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E-Book

Alles Nano?!

Die Technik des 21. Jahrhunderts

AutorNiels Boeing
VerlagRowohlt Verlag GmbH
Erscheinungsjahr2011
Seitenanzahl208 Seiten
ISBN9783644109513
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis7,99 EUR
Werden bald Nanoroboter unsere Muskelkräfte steigern, der Arterienverkalkung vorbeugen und Krebszellen unschädlich machen? Werden wir selbstreinigendes Geschirr, temperatursensitive Kleidung und staubkorngroße Computer besitzen? Oder werden außer Kontrolle geratene Nanoroboter uns und unsere Umwelt in ihre atomaren Bestandteile zerlegen? In seinem spannenden Wissenschaftsreport gibt Niels Boeing einen fundierten Einblick in die Grundlagen der Nanotechnologie und in die Zukunft, die sie uns eröffnet - mit all ihren Verheißungen und Risiken.

Niels Boeing, geboren 1967 in Bochum, studierte Physik und Philosophie und arbeitet heute als freier Journalist, u.a. für Die Zeit, Geo und Freitag.

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Leseprobe

Gestern: Die Idee


«Hackworth machte sich keine Sorgen, beobachtete aber dennoch die Anfangsphase des Wachstums, weil er sie stets interessant fand. Am Anfang hatte man eine leere Kammer, eine Halbkugel aus Diamant, in der trübes rotes Licht glomm. Im Zentrum der Bodenplatte konnte man das nackte Kreuz eines acht Zentimeter großen Feeders und eine zentrale Vakuumpumpe erkennen, die von einer Anzahl kleinerer Leitungen umgeben wurde, bei denen es sich um mikroskopische Förderbänder handelte, die nanomechanische Bauteile – einzelne Atome oder ganze, zu praktischen Bausteinen zusammengesetzte Gruppen – transportierten.

Der Materie-Compiler war eine Maschine, die am Endpunkt eines Feeders saß und nach den Weisungen eines bestimmten Programms Moleküle Stück für Stück von den Förderbändern nahm und zu komplizierteren Gebilden zusammensetzte 

Ein transparenter Dunst wuchs über den Endpunkt des Feeders wie Schimmel auf einer überreifen Erdbeere. Der Dunst wurde dichter und nahm eine Form an, manche Stellen etwas höher als andere. Er breitete sich auf dem Boden aus, weg von der Feederleitung, bis er seine vorbestimmte Grundfläche angenommen hatte: einen Quadranten eines Kreises mit einem Radius von zwölf Zentimetern. Hackworth sah weiter zu, bis er sicher war, daß er die Oberkante des Buchs daraus erwachsen sah.»

 

Neal Stephenson, Diamond Age, S. 79

1 Ein Parcours in die Zukunft


Es kommt uns wie ein Naturgesetz vor: Die moderne Technik schrumpft und schrumpft, und sie dringt dabei immer weiter ins Innere der Materie vor. Seit wir denken können, ist es nicht anders gewesen. Noch nicht einmal 60 Jahre sind vergangen, seit die ersten modernen Computer gebaut wurden. Auf Bildern, die wie aus einem fernen Zeitalter anmuten, sehen wir Techniker in Anzug und Krawatte an Wänden mit vielen Knöpfen hantieren und Kabel umstecken. Die Wände sind im wahrsten Sinne des Wortes die Benutzeroberfläche, also das, wofür heute Display und Tastatur ausreichen. Der Eniac, wie das erste «Elektronengehirn» in den USA hieß, füllte einen halben Laborraum aus. Seine Fähigkeiten waren allerdings bescheiden. Jeder gute Taschenrechner kann inzwischen mehr.

Größenvergleich: von makro bis nano

Oder nehmen wir das Handy, neben dem Internet die Ikone des technischen Fortschritts der neunziger Jahre. Noch 1985, im Film Wall Street, geht der Börsenspekulant Gordon Gekko, gespielt von Michael Douglas, am Strand seines Ferienhauses spazieren und hält sich dabei einen weißen Backstein ans Ohr. So jedenfalls sieht dieses lächerlich große Mobiltelefon aus, mit dem er seinen Mitarbeitern Anweisungen zum Kauf von Aktienpaketen gibt. Heute stecken wir ein Gerät so groß wie eine Zigarettenschachtel in die Hosentasche, das mit Elektronik, Prozessoren und gar einer Digitalkamera voll gestopft ist. Das ist ein Mobiltelefon im Jahre 2006.

Jahr für Jahr sind elektronische Bauteile, Datenspeicher, Präzisionswerkzeuge kleiner und Analysemethoden genauer geworden. Erst waren es Bruchteile von Millimetern – die Dicke eines menschlichen Haars –, dann wenige Mikrometer – der Durchmesser eines roten Blutkörperchens –, jetzt sind es Bruchteile von Mikrometern – die Breite von Transistoren auf einem Pentium-Chip. Doch Wissenschaftler, Ingenieure und Industriekapitäne sind sich einig: Das ist noch gar nichts im Vergleich zu dem, was nun kommt. Jetzt wird es richtig klein. Die Technik stößt in die Welt der Atome und Moleküle vor, zu Objekten von wenigen Nanometern1, also milliardstel Meter Größe. Das ist der Nanokosmos, eine Sphäre, in der die Gesetze der Physik Kapriolen zu schlagen scheinen. Kapriolen, die sich technisch nutzen lassen und damit unser Leben ordentlich umkrempeln sollen.

California Dreaming

Die Vision einer Technik im atomaren Maßstab beginnt, wie so viele andere Umwälzungen in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, mit einer verrückten Idee in Kalifornien. In dem US-Staat, wo die amerikanische Maxime des «Go West!» im Pazifik eine natürliche Grenze fand, suchte man neue Horizonte. Einen davon hat der amerikanische Physiker und Nobelpreisträger Richard Feynman, einer der herausragenden Wissenschaftler des vergangenen Jahrhunderts, ausgemacht. Kurz vor Silvester 1959 beschreibt er ihn an der Universität Berkeley in einem Vortrag mit dem Titel «There’s plenty of room at the bottom». «Es ist interessant, dass es im Prinzip für einen Physiker möglich wäre, jeden chemischen Stoff herzustellen, den ihm der Chemiker aufschreibt. Der gibt die Anweisungen und der Physiker setzt sie um», sagt Feynman. Wie er das macht? «Indem er die Atome dort platziert, wo der Chemiker sie haben will. So stellt man dann den Stoff her.»

Der Vortrag gilt heute weithin als die Geburtsstunde der Nanotechnik, auch wenn Feynman den Begriff noch nicht gebrauchte. Doch die Idee war plötzlich formuliert: einzelne Atome gezielt so zu manipulieren und anzuordnen, dass Stoffe mit ganz neuen Eigenschaften entstehen, ja, dass Materie erstmals auf atomarer und molekularer Ebene designt wird. Zwar lag die Auflösung der besten Elektronenmikroskope damals bereits bei einem Nanometer, aber der Gedanke, Atome zu bewegen, war ausgesprochen kühn. Feynman selbst hat die Idee danach allerdings nicht weiterverfolgt.

Am Rande des Foothill Expressway im südlichen Silicon Valley, in den beschaulichen Wohnstraßen von Los Altos, steht ein kleines Holzhaus, vor dem ein verblüffend großes Schild prangt. «Foresight Institute» ist darauf zu lesen. Der Name ist Programm: Es geht um die Zukunft. Eine Hand voll Freaks verfeinert hier seit vielen Jahren unermüdlich die Vision, die Feynman mit ersten groben Strichen skizzierte. Gegründet hat es Eric Drexler, die wohl umstrittenste Gestalt auf dem Gebiet der Nanotechnik.

1981 greift der damals 26-jährige Ingenieur in einem Aufsatz Feynmans Idee auf und stellt das Konzept einer «molekularen Fertigung» vor. Aus Eiweißverbindungen, den so genannten Proteinen, will er Teile für winzige Maschinen zusammenbauen. Fünf Jahre später bringt er dann das Buch Engines of Creation heraus, in dem er Fabriken und Roboter im Nanometer-Maßstab beschreibt. Das Buch ist kein wissenschaftliches Werk, eher ein Manifest, das manchen Studenten inspiriert und Debatten entzündet.

Das Holzhaus am Freeway ist denn auch kein Labor, sondern eine Art spirituelles Zentrum der besonders optimistischen Nanotechnik-Verfechter. «Nanotechnik wird größere Auswirkungen auf die Menschheit haben als die industrielle Revolution», sagt Drexlers rechte Hand Ralph Merkle. Der freundliche und barbapapaeske Informatiker hat inzwischen die Aufgabe übernommen, die Vision zu verbreiten. Drexler selbst hat sich angesichts der mitunter heftigen Kritik aus der Forschergemeinde an seinen Ideen aus der Öffentlichkeit zurückgezogen.

Die Speerspitze der Skeptiker befindet sich nur 15 Autominuten vom Foresight Institute entfernt in Santa Clara. Dort liegt das Hauptquartier des Computerkonzerns Sun Microsystems. Dessen Mitgründer und damaliger Chefwissenschaftler Bill Joy veröffentlicht im April 2000 ebenfalls ein Manifest. Diesmal im Hightech-Magazin Wired und mit einem nicht ganz so fröhlichen Titel: «Warum die Zukunft uns nicht braucht». Darin warnt er vor einer Verschmelzung von Nanotechnik, Robotik und Künstlicher Intelligenz zu einer Bedrohung für die Menschheit und fordert die Wissenschaft auf, die Forschung daran freiwillig zu beschränken, in Teilgebieten gar auszusetzen. Innerhalb kurzer Zeit löst der Artikel in den USA eine hitzige Debatte aus – während in Europa die Forscher kurz irritiert aufsehen und dann unbeeindruckt an der Entwicklung der Nanotechnik weiterarbeiten.

Schweizer Feinmechanik mal ganz anders

Die Texte von Drexler und Joy markieren gewissermaßen die beiden entgegengesetzten Pole des Nanotechnik-Aufbruchs: Euphorie und Weltuntergangsstimmung. In ihrer leidenschaftlichen Extrovertiertheit sind sie gewiss typisch für den Umgang der US-Amerikaner mit Visionen. Eine rein amerikanische Vision ist die Nanotechnik deshalb aber nicht. Ganz und gar nicht.

1974 veröffentlicht der Ingenieur Norio Taniguchi von der Universität Tokio einen Artikel, in dem er eine «atomare oder molekulare Verarbeitung und Verformung von Werkstoffen» entwirft. Taniguchi betrachtet dies als logische und notwendige Weiterentwicklung der Feinmechanik. «Der Begriff ‹Nanotechnik› ist vom Nanometer abgeleitet», schreibt er knapp. Damit ist der Begriff geboren – um gleich wieder für einige Jahre in der Versenkung zu verschwinden.

Nun ist Europa am Ball. Dort gibt es eine Region, die seit Jahrhunderten für ihre Feinmechanik berühmt ist: die Schweiz. Allerdings sind es keine Uhrmacher, sondern zwei Wissenschaftler eines Computerkonzerns, die nach all den Visionen endlich zur Tat schreiten. Im IBM-Labor in Rüschlikon, hoch über den Hängen des malerischen Zürichsees, bauen die Physiker Heinrich Rohrer und Gerd Binnig – der eine Schweizer, der andere Deutscher – aus reiner Neugier ein ganz ungewöhnliches Gerät: ein so genanntes Rastertunnelmikroskop. Sie wollen damit...

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