrem Mann sehr schwierig war. Die ganze Familie war sehr gebildet, beide Eltern hatten promoviert. Doch der Mann litt schwer, denn er stand mit seiner Frau und allen Kindern auf dem Kriegsfuß. Er konnte weder mit seiner Frau noch mit den Kindern reden. Jeder in der Familie ging ihm möglichst aus dem Weg, denn er war wie eine Bombe kurz vor der Explosion. Eine gewaltige Wut war in ihm angestaut. Da seine Frau und seine Kinder ihn mieden, glaubte er, sie verachteten ihn. Seine Kinder verachteten ihn aber gar nicht, sie hatten Angst vor ihm. In seiner Nähe zu sein war gefährlich, denn er konnte jeden Augenblick explodieren.
Eines Tages fasste die Frau den Entschluss, sich umzubringen, weil sie es nicht länger ertragen konnte. Sie meinte, unter diesen Umständen nicht mehr weiterleben zu können. Aber bevor sie Hand an sich legte, rief sie eine Freundin an, die praktizierende Buddhistin war, um es ihr zu erzählen. Die Freundin hatte sie schon mehrmals zur Meditation eingeladen, um ihr Leiden zu lindern, die Frau hatte das jedoch stets mit der Begründung abgelehnt, als Katholikin keine buddhistischen Lehren befolgen oder danach üben zu können.
Als die Buddhistin an jenem Nachmittag erfuhr, dass ihre Freundin sich umbringen wollte, sagte sie am Telefon: »Du behauptest, meine Freundin zu sein, und jetzt willst du sterben. Ich bitte dich nur darum, einmal einen Vortrag meines Lehrers anzuhören, aber du weigerst dich immer. Wenn du wirklich meine Freundin bist, dann nimm ein Taxi hierher und hör dir die Kassette an. Danach kannst du sterben.«
Die Katholikin fuhr tatsächlich zu ihrer Freundin, von der sie im Wohnzimmer allein gelassen wurde, um sich einen Dharmavortrag über die Wiederherstellung von Kommunikation anzuhören. Während der einen oder anderthalb Stunden, die sie zuhörte, machte sie eine tief greifende innere Verwandlung durch. Sie lernte viele Dinge. Ihr wurde klar, dass sie zum Teil selbst für ihr Leid verantwortlich war und dass auch sie ihrem Mann viel Leid beschert hatte. Sie erkannte, dass sie ihm überhaupt keine Hilfe gewesen war. Vielmehr war sein Leid durch sie von Tag zu Tag noch schwerer geworden, weil sie ihn gemieden hatte. Sie lernte aus dem Dharmavortrag, dass sie dem anderen mitleidsvoll und aufmerksam zuhören musste, um ihm helfen zu können. Das war etwas, zu dem sie in den letzten fünf Jahren nicht fähig gewesen war.

Die Bombe entschärfen


Der Dharmavortrag inspirierte die Frau sehr. Sie wollte zu Hause sofort mit der Übung des aufmerksamen Zuhörens beginnen, um ihrem Mann zu helfen. Aber ihre buddhistische Freundin sagte: »Nein, meine Liebe, nicht gleich heute, denn mitfühlendes Zuhören ist eine sehr tief greifende Lehre. Zuerst einmal musst du mindestens ein bis zwei Wochen üben, um wie ein Bodhisattva zuhören zu können.« Und sie lud die Frau ein, an einem Retreat teilzunehmen, auf dem sie mehr lernen konnte.
An dem Retreat nahmen 450 Leute teil, die sechs Tage lang gemeinsam übten, aßen und schliefen. In diesem Zeitraum übten alle das achtsame Atmen, bei dem der einströmende Atem und der ausströmende Atem bewusst wahrgenommen werden, um Körper und Geist zusammenzuführen. Wir übten auch das achtsame Gehen, bei dem wir uns hundertprozentig auf jeden Schritt konzentrieren. Wir übten das achtsame Atmen, Gehen und Sitzen, um das Leid in unserem Innern zu betrachten, es anzunehmen und zu umarmen.
Die Teilnehmer hörten sich nicht nur Dharmavorträge an, sondern übten darüber hinaus auch praktisch die Kunst des Zuhörens, indem sie einander zuhörten, ebenso wie sie sich der liebevollen Rede befleißigten. Wir bemühten uns, mit gesammelter Aufmerksamkeit zuzuhören, um das Leiden des anderen zu verstehen. Die Katholikin übte sehr ernsthaft und sehr in die Tiefe gehend, denn für sie war es eine Frage auf Leben und Tod.
Als sie nach dem Retreat nach Hause zurückkehrte, war sie sehr ruhig, und ihr Herz war voller Mitgefühl. Sie hatte den aufrichtigen Wunsch, ihrem Mann zu helfen, die Bombe aus seinem Herzen zu entfernen. Sie ging ganz langsam vor und folgte ihrem Atem, um ruhig zu bleiben und ihr Mitgefühl zu stärken. Sie übte sich auch im achtsamen Gehen, und ihr Mann merkte, dass sie anders war. Schließlich ging sie auf ihn zu und setzte sich still neben ihn, was sie seit fünf Jahren nicht mehr getan hatte.
Längere Zeit, etwa zehn Minuten, blieb sie still. Dann legte sie ihre Hand sanft auf die seine und sagte: »Liebster, ich weiß dass du in den letzten fünf Jahren sehr gelitten hast, und das tut mir sehr...
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