Kapitel 1:
Was Trauer mit unserem Geist und Körper macht
Wenn der geliebte Partner gestorben ist, wird plötzlich aus dem Wir ein Ich. Ob er plötzlich oder nach langer Krankheit und nach einem langen, sogenannten »erfüllten« Leben gegangen ist: Das gemeinsame Sein, das sich über Jahre aufgebaut und entwickelt hat, ist mit einem Mal zu Ende und das lässt uns in ein tiefes Loch fallen. Wir fühlen nur noch Schmerz, nie waren wir so verletzt und verletzlich, nichts ist mehr, wie es war. Kam der Tod plötzlich, beschäftigt uns für lange Zeit die Frage nach dem Warum und wie wir es hätten verhindern können, denn der Schmerz, den dieser Verlust bedeutet, lässt keine innere Weite mehr zu. Ist der Partner in höherem Alter gestorben, stellt sich oft die andere Frage nach dem Warum: Warum er zuerst, warum nicht ich, warum lässt er mich alleine? Fragen, die nicht zu beantworten sind und zu nichts führen. Fragen, die immer wieder im Kopf kreisen, während das Herz bis zum Umfallen schmerzt, aber einfach nicht aufhört, weiter zu schlagen. Das Leben geht weiter, obwohl das Leben des geliebten Mannes zu Ende ist. Das ist schwer zu ertragen. Auch wenn wir alle sterben, immer gestorben wurde und der Tod zum Leben dazugehört, ist unser Sein maßgeblich auf das Leben ausgerichtet. Dabei blenden wir den Tod aus, auch viele ältere Menschen, die bereits auf ein langes Leben zurückblicken können, tun das. Denn der Tod macht uns Angst, wir verstehen ihn nicht. Wir wissen nicht mit Sicherheit, was nach unserem Tod mit uns passiert, und eigentlich wissen wir auch nicht so recht, wo wir herkommen. Vielleicht sind Nähe und Liebe genau die Werte, die wir, wenn wir geboren werden, aus der einen Welt mitbringen und die wir in eine andere Welt mitnehmen, wenn wir sterben. So hinterlässt ein Mensch, dessen Liebe und Nähe wir sicher waren, wenn er stirbt, einen riesigen Krater in unserem Herzen. Wir müssen ohne ihn, ohne diese Quelle der Liebe in die Zukunft schauen.
Die Trauer greift tief in unser gesamtes System ein, unser Geist und Körper und insbesondere das Herz sind betroffen. In diesem Kapitel erhalten Sie einen Überblick über die möglichen Folgen, damit Sie wissen, womit Sie es zu tun haben, und vielleicht mehr Geduld mit sich selbst bekommen. Die Informationen mögen Ihnen auch helfen, die Auswirkungen auf Sie zu mildern. Auf die psychische Verfassung gehe ich im vierten Kapitel gesondert ein.
Was im Gehirn passiert
Wenn wir einen geliebten Menschen verlieren, ist das ein schwerer Schicksalsschlag. Wir reagieren darauf mit Trauer. Obwohl wir uns während dieser Zeit öfter mal als »ver-rückt« empfinden, handelt es sich nicht um eine psychische Erkrankung. Es verändert sich lediglich unsere Wahrnehmung. Wir sind unkonzentrierter, weniger aufnahmefähig und gleichzeitig wesentlich empfindlicher. Es fühlt sich an, als würde vieles von dem, was uns nun begegnet, ungeschützt auf uns einprasseln und als hätten wir dem nichts entgegenzusetzen. Gedanken werden nicht zu Ende gedacht oder sie verschwinden einfach, wir sind unglaublich vergesslich; ältere Frauen vermuten darin erste Anzeichen einer Demenz und beobachten sich selbst misstrauisch. Der Partner ist verstorben und weder im Außen noch im Innen ist irgendetwas so, wie wir es gewohnt sind. Für diese Vorgänge gibt es Gründe. Um diese zu wissen, hilft, den eigenen Zustand besser zu verstehen und dadurch besser damit umzugehen.
Vergesslichkeit und Konzentrationsstörungen
Die Vergesslichkeit und mangelnde Konzentration hängen eng mit den ausgetretenen Pfaden in unserer Gehirnstruktur zusammen. Wenn Sie an dieser Stelle kurz gemeinsam mit mir darüber nachdenken, wird Ihnen klar, dass nahezu alle über die Jahre in Ihrem Gehirn angelegten Strukturen irgendwie im Zusammenhang mit Handlungen für und mit Ihrem Partner stehen. Das beginnt mit dem morgendlichen gemeinsamen Aufwachen, erstreckt sich über eine gemeinsame Tagesplanung, eventuell über den Tag verteilt kurze Nachrichten oder Überlegungen, was Sie zu Essen kochen, wie Sie den Abend verbringen, was noch im Haus zu erledigen ist, welche Freunde Sie treffen, oder Planungen für gemeinsame Unternehmungen und den nächsten Urlaub. All diese kleinen und großen Handlungen und Gedanken, die in Bezug zu Ihrem Liebsten stehen, haben über die Jahre Bahnen in Ihrem Gehirn hinterlassen, die Sie wie automatisch betraten, wenn sie benötigt wurden. Diese Automatismen, die Ihnen bisher das Leben erleichtert haben, machen Ihnen nun Ihre neue Situation enorm schwer. Wie gewohnt möchten Sie beispielsweise Kaffee für Sie beide kochen, im Supermarkt greifen Sie wie immer nach den Mengen, die Sie für mindestens zwei Personen benötigen, und während Sie das tun, wird Ihnen schmerzlich bewusst, dass genau diese vielen kleinen Alltagshandlungen nur noch für Sie selbst stattfinden. Ihr Partner ist gestorben und Sie sind alleine zurückgeblieben! Das, was Sie eigentlich schon wissen, aber erst nach und nach begreifen können, wird Ihnen in jedem dieser kleinen Augenblicke automatischen Handelns für Sie beide schmerzhaft bewusst. Immer wieder aufs Neue müssen Sie erkennen, dass die gewohnten Handlungen ohne den geliebten Menschen so keinen Sinn mehr ergeben. Es braucht Sie also nicht zu wundern, wenn Sie über den Tag verteilt, nahezu egal, was Sie tun, immer wieder unkontrolliert in Tränen ausbrechen, denn Ihre Handlungen laufen in eine schier unerträgliche Leere.
Die alten Strukturen funktionieren nicht mehr und es braucht Zeit, um neue Handlungsmuster anzulegen und im Gehirn zu bahnen. Nur eine einzige unerwünschte Gewohnheit abzulegen, das weiß jeder aus Erfahrung mit guten Vorsätzen beispielsweise an Sylvester, benötigt viel Zeit, Aufmerksamkeit, Konzentration und oft einen eisernen Willen. Jetzt befinden Sie sich aber in der Situation, in der Sie gleichzeitig unzählige Gewohnheiten ablegen müssen – und das auch noch gegen Ihren Willen. Selbstverständlich sind die Folgen davon Vergesslichkeit und Konzentrationsschwierigkeiten, denn Ihr wunderbares Gehirn läuft auf Hochtouren, um es Ihnen zu ermöglichen, sich so schnell wie möglich an die neue Situation anzupassen. Gleichzeitig arbeiten Sie vielleicht unbewusst dagegen an, denn mit jeder neuen Struktur realisieren Sie ein wenig mehr, dass Ihr Partner nicht mehr da ist und auch nie mehr wiederkehren wird, und dagegen wehrt sich alles in Ihnen. Seien Sie also nicht ungeduldig mit sich selbst, wenn Ihnen Ihr Alltag, so wie Sie es gewohnt sind, nur schwer oder kaum mehr gelingt. Lassen Sie stattdessen Ihr Gehirn vertrauensvoll gewähren und seien Sie beeindruckt von der ungeheuren Leistung, die Sie gerade vollbringen.
Was im Körper passiert
Der Verlust des geliebten Partners bedeutet enormen seelischen Stress. Unser biologisches System reagiert auf Reize. In Stresssituationen werden sofort unsere Energiereserven aktiviert, damit unser Körper in die Lage versetzt wird, das vor uns liegende Problem zu bewältigen. Nach dem Verlust des Partners wird unser Immunsystem permanent herausgefordert und bei so einer dauerhaften hohen Anspannung läuft es sehr bald auf Reserve. Wir fühlen uns unendlich müde und erschöpft, gleichzeitig angespannt, hellwach, unfähig abzuschalten. Ruhe und Entspannung können helfen, doch in dieser Verlustsituation erscheinen uns diese Begriffe wie völlig unverständliche Fremdworte. Trauer erscheint in dieser Zeit wie ein unendlicher Marathon. Eine Folge davon ist, dass unser Körper übersäuert. Der Basen-Säure-Haushalt gerät aus dem Gleichgewicht. Um unseren Körper dabei zu unterstützen, sich selbst wieder zu regulieren, helfen Bewegung, Entspannungsübungen und eine basenreiche Ernährung. Nehmen Sie sich Zeit und Aufmerksamkeit, um sich über das Thema Säure-Basen-Haushalt zu informieren1. So ist es beispielsweise wichtig zu wissen, dass der pH-Wert des Körpers, weist er nur geringe Abweichungen auf, wichtige Körperfunktionen wie den Nähr- und Sauerstofftransport und die Funktion unserer Hormone und Enzyme stören kann. So kann ein mangelndes Gleichgewicht von Säuren und Basen im Körper für Symptome sorgen, die nicht nur aktuell Ihre Gesundheit beeinträchtigen und Ihr Immunsystem schwächen, sondern Sie auch auf lange Sicht schädigen können. Folgen können unter anderem schwache Knochen, Zahnprobleme, Übergewicht, Müdigkeit, Hautprobleme, Schleimansammlungen, Muskelschmerzen und Schlafstörungen sein. Grob gesagt unterstützen Sie sich selbst am besten, wenn Sie auf Alkohol, Zigaretten, Drogen, Fleisch und sogar auch auf tierische Produkte verzichten oder sie zumindest reduziert zu sich nehmen. Gut hingegen sind basenbildende Nahrungsmittel wie bestimmte Obst und Gemüsesorten. Fehlt Ihnen die Kraft, nun auch noch auf Ihren Ernährungsplan zu achten, besorgen Sie sich vorerst ein Basenpulver in der Apotheke oder im Drogeriemarkt und trinken Sie morgens nach dem Aufstehen einen Teelöffel davon in Wasser aufgelöst. So legen Sie für den Tag gleich zu Beginn eine gute Basis und wenn mit der Zeit Ihre Kapazitäten Ihnen wieder etwas mehr Luft lassen, können Sie sich ausführlicher um Ihre Ernährung, Bewegung und Entspannung kümmern. Trinken Sie viel Wasser und konsumieren Sie verstärkt grünes Gemüse und...