«… wir küßten uns, daß die Zähne schmerzten»
Erste Leidenschaften
Fast zwei Jahre lang – 1898/99 – ist die heimliche Liebe (treffender dürfte man sie wohl «Schwärmerei» nennen) zu Gustav Klimt Basso continuo in Almas Tagebüchern. Als ihre Mutter in ihren Aufzeichnungen spioniert und lesen muss, wie verliebt Alma in Klimt ist, versucht sie, gemeinsam mit Carl Moll, mal streng, mal liebevoll, Alma diese Liebe auszureden. Mutter und Stiefvater erzählen ihr in einer für Alma brutalen Offenheit von Klimts Verhältnis zu seiner Schwägerin, von seiner notorischen Untreue, von seiner menschlichen Unzuverlässigkeit. Dass Alma aus Trotz und Auflehnung nun gerade an ihrer Liebe zu Klimt festhält, ist für ein spätpubertäres Mädchen nicht ungewöhnlich. Die Art freilich, in der sie diese Treue begründet, ist ganz und gar typisch für Almas Charakter: Ja, es genügt mir, ich weiß, daß er mich gerne hat, daß er selbst unglücklich ist, und daß ich ihm alles verzeih’, weil er ein Künstler, ein echter Künstler ist.[66]
Diese Äußerung ist in zweifacher Hinsicht symptomatisch für sie. Erstens gilt für Alma lebenslang, dass an ein Genie nicht gewöhnliche Maßstäbe angelegt werden dürfen, denn: Ein Künstler hat selten Charakter.[67] Zweitens kann sie, auch mit sich selbst, rücksichtslos ehrlich sein.
Sie schämt sich keineswegs zuzugeben, dass sie sich über das Unglück ihres Geliebten freue, denn, so bekundet sie an anderer Stelle, sie gehöre keineswegs zu den selbstlosen Creaturen, die sich wünschen, der Geliebte möge glücklich sein, und sei’s mit einer anderen. Solche Phrasen, so Alma in der ihr oft eigenen illusionslosen Menschenkenntnis, läsen sich in Romanen ganz hübsch, seien aber in der Wirklichkeit erheuchelt und erlogen.[68]
Der Liebesroman zwischen ihr und Klimt, Tagebuch-Pathos hin oder her, ist freilich nur Fragment geblieben.
Ich meinte, etwas «Wichtiges» schützen zu müssen[69], schreibt Alma lakonisch aus der abgeklärten Distanz von sechzig Jahren in ihren Erinnerungen. In der Unmittelbarkeit ihrer Tagebuchaufzeichnungen liest man konkreter, was Alma unter diesem Wichtigen verstand.
Zwei Tage nachdem Klimt, der Alma und ihrer Familie nach Italien nachgereist ist, sie in Genua geküsst hat (zum ersten mal in meinem Leben geküßt, und den Mann, den ich einzig und allein liebe auf Erden[70]), habe Klimt zu ihr gesagt: Es ist nicht anders möglich, als ganz ineinander zu gehen.[71] Dies war dann doch zu viel für Alma: Ich wankte ordentlich & mußte mich am Stiegengeländer anhalten.[72]
Freilich ist es nicht diese unbedingte Forderung Klimts, die sie schließlich in ihr Tagebuch schreiben lässt: Meine Liebe beginnt sich langsam in Hass umzuwandeln.[73] An diesem 15. Mai 1899, den sie in ihrem Tagebuch mit einem Kreuz markiert, ist Klimt für Alma gestorben. Feige hat er sich zurückgezogen, ihre Liebe verraten und sich als Schwächling erwiesen.[74] Grund für Klimts Zurückweichen war eine Aussprache mit Carl Moll, dem Freund und Förderer, mit dem Klimt es sich ganz offensichtlich nicht verscherzen wollte. Sein Rückzug ist sogar, und dies ist für den wenig schreibfreudigen Klimt ganz ungewöhnlich, durch einen langen Brief an Carl Moll dokumentiert. Vier Tage nach der Eintragung Almas entschuldigt er sich nochmals für den Kummer, den er dem Freund bereitet habe. Zwar habe ihm Alma von Anfang an gefallen, «wie uns Malern eben ein schönes Kind gefällt», aber eigentlich den Hof gemacht habe er ihr nie. Zwar sei es nicht ganz leicht, «ihr gegenüber gleichgiltig zu bleiben», zwar habe er auf der Italienreise «vielfach ernste Gespräche […] in vertraulicher Art» mit ihr geführt, aber beiden sei klar gewesen: «Bis hieher und nicht weiter.» Eigentlich habe schon Molls Eingreifen in Italien ihm die Augen geöffnet – daher seien also die «peinliche Unterredung» und ein darauf folgender Brief Molls nicht mehr notwendig gewesen. Für die Zukunft verspreche er, sich von Alma fernzuhalten.[75]
Dieser Brief hinterlässt zwiespältige Gefühle bei der Lektüre. Falls Almas Tagebücher der Wahrheit entsprechen und nicht auch Projektionen von Mädchenträumen, vielleicht sogar Wunschträume nach sexueller Erweckung enthalten, ist ihre Enttäuschung über den Maler, der sich hier aus der Verantwortung stiehlt, verständlich. Ähnlich verständlich erscheint allerdings auch Molls Eingreifen. Alma, die einen väterlichen Freund zum Anschwärmen suchte, war wohl kaum reif für eine Heirat, und Klimt konnte kaum als der ideale Schwiegersohn gelten.
Er war nicht nur äußerlich eine unkonventionelle Erscheinung, vollbärtig und gewöhnlich in weite Mönchsgewänder gekleidet, sondern in Liebesdingen offenbar tatsächlich äußerst freizügig. In der Öffentlichkeit trat er seit 1892 mit einer ständigen weiblichen Begleitung auf, mit der Schwester seiner Schwägerin, Emilie Flöge, zu der er eine möglicherweise nur platonische Beziehung unterhielt. Nach seinem Tod hingegen stellte man fest, dass Klimt nicht weniger als vierzehn uneheliche Kinder gezeugt hatte, offenbar zumeist Sprösslinge aus Liebesabenteuern mit den Modellen seiner Frauenbildnisse.[76]
Auch dieser Konflikt Klimts – hier die verehrte Frau, die man durch körperliche Liebe nicht entweihen will, dort die ‹süßen Mäderln›, bei denen man sich Befriedigung holt – ist nicht untypisch für das Frauenbild der Wiener Moderne. Auch in Klimts Beziehung zu Alma klingt dieses Motiv an. Alma zeichnet ein Gespräch auf, in dem Klimt zu ihr gesagt habe: Ich liebe Sie, wie man ein schönes Bild liebt. Ich sehe Sie gerne und werde Sie immer gerne sehen, aber ich schätze Sie zu sehr, um Sie mit hinunter zu ziehen in den Schlamm, in dem ich versinke.[77]
Sollte Klimt durch Molls mahnende Worte erkannt haben, dass er im Begriff war, einem unschuldigen Mädchen wie Alma den hübschen Kopf vollends zu verdrehen, dann ist sein Rückzug wohl kaum mit Alma feige zu nennen, sondern eher ein verantwortungsbewusster Schritt in die richtige Richtung. Besonders viel Zukunft versprach die Beziehung Almas zu Klimt nicht zu haben. Entsprechend umsichtig wäre hier wieder das Verhalten des viel gescholtenen Stiefvaters Moll zu nennen.
Almas Beziehung zu Klimt ist jedoch nicht nur Almas erstes Liebeswunder[78], ihre Erweckung[79]. Zum ersten Mal erscheint in ihren Reflexionen über Klimt bereits jener Topos, der mehr oder weniger alle ihre Beziehungen zu Genies bestimmen wird: Alma als Energiequell der Künstler, als Retterin kreativer Menschen aus der «Verkommenheitssphäre»[80].
Von Oskar Kokoschka wird diese Inspirationskraft Almas erstmals deutlich ausgesprochen, danach von Franz Werfel und Friedrich Torberg. Latent ist diese Tendenz auch vorhanden in den Briefen von Gustav Mahler und Walter Gropius, die allerdings beide auch ohne Alma in der Lage waren, mit Selbstdisziplin geradlinig ihren Weg zu gehen.
Klimt war dazu – jedenfalls zeichnet Alma dieses Bild in ihren Erinnerungen – nicht fähig: Er hatte niemand um sich als wertlose Frauenzimmer – und darum suchte er mich, weil er fühlte, daß ich ihm hätte helfen können.[81]
Schon in ihrem Tagebuch meinte sie selbstbewusst vorauszusehen, dass Klimt ohne sie verloren war: Er wird trotz seiner immens hohen Künstlerschaft doch in den sinnlichen Morast versinken. Ich hätte ihn davor wohl bewahren können.[82]
Angesichts der rauschhaften Verliebtheit, die Alma zwei Jahre lang für Klimt empfunden hat, ist es erstaunlich, wie schnell ihre starke Natur sich regeneriert. Noch an jenem furchtbaren 15. Mai, an dem Klimt sie verraten hat, trägt sie in ihr Tagebuch ein: Und abends lachte ich doch, macht sich die an Shakespeare erinnernde Lebensphilosophie einer Freundin zu eigen, die zu ihr gesagt habe: Was ist denn das Leben? Eine Komödie. Und was liegt dahinter? Nichts.[83]
Doch diese philosophische Gelassenheit, wie könnte es anders sein bei einem so changierenden Geschöpf wie Alma, ist nicht von Dauer. Immer wieder kehren ihre Gedanken zu Klimt zurück, zu jenem ersten Kuss, zu ihrem Liebesleid.
Dieser schwankende Zustand wird noch Monate andauern. Immer wieder verschafft Alma sich Abwechslung, kokettiert mit diesem oder jenem feschen Kerl, eilt von der Secession zum Burgtheater, vom Musikvereinssaal zur Hofoper, um in Wagner-Wonnen einzutauchen, aber immer wieder denkt sie in einsamen Stunden an Klimt.
Bis schließlich ein neuer Mann in ihr Leben tritt: ihr Kompositionslehrer Alexander von Zemlinsky. Der jüdische Komponist, den sie als eine Carricatur bezeichnet, kinnlos, klein, mit herausquellenden Augen[84], wird bald zu einem neuen Stern an ihrem Horizont. Häßlich ist er bis zum Wahnsinn[85], notiert sie eines Tages, aber als ihre Familie, auch sie bisweilen von einer gewissen Borniertheit und von antijüdischem Ressentiment, sich über den kleinen Gnom[86], den sie da ins Haus bringt, lustig macht, wird wieder einmal ihr trotziger Widerspruchsgeist provoziert: Ich finde ihn nicht komisch – und nicht häßlich, denn die...