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Aggressionsverhalten beim Hund

AutorNora Brede, Normen Mrozinski, Ute Heberer
VerlagFranckh-Kosmos Verlags-GmbH & Co. KG
Erscheinungsjahr2017
Seitenanzahl248 Seiten
ISBN9783440154601
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis19,99 EUR
An der Leine pöbeln, raufen, das Sofa verteidigen und Zähnefletschen am Gartenzaun. Hündische Aggression hat viele Gesichter, die Ursachen sind vielfältig, und sie gehört zu den am häufigsten genannten Hundeproblemen. Sie ist jedoch Bestandteil des normalen Verhaltens jedes Hundes und lässt sich nicht vollständig abtrainieren. Die Autoren erklären die Hintergründe: Wie entsteht Aggression, wie kann man sie vermeiden und wie geht man als Hundehalter richtig damit um? Ein aktuelles Thema, das fast jeden Hundehalter betrifft.

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Leseprobe
KAPITEL 2

Formen des
Aggressionsverhaltens


Die Gründe, warum ein Hund sich aggressiv verhält, sind vielfältig. Und in den meisten Fällen gibt es nicht »den einen« klar identifizierbaren Auslöser für Aggressionsverhalten, sondern gleich eine ganze Reihe von Reizen und Umständen, die zusammenkommen müssen, damit ein Hund droht oder gar beißt. Diese Auslöser können eine direkte oder diffuse Bedrohung sein, aber auch schon eine mehr oder weniger deutliche Unterschreitung der Individualdistanz kann ausreichen, damit ein Hund sich aggressiv verhält. In jedem Fall gibt es bei so ziemlich jedem Hund, wie auch bei jedem Menschen, einen Auslöser, der dazu führt, dass er »ausrastet«. Welcher das ist und ob er oder wir diesem in unserem Leben je begegnen, steht auf einem anderen Blatt. Tatsächlich verfügen wir über Verhaltensweisen und Fähigkeiten, die uns gar nicht bewusst sind. Ein solches Verhalten legt ein Lebewesen nicht an den Tag, solange kein Auslöser vorhanden ist. Und so ist es oft ein Bauchgefühl, dass dem Hundehalter sagt, dass man bestimmte Dinge vom eigenen Hund besser nicht einfordert, weil die Reaktion schmerzhaft ausfallen würde.

Um einen Hund besser einschätzen zu können, ist es deswegen wichtig, sich mit den Formen der Aggression zu beschäftigen, so wie sie verschiedene Zweige der Biologie definiert haben. Neben der Verhaltensbiologie, also der Ethologie, beschäftigen sich auch die Ökologie und die Evolutionsbiologie mit Aggression. So ein Verhalten hat nicht nur einen Einfluss auf das ausübende Individuum, sondern eben auch auf andere Individuen und die Umwelt. Konkurrenz spielt beispielsweise eine große Rolle, wenn es um die Entwicklung, das Wachsen und Schrumpfen von Populationen geht und darum, was an nächste Generationen vererbt wird.

Im Folgenden betrachten wir also erst einmal die Unterteilungen, die in der Ökologie gemacht werden – sie beruhen auf den Beziehungen, die Lebewesen zueinander haben. Im Anschluss werden wir darüber diskutieren, ob diese Unterteilung immer sinnvoll und zielführend ist.

Intraspezifische Aggression


Bei unseren Hunden wie auch bei allen anderen Lebewesen, ja sogar Pflanzen, gilt es grundsätzlich zu unterscheiden, ob sich das Verhalten gegen ein Mitglied der eigenen Art oder gegen eine andere Spezies, wie zum Beispiel den Menschen oder eine im Haushalt lebende Katze, richtet. Diese Unterscheidung wird in der Ökologie gemacht, weil man davon ausgeht, dass die Konflikte, die innerhalb eines Sozialverbands, einer Population oder einer Art anderer Natur sind als die, die zwischen zwei unterschiedlichen Arten stattfinden. Während sich die ökologischen Ziele einer Art gleichen, muss das bei zwei unterschiedlichen Arten nicht der Fall sein. Beziehungen, die nur innerhalb einer Art Sinn machen, sind beispielsweise die Fortpflanzung, der Status oder die Ressourcen, wie Liegeplätze oder die Nahrung. Nahrung ist ein wichtiger Faktor, denn er bedingt viele andere Lebensbereiche: Gesundheit, den eigenen Status und letztendlich die biologische Fitness, die definiert, mit welchem Erfolg sich ein Tier vermehrt. Gerade wenn es aber um die Nahrung geht, gibt es auch Überschneidungen in den Beziehungen, denn gegebenenfalls leben in einem Gebiet mehrere Arten, die ein ähnliches Nahrungsspektrum haben. Auch Hunde sind keine Nahrungsspezialisten, die sich nur aus einer Quelle ernähren, wie es Koalas tun, die ausschließlich die Blätter einer einzigen Baumart, des Eukalyptus, fressen. Ob ein Konflikt um Nahrung innerhalb einer Art stattfindet oder zwischen zwei unterschiedlichen Arten, kann deswegen einen großen ökologischen Unterschied machen.

Die intraspezifische oder auch innerartliche Aggression (lat. »intra« = innerhalb, lat. »species« = Anblick, Erscheinung, Gestalt) beschreibt alle aggressiven Verhaltensweisen innerhalb der eigenen Art. Neben den konflikthaften Beziehungen, zu denen auch die Konkurrenz zwischen zwei Hunden gehört, gehört in der Ökologie auch die intraspezifische Sozialisierung zu den für Hunde hoch relevanten Beziehungen: Von wem könnte ein Hund besser lernen, sich zu verhalten, als von einem anderen Hund? Verhalten, das ein Hund gegen einen anderen Hund richtet, ist intraspezifisch, weil beide Tiere der gleichen Art angehören. Intraspezifische Aggression beinhaltet eine breite Palette an kommunikativen Mitteln: Zwischen dem Drohen und der körperlichen Auseinandersetzung zwischen zwei Hunden liegt eine Vielzahl körpersprachlicher Signale, die in 'Kapitel 4: Körpersprachliche Signale' genauer beschrieben sind.

Aggression ist eine Kosten-Nutzen-Rechnung – man kann so ein Verhalten nicht immer und überall einsetzen, um für sich das Maximum herauszuholen. Aggression verbraucht ein hohes Maß an Energie, birgt hohe Risiken, und besonders bei sozialen Lebewesen beschränken zu viele Faktoren den Einsatz. Der Großteil aggressiven Verhaltens bei Wölfen, beobachtet im Denali-Nationalpark in Alaska, sind Einschüchterungsgesten anstelle tatsächlicher physischer Attacken mit Bissen. Dennoch sind 35 bis 65 % der Todesursachen bei ausgewachsenen Wölfen auf intraspezifische Kämpfe zurückzuführen (Mech et al., 1998). Hunde, wie alle anderen Lebewesen auch, kommunizieren deswegen (nicht nur) im aggressiven Bereich ritualisiert. Als Ritualisierung (siehe auch Kapitel 'Konfliktvermeidung') bezeichnet man in der Ethologie vererbbare Verhaltensmuster, die einen Funktionswandel erfahren haben und einem allgemeinen kommunikativen Zweck dienen. Hunde lösen viele Konflikte durch ritualisiertes Verhalten: Kommentkämpfe (siehe Kapitel '»Die sind so!« – Hunde unter sich') verfolgen den gleichen Zweck wie Ernstkämpfe, ohne dass die gesundheitlichen Risiken ähnlich hoch sind, weil die Elemente des Kampfes nur in stilisierter Form gezeigt werden. Bei Hunden, die mit Artgenossen gut sozialisiert sind, wird es nur in den allerseltensten Fällen zum Äußersten kommen – zumindest im Idealfall. Ritualisierungen werden damit auch immer durch Erfahrungen gestützt und verfeinert und können nur so eine sichere Alternative sein. Ritualisiertes Verhalten ist ein guter Indikator für intraspezifische Aggression – gegen artfremde Tiere wird es nicht eingesetzt.

Interspezifische Aggression


Interspezifische Beziehungen (lat. »inter« = zwischen, also zwischenartliche) machen eine ganze Reihe von interessanten ökologischen Aspekten aus: Konkurrenz zwischen zwei Arten entsteht, wenn sie dieselbe Nahrungsquelle nutzen. Das kann auch ein Beutetier sein. Insofern sind auch Katzen für Hunde Konkurrenten, denn beide Raubtiere haben eine Schnittmenge im Nahrungsspektrum: Mäuse und kleinere Vögel beispielsweise. An der Leine erleben Halter aber auch oft, dass der Hund sein Fell sträubt und die nahende Katze durch Knurren und Bellen verscheucht. Treffen allerdings freilaufende Hunde auf Katzen, ist die Gefahr groß, dass sie sie jagen und – falls sie sie erwischen – töten. Dabei geht es nicht um Nahrungserwerb, sondern – im Unterschied zur intraspezifischen Aggression – um die »Entfernung«. Das ist im Grunde ein natürliches und ökologisch sinnvolles Verhalten, denn Katzen sind nun einmal Konkurrenten, die potenzielle Nahrung reduzieren. Im Unterschied zu rein jagdlichem Verhalten zeigen Hunde Katzen gegenüber aber oft kommunikative Mittel, die dem Vertreiben des Konkurrenten dienen sollen. Ein Spezialfall könnte sich ergeben, wenn der Hund selbst mit Katzen zusammenlebt oder nebenbei mit ihnen sozialisiert wurde. Die interspezifische Aggression beschreibt dementsprechend das Aggressionsverhalten gegenüber Individuen, die nicht zur gleichen Art gehören. Aus der interspezifischen Konkurrenz, die mehr einen ökologischen Zustand beschreibt, entsteht in diesem Beispiel die interspezifische Aggression, die als Verhalten der Beseitigung des Konkurrenten dient, der – instinktiv gesehen – lebensbedrohlich ist, weil er die überlebenswichtige Ressource Nahrung streitig macht.

In unserer Gesellschaft ist dieses Verhalten natürlich nicht angebracht. Hunde dürfen im Normalfall nicht mehr eigenständig jagen oder Konkurrenten beseitigen – und das zu Recht, denn auch die Katze hat einen Halter, der an seinem Haustier hängt und eine Beziehung zu ihm hat. Auch eine noch so natürliche Verhaltensweise geht mit unserer Gesellschaft nicht mehr konform und es muss als eine Einschränkung des normalen Verhaltensspektrums akzeptiert werden.

Ein weiteres, naheliegendes Beispiel wäre aggressives Verhalten, das zwischen einem Hund und einem Menschen stattfindet. Prinzipiell wäre die Einordnung des Verhaltens als interspezifische Aggression ganz offensichtlich. Aber so einfach ist die Problematik nicht – und das hat vor allem damit zu tun, dass der Hund – im übertragenen Sinn – »menschengemacht« ist. Seine Entstehung beruht auf dem selektiven Einfluss des Menschen, der zu vielfältigen Veränderungen während des Domestikationsprozesses geführt hat. Vergleicht man die heutigen Wölfe mit Hunden, dann finden sich auch Unterschiede im Ausdrucksverhalten, denn das ist bei Hunden stark reduziert. Wir wissen heute aber auch, dass Hunde beispielsweise auf Gesten achten, die Kooperation von Menschen suchen und erkennen können, ob eine Person freundlich blickt oder nicht. »Den Menschen ordnet Feddersen-Petersen (1998) dabei in den Bereich der innerartlichen Aggression ein, da er Sozialpartner des Hundes ist und Aggressionen von Hunden gegenüber Menschen nur unter diesem Gesichtspunkt sinnvoll zu analysieren sind.« (Riedel, 2014) Der Hund wird in seiner Beziehung zum Menschen somit zu einem ökologischen Sonderfall: Zwar gehört er definitiv nicht zur Art Mensch, ist aber sehr...

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