1. Einsame Leute
Es war Frühling geworden, und wir hatten beschlossen, unsere Ferien in Griechenland zu verbringen; auf einer kleinen Insel, die gut riecht, mit roten Mohnblumen und kargen, trockenen Landschaften, wo man einige Tage glücklich sein würde. Ich wollte in Ruhe arbeiten, ein wenig baden und Anisschnaps trinken. Und die Kinder und meine Frau, die sich sehr darauf freute, könnten Ausflüge machen und sich in der Sonne erholen.
Von meinem Arbeitsplatz aus hat man einen wundervollen Blick über das Meer. Eine Steintreppe führt hinunter in eine kleine, halbmondförmige Bucht. Der Strand ist nicht besonders gepflegt, aber das Wasser ist glasklar und blau und türkis. Auf dem Meer glänzen die Wellen wie Lametta am Christbaum, und die ganze Landschaft liegt in einem sehr gleichmäßigen Licht ohne allzu viele Schatten.
Ich mag diese melancholische, getragene Stimmung. Manchmal sieht man in der Ferne kleine Fischerboote oder Segelboote mit krebsroten Engländern, und auf einem Trampelpfad hinter unserem Haus ziehen Gruppen von gut gelaunten Wanderern vorbei. Es ist alles so gekommen, wie wir es uns gewünscht hatten. Nur dass ich jetzt, während ich diese Zeilen schreibe, unter einem Sonnenschirm sitze, der mich nicht vor der Sonne, sondern vor dem Regen schützt.
Auf der Insel kann man lange Zeit mit einem Roller fahren, ohne irgend jemandem zu begegnen, außer vielleicht einer Herde von Ziegen oder ein paar alten Männern, die mit knorrigen Stöcken unterwegs sind und anscheinend sehr viel Zeit haben. Unser Ferienhaus ist gut und komfortabel. Für das, was wir auf dem Bankkonto haben, ist es sogar eindeutig zu komfortabel. Als wir ankamen, empfingen uns allerdings acht griechische Bauarbeiter, die nebenan das Erdgeschoss für ein neues Haus hochzogen. Und wie soll man jemandem, der in der Sonne Steine aufschichtet und wenig Geld verdient, erklären, dass man sein Hämmern und Pfeifen nicht ganz so fröhlich findet, wie es vielleicht gemeint ist?
Manchmal ist es besser, nichts mehr zu ändern, nichts mehr zu wollen, einfach still zu sitzen, und sich zu begnügen mit dem, was ist, und mit dem, was einem zugedacht ist. Charlie Brown hatte einmal gesagt: »Heute habe ich hundert Entscheidungen getroffen – alle falsch.« Und als wir es aufgegeben hatten, etwas anderes zu wollen, und einfach zusahen, wie die Tage vergingen, wurde es sehr ruhig und sogar gemütlich, und wir hörten die Wellen schlagen und tranken Wein und Anis, und die Jungs erzählten am Abend von dem, was sie noch machen wollten in ihrem Leben und wie es richtig ginge, und dass wir Älteren eigentlich in dieser Zeit kaum noch begriffen, was wirklich interessant und wichtig sei. In der Ferne zog das flackernde Licht eines Fischerbootes vorbei, und wenn wir hinüber auf die Nachbarinsel schauten, die nicht besiedelt ist, wirkte im Mondlicht der Rücken des Berges wie das Fell eines riesigen Braunbären, der sich zum Schlafen einfach ins Meer gelegt hatte.
Man kann überall schreiben, und dennoch gibt es Orte, an denen es besser oder schlechter geht als an anderen. Oder man bildet sich zumindest ein, nicht jede Geschichte an jedem Ort gleich gut schreiben zu können. Die ganze Zeit suchte ich nach einem ersten Satz für den Anfang, und ich hatte ihn am Abend vor dem Einschlafen schon gefunden, aber am Morgen war er wieder weg. Seither warte ich auf eine Inspiration, auf einen Zustand, in dem eine Geschichte sich wie von selbst schreibt und man für eine gewisse Zeit selbst zu dieser Geschichte wird und Dinge sagen kann, die man sonst einfach nicht sagen könnte. Die Zeit wird allmählich knapp. Der Lektor drängt, aber immer kam etwas dazwischen. Fußballspiele, Familienangelegenheiten, Müdigkeit, lauter Dinge, die das Arbeiten unmöglich machen. Manchmal lebt man wie ein Hund. Aber es war ein Traum, über Jesus Christus zu schreiben. Was sollte spannender sein, als dem Geheimnis eines Mannes nachzugehen, der die Welt verändert hat wie niemand sonst.
Das Eigentliche dieser Geschichte, überlegte ich, müsste in ihrer metaphysischen Seite liegen. »Es gibt kein anderes Mysterium Gottes außer Christus«, hatte Henry de Lubac einmal gemeint. Und wer den Sinn des Lebens Christi zu fassen vermöge, der könne »eindringen in die göttliche Wirklichkeit.« Aber nun sitze ich an meinem Tisch über der Bucht, lege den Kopf in die Hände und blicke verzweifelt auf das Meer hinaus – als könne ich abwarten, bis ER aus dem Wasser aufstiege und ich könnte ihn sehen und beschreiben wie eine weiß-gelbe Hostie.
Anfangs erscheint einem Christus wie ein Wesen voller Zauber. Man sieht hin, und schon im nächsten Moment ist er wieder verschwunden. Manchmal ist er wie der Star aus einem Musical, ein Freak, der singend über die Bühne tanzt. Meine Frau meint sogar, Jesus habe alle Attribute einer Pop-Ikone. Wie er versonnen auf Bergen verweilt. Wie er mit fünf Laiben Brot und zwei Fischen fünftausend Menschen speist, indem das, was die Leute teilen, immer nur mehr wird statt weniger.
Die Frage nach Gott ist das eine. Dieses unfassbare Etwas, das niemand kennt, und von dem viele sagen, es existiere überhaupt nicht. Christus ist das andere. Wie kann jemand, überlegte ich zu Beginn meiner Recherchen, der weder ein Manifest noch ein intimes Tagebuch hinterließ, über zweitausend Jahre hinweg diese Faszination ausüben? Selbst kluge Menschen glauben, dass Jesus Tote auferweckte, über Wasser gehen und am Ende in den Himmel fliegen konnte wie eine Rakete in Cape Canaveral. Er wurde angeblich jungfräulich empfangen, zu einem Zeitpunkt, als noch niemand über künstliche Befruchtung und die Möglichkeiten des Klonens sprach. Und ist es nicht ungeheuerlich, zu denken, dass da ein Mensch, der um das Jahr 30 in Palästina hingerichtet worden ist, der Erwählte und Gesalbte, eben »Christus« sei? Wie kann man überhaupt eine einzelne Gestalt zur Mitte aller Geschichte erklären?
Mein Erstaunen über diese Dinge ist nicht kleiner geworden. Jesus lehrte in den Synagogen und verkündete seine Nachricht vom Reich Gottes. Während er die einen kurierte, darunter »Besessene, Mondsüchtige und Gelähmte«, wie es in den Evangelien heißt, nannte er andere »blinde Narren« oder »Nattern und Schlangenbrut«. Gegenüber unbarmherzigen Gläubigern, also Typen in Banken und Finanzämtern, sprach er die Warnung aus, sie würden dereinst den »Folterknechten« übergeben werden. Ehemüde wiederum tröstete er mit den Worten, »nach der Auferstehung« würden endlich »die Menschen nicht mehr heiraten, sondern sein wie die Engel im Himmel.«
Immerhin war ihm die Geschichte mit Judas passiert. Das macht bei der Auswahl von zwölf Leuten eine Ausfallquote von 8,33 Prozent. Und aus seiner handverlesenen Truppe, zähe Fischer, die für gewöhnlich nicht leicht aufgeben und die mit beiden Beinen auf dem Boden stehen, war schließlich kein einziger zur Stelle, als es um Kopf und Kragen ging.
»Gott von Gott, Licht vom Licht«, so reden die frühen Kirchenlehrer über Jesus. Johannes schreibt im Prolog seines Evangeliums, das zum Besten gehört, was jemals aufgezeichnet wurde: »Und das Wort ist Fleisch geworden. Es hat unter uns gewohnt.« Jesus war kein romantischer Träumer. Er hat von Menschen Anstrengung verlangt, sogar die größte, die man verlangen kann, die Umkehr. Muss man sich aber wundern, wenn den damaligen Schriftgelehrten die Haare zu Berge standen? »Ich werde euch nicht als Waisen zurücklassen«, versprach er. Er werde den »Vater« bitten, einen Beistand zu senden, »es ist der Geist der Wahrheit.« Wer kann so etwas ernst nehmen? Jesus sprach wie ein Psychopath: »Wer mich aber liebt, wird von meinem Vater geliebt werden, und auch ich werde ihn lieben und mich ihm offenbaren.« Und weiter: »Wer mich sieht, sieht den Vater«, und »keiner kommt zum Vater außer durch mich.«
Mit aller Vorsicht und allem Respekt kam Doktor Pierre Barbet, langjähriger Chefarzt der chirurgischen Abteilung des St.-Joseph-Krankenhauses in Paris, nach ausführlichen Untersuchungen zu dem Schluss, dass Jesus’ Todeskampf verhältnismäßig kurz gewesen sei. Der Gekreuzigte müsse dabei das Gefühl einer fortschreitenden Erstickung gehabt haben, verursacht durch die Fixierung des Körpers mit erhobenen Armen und der großen Behinderung der Atmung: »Der ganze Todeskampf bestand also aus einem abwechselnden Sichsenken und Sichheben, aus Atemnot und Atemschöpfen.« Wenn man die Evangelien mit den Augen des Arztes lese, so fährt er fort, »wird man jedes Mal mehr davon betroffen, wie der Heiland das ganze Geschehen beherrscht. Uneingeschränkt und freiwillig hat Er alle Folgen der Menschwerdung nach dem Willen des Vaters auf Sich genommen, einschließlich aller Zerstörungen, die Wunden an der armseligen Hülle unseres Körpers anrichten können.
Er ist gestorben, weil Er es gewollt hat.
Er ist gestorben, wann Er es gewollt hat, nachdem Er noch bei vollem Bewusstsein sagen konnte: ›Es ist vollbracht, mein Werk ist getan.‹«
In seinem 1949 veröffentlichten Buch mit dem bemerkenswerten Titel »Die Passion Jesu Christi aus der Sicht des Chirurgen« wertete der Arzt alle Zeugnisse und Zeugenaussagen aus, die er finden konnte. Er untersuchte das Grabtuch von Turin, von dessen Echtheit er absolut überzeugt war. »Die Symptome der Tetanie und Asphyxie«, so Barbet, »die für einen Arzt unzweifelhaft zu erkennen sind, beweisen, dass die Abdrücke des Grabtuches der Wirklichkeit entsprechen.« Er nahm sogar Experimente vor, um etwa herauszufinden, ob die Nägel bei der Kreuzigung durch den Handteller oder, was er für wahrscheinlicher hielt, durch die Handwurzeln getrieben...