3 Techniken der klinischen Untersuchung
Gerd Laux
Die Kommunikation zwischen Arzt und Patient (sowie Angehörigen) findet auf drei Ebenen statt:
verbale Ebene
paraverbale Ebene (Stimme, Sprechweise und -tempo, Aussprache)
extraverbale Ebene (Körpersprache – Mimik, Gestik, Kinetik, Blickkontakt)
Die nonverbale Kommunikation ist vor allem bei Patienten mit Migrationshintergrund und bei Demenzkranken von großer Bedeutung. Zu beachten ist auch ein „Nord-Süd-Gefälle“ innerhalb Deutschlands und vor allem Europas; in südlicheren Regionen wird dem Körperausdruck viel mehr Bedeutung zugemessen, auch die körperliche Distanz ist geringer (z.B. Berührungen unter Gesprächsteilnehmern).
3.1 Gesprächs- und Explorationstechniken
Die Begegnung zwischen Patient und Arzt ist einmalig und nicht wiederholbar, die Anamnese ist die Basis für Diagnostik und Diagnose. Der Patient präsentiert seine Symptome, der Arzt perzipiert sie. Die gute Anamneseerhebung ist ein Teil der „ärztlichen Kunst“, sie ist ein Unikat.
Der Arzt muss dem Patienten ein Gefühl von Empathie vermitteln, damit aus der Begegnung eine Arzt-Patient-Beziehung wird.
Der Beziehungsaufbau ist die Basis für ein vertrauensvolles Gespräch.
3.1.1 Regeln und Empfehlungen
Es ist wichtig, dem Patienten durch freundlich-zugewandtes Verhalten das Gefühl von Kompetenz und klarer Perspektive zu vermitteln.
Wichtig ist auch das äußere Erscheinungsbild des Arztes:
gepflegte Kleidung, Kittel (legere Kleidung kann die Kompetenz infrage stellen)
adäquate Körperhaltung
positive Ausstrahlung (Gesichtsausdruck/Mimik, Gesten, Stimme)
Folgende Grundregeln der Arzt-Patient-Kommunikation sind zu beachten ( ▶ Tab. 3.1):
Begrüßung mit Händedruck, Vorstellung mit Namen und Funktion, höflich im Stehen
professionelle Kleidung
formelle Anrede benutzen („Frau Maier“)
ruhige, positive Atmosphäre, keine Störungen durch Telefonate; passende Sitzposition, Blickkontakt, keine Konzentration auf den PC
für den Patienten da sein, den Eindruck vermeiden unter Zeitdruck zu stehen (nicht im Stehen mit dem Patienten sprechen, kein nervös-unruhiges psychomotorisches Verhalten)
Grundstein ist es, das Vertrauen des Patienten durch mitfühlendes, zugewandtes, individuell angepasstes Zuhören zu gewinnen. Grenzen können die Persönlichkeit des Arztes und die Gefahr eines „Helfersyndroms“ sein. Der Arzt muss eigene Grenzen der Belastbarkeit erkennen und ein Ende finden im Gespräch.
Bei umständlichen, weitschweifigen Patienten kann es schwer sein, die Contenance zu bewahren. Es kann erforderlich sein, den Patienten in seinem Redefluss zu unterbrechen, vor allem wenn er sich in irrelevante Informationen und Schilderungen verliert (Kap. ▶ 3.3). Der Arzt muss vermitteln, dass die Zeit begrenzt ist. Hierzu empfiehlt es sich, eine gut sichtbare Tischuhr zu verwenden und einen ersten Zeitrahmen von 20, 30 oder 45 Minuten vorzugeben.
Der Arzt kann die Rolle als Ratgeber, Therapeut, Vorbild und Freund einnehmen. Durch allzu große Nähe und beliebige Verfügbarkeit beraubt er sich selbst seiner ärztlichen Autorität.
Adäquat sind eine „distanzierte Nähe“ und die Ausstrahlung von Kompetenz und Charisma (!). Keinesfalls sollten Familienangehörige mit behandelt werden. Sind die Persönlichkeit des Arztes und die des Patienten zu diskrepant, ist keine vertrauensvolle Basis gegeben. In diesem Fall sollte der Patient an einen Kollegen abgegeben werden.
Tab. 3.1 Empfehlungen zum ärztlichen Verhalten.
zu beachten | zu vermeiden, aber bei sich wahrzunehmen |
Blickkontakt (keine PC-Eingabe während des Gesprächs!) | Ungeduld und Unlust |
einfache Wortwahl | schnelles Abhandeln |
erklären, was den Patienten erwartet (Untersuchungen, Zeitaufwand) | Langeweile und Anstrengung |
ruhige und entspannte Atmosphäre (Störungen vermeiden) | Bagatellisieren, Verurteilen |
„aktives“ Zuhören | Verallgemeinern, Interpretieren |
3.1.2 Gesprächsabschnitte und -inhalte
Jedes Gespräch kann in mindestens drei Abschnitte unterteilt werden: Gesprächseröffnung, Gesprächskern und Gesprächsabschluss.
Einleitung des Gesprächs, Herstellung der Beziehung Die ersten Minuten des anamnestischen Gesprächs sollten dem Patienten gehören, d.h., er kann seine Beschwerden frei und ohne Unterbrechung vortragen (Spontanschilderung). Hieraus wird rasch ersichtlich, welchen Informationsgrad und welches Selbst- und Krankheitsverständnis der Patient hat (gut informiert, Selbstreflexion, hypochondrische Tendenzen, Esoterik, Bildungshintergrund). Neben der Erwartungshaltung des Patienten spielt seine psychische Verfassung eine wichtige Rolle – mit dem angstbesetzten oder verwirrten Patienten entsteht z.B. eine völlig andere Kommunikationssituation.
Kern des ersten Gesprächs ist der Informationsgewinn – im Zentrum steht die Schilderung der führenden Symptome. Immer sollte durch gezieltes Nachfragen dem Patienten die Möglichkeit gegeben werden, seine Krankheit in Bezug auf seine gesamte Lebenssituation zu sehen.
Besonderheit: Bei ausländischen Patienten kann eine Sprachbarriere erschwerend hinzukommen. Der Patientenname ist korrekt auszusprechen.
Patienten bewerten den Arzt nach dem allerersten Eindruck.
Strukturierte Exploration Im stärker vom Arzt strukturierten, systematischen Teil des Gesprächs versucht der Arzt, sich ein genaueres Bild von den Krankheitssymptomen, deren zeitlichen Abläufen und möglichen Hintergründen zu machen. Orientierend wird das gesamte Spektrum psychopathologischer Symptomatik exploriert, um so eine eventuell bereits beim spontanen Bericht des Patienten gestellte Verdachtsdiagnose weiter zu erhärten oder auszuschließen und gleichzeitig entsprechenden Differenzialdiagnosen nachzugehen. Vor allem für den Anfänger ist es hilfreich, dieser strukturierten Exploration Listen mit den wesentlichen Gesichtspunkten oder aber Explorationsschemata zugrunde zu legen ( ▶ Tab. 3.2; Einzelheiten in Kap. ▶ 4).
Um das Explorationsgespräch kompetent zu führen, muss der Arzt fundierte Kenntnisse der im Rahmen psychischer Erkrankungen auftretenden Symptome haben und wissen, wie man nach diesen Symptomen fragt.
Tab. 3.2 Orientierendes Explorationsschema. ...