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E-Book

American Graffiti

AutorMargo Thompson
VerlagParkstone-International
Erscheinungsjahr2017
Seitenanzahl417 Seiten
ISBN9781783106653
FormatePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis11,95 EUR
Das vorliegende Buch präsentiert eine neue Analyse der Verbindungen zwischen dem Kunstgenre Graffiti und dem Werk Jean-Michel Basquiats und spricht insofern sicherlich ein breites Publikum an. Es gibt gegenwärtig nur äußerst wenige Studien zu dieser Thematik, was diese originelle Analyse umso wichtiger macht. Der Autor analysiert den vergleichbaren Hintergrund der Graffiti-Künstler und Basquiats, hebt gleichzeitig jedoch auch die Unterschiede hervor, die Basquiat internationale Berühmtheit verschafften, während der Großteil der Graffiti-Künstler anonym geblieben ist.

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Leseprobe

 

NOC 167, Style War, 1981.

Sprühfarbe auf New Yorker U-Bahn-Waggon. Zerstört.

 

 

Wenn sich ein Sprayer bereits einen Ruf erarbeitet hatte, lernte er dennoch von anderen Sprayern weiter, indem er mit ihnen in einem freundschaftlichen Wettstreit zusammenarbeitete. Blade und Comet gingen eine unter ihren Kollegen berühmte Partnerschaft ein. Zu den anderen zahlreichen Paaren, zählten Dondi und Duro sowie Crash und Kel.[34] Daze malte gerne mit Gruppen von Freunden und er erzählt, dass er mit derart vielen Sprayern gearbeitet hat, dass er sie gar nicht aufzählen könne.[35] Bei diesen Gemeinschaftsarbeiten entstanden U-Bahnen mit mehreren Pieces, die einen ganzen oder mehrere Waggons bedeckten. Die einzelnen Beiträge waren so koordiniert, dass ein einheitlicher Stil entstand.

Die Arbeitsgemeinschaften nahmen zu, als die Sprayer begannen, in Gruppen zu arbeiten, die als „Crews“ bezeichnet wurden. Seen und Mitch fügten in ihr Wholecar-Piece den Namen ihrer Crew ein: United Artists. Ein Sprayer konnte gleichzeitig mehreren Crews angehören und Grenzen zwischen einzelnen Stadtvierteln überschreiten.[36] Nach drei Jahren als Sprayer hatte sich Dondi 1977 einen Platz in der Crew TOP (The Odd Partners) aus Brooklyn erarbeitet. Als diese sich auflösten, gründete er seine eigene Crew, die CIA (Crazy Inside Artists), zu der unter anderen Duro, Kel und Mare zählten. Sie dominierten die zwischen der Bronx und Brooklyn verlaufenden U-Bahn-Linien 2 und 5.[37] Daze, der aus der Bronx kam, war ein Freund von Kel und Mare und schloss sich der CIA-Crew an, um im Yard der U-Bahn-Linie 2 in Brooklyn zu malen.

Lady Pink gründete unter dem Namen LOTA (Ladies Of The Arts) eine reine Frauen-Crew. Lee gehörte zu den ursprünglichen Fabulous Five, einer Crew aus Brooklyn, die für das Bemalen mehrerer Waggons berühmt war. Henry Chalfants Foto ihres Christmas Train erschien 1980 auf dem Titelblatt der Village Voice.[38] Der aufstrebende Hip-Hop-Pionier Fred Brathwaite, der ein Auge für Talent hatte, war von Lees Pieces so beeindruckt, dass er ihn kontaktierte und ihm anbot, seine Crew zu fördern. Dieses Angebot führte dazu, dass Lee ihm die Erlaubnis gab, den Namen Fabulous Five zu verwenden. So entstand Fab Five Freddy, obwohl er nie mit der ursprünglichen Crew Tags sprühte.[39]

Einige Crews wurden sehr groß, wie die RTW (Rolling Thunder Writers), die vom charismatischen Bil-Rock angeführt wurden. Zephyr schloss sich dieser Crew gleich Anfang des Jahres 1978 an, und auch Quik gehörte ihr an. Zephyr erzählt, dass die RTW 1981 die größte Crew der Stadt gewesen sei und die einzelnen Mitglieder nicht einmal alle anderen gekannt hätten.[40]

Rammellzee war kein U-Bahn-Sprayer – der Name, den er sich zugelegt hatte, war auch als Tag eindeutig zu lang –, obwohl er Anführer einer Art von Crew war. Er beobachtete Sprayer und ihre Pieces und entwickelte eine komplizierte Theorie des Sprayens, die er Gothic Futurism oder Ikonoklast Panzerismus nannte.[41] Über Dondi lernte er Daze kennen, der sich daran erinnert, dass er keine Blackbooks mit sich führte, sondern einzelne, zusammenhängende Kartons, auf denen er genau beschrieb, wie Buchstaben „aufgerüstet“ werden könnten und welche Verbindungen seiner Meinung nach zwischen den U-Bahn-Sprayern und gotischen Mönchen bestehen würden.[42] Rammellzee glaubte, dass es wichtig sei, die Bedeutung des Sprayens und seine historischen Ursprünge in der U-Bahn zu kennen, aber einige seiner Crew-Mitglieder sprühten erst auf Waggons, nachdem sie bereits auf Leinwand gemalt hatten. Der Fotograf Henry Chalfant sagte über den Gothic Futurist A-One folgendes:

 

[...] Er hatte nie einen Zug bemalt, aber er war ein guter Künstler, und seine Arbeit begann, einen gewissen Einfluss auf die Kunstwelt auszuüben. Er malte auf Leinwand. Er nahm an Ausstellungen teil. Aber er wusste, was die anderen über ihn dachten und was die anderen von der ganzen Szene hielten, nämlich, dass man ein Niemand, ein „toy“ war, wenn man nicht auf Zügen gearbeitet hatte. Das machte ihn sehr betroffen und er litt einige Jahre unter dieser Kritik. Er wollte wirklich einen Zug angehen und schließlich ging er drauf los und bemalte in seinem unnachahmlichen Stil vier oder fünf Züge – Wholecars, Top-to-bottoms[43]. Es waren keine traditionellen Pieces, sie waren wild und verrückt. Ich ging mit, um sie zu fotografieren, denn er bestand darauf, dass ich dabei war, um ein Bild zu schießen![44]

 

Besonders in Rammellzees Clique, aber auch in anderen Crews stellte man sich vor, dass die Sprayer-Kultur über die einzelnen Sprayer hinausginge: Es sei eine eigene Welt für sich mit einer eigenen Ethik, Ästhetik und Geschichte. Daher überraschte es damals die Sprayer wenig, als andere Leute fanden, dass es die U-Bahn-Pieces wert seien, auf Leinwand festgehalten und in Galerien und Museen ausgestellt zu werden.

 

Themen

Phase 2 war ein Sprayer der ersten Stunde, der 1971 zu taggen begann. Er zählt vier Themen des Sprayens auf: „Der Name als zentrales Motiv; die Idee, eine Sprache [...] oder eine visuelle und verbale Wortschmiede aufzubauen; die Vorstellung, sich eine Identität im Gegensatz zum Staat und zur Konsumkultur zu konstruieren und die Idee, dass Widerstand mit Hilfe von kultureller Produktion durch ein Bewusstsein für spirituelle Traditionen der Vorfahren verstärkt wird.“[45]

Er und Rammellzee beobachteten sehr scharfsinnig, dass das Sprayen in die durch Sprache gestützten Machtsysteme intervenieren könnte. Der militaristische Stil von Rammellzees Ikonoklast Panzerism, seine Verwendung des deutschen Wortes ‘Panzer’ und seine Buchstaben, die „bewaffnet“ wurden, lassen darauf schließen, dass er Sprache als einen Ort des Kampfes zwischen unterdrückenden Ideologien und dem Widerstand gegen sie sah. Wer Sprache kontrolliert, kontrolliert politische und soziale Hierarchien. Für Rammellzee und Phase 2 versprach die Wild-Style[46]-Schrift, die geschriebene Sprache vollkommen neu zu erfinden.

Der Historiker Joe Austin beobachtete in seinem Buch über die Bemühungen der New Yorker Autoritäten, das Sprayen in der U-Bahn auszumerzen, dass die Sprayer durch das Malen auf öffentlichen Wänden und U-Bahn-Waggons den öffentlichen Raum für sich in Anspruch nahmen und sich dadurch Zutritt in die öffentliche Domäne, den Bereich des politischen Diskurses verschafften, wovon sie sonst als Arbeiterklasse und Jugendliche von Minderheiten ausgegrenzt waren. Für die Sprayer bedeutete das Erkämpfen eines Raumes für Widerstand einen positiven Schritt, der ihren Anspruch auf die Stadt sichtbar machte. Aber für andere Bürger war es ein Symptom, wenn nicht sogar der Grund für die Armut, das Verbrechen und die Entfremdung, die die Stadt in den 1970er-Jahren heimsuchten.

Rammellzee verarbeitete seine subversiven Strategien des Ikonoklast Panzerismus auf Leinwand und Papier, nicht auf Zügen. Andere Sprayer schufen Wholecar-Masterpieces, die die Spannungen im städtischen Leben ausdrückten. ‘Heroin Kills’ von Zephyr und Dondi war eine Botschaft gegen Drogen. Lees ‘Stop Real Crime’ protestierte dagegen, dass der Ausmerzung des U-Bahn-Vandalismus große Aufmerksamkeit geschenkt und finanzielle Unterstützung gewährt wurden, die in der Folge ‘Kampagnen gegen gewalttätige Verbrechen’ fehlten.

Quik drückte die Dringlichkeit, die die Sprayer...

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