In der heutigen Zeit ist es selbstverständlich von Jugend, Jugendphase oder Jugendalter zu sprechen. Sozialhistorische Analysen belegen, dass die Jugend als eigenständige Lebensphase bis zur letzten Jahrhundertwende nicht bekannt (vgl. Hurrelmann 1994, S. 26) war – als biologische Phase hat sie es immer gegeben. Im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts hat sich die der Erwachsenenphase vorgelagerte Lebensphase in ein frühe und späte Phase aufgespaltet, wobei die späte Phase den Namen „Jugendphase“ erhielt (vgl. Hurrelmann 1994, S. 26). Zu diesem Zeitpunkt umfasste diese Phase nur einen kurzen Zeitraum von etwa vier bis fünf Jahren. Sie lag zwischen dem „Eintreten der Geschlechtsreife und dem Austreten aus dem beruflichen Bildungssystem“ (Hurrelmann 1994, S. 26). Aufgrund der gesellschaftlichen Rahmenbedingungen muss von einer längeren Spanne ausgegangen werden (ca. zehn Jahre), der eine Phase, die Adoleszenz (vgl. Weiss 1991, S. 121), von ca. fünf Jahren nachgelagert ist (vgl. Hurrelmann 1994, S. 26). Im Laufe der Zeit kam es zu einer gesellschaftlichen Abgrenzung der Lebensphase „Kind“ von der des Erwachsenen. Die Zeit vor der Industrialisierung war dadurch geprägt, dass eine einheitliche Organisationsform für das Zusammenleben vorherrscht; Jung und Alt lebten im gleichen Haus, hatte viele gleiche Aufgaben und Beschäftigungen und teilten ganz ähnlich strukturierte Sozialkontakte.
Durch die Industrialisierung und die Verstädterung unterschieden sich die Tätigkeits- und Handlungsbereiche der Kinder und Erwachsenen immer mehr voneinander. Die Erwachsenen bauten sich zunehmend ihre wesentlichen sozialen Beziehungen außerhalb des familiären Bereichs auf. Dies führte dazu, dass Kinder und Erwachsene in ihren alltäglichen Handlungsabläufen voneinander getrennt wurden. In den städtischen Regionen wurde dieser Schritt durch ein „neues soziales und pädagogisches Verständnis von Kindsein begleitet und beschleunigt“ (Hurrelmann 1994, S. 27). Somit wurde die „Jugend“ zunächst zu einem historischen Produkt des Bürgertums, das wohlhabend genug war, um eine längere Zeit bis zum Eintritt in das Berufsleben zu finanzieren und dort „forcierte sich auch das idealistische Bild von der Jugend als eine psychosoziale Reifezeit“ (Hurrelmann 1994, S. 30).
Jugendliche galten somit nicht mehr als „kleine Erwachsene“, sondern als Individuen, die noch nicht erwachsen sind und sich in einer eigenständigen Phase ihrer Entwicklung befinden (vgl. Hurrelmann 1994, S. 27).
In den 1950er und 1960er Jahren ist die Jugendphase in den Ländern des industrialisierten Westens zu einer allgemeinen gesellschaftlichen Kategorie geworden (vgl. Hurrelmann, 1994, S. 30). Durch den langen Zeitraum der Schulpflicht (in Deutschland: 10 Jahre) ist gewissermaßen ein „Minimum an Jugend für die Angehörigen aller Bevölkerungsgruppen und –schichten garantiert“ (vgl. Hurrelmann, 1994, S. 30). Somit ist die Jugendphase über viele Jahre hinweg durch den Besuch einer Schule geprägt (vgl. Hurrelmann 1994, S. 30).
Viele wissenschaftliche Disziplinen, wie Soziologie, Politik, Pädagogik, Biologie, Medizin, Rechtswissenschaft u.a. (vgl. Oerter/Montada 2002, S. 259), beleuchten das Jugendalter aus unterschiedlichen Perspektiven. In der Literatur lässt sich keine einheitliche Definition des Jugendalters bzw. der Jugend finden. Dennoch gibt es einen Aspekt, in dem sich die Forscher einig sind: Jugend stellt eine eigenständige Phase im Lebenslauf des Individuums dar, „die durch das Zusammenspiel biologischer, intellektueller und sozialer Veränderungen zur Quelle vielfältiger Erfahrungen wird“ (Oerter/Montada 2002, S. 258). Beginn und Ende sind nicht eindeutig definiert, weil die einzelnen Biographien viel zu unterschiedlich sind (vgl. Raithel 2001, S. 11). Die Altersspanne bei den einzelnen Wissenschaftlern reicht von 11 bis 18 bzw. 21 Jahre (vgl. Oerter/Montada 2002, S. 259) oder von 12 bis 18 bzw. 25 Jahre (vgl. Weiss 1991, S. 121).
Das Jugendalter, Zeit des Überganges vom Status Kind zum Status des Erwachsenen, ist dadurch gekennzeichnet, dass der Jugendliche vorübergehend eine Randstellung einnimmt und sein Status unbestimmt ist und sich rasch verändert; eine Ursache für die vielen Schwierigkeiten des jungen Menschen in diesem Altersabschnitt (vgl. Weiss 1991, S. 122).
Klaus Hurrelmann beleuchtet die einzelne Phasen der Biographie näher und anstelle die Phasen zu definieren, versucht er das Jugendalter vom Kindheitsalter und dem Erwachsenenalter abzugrenzen (vgl. Hurrelmann 1994, S. 31ff.).
Die Entwicklungs- und Persönlichkeitspsychologie nennt mehrere Aspekte, die für eine Unterscheidung zwischen Kinder- und Jugendalter stehen (vgl. Hurrelmann 1994, S. 31). Zentrales Merkmal der Jugendphase ist das Eintreten der Geschlechtsreife bzw. Pubertät, das mit ca. 13 Jahren erfolgt (vgl. Baackes 1993, S.37). Die genitale Reifung beginnt bei Mädchen ein bis zwei Jahre früher als bei Jungen. Bei Mädchen äußert sich die Geschlechtsreife durch ein Wachstum der Brüste oder durch die Entwicklung der pubertären Behaarung und erste Anzeichen bei Jungen sind das beschleunigte Wachstum von Testes und Scrotum[4] (vgl. Baackes 1993, S. 95). Die Ausbildung der Geschlechtsreife stellt einen wichtigen Einschnitt in der Persönlichkeitsentwicklung eines Menschen dar, die eine völlig neue Form der Verarbeitung von Entwicklungsanforderungen mit sich bringt (vgl. Hurrelmann 1994, S. 31). Durch die Geschlechtsreife kommt es zu einem schlagartigen Ungleichgewicht zwischen der psychischen und physischen Struktur der Persönlichkeit.
Der gesamte Körper verändert sich in anatomischer, physiologischer und hormoneller Hinsicht, „was ein umfassende Anpassung auf körperlichen, seelischen und auch sozialen Ebenen notwendig macht“ (Hurrelmann 1994, S. 31). Zu Beginn der Jugendphase kommt es zu einer beschleunigten Größen- und Gewichtszunahme; bei Mädchen zwischen sieben und zehn Jahren und bei Jungen zwischen zehn und 16 Jahren (vgl. de Wit/van der Veer 1982, S. 45). Bei beiden Geschlechtern gibt es einen Wachstumsschub, der bei Jungen um das Alter von 14 bis 15 Jahren und bei Mädchen ca. zwei Jahre früher liegt (vgl. Oerter/Montada 2002, S. 276). Aus psychologischer Sicht unterscheidet sich das Jugendalter vom Kindheitsalter durch eine völlig andere physische, „physiologische und seelische ‚innere Realität’, die auf eine veränderte soziale „‚äußere Realität’“ trifft und diese auch zugleich mit beeinflusst“ (Hurrelmann 1994, S. 31f.). Auch die Kindheitsphase ist gekennzeichnet durch psycho-physische und psycho-soziale Veränderungen, aber in der Jugendphase treffen diese Prozesse der Auseinandersetzung auf Menschen, die viel selbständiger sind und die Anforderungen und Herausforderungen allein bewältigen müssen. Die Bewältigungsverfahren im Jugendalter sind im Gegensatz zur Kindheit völlig anders. In der Kindheit waren noch „Imitation und Identifikation mit den Eltern die vorherrschenden psychischen Mechanismen“ (Krüger 1994 S. 32), um mit den Anforderungen fertig zu werden, die aber mit dem Eintritt in die Jugendphase ins Abseits gedrängt werden. Die Überwindung in der Jugendphase ist erst dann möglich, wenn sich Jugendliche von den primären Bezugspersonen, wie Mutter und Vater, innerlich loslösen und eine selbständige, autonome Organisation des Bewältigungsprozesses vornehmen. Nach der schrittweisen psychosozialen Ablösung von den Eltern, sind individuell entwickelte Bewältigungsstrategien die Voraussetzung für die Steuerung des persönliches Entwicklungsprozesses (vgl. Krüger 1994, S. 32).
Das Jugendalter hält verschiedene Lebensereignisse und soziokulturelle Herausforderungen, so genannte Entwicklungsaufgaben, bereit, die erfolgreich und selbständig bewältigt werden müssen. Diese lassen sich in vier große Bereiche einteilen: (nach Hurrelmann 1994, S. 33f.)
a) Entwicklung intellektueller und sozialer Kompetenz - Um schulische und anschließend berufliche Anforderung meistern zu können, muss der Jugendliche eigenverantwortlich intellektuelle und soziale Kompetenzen entwickeln. Ziel dieses Lernprozesses ist es, eine berufliche Tätigkeit aufzunehmen, um sich dadurch selbst seine eigene ökönomische und materielle Existenz als Erwachsener zu sichern.
b) Entwicklung der eigenen Geschlechtsrolle und des Verhaltens zu Gleichaltrigen - Diese Entwicklungsphase ist gekennzeichnet durch das Bewusstwerden des eigenen Geschlechts und den „Aufbau einer sozialen Bindung zu Gleichaltrigen des eigenen und des anderen Geschlechts“ (Hurrelmann 2002, S. 27), Aufbau einer hetero- oder homosexuellen Partnerbeziehung, die auf lange Sicht die Basis für die Gründung einer Familie und die Geburt und...