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Alle, alle will ich

Arthur Schnitzler und seine süßen Wiener Mädel

AutorJohannes Sachslehner
VerlagStyria Verlag
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl240 Seiten
ISBN9783990403884
FormatePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
'Toni, Fifi, Minni, Jenny, Dilly, Mizi I und Mizi II, Poldi - schon im zärtlichen Diminutiv liegt eine ganze Welt': Leichtlebigkeit und Lebenslust schwingen mit, aber auch Respektlosigkeit und das beruhigende Wissen, dass der Trennungsschmerz sich in Grenzen halten wird. Arthur Schnitzler schätzt die Mädchen aus der Vorstadt und kann nicht genug von den 'Wiener Weiberln' bekommen. 'Alle, alle will ich', vermerkt er am 19. März 1896 in seinem Tagebuch. Es sind naiv-erotische Spiel- und Lustobjekte, austauschbar, wenn die Beziehung zu langweilig wird, gleichzeitig aber eifersüchtig gehütet. Der Schriftsteller tobt über ihre Untreue, ergeht sich in wilden Beschimpfungen - die Vorwürfe reichen von 'Vorstadtflitscherl' und 'Komödiantenhure' bis zur 'verdorbensten Kreatur der Welt' - und sogar sadistischen Anwandlungen. Johannes Sachslehner rückt in seiner detaillierten biografischen Studie das Schicksal dieser Frauen in den Mittelpunkt und zeigt, dass sich hinter der sanften literarischen Verklärung in Schnitzlers berühmten Texten eine oftmals erschreckende Realität offenbart.

Johannes Sachslehner, geb. 1957 in Scheibbs, studierte an der Universität Wien Germanistik und Geschichte (Dr. phil.) und unterrichtete von 1982 bis 1985 an der Jagiellonen- Universität Krakau als Gastlektor für deutsche Sprache und Literatur, seit 1989 Verlagslektor. Zahlreiche Publikationen, zuletzt erschienen bei Styria Premium seine beiden Bände über die 'Schicksalsorte Österreichs' sowie '365 Schicksalstage Österreichs'.

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Leseprobe

DAS LIEBSTE WÄRE MIR
EIN HAREM


„Mein Blut tanzt Cancan.“

Tagebuch, 13. Mai 1880

„Es ist wahr, ich hab ein lebhaftes Bedürfnis, jedes Mädel, in unserem gesellschaftl. moralischen Sinn tief zu verderben“

Tagebuch, 15. März 1896

 

Die jungen Frauen, die in die Ordination des Herrn Dr. Arthur Schnitzler kommen, sind fasziniert: Der junge, rötlichblonde HNO-Arzt mit dem etwas verträumten Blick ist charmant und liebenswürdig, er kann zuhören und beeindruckt durch tadellose Umgangsformen und elegante Kleidung – da passt jedes Detail, bis hin zu den gepflegten Händen. Ein Mann zum Verlieben, noch dazu ledig, wie man weiß, aus angesehener, wohlhabender jüdischer Familie, sein Vater Johann eine anerkannte medizinische Autorität und erfolgreicher Universitätsprofessor, er selbst, so hört man, schreibt und das mit viel Talent, sein Durchbruch zum anerkannten Autor kann wohl nur mehr eine Frage der Zeit sein.

Eine ausgezeichnete Partie also. Zwar wird in der Wiener Gesellschaft einiges über seine Frauengeschichten gemunkelt, man hört, dass er sich mit etwas leichtfertigen Mädchen aus der Vorstadt, ja, der Demimonde abgibt, doch was soll’s: Der Reiz, es doch zu wagen, ist groß und der Dr. Schnitzler beherrscht die Rituale der Verführung wie kein anderer: Es beginnt mit einem harmlosen Kuss, meist noch in der Ordination, und setzt sich fort mit gemeinsamen Spaziergängen und Ausflügen oder einem Theaterbesuch, es folgt eine Einladung zum exquisiten Souper mit Champagner im Chambre separée des Riedhofs und endet mit glühenden Zärtlichkeiten in einem Hotelzimmer. Er ist ein Mann, der ungeheuer einfühlsam sein kann, der zusammen mit seinen Partnerinnen lacht und weint und sie nicht selten mit der Intensität seiner Tränen verblüfft – Schnitzler ist ein heftiger „Weiner“ und zugleich ein hervorragender „Küsser“, ein Mann mit „süßem Mund“, nach dessen Küssen, glaubt man den zahlreich erhaltenen Briefen an ihn, die „Mädel“ regelrecht süchtig werden. Er ist zärtlich und rücksichtsvoll und vor allem absolut diskret, ein ungemein kultivierter Genießer, der seine Eroberungen nicht an die große Glocke hängt. Wer könnte da widerstehen?

Die jungen Frauen ahnen noch nicht, dass sich hinter der Fassade des nach außen hin so perfekten Liebhabers ein komplizierter Charakter verbirgt: ein Spieler und Hasardeur, der sein seelisches Gleichgewicht nur über immer wieder neue sexuelle Abenteuer findet. Der sich die Zeit mit Pferdewetten, Billard, Domino und langen Pokerabenden vertreibt und im „Spiel mit der Liebe“ (Alfred Doppler) das Spiel seines Lebens schlechthin gefunden hat. Schnitzler braucht den Sex, die „Sinnlichkeit“, wie er es nennt, um sich nicht in schweren Depressionen und Angstattacken zu verlieren, die er in seinen Tagebucheintragungen „Hypochondrien“ nennt. Um sich in diesem Leben zu spüren und die „tödtlichen Angstzustände immer und immer“ (TB, 19. März 1896) zu besiegen, ist er stets auf der Suche nach neuen Frauen. Er weiß nur allzu gut um diese Bedeutung der Sexualität für die innere Ökonomie seiner Person: „Meine impertinente Sinnlichkeit. Wenn ich eine Reihe von Tagen keusch war, 6  9 sind so das Maximum, so bin ich einfach ein Thier.“ (TB, 10. August 1890) Treue im klassischen Sinn – der Verzicht auf andere sexuelle Kontakte zugunsten der einen Auserwählten – ist daher für ihn kein Kriterium, auch wenn er manchmal selbst über die „Unsauberkeit“ seiner „inneren Verhältnisse“ und seinen „Leichtsinn ohne Kraft“ klagt – er will sich um jeden Preis die Freiheit bewahren, keine der Frauen „abweisen“ zu müssen, die bei ihm ihr Glück suchen wollen, ja, „das Bewußtsein sie haben zu können genügt oft“. Die Konsequenz: Auch „die andern alle, alle will ich …“ (TB, 19. März 1896), am liebsten wäre ihm gleich der Status Polygamie, wie er während seines Aufenthalts in Paris im Mai 1897 im Diarium vermerkt: „Sag ich mir die Wahrheit: das liebste wär mir ein Harem; und ich möchte weiter gar nicht gestört sein. Es ist zu bezweifeln, dass ich zur Ehe geboren“ (TB, 6. Mai 1897); einen Tag später wird er noch deutlicher: „(…) der Gedanke an Ehe erfüllt mich mit Grausen“. (TB, 7. Mai 1897) – Äußerungen, die charakteristisch für Schnitzler sind; um sie besser verstehen zu können, sei noch auf den Kontext dieser Einträge verwiesen: Auf der Flucht vor einem Skandal in Wien ist Schnitzler gezwungen, etwa zwei Monate mit seiner schwangeren Freundin Marie Reinhard in einer Wohnung in der Rue Maubeuge 5 zu leben. Die „Kleinheit der Zimmer“ und auch seine „sanfte“ Mizi gehen ihm manchmal auf die Nerven, wie er sich im Tagebuch des Öfteren eingesteht: „Heut war mir Mz. eher langweilig und ich empfand es nicht angenehm an sie gebunden zu sein. Merkwürdig wechselt das. –“ (TB, 19. Mai 1897)

Ja, Schnitzler scheut „fixe“ Bindungen, denn er hat Angst, dass sie seine große „Kraftquelle“, eine vielfältig ausgelebte Sexualität, beschneiden und ersticken könnten. Notorische Untreue ist dem Lebenskonzept Schnitzlers immanent, in immer wieder neuen erotischen Abenteuern offenbart sich ihm, wie er meint, die Wahrhaftigkeit des Lebens. Die Regeln in diesem Spiel gibt er vor: Es sind die Regeln des gesellschaftlich überlegenen Mannes, des Bonvivants und Ästheten, denen sich seine Geliebten unterwerfen müssen. Es ist ein Spiel, das er mit der zynischen Sicherheit eines wahren erotischen Virtuosen beherrscht, das ihn in unglaubliche Situationen manövriert, aus denen er sich doch immer wieder befreien kann. Wollte man diesen Befund kritischer und aus Sicht der Frauen formulieren, so müsste man einfach sagen: Schnitzler betrügt und belügt sie und verlässt sie am Ende doch.

DER SEX-STATISTIKER


Schnitzler ist praktischer Polygamist und durchaus stolz darauf, ein Berserker der Liebe, der seine „Leistungen“ peinlich genau dokumentiert: Er vertraut sich seinem einzigen treuen Lebensbegleiter, dem Tagebuch, an und agiert darin als penibler Statistiker seiner sexuellen Potenz. Der Liebesakt ist für ihn etwas Besonderes, etwas, das in Erinnerung bleiben soll, etwas, das nicht dem Vergessen anheimfallen darf. Offenbar um sich immer wieder seiner sexuellen Lebendigkeit zu vergewissern, verzeichnet der junge Schnitzler im Diarium seine erotischen Siege mit buchhalterischer Akkuratesse – so sind wohl die immer wieder im Zusammenspiel mit den Namen der „Mädel“ auftauchenden Ziffern zu interpretieren, eine Gewohnheit, die er bis zum „Verrat“ und „schauerlichen Verlust“ von Marie Glümer 1893 beibehält. Die Zahlen, die er Tag für Tag und Monat für Monat notiert, sind beeindruckend: Bereits knapp vor Mizis verhängnisvoller Abreise ins Engagement nach Wiesbaden kann Schnitzler „400“ Liebesakte mit ihr, verteilt auf den Zeitraum Juli 1889 bis August 1892, verbuchen; ebenso imponierend die Gesamtzahl der mit Anna „Jeanette“ Heeger verbrachten Liebesstunden: „564“, verteilt auf den Zeitraum September 1887 bis Januar 1890.

Wenn in Schnitzler-Biografien sein Hang, in der fragmentarischen Autobiografie Jugend in Wien keines der Mädchen, mit dem er eine „Liebelei“ hatte, unerwähnt zu lassen, kritisiert wird – Tenor: Das sei nun doch wirklich nicht nötig –, so verkennt man die Tatsache, dass Schnitzler hier in absoluter Übereinstimmung mit seiner persönlichen inneren Verfasstheit agiert: Er arbeitet sein Leben auch in der Retrospektive so ab, wie er es einst Tag für Tag aufgeschrieben hat: anhand von Erlebnissen mit Mädchen und Frauen und niemand von ihnen soll vergessen sein. Nicht zufällig lässt er wenige Jahre vor seinem Tod eine Liste aller Frauennamen – heute im Schnitzler-Nachlass an der Universität Freiburg – anfertigen, die in seinem Tagebuch erwähnt werden und die entsprechenden Daten der Tagebucheinträge zuordnen, eine Konkordanz sozusagen zur Erschließung seiner erotischen Biografie. Wer die Liste genau studiert, bemerkt, dass Schnitzler bei ihrer Erstellung persönlich mitgewirkt haben muss – einzelne Daten sind mit Unterstreichung markiert und verweisen meist darauf, dass er eine Frau an diesem Tag erstmals „besass“.

An dieser Stelle noch eine Anmerkung: Zahlreiche Arbeiten zu Schnitzler haben ein Grundproblem: Sie unterschätzen in dramatischer Weise die elementare Bedeutung, die den Beziehungen zu Frauen im Leben und Schaffen des Dichters tatsächlich zukommt. Schnitzler, sein Tagebuch zeigt es eindrucksvoll, ist ein Narziss. Er braucht die Bewunderung und die „Liebe“ der Frauen, er lebt mit dem „Bedürfnis, immer was weibliches verlangendes“ um sich zu haben (TB, 13. Dezember 1892), und er schreibt auch darüber. Wenn man daher etwa im 2014 erschienenen Schnitzler-Handbuch die Namen zahlreicher Frauen, die seinen Weg gekreuzt haben und mit denen er zum Teil jahrelang zusammengelebt hat, vergeblich sucht und auch Marie „Mizi“ Glümer, jene junge Frau, die ihn wie keine andere Geliebte bewegt und erschüttert hat, auf 400 Seiten nur sechsmal erwähnt wird, so zeugt das von Ignoranz. Von einer Ignoranz, die kaschiert wird mit gespreizter, „wissenschaftlich“ klingender Metasprache. Nun soll hier keineswegs einer ausschließlich biografischen Deutung seiner Texte das Wort geredet werden, aber die Behauptung soll gelten: Wer sich nicht die Mühe...

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