Der Hacktivismus 1.0:
Wenn die HackerInnen sich in die Politik einmischen
Eine Gruppe von HackerInnen ist noch nicht angesprochen worden: diejenigen, die ihre Fähigkeiten für politische Zwecken nutzen. Wir befinden uns in den 1990er Jahren: die Globalisierungskritik kam auf, und zwischen manchen sozialen Bewegungen und Organisationen in Nord und Süd wurden Brücken geschlagen. Die Association pour la taxation des transactions financières et pour l’action citoyenne (ungefähr: »Vereinigung für die Besteuerung der Finanzströme und für das Aktivwerden der BürgerInnen«), abgekürzt ATTAC[45], rief zu einer Reform der Weltwirtschaftsordnung in der Krise auf.
Die ersten ›HacktivistInnen‹ – ein Begriff, der 1995 von Jason Sack aufgebracht wurde – waren gleichzeitig HackerInnen und AktivistInnen, und sie fanden sich in Bewegungen wie dem Adbusting, die die Konsumgesellschaft, die Massenmedien und die im öffentlichen Raum allgegenwärtige Werbung kritisieren und angreifen. Die Verbindung mit der Welt des Internet war dabei selbstverständlich. Das Kollektiv Indymedia[46] wurde z.B. 1999 anlässlich der großen Demonstrationen gegen den Gipfel der Welthandelsorganisation WTO in Seattle gegründet, mit dem Ziel, den globalisierungskritischen Ideen Gehör zu verschaffen und ein Gegengewicht gegen die traditionellen Medien zu schaffen. Das Vorgehen steht in der Logik der Cyberkultur: Es geht darum, die Information zu verbreiten und den Einzelnen Ausdrucksfreiheit zu verleihen. Die Indymedia-Plattformen, in ihren jeweiligen lokalen Ausführungen, sind also bestrebt, alternative und von den herkömmlichen Pressekonzernen unabhängige Informationsquellen anzubieten. Wiederum geht es darum, dass die Information frei sein muss, und dieses Mal sind es die AktivistInnen, die sich des Netzes bemächtigen, um sie zu transportieren.
Die globalisierungskritische Bewegung war also einen Schritt auf die Cyberkultur zugegangen. Indem sie sich auf das Terrain der HackerInnen, das Internet, begaben, gerieten die politisch Aktiven notwendig mit der Cyberkultur in Berührung. Die Systeme auseinanderzunehmen, um sie zu verstehen, die vorgeschlagenen Nutzungsmöglichkeiten zweckentfremden, um etwas Neues zu schaffen… genau diese Prinzipien werden von den HackerInnen verteidigt und von den GlobalisierungskritikerInnen geteilt, sodass Politik und Technologie zusammenkommen. Auf allgemeine Weise ist es schwierig, die ›unpolitischen‹ HackerInnen von denen, die als ›engagiert‹ gelten, zu trennen. Erinnern wir uns an die Ethik der HackerInnen: Die Trennung zwischen Politik und Cyberkultur ist in weiten Teilen unlogisch – von ihrem Wesen her sind politische Werte dem Hacking nicht fremd.
Die Philosophen André Gorz[47] und Pekka Himanen[48] gehen noch weiter. Ihnen zufolge verfechten die HackerInnen mit ihren Aktionen eine neue Auffassung der Welt, die, wie bei den GlobalisierungskritikerInnen, gegen den Kapitalismus gerichtet ist. Die Ideologie von dem Teilen der Kenntnisse, auf der die Verbreitung von Open-Source-Software aufbaut – die frei benutzbar und kostenlos ist – führt zu einer Infragestellung des Wirtschaftssystems, das auf dem Privateigentum an Produktionsmitteln basiert. Wenn Letztere dank der Informatik frei zugänglich und verbreitbar werden, dann können die Individuen sich emanzipieren und nach ihrem Willen organisieren. Die Besonderheit an den HackerInnen liegt in dem Prozess, den sie auslösen: ein sozialer Prozess, der auf dem Internet und auf der kooperativen Produktion im Netzverbund sowie auf einem anderen Verhältnis zur Arbeit, zum Geld, zur Zeit beruht. Letzteres zeichnet eine Ethik aus, die Pekka Himanen der protestantischen Arbeitsethik von Max Weber entgegensetzt. Die Ethik der HackerInnen ist, folgt man diesem Gedanken, von ihrem Wesen her eine Kritik der kapitalistischen Ökonomie. Übrigens ist der materielle Ort, an dem die Unabhängigkeitserklärung des Cyberspace veröffentlicht wurde, in dieser Hinsicht symbolkräftig: es handelt sich um Davos, aus Anlass des 26. Jahrestreffens des World Economic Forum im Jahr 1996.
Die ersten HacktivistInnen
Eine der ersten größeren Bewegungen, die BürgerInnen im Internet mobilisierte, fand im November 1999 statt, als der Toywar ausgelöst wurde. Wie wir sahen, ist Kunst nicht unvereinbar mit der Cyberkultur, und dieser ›Spielzeugkrieg‹ ist der Beweis dafür. Bei ihm standen sich mehrere Jahre hindurch ein Unternehmen des E-Commerce, mit Namen eToys, und ein Kollektiv von das Internet benutzenden AvantgardekünstlerInnen, etoy, gegenüber. Diese beiden Namen unterscheidet nur ein Buchstabe, das ›s‹, was laut Ansicht der Firma für Verwirrung unter den KonsumentInnen sorgte und drohte, ihrer Bekanntheit und den Zugriffszahlen auf ihrer Webseite Abbruch zu tun. Aus Sicht der Firmenleitung war es nicht legitim, dass eine Künstlergruppe einen Namen benutzte, der ihrem Markennamen so gefährlich ähnlich war. Nach Angeboten finanzieller Art, die abgelehnt worden waren, verfolgte die Firma eToys ihren Namensvetter vor Gericht und gewann alsbald einen ersten Prozess, was zur Schließung der Webseite des Künstlerkollektivs führte. Doch dessen Adresse ›etoy.com‹ war ein Jahr vor jener der Webseite der Firma, ›etoys.com‹, eingetragen worden.
Die KünstlerInnen riefen ›Skandal‹ und mobilisierten die Web-Community. Alle Zutaten kamen zusammen, um die VerteidigerInnen des Geistes der Cyberkultur reagieren zu lassen. Neben dem illegitimen Ansinnen der Firma kam hinzu, dass eToys sich wie die Karikatur eines Feinds des Cyberspace aufführte. Dieses Unternehmens kam, mit viel Verstärkung von Anwälten und Juristinnen, und drang in den Freiraum einer Gruppe von Personen ein, die die Cyberkultur verkörperten und bei ihren KollegInnen anerkannt waren. Die Parallelen zwischen dieser Situation und den Strafverfolgungen gegen die ersten HackerInnen, die einen autonomen und unabhängigen Raum im Internet forderten, lagen auf der Hand. Das Vorgehen von eToys wurde nicht nur als eine Ungerechtigkeit, sondern als eine Gebietsverletzung wahrgenommen und folglich wurden die Grundlagen der Cyberkultur in Erinnerung gerufen: Internet darf nicht denselben Regeln wie die Welt ›offline‹ unterworfen sein, vor allem, was die Freiheit der Meinungsäußerung betrifft. Das Abschalten einer Webseite zu fordern, ist also ein radikaler Angriff auf die Grundwerte der Cyberkultur.
Die InternetnutzerInnen eilten alsbald den KünstlerInnen zu Hilfe, die ihnen ihrerseits anboten, sie in diesem Einfluss‹krieg‹ zu engagieren, zu dessen Schlachtfeldern das Internet zählt. Eine der Schlüsselideen von etoy bestand darin, die ›Toywar-Agenten‹, die sie unterstützen, in AktionärInnen von etoy.Corporation zu verwandeln, einer gemeinnützigen Firma, die in avantgardistische Künstlerprojekte investiert. Wie bei einem Computerspiel gibt es Belohnungen für bestimmte Handlungen, wobei die Entscheidungsmacht unter alle TeilnehmerInnen aufgeteilt worden ist.
»Indem sie ein Spiel im Internet, vor den Gerichten und an der Aktienbörse Nasdaq spielten, haben etoy.Corporation und ihre UnterstützerInnen die Firma eToys dazu gezwungen, ihre aggressiven Absichten zu zügeln. Der Grund ihres Erfolgs lag darin, dass alle möglichen unterschiedlichen Leute – KünstlerInnen, AnwältInnen, AktivistInnen, HochschullehrerInnen, Geschäftsleute, gesellschaftliche AußenseiterInnen usw. – einbezogen wurden.«[49]
Die Weiterverbreitung der Informationen funktionierte, und die Aufrufe zum Boykott sorgten schließlich dafür, dass das Unternehmen einen Rückzieher machte und sein Sprecher die Einstellung der gerichtlichen Verfolgung bekannt gab. »Während der letzten Wochen (hat eToys) enorm viele Anrufe erhalten, die uns aufforderten, einen Weg zu finden, um gemeinsam mit etoy zu existieren. Auf keinen Fall wollten wir die künstlerische Freiheit beeinträchtigen.«[50] Das Kollektiv etoy wurde zu seinem Erfolg beglückwünscht. Ihm zufolge hat es die Mobilisierung vermocht, »die von eToys ausgehende Aggression gegen die Firma selbst zu kehren – wie bei einer Kampfsportübung im Internet –, so lange, bis die Kunst schließlich die naive Macht des Geldes neutralisierte.«[51] Die KünstlerInnen haben es schließlich dank des Hacktivismus geschafft, ein lebendes, virtuelles, kollektives und engagiertes Kunstwerk zu schaffen.
Das, was etoy als »Kampfsportübung« bezeichnete, bildet zweifellos eines der besten Beispiele für das, was man allgemein als »Flamby-Effekt« bezeichnet [benannt nach der Puddingmarke ›Flamby‹, B.S.]. Was passiert, wenn man mit der flachen Hand auf einen Pudding schlägt? Die Stücke fliegen herum und verteilen sich im ganzen Zimmer.… Im Ergebnis bedeutet das, wenn man jemanden oder etwas aus dem Internet verbannen möchte, dann setzt man sich der massiven und in alle Richtungen gehenden Verteilung unkontrollierter Informationen aus. Das bezeichnet man auch als »Streisand-Effekt«[52], und es ist einer der zentralen Mechanismen, die der Cyberkultur innewohnen, welche auf dem Grundsatz der Freiheit der Meinungsäußerung sowie der Informationsverbreitung beruht. Zwar schuf der ›Toywar‹ einen Präzedenzfall, doch erzeugte er kein allgemeines Bewusstsein für die Zensur im Internet und was dabei auf dem Spiel steht. Zahlreiche andere Fälle folgten. Manche, wie etwa Greenpeace, setzten dieses Verfahren später ein, um über eine größere mediale Reichweite zu...