Allgemeines
Wir staunen mehr über der Ameisen Leib als über den der gewaltigen Walfische.
Hl. Augustin, De Civitate Dei.
Mensch und Ameise
Kein Mensch kann behaupten, daß Ameisen schöne Geschöpfe seien. Man mag sie noch so sehr anerkennen, ihre sozialen Tugenden in den Himmel preisen, sie den lieben Mitmenschen als Vorbild anpreisen – und das tat man zu allen Zeiten von Salomon bis Bismarck – unserm Schönheitsempfinden sagen sie sowenig zu wie Kakerlaken oder Ohrwürmer. Auch haben die Ameisen keine der anderen Eigenschaften, die sonst des Menschen Vorliebe für Tiere erwecken. Wir interessieren uns für alle Geschöpfe, die uns irgendwie nützlich sein können, namentlich für die, die wir verzehren können. Wir lieben Pferde, weil wir darauf reiten können oder Bienen, weil sie uns Honig geben. Wir haben Vögel in Bauern, weil wir ihren Gesang lieben, halten Katzen als Spielzeug. Neben der Nützlichkeit ist es die Schönheit und schließlich auch wohl die Komik eines Tieres, die die Teilnahme der Menschen wachruft. Der Schulbub ist im Wald und Feld hinter jedem Schmetterling her; die häßlichen Raupen fängt er nur, weil aus ihnen die schönen Falter sich entwickeln. Er fängt die zierlichen Eidechsen, die farbenprächtigen Salamander, er schwärmt auch für possierliche, weiße Tanzmäuse und der häßlichste Affe reizt seine Lachmuskeln. Er sammelt Käfer nach Herzenslust, weil ihr drolliges Aussehen ihn reizt.
Die Ameise ist für den Menschen von keinem großen, augenfälligen Nutzen. Sie ist nicht schön. Und komisch ist sie auch nicht.
Darin liegt der Grund, warum der Mensch sich so wenig mit den Ameisen beschäftigt – ein Zustand, mit dem die Ameisen vermutlich ganz zufrieden sind, denn die Teilnahme des Menschen für die Tiere, die ihm nützlich sind, die sein Schönheitsgefühl befriedigen, oder die ihn ergötzen, bekommt diesen Tieren meist herzlich schlecht.
Wir kennen über fünftausend Arten von Ameisen, die sich über die ganze Erde ausdehnen. Alle Arten leben vergesellschaftet, bilden Staaten, Völker, Kolonien, wie man es nennen will. Einige Arten haben nur zwei Kasten von Tieren: Männchen und Weibchen. Im allgemeinen aber gibt es drei Kasten: Männchen auf der einen, Königinnen und Arbeiterinnen auf der anderen Seite. Die Königin ist stets fruchtbar; die Arbeiterin meist unfruchtbar. Das Männchen und Weibchen sind fast immer einförmig, dagegen finden wir häufig eine ganze Reihe sehr verschiedener Formen der Arbeiterinnen. Die Weibchen, wie die Männchen, tragen Flügel, obwohl wir auch Arten mit ungeflügelten Weibchen und andere mit ungeflügelten Männchen kennen. Die Arbeiterinnen sind dagegen stets ungeflügelt.
Die Ameisenvölker sind, wie die Bienenvölker, Weibervölker – mehr noch: Jungfrauenvölker. Die Männchen, von sehr kurzer Lebensdauer, verschwinden nach der Hochzeit; die Anzahl der befruchteten Königinnen, zwar nicht streng beschränkt auf eine einzige, wie bei den Bienen, ist dennoch verschwindend klein gegenüber den Arbeiterinnen: zuweilen sind mehrere vorhanden, selbst bei Völkern von hunderttausenden kaum mehr als ein halbes Hundert.
Unter den wirbellosen Tieren ist die Ameise in jeder Beziehung das höchststehende – so wie es der Mensch unter den Wirbeltieren ist. Und die Ähnlichkeit zwischen beiden ist in der Tat eine verblüffende. Nicht nur stoßen wir bei vielen Einzelheiten auf stets neue Ähnlichkeiten, auch in ihrer Entwicklungsgeschichte zeigen Mensch und Ameise große Gleichmäßigkeit. Wir sprechen beim Menschen vom Zeitalter des Jägers, des Hirten, des Ackerbauers, und wir finden heute, zugleich lebend, neben den Handelsvölkern und Industrievölkern, auch noch reine Ackerbauvölker, reine Hirtenvölker, reine Jägervölker. Dieselben drei Zeitalter zeigt die Entwicklung der Ameisen: von den ältesten Jägervölkern über die Hirtenvölker zu den Ackerbautreibenden, wobei, wie beim Menschen, auch heute noch alle drei zu gleicher Zeit vorkommen.
Wie der Mensch, so hat auch die Ameise – wenn wir von Schmarotzern absehen – unter ihren Mitgeschöpfen nur sehr wenige Feinde, die ihren Völkern ernstlich gefährlich werden könnten. Gelegentlich frißt manches Tier wohl mal eine Ameise; ihnen stellen nach Ameisenbären und Ameisenigel, Spechte, Eidechsen, Frösche und Kröten, endlich einige Spinnen und Wespen sowie Ameisenlöwen. Aber all das, was diesen zur Beute fällt, ist nur ein ganz verschwindender Bruchteil der gewaltigen Völker der Ameisen. Dagegen haben diese einen einzigen Feind, der ihnen sehr gefährlich ist – und auch hier ist die Ähnlichkeit mit den Menschen eine schlagende. Wie die Stämme und Völker der Menschen, so bekämpfen sich auch die der Ameisen einander durch alle Zeiten auf das heftigste.
Nutzen und Schaden
Sind Ameisen dem Menschen mehr schädliche oder mehr nützliche Tiere? Die Frage ist allgemein kaum zu entscheiden. Einige Arten fügen uns zweifellos Schaden zu und verdienen, bekämpft zu werden, während andere, die uns ebenso nützlich sind, unseres Schutzes gewiß sein sollten. Das einzige Land, in dem bisher für solche Arten ein Schutzgesetz erlassen wurde, ist Deutschland, wo in den meisten Einzelstaaten das Sammeln der sogenannten »Ameiseneier« in den Staatswäldern aus forstdienstlichen Gründen verboten wurde.
Ebenso schädlich wie lästig sind alle Arten Hausameisen, besonders die Pharaoameise; andere Arten machen sich in Gärten recht unliebsam bemerkbar. Die Blattschneiderameisen der Tropen entlauben ganze Bäume und Sträucher, darunter viele Obstsorten, während die viehzüchtenden Arten noch schlimmeren Schaden anrichten. Sie weiden ihre Haustiere, Blattläuse, Wurzelläuse, Schildläuse, Raupen auf jungen Wurzeln und Blättern, mit dem Erfolge, daß die jungen Pflanzen oft absterben. Die Ernteameisen wieder verzehren manch nützliches Samenkorn.
Der Schaden, den die Ameisen durch ihren Nestbau anrichten, ist sehr gering. Gewiß höhlen die Zimmermannsameisen schon hohle Bäume weiter aus, locken auch Spechte heran, die ihrerseits Löcher in den Baum hacken, doch schadet das dem Baume nicht allzuviel. Einzig die Korkeiche leidet zuweilen wirklich darunter.
Manche Ameisen können auch abscheulich beißen und stechen; den Preis in dieser Beziehung gebe ich der wilden Feuerameise in Dixieland. Doch kann man sagen, daß im allgemeinen nur der unter Ameisenbissen und Stichen zu leiden hat, der ihre Nester zerstört, in erster Linie also der Forscher.
Dann auch: der Ameiseneierjäger.
Da war – das ist nun fünfzehn Jahre her – der alte Bauer und Schuster Holzer; der lebte im Schneebergdörfel bei Puchberg im Raxgebiet. Er versorgte lange Zeit hindurch das Aquarium zu Schönbrunn mit Ameiseneiern. Die Ameisen am Fuße des Schneebergs hatten wenig Freude, so lange er lebte – ihre junge Brut sammelte der alte Holzer und schickte sie den Fischen nach Wien hinauf.
Einmal aber, gerade wie er seinen Sack über einen großen Haufen stülpen will, trifft ihn der Schlag. Kopfüber fällt er mit dem Gesicht in die wimmelnden Ameisen –
Man fand ihn im Walde, zwei Tage drauf. Jämmerlich zerfressen das Gesicht – kein Mensch hätt' ihn wiedererkannt, den alten Holzer.
Aber die Leut' im Schneebergdörfel sagen, daß er noch garnicht tot gewesen sei, als er dalag im Ameisenhaufen. Sagen, daß er noch lebte, nur gelähmt war und daß die Ameisen dem lebendigen Vater Holzer die Augen herausfraßen.
Es sei die Rache der Ameisen gewesen, sagen sie. Ameiseneier aber sammelt keiner mehr an den Abhängen des Schneebergs.
Nun, die Ameisen sind dem Menschen auch recht nützlich, ihr Hauptverdienst erkannte zuerst die preußische Forstverwaltung. Sie wühlen den Boden gründlich auf, pflügen und eggen besser als Menschenhand das je könnte. Dazu vertilgen sie tagtäglich eine unermeßliche Anzahl von Insekten – gewiß nützliche darunter, aber doch sehr viel mehr recht schädliche. Man hat ungefähre Schätzungen gemacht und ist zu dem erstaunlichen Schluß gekommen, daß ein starkes Ameisenvolk bis zu hunderttausend Insekten an einem einzigen Tage in sein Nest schleppt. Wanderameisen überfallen in den Tropen menschliche Wohnungen, aber, obwohl die Bewohner oft gezwungen sind, ihr Heim für Stunden oder gar Tage zu räumen, sind sie dennoch meist willkommene Gäste. Mag das Haus noch so verwanzt, verfloht, verlaust und verkakerlakt sein: wenn die Ameisen abziehen, ist auch nicht ein kleinstes Beinchen irgend eines Ungeziefers mehr übrig. Auch die Ratten und Mäuse vergessen sie nicht, und kein Rattenfänger und Kammerjäger der Welt leistet so gründliche Arbeit.
Im südlichen China hat man Ameisen regelrecht als Jäger angestellt, und zwar in den großen Apfelsinenpflanzungen, die sehr unter der Plage eines Wurmes leiden. Man bringt ganze Nester heran, die man in Beuteln an die Äste hängt und in den Zweigen der Apfelsinenbäume befestigt. Diese selbst werden mit Bambusstangen untereinander verbunden, sodaß die Ameisen leicht von einem Baume zum andern gelangen und ihrer Jagd bequem nachgehn können. Ganz ähnlich überläßt man den Ameisen in Java den Schutz der Mangobäume vor einem gefräßigen Käfer, in Oberitalien den Schutz der Obstbäume gegen Raupen; in den Vereinigten Staaten läßt man Ameisen in den Baumwollpflanzungen den sehr schädlichen Kapselkäfer bekämpfen. Auch in Deutschland kennt man – und zwar schon seit Jahrhunderten – diesen Brauch, wenn er auch ein wenig aus der Übung gekommen ist. Förster hängen an einen unter Raupenplage leidenden Baum einen Sack, in den sie ein Ameisennest gefüllt haben; um den Stamm machen...