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E-Book

...als ob sie Emma hießen

Eine Nachbetrachtung

AutorEmmy Werner
VerlagResidenz Verlag
Erscheinungsjahr2018
Seitenanzahl320 Seiten
ISBN9783701745913
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis18,99 EUR
Frau sein, Theater leiten, älter werden - die frühere Prinzipalin spürt all dem sehr persönlich nach. Liebt E. das Theater? Frägt man einen Fisch danach, ob er das Wasser liebt? Ihr erstes Theater schuf sie sich unter dem Esstisch der Eltern, ein Refugium des Kindes in den Kriegsjahren. Nach ersten Jahren als Schauspielerin zog es sie bald von der Bühne hinter die Kulissen. Erst hier konnte sie ihr gesamtes Potenzial entfalten - bis hin zur Rolle der Theaterleiterin. Doch wie gestaltet sich das Leben einer Frau, die nicht an der Seite eines Partners unsichtbar sein will? Mit welchen Vorurteilen ist sie konfrontiert? Emmy Werner hat ein Buch geschrieben, das Mut zeigt und Mut macht, zum Lachen anregt und dem Weg einer eigenwilligen Frau nachsinnt.

Emmy Werner, geboren 1938 in Wien. Als Schauspielerin hatte Werner zahlreiche Engagements. 1979/80 Gründung des Theaters Drachengasse, das sie auch bis 1987 leitete. Von 1988-2005 Direktorin des Volkstheaters Wien. Zahlreiche Auszeichnungen, u. a. Österreichisches Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst, Wiener Frauenpreis und Goldenes Ehrenzeichen der Stadt Wien.

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Leseprobe

Eine Art Prolog


Dreizehn Paar Schuhe. Gezählte dreizehn High Heel-Paare standen jetzt wie Zinnsoldaten in E.s Vorzimmer. Bildschön, hochhackig, eng, klein, spitz. Viel zu hochhackig, viel zu eng, viel zu klein und spitz. Zeuginnen eines verlorenen Kampfes.

Es war ein Abschied, ein Abschied von – ja, wovon eigentlich? Von der Jugend, vom »Sexappeal«? Lange stand sie vor diesen stummen Mahnerinnen einer vergangenen Identität. Nein, Identität war falsch, sie war ja keine andere als damals, als sie diese Schuhe noch getragen hatte, darin herumgestöckelt war, das Zwicken in den Zehen eisern ignorierend, denn ein bisschen wehgetan hatten sie ihr ja immer, diese schönen, hochhackigen, engen, spitzen Schuhe. Feindinnen waren sie zeitlebens gewesen. Feindinnen, in denen sie sich jedoch immer so toll gefühlt hatte! Ihre Füße konnten diese schönen Schuhe nicht mehr tragen, nicht mehr er-tragen. Jetzt musste sie ihnen Ade sagen, dachte sie wehmütig und betrachtete ihren Hallux.

Insgesamt hatten ja einmal noch wesentlich mehr solcher Paare in ihrem Schuhkasten geglänzt. Wie die Trophäensammlung von einem Lustmörder, hatte sie ein Freund gerügt. Nach und nach nur hatte sie sie nicht ohne Trennungsschmerz – und ein wenig Zorn auf die Kolleginnen, die sie noch tragen konnten – verschenkt. Zuvor jedoch noch alle fotografiert. Wo zum Kuckuck waren diese Fotos jetzt? Die dreizehn Paare im Vorzimmer waren lange für die Enkeltochter aufbewahrt worden, die ja immer schon gern feine Dame in ihnen spielte. Das hatte sich dann erübrigt, denn als die Kleine alt genug war, um Stöckelschuhe tragen zu können, da hatte sie bereits Schuhnummer 39. Zwei Nummern größer! Verlorene Liebesmüh’. Also lieber selbst noch einmal reinschlupfen, noch einmal in ihnen durchs Vorzimmer staksen mit schmerzverzerrtem Gesicht – und tschüss!

Materialermüdung! Dieses reizende Wort hatte der fesche Zahnarzt gemurmelt, was bei ihr zunächst einmal einen so heftigen Lachreiz ausgelöst hatte, dass sie die zwei in ihren Mund gestopften Mulltupfer dem Herrn Doktor beinahe ins Gesicht gespuckt hätte. Der Zahn der Zeit hatte die Zeit des Zahnes also enden lassen. Materialermüdung eben. Welch ein Begriff! In ihm lag wirklich alles drin, wovor es sich zu fürchten und zu bekreuzigen galt – aus Glaubens- oder Aberglaubensgründen. Eines vor allem implizierte er: Alterung und Auflösung.

Wenn ein Mensch siebzig Jahre alt geworden ist, hat das hoffentlich noch nicht materialermüdete Herz bereits mehr als zwei Milliarden Mal geschlagen und circa hundertachtzig Millionen Liter Blut durch den Körper gepumpt. Mit achtzig Jahren hat man rund dreihunderttausendmal gegähnt und im Durchschnitt siebenundzwanzig Jahre des Lebens verschlafen. Und mit neunzig hatten Frauen auch noch circa zwölf Kilo Lippenstift runtergeschluckt.

War sie, die gute alte »E.« – das war ihr Kürzel in Schriften, Briefen und SMS –, nun alt? Ab wann genau war man und vor allem frau alt? Jeder und jede alterte doch andauernd. Wenn sie das schon las: »die alternde Schauspielerin«. Ab wann nennt man eine Frau so? Gibt es dafür einen Kodex? Einen Podex-Kodex als Altersindex? Solange der Podex noch knackig ist? Im Showbiz trifft die Verachtung der Medien meistens nur die Frauen, wenn es um das Altern geht.

Madonna, diese starke Frau, die immer wieder Risken einging und sich nicht darum scherte, was Missgünstige und Zwerge über sie dachten und redeten, wird – obwohl noch recht fesch – in einer Konzertkritik brutal als »Bitch mit dem Rollator« bezeichnet! Die Rolling Stones hingegen werden bewundert, gerade weil sie so alt und angeblich trotzdem noch so sexy seien. Künstler an und über die achtzig bezeichnet man als Altmeister, Altmeisterinnen kommen so gut wie nie vor. Ebenso müssen Politikerinnen seit jeher mit dem Vorwurf leben, sie seien schon zu alt, während unzählige männliche Aspiranten auf höchste Ämter oft schon weit über siebzig sind. Auch bei der Suche nach Führungskräften aller Arten gilt: Frauen sind alt, Männer sind reif. Die dürfen, bis sie umfallen.

Das Altern sei nur eine Sinnestäuschung, eine Illusion, hatte E. einmal gelesen. (Wo?) Nur das Dezimalsystem lasse die runden Geburtstage so schnell daherkommen. Und: Die Zeit würde uns laut Hermann Hesse nicht verwandeln, sondern nur entfalten. Ent-falten? Damit wären ja alle Antifaltencremes hinfällig. Nutzlos sind sie sowieso.

Eine Freundin hatte ihr einmal gestanden, zur Depressionsvermeidung kein Licht mehr im Badezimmer aufzudrehen, damit sie ihr Gesicht nicht mehr so genau sehen müsse. Der diffuse Schein des Smartphones genüge. Eigentlich, sagte sie, sollte man ab einem gewissen Alter alle Spiegel verhüllen, wie die Altäre zu Ostern!

Nein, das passte E. gar nicht. Frauen sollten sich ihr Spiegelbild sehr wohl zumuten, sollten sich in jedem Zustand gerne anschauen und es mit dem Ausspruch Federico Fellinis halten, Gesichter seien die Lesebücher des Lebens. Ja, das stimmte – in ihnen konnte man lesen, was erlebt worden war, und man konnte die Zeit über das Gesicht wandern sehen. Weshalb sollte denn das vertuscht werden?

Anti-Aging – welch ein dummer, sinnloser Begriff! Weg mit dem Jugendwahn endlich! Was fiel diesen armen, schlecht beratenen Frauen ein, sich ihr Gesicht operativ derart entstellen zu lassen, dass sie nach solchen Eingriffen kaum wiederzuerkennen waren? Für wen ließen sie sich ihre Lippen zu solch grässlichen Wülsten aufspritzen, dass sie Krötenfratzen ähnelten? Nicht nur Frauen sündigten in diesem Sinne, bei Männern war etwa Italiens Herr B. der Fahnenträger der Gruselmonster: Nach Dutzenden Eingriffen sah er nun aus wie ein auf westlich verunstalteter Chinese. Warum machten Menschen das mit sich? Und vor allem – für wen? Für wen trugen Frauen diese grässlichen ärmellosen Kleider – vornehmlich am Opernball, dieser Revue des meist Geschmacklosen –, die so gar nicht mehr zu ihren flatternden Oberarmen passten?

In Hermann Bahrs Komödie Das Konzert sagt Marie zu ihrem Mann: »Wenn man die Sommerkleider nicht ablegen will, damit der Winter nicht kommen soll, dann kommt der Winter aber am Ende doch, und man friert nur umso mehr!«

Also liebkoste E. ihre kleinen Fältchen, viele waren es ohnehin nicht. Keine Sonne, keine Hormone, keine Drogen, keine teuren Kosmetika – das hatte ihre Haut jung gehalten.

Allerdings wurden ihre Züge jenen ihrer Mutter immer ähnlicher, wenn etwa morgens das Haar noch wirr, die Augen noch hasenartig und die Haut noch blass waren. Guten Morgen Mama, sagte sie dann zärtlich. Eigentlich hatte sie ihr ja nie sehr ähnlich gesehen, eher dem Vater, aber jetzt begann sie auch in der Gestik, im Lachen, im Husten – ja dem Räuspern sogar – ihrer Mutter immer mehr zu gleichen. Manchmal erschrak E. geradezu, wenn ihr das auffiel. Eben hatte sie sich noch am Beginn des ersten Aktes befunden, und nun sollte sogar schon der dritte Aktschluss in Sicht sein?

Ein Liedtext ihres Vaters kam ihr in den Sinn: »Darum nütze die Zeit, denn heute ist heut’, vielleicht ist’s bei dir schon morgen so weit …« Morgen schon?

Ab wann hatte man sie eigentlich nicht mehr für wesentlich jünger gehalten? Wann war das zum ersten Mal gewesen? Das konnte doch nicht plötzlich von einem Tag auf den anderen geschehen sein, dass man sich nicht mehr wunderte – so wie sie es gewohnt war –, wenn sie ihr Geburtsjahr nannte. Verschämt kokett hatte sie immer auf diesen verlässlich kommenden Jauchzer der Verblüffung gewartet: »Waaas? Nein, das kann ich nicht glauben, so jung wie Sie aussehen!« Und auf einmal also null Verblüffung, nur schnödes Zurkenntnisnehmen. Verdutzt hatte sie die Ziffer wiederholt, vielleicht hatte ihr Gegenüber schlecht verstanden, aber nein, stoisch nickte man auf einmal nur. Auch wenn sie ihre Kindheit im Krieg erwähnte, kam kein »Das gibt’s doch nicht, dass Sie damals schon auf der Welt waren!«, sondern ein bloßes Heben der Augenbrauen und ein »Tja, interessant, da sind Sie ja eine wichtige Zeitzeugin …«

Wann war es gewesen, dass an der Kassa im Museum auf ihr verschmitztes »Eine Seniorenkarte bitte« erstmals nicht mehr erstaunt »Ach so, wirklich?« gefragt, sondern diese ihr ohne Kommentar ausgedruckt wurde? War sie vielleicht an dem Tag nicht genug »hergerichtet« gewesen, wie das Sich-Hübschmachen in Wien so seltsam hieß? Die schöne, damals fünfzigjährige Grace Kelly fiel ihr jetzt ein und ihre bezaubernde Antwort auf ein Kompliment über ihr Aussehen: »Danke vielmals – aber leider dauert es bereits jeden Tag ein bisschen länger, bis ich so aussehe wie eben jetzt.«

Ganz ohne Vorwarnung war für E. der Drehmoment gekommen, an dem man sie für so alt ansah, wie sie tatsächlich war. Zu früh, dachte sie. Denn sie fühlte sich ja noch ziemlich jung, das war das Absurde...

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