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E-Book

Zeitreisen

Die Erfüllung eines Menschheitstraums

AutorAriane Windhorst, Falko Blask
VerlagRowohlt Verlag GmbH
Erscheinungsjahr2011
Seitenanzahl416 Seiten
ISBN9783644444713
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
Physikalische Meisterleistung, kühnes Gedankenexperiment und tiefverwurzelte menschliche Sehnsucht. Die Idee, das Gefängnis der Gegenwart zu verlassen und durch die Zeit zu reisen, fasziniert die Menschen seit langem. Dieses Buch gibt einen umfassenden und unterhaltsamen Überblick über alle Aspekte des Zeitreisens und enthüllt erstmals existierende Prototypen von Zeitmaschinen und verblüffende Ideen aus dem grenzwissenschaftlichen Untergrund; es erläutert verständlich die physikalischen Theorien der Zeitreise und stellt brisante Patentschriften sowie Erfinder, Spinner und Genies vor, die sich an Zeitreisen des Bewusstseins versuchen. Es folgt Hinweisen auf Zeitmaschinen im Vatikan, in verborgenen Tempelanlagen oder in amerikanischen und russischen Labors, präsentiert selbsternannte Zeitreisende und natürliche Zeittore. Darüber hinaus entwerfen die Autoren eine Ideen- und Kulturgeschichte des Zeitreisens anhand von Film, Literatur, Mythen, Religion und Philosophie. «Als Einstieg empfohlen.» (ORF) «Amüsant, auch bei mitunter schwierig zu erklärenden Theorien immer gut verständlich.» (Kultur und Technik-Magazin aus dem Deutschen Museum, München) «Buch des Monats.» (GEO Wissen)

Falko Blask hat nach Studien der Medizin, Philosophie, Kommunikations- und Politikwissenschaft als Autor und Regisseur für Fernsehsender gearbeitet und Sachbücher über Philosophie, Medien, Jugendkultur und Musik veröffentlicht. Siene Spezialgebiete sind Bewusstseinstechnologie, Mythologie, Sonderweltanschauungen und extreme Phänomene. Den Verdacht, selbst ein Zeitreisender zu sein, weist er zurück.

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Leseprobe

1. Der Meister und seine Jünger


H. G. Wells und die Folgen

«‹Denn alles bis zu diesem Augenblick ist eine Geschichte›, sagt Tyler, ‹und alles von nun an ist eine andere Geschichte. Dies ist der größte Augenblick unseres Lebens.›»

Chuck Palahniuk, Fight Club

 

Die Idee, dass Zeit weder absolut ist noch linear verläuft, war schon im ausgehenden 19. Jahrhundert nicht neu. Immanuel Kant hatte bereits die Subjektivität der Zeitanschauung postuliert und der Zeit objektive Realität abgesprochen. In ihrer ordnenden Funktion ermöglicht Zeit erst Erfahrung und Erkenntnis. Raum und Zeit sind nach Kant reine Anschauungen, die den empirischen Anschauungen zugrunde liegen, und somit «bloße Formen unserer Sinnlichkeit»1.

Mit dem Siegeszug der nicht-euklidischen Geometrie bahnte sich bereits das abstrakte multidimensionale Denken an. Und der Philosoph Gustav Theodor Fechner, Erfinder der experimentellen Psychologie und Psychophysik, schloss 1846 anhand einfacher Gleichnisse von Leinwandprojektionen und laufenden Kugeln erstmals auf ein vierdimensionales Weltbild.1*

Die Literatur zog nach. Schon 1889 schickt Mark Twain in Ein Yankee an König Artus’ Hof seinen Helden Hank Morgan mit einem Schlag auf dessen Kopf ins sechste Jahrhundert; Charles Dickens lässt Geizhals Scrooge dank eines Weihnachtsgeistes ebenfalls in Vergangenheit und mögliche Zukunft blicken. Raufereien und Geister sollten als Konkurrenz um den Titel «Erste Zeitmaschine» allerdings außer Konkurrenz laufen. Denn der große Visionär und von Krankheiten gepeinigte Sozialutopist Herbert George Wells war schließlich der Erste, der 1895 eine Apparatur ersann, die die aktive Reise durch die Zeit ermöglicht – und zwar in beide Richtungen, was selbst für moderne Physiker eine noch größere Herausforderung wäre, als nur mal kurz in der Vergangenheit vorbeizuschauen. Adalbert von Chamissos Dampfross (1830 erdichtet) überholt zwar ebenfalls die Zeit, und Edward Page Mitchell lässt 1881 seine Protagonisten mit Hilfe einer alten Wanduhr in der Zeit zurückreisen, aber der willentliche Schöpfungsakt einer Maschine, die die Zeit beherrscht, ist eine originäre Wells-Erfindung. Er traf damit präzise den Geist des Jahrhunderts, über den der englische Literaturwissenschaftler und Wells-Experte Elmar Schenkel schreibt: «Das 19. Jahrhundert ist das erste, das die Raumreise durch Zeitreisen ergänzt, vielleicht, weil es eng wurde auf der bekannten Kartographie. Ist es nicht der Traum, so doch etwas Maschinenähnliches, das die frühen Spiele mit der Zeit ermöglicht; vielleicht ein Hinweis auf die Verwandtschaft von Traum und Maschine.»2 Schenkel verweist in diesem Zusammenhang vor allem auf Lewis Carroll, einen frühen Großmeister des Paradoxen, der in seinem Roman Sylvie und Bruno 1889 eine magische Uhr vorstellt, durch deren Manipulation man die Zeit zurückdrehen kann.

Wells’ Vehikel ähnelte aber wohl eher einem zu breit geratenen Fahrrad als einem Konstrukt, in dem Teilchenbeschleuniger oder energiereiche Laser verbaut sein könnten – wie sie heutige Wissenschaftler in Zeitmaschinen installieren würden.

Die technischen Details über das Wunderding erschöpfen sich allerdings in dürren Aussagen wie der, dass es in erster Linie ein Gestell «aus Metall, Ebenholz, Elfenbein und durchscheinendem Quarz»3 ist. Bei dem Metall soll es sich um Nickel handeln; eine Information, die zwar für einen Nachbau wenig hilfreich ist, aber Wells’ ironische Seite an deutet. Denn Nickel er. hielt seinen Namen nach einem Berggeist, sodass die literarische Zeitmaschine wohl auch ein wenig okkulte Energie für ihren Antrieb mit auf den Weg bekam.

Der Zeitreisende – wie Wells seinen anonymen Protagonisten nennt – entschwindet mit der Maschine aus seinem Labor und kehrt in desolatem Zustand zu einer Zusammenkunft seiner Freunde zurück, zu denen auch der Ich-Erzähler gehört. Was er berichtet, ist zweimal verfilmt worden und zählt zum Allgemeingut negativer Utopien: Im Jahr 802701 ist die Menschheit eine quasikommunistische, in einem scheinbar paradiesischen Garten lebende Gemeinschaft debiler Blumenkinder. Sie hausen in Ruinen, leben von Früchten und verdanken einem zunächst unbekannten Lieferanten ihre Kleidung und die Dinge des täglichen Bedarfs. Von Kultur, Wissenschaft oder Militär keine Spur mehr. Dafür tägliches Glück und Angst vor der Dunkelheit. Der Zeitreisende findet jedoch entsetzt heraus, dass es noch eine andere Bevölkerung des Planeten gibt: Unter der Erde hausen Horden von Ingenieuren und Maschinisten, Morlocks genannt, die die an der Oberfläche lebenden Eloi zwar versorgen, aber auch verspeisen. Ein Zustand am Ende der Zivilisation, wenn sich Arbeitsteilung und Industrialisierung gegen die Nachfahren ihrer Erfinder gewandt haben, wenn Sklaverei den radikalsten Aufstand der Unterdrückten bedingt hat, wenn der Kulturmensch zum Schlachtvieh degradiert worden ist – ohne es auch nur im Geringsten zu realisieren. Den Zeitreisenden befällt angesichts dieser Zukunft der Menschen Trostlosigkeit: «Bekümmert dachte ich daran, wie kurz der Traum vom menschlichen Geist gewesen war. Dieser Geist hatte Selbstmord begangen.»4 Und er analysiert auch, aus heutiger Perspektive erschreckend visionär, wie es dazu kommen konnte: «Dies war seit jeher das Los der Tatkraft in einem Zeitalter der Sicherheit: Sie wendet sich der Kunst und der Erotik zu, und danach setzen Schwäche und Verfall ein.»5

Der Pessimismus steigert sich zur Fassungslosigkeit, wenn er vor den Morlocks noch weiter in die Zukunft flüchtet, in eine Zeit, in der die erkaltete Erde unter einer matten roten Sonne nur noch von einem runden zuckenden «Ding» mit Fangarmen bewohnt wird. Der Zeitreisende kehrt nach diesen Erlebnissen zwar zurück, um zu berichten, bricht aber kurz darauf zu einer zweiten Reise auf, von der er angeblich nie zurückgekehrt ist. Jedenfalls nicht zurück in die Zeit des Erzählers.

Eine verwandelte Fortsetzung

Die gängige Idee, dass es sich bei Wells’ Schilderungen lediglich um einen Roman handelt, weist Egon Friedell in seinem satirischen Werk Die Rückkehr der Zeitmaschine vehement zurück. Es sei kein Roman, sondern ein Tatsachenbericht, daran besteht für den Ich-Erzähler aus Friedells Werk kein Zweifel.

Durch einen Briefwechsel mit Wells’ Sekretärin stößt dieser Ich-Erzähler auf den einzigen von Wells’ nicht zitierten Zeugen, der der Schilderung des Zeitreisenden lauschte: den Journalisten Anthony Transic. Auf dessen Augen- und Ohrenzeugenbericht fußt Friedells Buch, in dem es dann um die fatalen Versuche des Original-Zeitreisenden geht, auch in die Vergangenheit zu gelangen; ursprünglich nur ins Jahr 1840, um Vorlesungen des schottischen Dichters und Historikers Thomas Carlyle zu hören. Doch beim ersten Versuch bewegt sich die Zeitmaschine nicht ein Sekündchen zurück. Die Ursache liegt darin, dass das Gefährt in die Vergangenheit nur mit Hilfe eines Anfangsimpulses starten kann. Der Zeitreisende muss also zunächst Schwung holen, ein wenig in die Zukunft reisen, um so «aufgeladen» in die Vergangenheit durchstarten zu können. Dabei entdeckt er quasi nebenbei ein 1995, das von depressiven Holografien bevölkert ist, sowie ein 22. Jahrhundert, in dem astralreisende ägyptische Historiker seine Existenz bezweifeln: «Entweder es gibt keine Weltgeschichte, oder es gibt keine Zeitmaschine.»6 Diese Seelenwanderer weisen ihn außerdem darauf hin, dass sämtliche Eloi-Morlock-Erlebnisse, wie sie Wells beschreibt, keineswegs auf der Erde stattgefunden haben können, da der Zeitreisende eine räumliche Verzerrung beim Durchqueren der Jahrhunderte mit hoher Geschwindigkeit übersehen hat.

Verwirrt begibt sich der Zeitreisende auf den Rückweg; dieses Mal mit dem Wunsch, kurz in der Ära von Atlantis vorbeizuschauen und dann noch einen Zeitpunkt vor der Entstehung des Planeten anzusteuern. Angesichts vorheriger kleinkarierter Befürchtungen, zu einer Zeit vor der Erbauung seines Hauses zu landen und daher aus der Höhe des zweiten Stocks, in dem sich sein Labor befindet, auf die Erde zu stürzen, ein absurd gewagter Plan, ein vermessenes Forschungsprojekt: «Dann musste ich auf völlig freie Zeit stoßen, auf...

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