Schöne Achseln oder: Am liebsten sind mir die Problemzonen, die ich noch gar nicht kenne
Schlagen wir eine beliebige Frauenzeitschrift auf und bilden uns ein wenig. Es gibt feines, plattes oder stumpfes Haar. Zusätzlich zu kraftlos-geschwächtem Haar, welches nach sofortiger Rettung verlangt. Ich sehe es bildlich vor mir: mein Haar, geschwächt am Boden. Es atmet nur noch ganz flach. Ich habe es mit dem falschen Shampoo in seinen sicheren Untergang getrieben. Den kann ich nur noch mit einem »revitalisierenden Spray« aufhalten, das »unmittelbare Griffigkeit« verleiht. Nun bin ich der Meinung, Griffigkeit ist seit Rapunzels Zeiten bei Haaren nicht mehr unbedingt vonnöten. Weil der Traumprinz auch einfach klingeln kann. Aber für fünfzehn Euro darf das Spray von mir aus natürlich gern einen Zusatznutzen aufweisen. Und um nie wieder so viel Geld ausgeben zu müssen, kehre ich, wenn wieder alles tippitoppi ist mit meinen Haaren, selbstverständlich nicht zu meinem alten Shampoo zurück, sondern benutze von nun an ausschließlich die Pflegeserie »für repariertes Haar«.
Ich nenne es liebevoll das Problemzonencasting. Die Schönheitsbranche ist einer der konkurrenzreichsten und profitabelsten Wirtschaftszweige weltweit. Der Herstellungspreis ihrer Produkte macht oft nur einen Bruchteil des Verkaufspreises aus. Die zusätzlichen Euro zahlen wir für zwei Versprechen: Wir kaufen nicht nur Haarpflege, Mascara oder Parfüm. Wir kaufen auch Luxus und Einzigartigkeit. Eine Idee, die übrigens in Deutschland getestet wurde. Als sich L’Oréal in den 60er-Jahren als erste Kosmetikfirma entschied, ihr neues Haarspray einfach zum doppelten Preis wie das Konkurrenzprodukt zu verkaufen. Einfach so, in der Hoffnung, dass es ihm Exklusivität verleihen würde. Eine damals sehr ungewöhnliche Taktik im Beautybereich, die kritisch beäugt wurde und komplett aufging.3 Noch heute kaufen wir bei Schönheitsprodukten das Versprechen auf etwas Besonderes mit.
Und wir kaufen die Lösung eines Problems. Aber in einer Branche, in der sich ständig neue Produkte behaupten müssen, ist es klug, sich auch ein wenig den eigenen Bedarf zu schaffen und nicht nur die Probleme zu lösen, die es bereits gibt. Genau hier kommt das Problemzonencasting ins Spiel. Das geht so: Bei der Produktentwicklung und den anschließenden Marketingsitzungen dreht und wendet man eine handelsübliche Frau und schaut prüfend nach, was man schlechtreden könnte. Um es dann, mithilfe des neuen Produktes, wieder ein bisschen zu verbessern. Denn in vielen Fällen ist der Frau ihr Problem noch gar nicht bewusst, wenn die neue Ware den Markt erreicht. Deshalb muss man ihr den frisch entdeckten Makel zunächst genau erklären. Dabei helfen unsere Magazine und Zeitschriften gern mit. Sie leben nämlich nicht nur vom Verkaufspreis, sondern auch von ihren Werbeeinnahmen. Dieses Geschäftsmodell ist so einfach wie genial. Man befeuert die Unsicherheiten von Frauen, um ihnen die Lösung für das eingeredete Defizit gleich mitzuverkaufen. Babys kommen nicht auf die Welt und suchen argwöhnisch ihre Oberschenkel nach Dellen ab. Und genau mit diesen Dellen, auch bekannt als Cellulite, fing alles an.
Die Erfindung der Cellulite
Die Cellulite ist das Urpferdchen bei der Erfindung von Problemzonen. Was wir Cellulite nennen, ist eine normale Reaktion der weiblichen Haut. Sie beruht auf dem Zusammenspiel der Hormone Östrogen und Progesteron. Die Bezeichnung existiert seit den 20er-Jahren, und sie beschreibt etwas Charakteristisches am weiblichen Körper, wie Brüste oder die Menstruation. Je nach Studie haben zwischen 85 und 98 Prozent aller Frauen Cellulite. Diese hohen Zahlen zitieren auch Frauenzeitschriften gern. Aber nicht, um Normalität zu unterstreichen, sondern um uns zu sagen: »Du bist nicht allein mit deinem Problem.«
98 Prozent. Das ist ungefähr die gleiche Anzahl an Frauen, die voll entwickelte Brüste haben. Wir könnten uns also genauso gut dafür entscheiden, gegen unser Brustwachstum zu cremen. Es hätte den gleichen Effekt (so gut wie keinen) und die gleiche Gewinnspanne für die Unternehmen (eine ziemlich große).
Wer genau den Startschuss zum Vormarsch der Cellulite in die besorgten Köpfe von Frauen gab, ist nicht ganz klar. Aber 1968 veröffentlichte die Vogue einen großen Artikel, der Cellulite erstmals als kosmetisches Problem beschrieb.4 Die Vogue hatte gemeinsam mit anderen Modemagazinen bereits seit den frühen 60er-Jahren begonnen, sich etwas mehr um den Körper in der Kleidung zu kümmern. Man könnte überlegen, ob diese Entwicklung etwas mit den zeitgleich ansteigenden Werbebudgets für Beautyprodukte zu tun hatte. Also mit viel verfügbarem Geld für die Bewerbung genau der Produkte, die dann zum perfekten Vogue-Körper verhelfen sollten. Aber das wäre vermutlich eine gemeine Unterstellung. Sicher wollte man bei der Vogue nur noch besser auf die Bedürfnisse der Leserinnen eingehen und sie einfach umfassend über ihre ganzen Defizite informieren. Nach der Vogue folgten auf jeden Fall noch viele, viele andere mit ihren Texten dem Pfad der Orangenhaut. Einige Jahre schrieben Autoren und Autorinnen in dermatologischen Fachzeitschriften noch gegen die »erfundene Krankheit« an und beschrieben fleißig die »anatomische Basis und hormonelle Verfasstheit dieses bei Frauen normalen Hautbildes«.5 Übersetzt also: »Das ist doch völlig normal bei Frauen!« Aber der Siegeszug der Cellulite und ihrer Gegenmittel war nicht aufzuhalten.
Fast fünfzig Jahre später verkündet die Frauenzeitschrift meines Vertrauens munter weiter: »Da wabbelt nichts! Bis zu 98 Prozent aller Frauen über 20 Jahre haben die lästigen Dellen an Oberschenkel und Po. Gut, dass man etwas dagegen tun kann.« Wer die eigene Cellulite nicht auf den ersten Blick erkennt, der wird geraten, »die Haut zwischen den Oberschenkeln zusammenzuschieben, bis die Dellen sichtbar werden«. Und schon heißt es: »Willkommen im Club!« Die Tipps gegen Cellulite sind vielfältig. Man kann sich in Zellophanfolie einpacken, die Fettzellen mit Stromstößen erschrecken oder Kaffeesatz einmassieren. Nichts hilft natürlich so gut wie die neue Creme, die im Artikel empfohlen wird. Und über das Heft verteilt finden sich, wer hätte das gedacht, drei weitere Werbeanzeigen zum Thema. Nun habe ich als Leserin die Qual der Wahl. Für zwanzig bis vierzig Euro kann ich mich mit 200-ml-Cremes eindecken, die mich entschlacken, meine Konturen verbessern und mir helfen, den Teufelskreis der Cellulite zu durchbrechen. Da läuft es mir schon kalt den Rücken runter. Gut, dass Rettung nicht weit ist. Geheime Pflanzenextrakte und vier (!) Patentanmeldungen auf nur eine Creme können nicht irren. Was Dermatologen noch vor einigen Jahrzehnten als unwissenschaftlich oder zumindest unnütz brandmarken wollten, wird also nun mit Pseudowissenschaft beworben. Mein persönlicher Lieblingstipp stammt aber nicht aus dem Artikel, sondern von einer Webseite. Hier wird mir geraten, »mich einfach nicht stressen zu lassen. Dann bleiben die Hormone in Balance.«6 Ähm, ja.
Von Winkefett über Frizz im Haar bis zu schönen Achseln – eines habe ich beim Lesen von Frauenzeitschriften gelernt: Problemzonen mögen es gesellig, sie sind nicht gern allein. Und treten deshalb meist in Gruppen auf. So setzen sie sich auch besser im Kopf fest. Haben wir vor 2014 und der lang ersehnten Verkündung des Geheimnisses schöner Achseln auch überlegt, ob unsere Achselhöhlen schön sind? Bevor sich diverse Zeitschriften (»Beauty-Tricks: Achseln richtig rasieren, so geht’s«, »Hilfe, ich will schöne Achseln« oder »Schöne Achseln wie bei Models«) zeitgleich mit Erscheinen des neuen Deodorants dem gleichen Thema widmeten? Schönheit ist ein Geschäft. Und Frauen sind mittendrin. Geoffrey Jones beschreibt es in seiner Geschichte der Schönheitsindustrie. Natürlich gibt es nationale Vorlieben. Deutsche kaufen lieber Parfüm als Französinnen, die eher in Hautpflege investieren, während bei US-Amerikanerinnen Kosmetika ganz oben auf der Liste stehen. Aber angesichts einer weltweiten Industrie mit Käuferinnen, die über Ländergrenzen hinweg fast die gleichen Bilder gezeigt bekommen, hat sich auch unsere Vorstellung von Schönheit angeglichen: Sie ist westlich, weiß und weiblich. Frauen sind auch in Deutschland, dem weltweit fünftgrößten Markt für Schönheitsprodukte mit einem Umsatz von 15,8 Milliarden im Jahr 2010, die Hauptzielgruppe.7
Kauf dich schön
Wer Frauenzeitschriften kennt, der weiß, Werbung gehört dazu. Und damit meine ich nicht nur die Zeitschriften, bei denen man sich durch zwanzig Seiten »Produktinformationen« arbeiten muss, bevor man das Inhaltsverzeichnis erreicht. Anzeigen funktionieren in Frauenzeitschriften besonders gut, weil sie sich so harmonisch in das Heft einfügen – so formuliert es die Werbebranche gern. Das heißt, Werbung und der redaktionelle Teil, also die Artikel und Bilder, die die Redaktion produziert, sehen sich sehr ähnlich. Ihre Themen und ihr Aussehen gleichen sich. Wer ist nicht schon einmal bei einem »Artikel« hängen geblieben, hat dann in der Mitte beim Lesen gestutzt, um schließlich das kleine Wort »Anzeige« oben rechts zu entdecken?
Für viele Leserinnen von Vogue oder Elle gehört Hochglanzwerbung sogar zum Leseerlebnis dazu. Werbung von Gucci, Prada und Miu Miu wird in Frauenzeitschriften fast genauso lange angeschaut wie die Artikel.8 Da jubeln nicht nur die Firmen, sondern auch die...