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E-Book

Amazonas-Geschichten

AutorEva Zingerle, Roland Zingerle
VerlagEdition Z
Erscheinungsjahr2018
Seitenanzahl443 Seiten
ISBN9783964544100
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
Eva Zingerle, Oberin einer österreichischen Krankenpflegeschule, verlegt nach ihrer Pensionierung ihren Wohnsitz nach Peru. Einem lebenslangen Traum folgend, siedelt sie sich im Amazonas-Urwald an und zwar in dem kleinen Dorf Puerto Esperanza. Dieses liegt am Rio Momon, einem Neben-Nebenfluss des Amazonas. Hier, fernab der Zivilisation, lebt sie auf einfachste Weise in einer Pfahlbau-Hütte und teilt ihren Alltag mit den Einheimischen.
Doch so sehr sie auch dazu gehören möchte, sie schafft es weder die kulturelle Kluft zu überwinden noch Denk- und Verhaltensgewohnheiten abzulegen, die ihr in Österreich ein Leben lang aufgeprägt worden sind.

Nach zwei Jahren gibt sie ihr Leben im Urwalddorf auf und baut sich in der peruanischen Amazonasmetropole Iquitos ein Haus. Doch auch hier, in der Zivilisation, widerfahren ihr im Alltag Dinge, die nicht in ihr mitteleuropäisch geprägtes Denkschema passen und auch hier begegnen ihr Menschen, deren tragische Schicksale leider nur allzu gewöhnlich sind.

Eva Zingerle erzählt in Anekdotenform Alltagsgeschichten, die jeden den Kopf schütteln lassen, der in einer Leistungsgesellschaft lebt und die klar machen, wie sehr sich die Kulturen dieser Erde unterscheiden, auch wenn die Menschen einander im Grunde noch so ähneln.

Eva Zingerle wurde am 10. Juli 1928 in Wolfsberg in Kärnten geboren. Als ausgebildete Krankenschwester wurde sie in einem Schweizer Kurhotel von der Frau eines deutschen Plantagen-Besitzers in Peru abgeworben, mit der sie nach Südamerika ging. In den 1970er-Jahren kam sie nach Österreich zurück. Nach einer Umschulung arbeitete sie zunächst als Lehrerin und später als Oberin in diversen Krankenpflegeschulen. Nach ihrer Pensionierung Ende der 1980er-Jahre kehrte sie nach Peru zurück. Dort siedelte sie sich für einige Jahre in einem Urwalddorf am Rio Momon an, einem Nebenfluss des Amazonas, danach lebte sie in der peruanischen Urwald-Metropole Iquitos. Ab den späten 1990ern war Eva Zingerle österreichische Honorarkonsulin für den peruanischen Verwaltungsbezirk Loreto und erhielt für ihre Tätigkeit 2004 den großen Verdienstorden der Republik Österreich verliehen. Sie starb am 15. März 2005 in einem Krankenhaus in Lima an seriellem Organversagen.

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Leseprobe

Viechereien


zum Inhaltsverzeichnis

 

Ich hatte von Iquitos zwei sehr zahme Amazonen-Papageien ins Dorf mitgebracht, und eines Tages brachte mir Manuco dazu noch einen Gelbbrust-Ara mit, der in einer Hütte mit acht Kindern zwar zahm geworden war, aber leider kaum etwas zu fressen bekommen hatte. Außerdem hingen die Kinder nicht sonderlich an ihm, so dass sie ihn ohne Kummer scheiden sahen. Über seine Brustknochen spannte sich die bloße Haut, seine Federn waren zerfleddert; er sah aus wie der Rabe Hans Huckebein bei Wilhelm Busch.

Nachdem ich ihn aufgepäppelt hatte, war er stark und dick wie ein Masthuhn und sein Gefieder war teils von einem strahlenden Blau und teils von einem wunderschönen Dottergelb. Er lebte frei bei mir, aber ich fürchtete doch immer, dass er wegfliegen würde. Außerdem wäre er eine leichte Beute für jedermann gewesen, eben weil er so zahm war. Leicht hätte er im nächsten Suppentopf landen, oder um gutes Geld in Iquitos verscherbelt werden können.

Irgendwann brachte mir ein Nachbar dann einen zweiten Gelbbrust-Ara. Er war sehr an dem Papagei gehangen und hatte ihn zu mir gebracht, als er sah, wie gut es die Tiere bei mir hatten.

 

Meine Vögel blieben immer im oder um das Haus herum, setzten sich friedlich auf das Terrassengeländer und schauten verträumt auf den Fluss hinab. Oder sie kamen einfach hinter mir am Boden dahergewatschelt, den langen Papageienschwanz hinter sich herschleifend, um eine Streicheleinheit oder einen Leckerbissen bettelnd.

Papageien kreischen wenig, wenn sie frei gehalten werden, und meine flogen auch wenig herum, sondern sie kletterten lieber.

 

Tarzan, mein eichhörnchengroßes Tamarinäffchen mit dem lustigen weißen Kaiser-Wilhelm-Schnurrbart, war ein sehr putziges Tierchen. Auch er turnte stets auf dem Palmblattdach herum. Er fing die Kakerlaken, die die Größe von Hirschkäfern hatten, und fraß sie schmatzend auf. Doch immer wieder kam er auch zu mir in die Hängematte, ließ sich ein wenig kraulen und schaukelte dann an der Befestigungsschnur, sich nur mit einer Hand festhaltend, hin und her, grabschte schnell nach einem Bleistift oder sonst etwas und flugs war er wieder auf dem Dach.

Ich hatte eigentlich niemals einen Affen haben wollen. Sie sind unruhige Tiere und nicht stubenrein zu kriegen und außerdem richten sie viel Schaden an. Sie zerstören so ziemlich alles, was ihnen unterkommt. Dolores, eines der sieben Kinder von Celia, hatte Tarzan gebracht. Er war quasi zum Skelett abgemagert, aber ich wollte ihn trotzdem nicht.

„Danke, Dolores, aber ich will ihn nicht“, lehnte ich ab.

„Nur zehn Soles (Mehrzahl von So; peruanische Währung), Señora Gringa.“

Manche Leute nannten mich einfach „Gringa“, die Fremde, aber das Kind wollte seinen besonderen Respekt vor mir ausdrücken, indem es mich „Señora Gringa“ nannte, also quasi „Frau Fremde“.

„Ich will ihn nicht, Dolores“, entgegnete ich schon leicht ungeduldig.

Sie blieb einfach stehen.

„Aber Gringa, du hast doch noch keinen!“

„Ich mag einfach keine Affen“, sagte ich nun ärgerlich und abweisend und wollte gehen, aber Dolores blieb vor mir wie ein Felsblock stehen.

„Ich sagte nein und nun basta“, fauchte ich.

„Fünf Soles?“

„Nein!“

„Gringa, ich darf mir für das Geld, das ich von dir kriege, Semmeln und zwei Bonbons kaufen“, ihre Augen glänzten erwartungsvoll.

Ich weiß bis heute noch nicht, wie es geschah, auf jeden Fall hatte ich plötzlich einen unerwünschten Affen am Hals und Dolores einen Sack voll Brot, Fett, Reis und Zucker und eine Handvoll Bonbons.

Dann schaute ich ihr Kleid an. Es war sehr sauber, wie alles, was die Leute tragen, weil sie sich und ihre Kleider täglich im Fluss waschen, aber es war komplett zerschlissen. Also gab ich ihr noch eines von den Kleidern, die die Kinder von Freunden bei mir gelassen hatten. Ich überlegte auch, ob ich ihr den Affen gleich wieder mitgeben sollte, aber in ihrer Hütte hatten nicht einmal die Menschen genug zu essen.

Also wollte ich ihn wieder für ein Leben in freier Wildbahn erziehen. Leider nehmen wilde Affenherden aber keine Außenseiter an – es existiert also auch bei ihnen ein Ausländerproblem – und dieser spezielle Außenseiter roch darüber hinaus auch noch nach dem Haus einer Gringa. Er blieb also bei mir und ich nannte ihn „Tarzan“.

 

Der zweite war ein Zottelschwanzaffe, den ich ebenso ungewollt bekommen hatte. Ein alter und wirklich armer Mann hatte ihn mir gebracht. Beide, er und sein Affe, sahen unterernährt aus und schienen nur aus Haut und Knochen zu bestehen. Der Affe fraß eine von mir angebotene Banane und der Mann verschlang einen Riesenteller mit Reis, Bohnen und einigen Hühnerflügeln mit solcher Gier, dass mir beide wirklich leid taten und so kaufte ich den verflixten Affen ohne zu feilschen.

Der Affe sah aus wie ein alter Kapuzinerpater. Er hatte die gleiche Tonsur und blickte stets so bekümmert und traurig drein. Da ich mit seiner Anatomie nicht so vertraut war, nannte ich ihn „Papito“, also Väterchen. Erst später sagte man mir, dass „er“ eigentlich ein Weibchen war.

Er freundete sich schnell mit Tarzan an und zu zweit hüpften sie auf der Terrasse herum, kletterten auf den Pomerosabaum (Baum mit roten, säuerlich-saftigen Früchten) neben meinem Haus, auf mein Dach und besuchten die Nachbarn. Das Gespann sah recht komisch aus, zumal Papito sitzend etwa fünfzig Zentimeter groß war und Tarzan höchstens zwölf.

 

Mittags kamen immer alle Tiere zu ihren Futterschüsseln und dann auch an meinen Tisch – auch wenn auf meinem Teller dasselbe war wie in ihren Schüsseln, so stibitzten sie doch gerne schnell ein Stückchen Fleisch oder Yuca von mir.

Als ich das während eines Europa-Urlaubs einer Freundin erzählte, starrte sie mich fassungslos an und murmelte empört:

„Wie unhygienisch!“

Beschämt senkte ich damals die Augen und nahm mir vor, Affen und Papageien über diesen Punkt aufzuklären, hatte allerdings wenig Hoffnung, dass sie diese Erklärung beeindrucken würde. Wie zu erwarten pochten sie auf ihr Gewohnheitsrecht und dagegen war schwer anzukommen, wie sich jeder denken kann.

Später hörte ich dann, dass diese Freundin sich gegenüber einer anderen Freundin besorgt äußerte:

„Die Eva verkommt total im Urwald, sie verwildert richtig!“

 

Da sie nicht immer im Haus waren, waren die Affen leicht zu handhaben. Nur einmal besuchten sie meine Küche und müssen sich dort so richtig amüsiert haben: Die Gewürzdosen waren geleert, Teller und Gläser lagen zerbrochen auf dem Boden, Gemüse und Obst war angebissen – es sah aus, als hätte ein Hurrikan gewütet. In dieser Stunde sank meine Liebe zu ihnen auf einen Nullpunkt. Ich schrie sie an, schüttete Wasser über sie und verjagte sie mit dem Besen. Da flüchteten sie verschreckt zum Nachbarn, kamen aber schon bald wieder, als sei nichts geschehen. Im Gegenteil: Sie schauten mir interessiert zu, wie ich noch immer wutschnaubend Geschirr und Möbel dort desinfizierte, wo sie die Spuren ihrer Verdauung hinterlassen hatten.

 

Dann bekam ich noch Mucki, den Nasenbären.

Auch ihn brachten mir Kinder aus dem Nachbardorf, die ihn gegen Lebensmittel eintauschen wollten, da in der Trockenzeit das Essen knapp wurde.

„Entweder du gibst uns im Tausch für den Nasenbären etwas zu Essen, oder wir essen ihn auf“, erpressten sie mich.

„Was frisst er?“, fragte ich nach abgeschlossenem Handel.

„Oh, Bananen und Yuca.“

Ich erkundigte mich anderweitig und fand heraus, dass Nasenbären Insektenfresser sind, also gab ich ihm Fleisch. Er war ausgehungert und fraß mit Gier. Dann rollte er sich in meinem Schoß zusammen und schlief sofort zufrieden ein.

Also blieb er bei mir, aber in einem Käfig konnte er nicht sein. Er rieb sich seine Nase am Gitter wund. Ich steckte ihn also in eine Schachtel, aus der er fünf Minuten später ausbrach und wieder in meinen Schoß flüchtete. An seinem Bauch hatte er eine Wunde von der Schnur, an der ihn die Kinder angebunden hatten. Also ließ ich ihn in meiner Nähe und nahm ihn auch mit ins Bett, wo er glücklich an meinen Bauch gekuschelt schlief.

Mucki war lange Zeit mein Schlafgenosse, aber niemals hat er mein Bett beschmutzt.

 

Und dann war da noch meine Boxerhündin Gundi. Ich hatte einen Hund gesucht, der groß genug war, um einen Räuber zu erschrecken, der aber trotzdem nicht die Ausmaße eines Beethoven-Bernhardiners haben sollte. Er musste mich beschützen können, sollte die Diebe beißen, aber um Himmels willen nicht meine Besucher. Es sollte eben einfach nur ein Superhund sein.

Über Boxer hatte ich nur das Beste gelesen: ruhige Tiere, angenehme Hausgenossen … Doch dann fing es an:

Ich wohnte damals in einem Villenvorort von Lima, im Haus von Freunden, das sonst leer gestanden hätte. Es war ein großer Garten dabei. Zweimal pro Woche kam ein Gärtner und bepflanzte Beet um Beet mit Blumen und anderen Pflanzen. Doch Gundi, meine Boxerhündin, grub in emsiger Nachtarbeit alle, alle wieder aus und kam dann noch mit erdverschmierter Schnauze an meine Schlafzimmertür.

Doch als sie eines Tages – ich war gerade nicht daheim – auch noch die Schuhe des Gärtners genüsslich unter einer Bananenstaude beknabberte, riss dem guten Mann wohl die Geduld und ich glaube, er hat sie ziemlich verhauen. Seither raste sie bei seiner Ankunft wie der Blitz in mein Zimmer, legte sich unter mein Bett und rührte sich nicht; sie stöhnte nur von Zeit zu Zeit, wohl schmerzvoll in Erinnerung an ihre von mir...

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