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Als wir nach Beverly Hills gezogen waren, wurde mir eines Tages ernsthaft klar, dass ich echte Chancen hatte, einen berühmten Mann zu heiraten.
Marcheline Bertrand
Als Marcia Lynne Bertrand mit ihrer Familie nach Hollywood zog, einem Ort, von dem sie und ihre Mutter immer geträumt hatten, waren die Nachbarn zu Hause in Riverdale, Illinois, eher skeptisch als neidisch. »Wir konnten nicht fassen, dass jemand, den wir kannten, in Beverly Hills leben sollte«, erinnert sich Marianne Follis Angarola, eine Klassenkameradin von Raleigh Bertrand, genannt Rollie. »Rollie musste einigen Spott einstecken, weil die Behauptung, sie zögen nach Beverly Hills, doch bestimmt gelogen war!«
Der Traum wurde nicht nur wahr, sondern die Familie, die im September 1966 Riverdale hinter sich ließ, bezog am neuen Wohnort auch noch ein nobles Zuhause. Sie hatte ein geräumiges Haus im Ranchstil gekauft, angesiedelt in den Hügeln oberhalb des Sunset Boulevard, eines Viertels, das Ende der 1950er Jahre von Paul Trousdale gebaut worden war. Die Eltern mochten sich über die vielen Quadratmeter Marmorfußboden freuen, über die Terrassentüren, durch die man den Pool und in der Ferne das Zentrum von Los Angeles sah, und über den großen Garten des Anwesens 515 Arkell Drive. Die Kinder der Bertrands fanden es hingegen interessanter, dass zu ihren Nachbarn Groucho Marx, Dean Martin und Elvis Presley zählten. Natürlich glaubte man ihnen in Riverdale kein Wort. Die Legende berichtet, dass Debbie Bertrand ihren Schulfreundinnen sogar das Kleingeld schickte, das sie von dem Schauspieler Don Adams – damals der Star der Comedy-Serie Mini-Max – bekommen hatte um zu »beweisen«, dass sie seine Kinder hütete.
Marcia Lynnes jüngerer Bruder Rollie freundete sich rasch mit dem Hollywood-Lebensstil an. Zum 15. Geburtstag schenkten die Eltern dem Jungen, der seine Zukunft als Formel-1-Rennfahrer sah, einen roten Ferrari – obwohl er für den Führerschein zu jung war. Dieses kleine Hindernis hielt den jungen Sportsmann nicht auf. Als er ein Date mit Dean Martins Tochter Gina hatte, bat er seinen Freund Peter Martini, sich ans Steuer zu setzen. Er genoss sichtlich das Leben auf der Überholspur. Wie sein Freund Randy, Sohn des Jazzmusikers Herb Alpert, sagt: »Raleigh war ein toller Kerl und ein guter Freund. Wir hatten eine Menge Spaß in Beverly Hills. Mädchen, Autos, Mädchen, Kameras, das Wild Turkey, Mädchen, die Rainbow Bar and Grill, Autorennen, Mädchen, das Martini House, Partys und ziemlich oft Mädchen.« Mit dem Leben in Riverdale hatte das wenig Ähnlichkeit.
Auf ihre Weise war Marcia Lynne mindestens so blauäugig wie der Rest der Familie. Wie ihre Mutter las sie eifrig die Berichte über Stars in der Boulevardpresse. Die vielen berühmten Leute in der Nachbarschaft fand sie spannend.
Doch das aufregende neue Leben hatte auch seine Schattenseiten. Mit ihren Klassenkameraden in Beverly Hills mochte Marcia Lynne nicht über die weniger glanzvolle Herkunft ihrer Familie reden, stattdessen behauptete sie, sie hätten früher in New York gelebt. Mitschülerin Adriane Neri hat Marcia Lynne als »ruhig, unauffällig, eine von denen, die nicht recht dazugehören«, in Erinnerung.
Es dauerte aber nicht lange, da hatte Marcia Lynne das Motto begriffen, das über dem Leben in Hollywood stand: Du kannst der werden, der du sein willst. Nachdem sie den Abschluss an der Beverly Hills High School in der Tasche hatte, schrieb sie sich 1969 am Lee Strasberg Theatre and Film Institute ein und suchte über die William Morris Agency Jobs als Model oder Schauspielerin. Um sich in die Aura des Exotischen zu hüllen, nannte sie sich von nun an »Marcheline«, weil ihre frankokanadische Großmutter Marie-Louise Angelina ihren Namen so ausgesprochen hatte. Im Familienkreis hieß sie jedoch weiterhin Marcia.
Sie begann, französischen Instantkaffee mit Vanillearoma zu trinken, sammelte französisches Geschirr und Kunstgegenstände. Die Familie glaubte, dass sich unter ihren Vorfahren nicht nur frankokanadische Siedler, sondern auch Irokesen befanden, was den Hauch von Exotik noch verstärkte. Jedenfalls war Marcheline mit ihren indischen Kleidern, den bestickten Stirnbändern und dem langen Haar ein typisches Kind der Hippiezeit. Als sie die Teenagerjahre hinter sich ließ, änderte sich ihre Einstellung. Später gestand sie einer guten Freundin: »Als wir nach Beverly Hills gezogen waren, wurde mir eines Tages ernsthaft klar, dass ich echte Chancen hatte, einen berühmten Mann zu heiraten.«
Marcia Lynne kam am 9. Mai 1950 als Tochter von Lois und Rolland Bertrand zur Welt. Rolland war gerade zum Manager der Bowlingbahn seines Schwiegervaters in Riverdale, Illinois, befördert worden. »Bowling war damals ein super Geschäft«, meint der Lokalhistoriker Carl Durnavich. »Jeder bowlte. Manchmal bekam man nicht einmal eine Bahn. Die Leute spielten entweder Baseball oder gingen bowlen.«
Die Nachbarstadt Harvey war damals das größte Industriezentrum von Illinois, Arbeit gab es reichlich, Verbrechen war ein Fremdwort, und in dem 4000-Einwohner-Städtchen kannte jeder jeden. Das Riverdale, in dem Lois aufwuchs, schien als Vorlage für ein Norman-Rockwell-Gemälde gedient zu haben, einschließlich Lattenzaun und Rosenranken an den Türen. Durnavich vergleicht es mit dem Schauplatz des Films Pleasantville – Zu schön, um wahr zu sein, der Geschichte einer zuckersüßen Kleinstadt, in der unangenehme und ungezogene Gedanken und Ideen unter den Gehsteig gekehrt werden.
Das Leben in Riverdale war bequem und sicher – nur vielleicht ein wenig langweilig. Lois June Gouwens träumte davon, groß rauszukommen und ein Kinostar zu werden. Das Highlight der Woche war der Tag, an dem die Illustrierten im Lebensmittelladen gegenüber dem Lokal ihrer Eltern angeliefert wurden. Kaum waren die Hochglanzzeitschriften ausgeladen, sauste sie hinüber und holte sich die neueste Ausgabe von Movie Mirror und Motion Picture. Dann machte sie es sich in einem Sessel in der elterlichen Wohnung über dem Gastraum bequem und betrachtete die Fotos von Betty Grable, Rita Hayworth, Ginger Rogers und anderen Hollywood-Stars von damals.
Ihr Vater Roy Gouwens hatte sich seinen Wohlstand hart erarbeitet. Als Zementarbeiter hatte er die Anzahlung für eine Gastwirtschaft angespart, die er und seine Frau Virginia, genannt Jean, Gouwens Tavern nannten. In der Nachbarschaft hatten sie den Ruf, anständige, fleißige und zuverlässige Leute zu sein. 1941 verkauften sie das Lokal an Jeans Schwester und deren Mann. Mit dem Geld aus dem Geschäft konnte Roy mit einem Partner die zehnbahnige Parkview Bowling Alley eröffnen, als der Sport gerade groß in Mode kam.
Lois, ein verwöhntes Einzelkind, hatte eine Frisierkommode in ihrem Zimmer, deren Spiegel mit Glühbirnen eingerahmt war, so wie sie es auf Fotos von Hollywoodstar-Garderoben gesehen hatte. Abends verbrachte sie Stunden vor dem Spiegel und drehte sich das dunkle Haar auf Wickler, um am nächsten Tag eine modische Lockenmähne zu präsentieren. Und wie sie so bürstete und wickelte, hing sie ihren Träumen nach und schmiedete Pläne. »Eines Tages bin ich ein Filmstar«, verkündete sie jedem, der es hören wollte, darunter ihr Cousin Don Peters.
Als sie 1946, ein Jahr nach Ende des Zweiten Weltkriegs, die Schule abschloss, bezahlten die Eltern ihr eine Ausbildung an einer von Patricia Stevens geleiteten Model-Schule in Chicago. Während sie auf den Anruf eines Hollywood-Agenten wartete oder sich ausmalte, dass ihr Bild auf dem Titelblatt von Vogue erschien, arbeitete Lois als Schreibkraft in dem Nobelkaufhaus Marshall Field in Chicago. Schon allein die tägliche Fahrt in die große Stadt brachte einen Hauch von Glamour, der in deutlichem Kontrast stand zu den vertrauten Gesichtern und dem immer gleichen Lebensrhythmus ihres Heimatorts. Wie ihre Eltern, ihre Großeltern und ihre Urgroßeltern – ihre Vorfahren waren Anfang des 19. Jahrhunderts aus Holland eingewandert – war Lois in Riverdale geboren und aufgewachsen.
Als großer Fisch in einem kleinen Teich war Lois eine gute Partie, denn ihre alteingesessene, wohlhabende Familie gehörte in einer Stadt wie Riverdale, wo harte Arbeit und gute Sitten Hand in Hand gingen, praktisch zur Oberschicht.
So überraschte es nicht, dass Lois die Aufmerksamkeit des Kriegshelden Rolland Bertrand, genannt Rollie, weckte. Er gefiel ihr, nicht gerade hochgewachsen war er, aber dafür hatte er große, ausdrucksvolle blaue Augen. Er war einer von drei Söhnen des Farmerehepaars George und Marie-Louise Angelina, die von den ersten französischen Siedlern im kanadischen Quebec abstammten. Im Zweiten Weltkrieg hatte Rolland sich Verdienste erworben, als er mit der Ersten Armee an verlustreichen Schlachten in Frankreich und Deutschland teilnahm. Im November 1944 wurde er beim Vormarsch auf den Rhein an beiden Beinen verwundet und in ein französisches Militärkrankenhaus gebracht.
Bei seiner Rückkehr nach Riverdale fand er Arbeit in der Bowlingbahn und begann kurze Zeit später, mit Lois auszugehen. Sie verstanden sich gut, denn beide liebten Bowling und tauschten gern Erinnerungen an die Schulzeit an der Thornton Township High School in Harvey aus. Als die beiden am 4. Juni 1949 in der St. Mary’s Catholic Church heirateten, war Lois 21, Rolland vier Jahre älter. Für Riverdale war es ohne Übertreibung die Hochzeit des...