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E-Book

Alma Mahler-Werfel

Muse, Gattin, Witwe

AutorSusanne Rode-Breymann
VerlagVerlag C.H.Beck
Erscheinungsjahr2014
Seitenanzahl337 Seiten
ISBN9783406669637
FormatePUB/PDF
KopierschutzWasserzeichen/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis17,99 EUR
In den meisten Büchern über Alma Mahler-Werfel dominiert der männliche Blick: Alma als verführerische Nymphe, Alma als wahnhaftes Weib. Diese neue Biographie hingegen zeigt eine andere Frau. Eine Frau, die in regem Gedankenaustausch mit zahlreichen Komponisten, Dirigenten, Künstlern und Literaten stand, sie inspirierte, förderte und begleitete. Eine außergewöhnliche Frau, die Kultur mitgestaltete und so die Kraft zum Weiterleben in den Wirren des 20.Jahrhunderts fand. Das Leben von Alma Mahler-Werfel war ein Reigen an der Seite berühmter Männer. Sie war eine Meisterin im Hören, Sehen und Lesen und eine Muse voller Energie und Empathie. Am Klavier und komponierend nahm sie teil am Aufbruch in das 20.Jahrhundert. Von Wien aus ging sie mit Gustav Mahler in die Neue Welt. Ihren späteren Mann Franz Werfel begleitete sie dorthin ins Exil. Susanne Rode-Breymann entwirft auf der Grundlage eigener Forschungen ein differenziertes und faires Bild dieser faszinierenden Frau, die es verstand, sich immer wieder neu zu erfinden.

Die Musikwissenschaftlerin Prof. Dr. Susanne Rode-Breymann ist Präsidentin der Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover und Leiterin des Forschungszentrums Musik und Gender. Sie ist Mitherausgeberin der Tagebuch-Suiten 1898 - 1902 von Alma Mahler-Werfel.

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Leseprobe

1
In meines Vaters Garten: Plankenberg


Die junge Alma Schindler komponierte viele Lieder, über hundert, gesammelt in einer Mappe, die sie als kostbaren Besitz mit in die Ehe mit Gustav Mahler brachte und die sie mitnahm, wenn es im Sommer von Wien aufs Land ging. Es sind Lieder einer empfindsamen jungen Frau, die in Tönen frei assoziierend Selbstgespräche führt. Die Lieder geben Einblicke in ihr Inneres, legen Bekenntnis ab, spiegeln Stimmungslagen. «Wo Du nur immer Texte herhast, die so auf Deinen Zustand passen», fragte denn auch Almas Halbschwester Margarethe, von Alma Gretl genannt, im Januar 1899: «Ich kenne Dich, und alle Menschen, die Deine Lieder hören werden, werden Deinen Zustand kennen.»[1]

Eines der schönsten dieser Lieder ist In meines Vaters Garten auf einen Text von Otto Erich Hartleben:

In meines Vaters Garten
– blühe, mein Herz, blüh’ auf.
In meines Vaters Garten
stand ein schattender Apfelbaum
– süßer Traum, süßer Traum!
Stand ein schattender Apfelbaum.

Drei blonde Königstöchter
– blühe, mein Herz, blüh’ auf.
Drei wunderschöne Mädchen
schliefen unter dem Apfelbaum
– süßer Traum, süßer Traum!
Schliefen unter dem Apfelbaum

In meines Vaters Garten ist komponierte Erinnerung an die Kindheit, Teil einer lebenslangen Erinnerungsarbeit, die sich zwischen dem Tagebuch-Schreiben der jungen Alma Schindler und ihrer Selbsterfindung in ihrer Autobiographie Mein Leben erstreckt. Mit diesem vermutlich 1901 komponierten Lied setzt Alma Schindler dem Plankenberger Paradies ihrer Kindheit ein Denkmal.

Emil Jakob Schindler mit seiner Familie im Park in Schloss Plankenberg um 1890

Alma Schindlers Vater, der 1842 in Wien geborene Landschaftsmaler Emil Jakob Schindler, hatte mit der Familie zunächst in der Mayerhofgasse gewohnt und diese Wohnung mit dem 1850 geborenen Künstler-Kollegen Julius Victor Berger geteilt. Als Emil Jakob Schindler 1881 mit dem Künstlerpreis ausgezeichnet wurde, verbesserte sich die finanzielle Situation der Familie deutlich, so dass der Umzug in eine Wohnung in der Mariahilferstraße 37 möglich wurde. Außerdem konnte Emil Jakob Schindler das Schloss Plankenberg zwischen Tulln und Neulengbach, etwa 50 Kilometer westlich von Wien, mieten. Das im Frühjahr 1885 bezugsfertige Haus war von einem 1200 Hektar großen Park umgeben, einer weitläufigen Garten-Anlage mit Grotten, eingebettet in die Felder und Wälder der ländlichen Umgebung. Einblicke in dieses Paradies geben verschiedene Fotos wie auch Gemälde von Emil Jakob Schindler. Auf einem, Parklandschaft in Plankenberg aus dem Jahre 1887, verewigte er die Mädchen. Alma und Gretl spielen im Park, in dem sie «ihren Puppen in den Jasminlauben Privatzimmer» einrichteten, so dass man sie «untertags» kaum sah, sondern «nur ihr Lachen und Singen»[2] hörte.

Alma Schindler verbrachte viel Zeit im Atelier ihres Vaters, sah ihm zu, wie er malte, hörte, wie er dabei sang, erinnerte sich an seine «wunderbare Singstimme, einen hellen Tenor», mit dem er «mit dem größten Können Schumann-Lieder»[3] sang. Obwohl die Mutter vor der Ehe professionelle Sängerin war, war es der Vater, der Alma ein Pianino besorgte, auf dem sie, so ihre Worte, das Ihre «entdecken» konnte, «ohne darauf gestoßen worden zu sein».[4]

Ihre Mutter, Anna Schindler, stand für das Rationale, bei ihr lernte Alma Schindler, die in keine Schule ging, das Rechnen. Der Vater stand für das Kreative, Freie, das Überschüssige, das zu Frühe. Gegen den Willen seiner Frau führte Emil Jakob Schindler seine Kinder an Goethes Faust heran und legte ihnen das Buch mit den Worten: «Das ist das schönste Buch auf der Welt, lest es, behaltet es»[5] ans Herz. Das hinterließ tiefe Spuren in Alma Schindler: «Mir blieb, wie eine fixe Idee: Ich muss den Faust wiedererlangen. Und so war die ganze Jugend. Voll Versuchen und ohne jedes System.»[6]

Knapp dreizehnjährig wurde sie aus dem Paradies des väterlichen Gartens vertrieben, als Emil Jakob Schindler am 9. August 1892 im Sommerurlaub auf der Insel Sylt an einer verschleppten Blinddarmentzündung starb. Alma Schindler erlebte erstmals, dass ein Ort im Moment des Verlustes eines engen Familienangehörigen verlorenging und dass es danach unmöglich war, jemals wieder diesen Ort zu betreten. Immer wieder musste sie in ihrem Leben Orte auf diese Weise hinter sich lassen: Nach dem Tod ihrer Tochter Maria Anna 1907 wurde das Haus in Maiernigg verkauft, weil es zu sehr mit der Erinnerung an den furchtbaren Verlust des Kindes verbunden und deswegen nicht länger betretbar war. Nach dem sozialen «Tod» von Gustav Mahler im Moment seiner Demission von der Wiener Hofoper brachen Alma und Gustav Mahler nach New York auf. Nach dem Tod von Manon Gropius 1935 wurde das Haus in Venedig verkauft.

Das mit dem Vater Verlorene war Alma Schindlers Utopia. Es prägte ihre innere Welt und gab den Maßstab für ihre Wertvorstellungen. Unweigerlich, eben wie unter einer fixen Idee, jagte sie diesem Verlorenen hinterher und sah im Familiensystem um ihre Mutter die Gegenwelt all dessen, was sie erstrebte.

In diesem Familiensystem taten sich vielfältige Abgründe auf: Die 1857 geborene Mutter, Anna Sofie Bergen, kam mit nichts aus Hamburg (Veddel) nach Wien. Ihre Familie hatte 1871 den Ruin erlebt, was zur Folge hatte, dass Anna Sofie (wie später ihre Tochter) im Alter von vierzehn Jahren ihren Herkunftsort verlor. Über ihre Geschichte erzählt Alma Schindler am 27. August 1900 in ihrem Tagebuch: «Wir saßen beisammen, und Mama erzählte uns aus ihrer Jugend – wie sie – (die ganze Familie Bergen) von der Insel Veddel, wo der Großpapa eine große Bierbrauerei hatte, eines Nachts fliehen mussten, weil nach dem Krieg Zahlungsstockungen eingetreten waren – der Großpapa aber den Concurs nicht auslegen wollte, und sie nicht einmal das Geld für die Miethe hatten – wie die Kinder ihre Mutter aus dem Bette, aus dem Haus trugen, die in schwerem Kindbettfieber lag und eben ihr 12tes Kind bekam – wie Mama mit 11 Jahren zum Ballet kam und als Statistin 1 Jahr darin mitwirkte und so die ganze Familie ernährte – wie sie später Kindsmädel wurde, Windeln waschen musste, bei der Köchin schlafen – wie sie Bonne [dann Cassirin in einer Badeanstalt] und zum Schluss Sängerin wurde. Es klingt fast wie ein Märchen.»[7]

Anna Sofie Bergen war musikalisch begabt, machte eine Gesangsausbildung am Wiener Konservatorium bei Adele Passy-Cornet, beendete aber ihre Karriere mit der Eheschließung mit Emil Jakob Schindler am 4. Februar 1879. Bei der Hochzeit trug sie Alma bereits unter dem Herzen.

«Und dann die ersten Jahre ihrer Ehe – die Schulden – und Papa, der, wenn die Noth am größten war, sich auf den Bauch legte und 24 Stunden schlief», so setzt Alma Schindler ihre Erinnerungen fort, wobei eine dritte Person ins Spiel kommt: «Und Carl, der von einem Wucherer zum anderen lief und Geld verschaffte und alles Bewegliche versetzte.»[8]

Carl Moll war 1881, zwanzigjährig, als Schüler zu Schindler gekommen und verbrachte die zehn Jahre bis zu Emil Jakob Schindlers Tod 1892 «in einer Arbeits-, oft auch Wohn- und Reisegemeinschaft mit dem Maler und seiner Familie».[9] Im November 1887 brach Carl Moll gemeinsam mit der Familie Schindler und einem Hausmädchen zu einer Reise nach Dalmatien (Triest, Pula, Split, Dubrovnik) auf, verbrachte den Winter auf Korfu und kehrte im Frühjahr über Opatija zurück nach Wien. Emil Jakob Schindler hatte den Auftrag, für Kronprinz Rudolf Tuschezeichnungen und Aquarelle von Küstenorten der k. u. k.-Monarchie anzufertigen. Es war eine für Schindler künstlerisch höchst erfolgreiche, vom Kronprinzen vorausfinanzierte Reise, nach der er als bedeutender Maler der k. u. k.-Monarchie galt, durch verschiedene Auszeichnungen (Silberne Staatsmedaille 1888, Goldene Staatsmedaille 1891) geehrt und bei der Jahresausstellung des Wiener Künstlerhauses im Frühjahr 1892, auf der der Kaiser eines seiner Bilder kaufte, gefeiert.

Korfu blieb für Alma ein Sehnsuchtsort, an den sie sich später intensiv erinnert. Das dort als Achtjährige Gesehene und Erlebte, sei es die Naturschönheit, seien es die Menschen, stand ihr (am 5. September 1899) lebhaft vor Augen – und dies im Sinne einer lichten, farbigen Gegenwelt zu dem für sie nicht erträglichen Familiensystem, in dem sie nun als Zwanzigjährige leben musste: «So eng war es in meinem Zimmer. Unsagbar! Fort, fort, nicht nach Wien, wo ein verliebtes Elternpaar und ein Säugling meiner harren. Nein, hinaus ins Leben, in die Ferne. Italien, Corfu. Unser liebes Haus am Sattel des Berges – 2 Stunden entfernt von der Stadt Corfu. Auf der einen Seite die Aussicht auf die Adria, auf der anderen Seite das jonische [ägäische] Meer.»[10]

Anna Schindler und Carl Moll hatten nicht nur am 3. November 1895 geheiratet,...

Blick ins Buch
Inhaltsverzeichnis
Cover1
Titel3
Widmung4
Impressum4
Inhaltsverzeichnis5
Einleitung7
I1879–1902Kindheit und Jugend11
1. In meines Vaters Garten: Plankenberg12
2. Theresianumgasse und Steinfeldgasse auf der Hohen Warte19
3. Am Bücherschrank30
4. Im Theater39
5. Auf dem Spaziergang46
6. Am Klavier49
7. Obere Weißgerberstraße 12: «Beim Zemlinsky»56
8. In der Oper67
9. Wendepunkt: Der Brief79
Im Fokus: Frauen92
II1902–1911Ehe97
1. Auenbruggergasse 2: Gustav Mahlers Muse98
2. Gattin und Mutter110
3. Hören – Sehen – Lesen122
4. In der Sommerfrische133
5. New York: Neubeginn144
6. Vernetzungen in New York153
7. Die Neuentdeckung des Eigenen in der fremden Kultur161
Im Fokus: Männer172
III1911–1938Suche nach Identität177
1. Döbling: Pokornygasse 23178
2. Erster Weltkrieg, in der Elisabethstraße 22189
3. Mitte des Lebens204
4. Breitenstein am Semmering220
5. Italien230
6. Radikalisierungen241
Im Fokus: Kinder260
IV1938–1964Suche nach dem Ort265
1. Flucht durch Europa und Ankunft in New York266
2. Kalifornien273
3. Verlorenes Europa282
4. Witwe in New York291
Anmerkungen301
Literaturverzeichnis319
Abbildungsnachweise325
Namenregister327
Zum Buch337
Über die Autorin337

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