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E-Book

Am Beispiel der Gabel

Eine Geschichte der Koch- und Esswerkzeuge

AutorBee Wilson
VerlagInsel Verlag
Erscheinungsjahr2014
Seitenanzahl373 Seiten
ISBN9783458738824
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis21,99 EUR


<p>Bee Wilson, geboren 1974, studierte in Cambridge Ideengeschichte, bevor sie sich als Gastrokritikerin einen Namen machte. Ihre Artikel - zum Beispiel über die Geschichte des Brotes oder Hitlers Ernährungsgewohnheiten - wurden unter anderem in der<em> London Review of Books</em> und im<em> New Yorker</em> publiziert. Die Guild of Food Writers kürte sie mehrfach zur Journalistin des Jahres.</p>

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Leseprobe

Töpfe und Pfannen


»Töpfchen, koche.«
Gebrüder Grimm, Der süße Brei, 1819

»Das Gesottene ist das Leben, das Gebratene der Tod.«
Claude Lévi-Strauss, Der Ursprung der Tischsitten, 1968 [dt. 1973]

Der von mir am meisten benutzte Kochtopf ist wirklich nichts Besonderes. Am Anfang meiner Ehe habe ich ihn als Teil eines zehnteiligen Sets im Sonderangebot einer Versandhausbeilage der Sonntagszeitung gekauft, und damals hatte der Gedanke, glänzende und vor allem zusammenpassende Töpfe und Pfannen zu besitzen, auf geheimnisvolle Weise etwas Erwachsenes – besonders im Gegensatz zu dem Sammelsurium angeschlagenen Emaillegeschirrs meiner Studentenjahre. Das Set war aus rostfreiem Stahl. In der Anzeige stand: »Wenn Sie jetzt bestellen, sparen Sie soundso viel und erhalten einen Milchtopf gratis dazu!« Also bestellte ich. Diese Töpfe und Pfannen haben uns gute Dienste getan. Eine ganze Weile haben wir sogar den Gratis-Milchtopf benutzt, um Milch für die Frühstücksflocken meiner Tochter zu erwärmen – obwohl er ärgerlicherweise keinen Ausguss hatte, weshalb wir hin und wieder ein wenig Milch auf der Arbeitsplatte verschütteten. Und dann, eines schönen Morgens, fiel einfach so der Griff ab. Trotzdem schätzen wir die Töpfe und Pfannen alles in allem sehr. Dreizehn Jahre später habe ich es noch immer nicht geschafft, auch nur eines der Teile vollständig zu zerstören. Sie haben verbranntes Risotto, auf dem Herd vergessene Schmorgerichte und klebriges Karamell ertragen. Edelstahl mag Wärme nicht so gut leiten wie Kupfer und sie auch nicht so gut halten wie Gusseisen oder Keramik, und er mag auch nicht so schön aussehen wie emailliertes Gusseisen – aber beim Spülen zeigt er, was wirklich in ihm steckt.

Besonders treue Dienste hat uns ein mittelgroßer Topf mit Deckel und zwei kleinen Henkeln geleistet. Ich glaube, der Fachausdruck lautet einfach nur Kochtopf, obwohl das französische Wort fait-tout besser geeignet wäre, denn damit lässt sich wirklich alles machen. Morgens stellt man ihn auf den Herd, um ein Porridge zu kochen, und abends bereitet man darin Reis zu. Er kennt die cremige Eintönigkeit von Pudding und Milchreis ebenso gut wie die feurige Schärfe eines Currys oder den Geschmack unzähliger Suppen, von sämiger Brunnenkressesuppe bis hin zu pfeffriger Minestrone. Er ist mein Alltagstopf. Da er zu klein ist, um Pasta zu kochen oder Brühe herzustellen, erledigt er alle Kocharbeiten, an die ich sonst keine weiteren Gedanken verschwende: den Herd anstellen; Wasser in den Topf geben; Salz hinzufügen; Brokkoliröschen oder grüne Bohnen oder Maiskolben hineinwerfen; je nach Lust und Laune mit oder ohne Deckel; für ein paar Minuten kochen und in einem Sieb abtropfen lassen – fertig. Es ist nichts Bahnbrechendes oder Herausforderndes daran. Die Franzosen haben für diese Art des Kochens in der Regel nur Verachtung übrig und nennen sie »à l'anglaise«, und in Anbetracht dessen, was die Franzosen von der englischen Küche halten, wissen wir, dass es sich um eine Beleidigung handelt. Ein französischer Wissenschaftler namens Hervé This geht sogar so weit, dieser Methode »intellektuelle Armut« zu bescheinigen. Französische Köche dünsten Gemüse, zum Beispiel Karotten, am liebsten in einer winzigen Menge Wasser, schmoren sie wie Ratatouille oder garen sie als ein Gratin mit Brühe oder Sahne im Ofen, um ihr süßes Aroma hervorzuheben – Gemüse einfach nur zu kochen gilt als die langweiligste Möglichkeit, und das vielleicht zu Recht.

Als Küchentechnik an sich ist das Kochen in Flüssigkeit jedoch alles andere als naheliegend. Der Topf veränderte die Möglichkeiten der Speisezubereitung. Etwas kochen zu können – in einer Flüssigkeit, die unter Umständen zusätzlichen Geschmack verleiht – war ein großer Schritt weg vom Feuer. Es fällt schwer, sich eine Küche ohne Töpfe vorzustellen, daher ist es ebenso schwierig zu erfassen, wie viele Gerichte wir diesem grundlegenden Ausrüstungsgegenstand wirklich verdanken. Der Topf ermöglichte uns eine sehr viel größere Auswahl an essbaren Lebensmitteln: Viele Pflanzen, die zuvor giftig oder zumindest unverdaulich waren, konnten wir erst verzehren, nachdem wir sie für mehrere Stunden gegart hatten. Töpfe kennzeichnen den Sprung vom bloßen Erhitzen zur echten Kochkunst – dem ruhigen, bedachten Vermischen von Zutaten in einem menschengemachten Gefäß. Frühe Kochmethoden bestanden aus dem Braten und Grillen über offenem Feuer. Beweise dafür sind Hunderttausende Jahre alt. Kochtöpfe aus Ton gibt es dagegen erst seit 9000 bis 10 ‌000 Jahren. Im Tal von Tehuacán hat man Kochtöpfe aus Stein gefunden, die ungefähr aus der Zeit um 7000 v. ‌Chr. stammen.

Speisen im Feuer zu rösten ist eine unmittelbare und unmissverständliche Art des Kochens: Rohes Essen kommt mit einer Flamme in Berührung und verändert sich. In einem Topf zu kochen oder in einer Pfanne zu braten sind dagegen indirekte Methoden. Zusätzlich zum Feuer benötigt man dazu wasser- oder feuerfeste Gefäße. Die Wärme des Feuers wird erst durch ein Medium auf die Lebensmittel übertragen, sei es durch das Öl beim Braten oder das Wasser beim Kochen. Gegenüber den primitiven Flammen ist das ein Vorteil, besonders bei der Zubereitung von etwas so Empfindlichem wie einem Ei. Kocht man ein Ei, schützen es drei Dinge vor dem Angriff des Feuers: die eigene Schale, das Metall des Topfes und das sprudelnde Wasser. Auf kochendes Wasser trifft man in der Natur allerdings nicht sehr oft.

Heiße Quellen kann man in Island, Japan und Neuseeland finden. Sie sind jedoch so selten, dass sie als Naturwunder gelten. In vorindustriellen Zeiten muss sich das Leben in der Nähe einer solchen Quelle angefühlt haben, als hätte man einen Samowar in der Größe eines Sees im Garten – ein unwahrscheinlicher Luxus. Die neuseeländischen Maori, die in der Nähe der brodelnden Tümpel von Whakarewarewa lebten, setzten diese traditionell zum Kochen ein. Verschiedenes Kochgut – zum Beispiel Wurzelgemüse und Fleisch – wurde in Flachskörbe gelegt und so lange ins Wasser gehalten, bis es gar war. Eine ähnliche Technik wird seit Jahrhunderten in den isländischen Geothermalfeldern angewendet. Noch heute backt man in Island ein dunkles Roggenbrot, indem man den Teig in eine Dose gibt und alles im heißen Boden nahe der Quellen vergräbt, bis der Dampf das Brot vollständig gegart hat (was normalerweise um die 24 Stunden dauert).

Die archäologischen Funde sind zwar nicht eindeutig, doch gibt es Grund zu der Annahme, dass die alten Völker, die in der Nähe von Geysiren lebten, über viele Jahrtausende damit experimentierten, rohe Speisen, die sie an einem Stock oder einer Schnur befestigten, in den wabernden Dampf zu halten, damit sie das Essen im Idealfall blitzschnell herausziehen konnten, sobald es fertig war. Im Idealfall. Sollten unsere Vorfahren nicht sehr viel geschickter als wir gewesen sein, muss viel von dem guten Essen im vulkanischen Wasser verlorengegangen sein, wie Brotwürfel in einem Fonduetopf.

Trotzdem hat das Kochen in einem Geysir gegenüber dem Kochen in Wasser sehr viele Vorteile. Es macht weniger Arbeit, denn die Mühen, eine Wärmequelle zu erzeugen, fallen vollkommen weg. Außerdem garen die Zutaten sanfter. Kocht man direkt über dem Feuer, lässt sich das Problem außen verkohlter und innen noch roher Speisen schwer vermeiden. Taucht man Lebensmittel dagegen in heißes Wasser, kann man ihnen die nötige Zeit lassen; ein paar Minuten mehr oder weniger machen da auch nicht viel aus.

Die meisten Menschen wohnen jedoch nicht in der Nähe von Thermalquellen. Stellen Sie sich vor, Sie wären in Ihrem Leben nur kaltem Wasser begegnet, wie kämen Sie dann überhaupt auf den Gedanken, es zu erhitzen, um es zum Sieden zu bringen? Feuer und Wasser sind nicht nur Gegensätze, sie sind sogar Feinde. Nachdem man Stunden darauf verwendet hatte, ein Feuer zu entfachen – indem man Holz sammelte, Feuersteine gegeneinanderschlug und Stöcke aufeinanderschichtete –, warum sollte man das Ganze dann aufs Spiel setzen und Wasser in die Nähe der kostbaren Feuerstelle bringen? Wir, die wir über leicht anzündbare Gasherde und elektrische Wasserkocher verfügen, halten das Kochen für eine sehr nüchterne Angelegenheit. Wir sind an Töpfe gewöhnt. Für jemanden, der noch nie mit heißem Wasser gekocht hat, ist das Ganze jedoch nicht unbedingt der nächstliegende Schritt.

Die erste bewusste Kochhandlung erforderte also eine wirklich neue Idee. Ein Kochgefäß zu entwickeln, wo vorher keines war, ist eine überaus kreative Leistung. Beim Kochen in heißen Quellen sind die vielfältig zum Einsatz kommenden Körbe und Schnüre nicht der unbedingt wesentliche Bestandteil: Das Erdreich, das das kochende Wasser umschließt, wird selbst zu einer Art Kochtopf. Mangelt es an diesen Quellen, benötigt man zum Kochen jedoch ein Gefäß, das robust genug ist, um der Wärme standzuhalten, und aus dem die Speisen nicht auslaufen können.

Bevor der erste Töpfer den ersten Topf erschuf, gab es bereits einige Lebensmittel, die mitsamt einem eigenen Kochgefäß geliefert wurden. Muscheln, Schalentiere und verschiedene Reptilien, darunter besonders Schildkröten, haben topfähnliche Gehäuse. Muschelschalen werden immer noch als Serviergefäße und -besteck eingesetzt. Verspeist man eine dampfende Portion Muscheln in Weißwein, sucht man sich erst eine der Muscheln heraus, um sie als praktische Zange zu verwenden, mit der sich das Fleisch der anderen Muscheln auslösen lässt. Die Yaghan, die Ureinwohner Feuerlandes, benutzten Muscheln als Tropfschalen, um das Fett von...

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