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E-Book

Antike Novellen und Legenden

Vollständige Ausgabe

AutorTheodor Birt
VerlagJazzybee Verlag
Erscheinungsjahr2013
Seitenanzahl297 Seiten
ISBN9783849623005
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis0,99 EUR
Novellen und Märchenstoffe »aus verklungenen Zeiten« werden hier vorgeführt, Geschichten, die sich in jenen Zeiten abspielen, als noch den großen Julius Cäsar die Sonne beschien, ja, als es noch Kentauren auf der Balkanhalbinsel gab, als noch göttliche Meerfrauen um die Schiffe im Mittelmeer schwammen und der alte Gott Zeus noch auf seinem Berge saß, um zu donnern, wenn die lieben Menschen nicht taten, was recht ist. Inhalt: Achill - Ein Heldenmärchen Fortuit - Ein römisches Märchen Marpessa - Eine griechische Legende Kamma - Eine vergessene Tragödie Der Besuch bei Cicero - Ein Intermezzo aus der Zeit der römischen Bürgerkriege

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Leseprobe

 

Polla, die Bauersfrau, saß im Flur ihres Hauses unter dem Binsendach und stillte ihren Jüngsten, der zwei Monate zählte. Der Kleine war inmitten seiner Ernährung eingeschlafen; sie wiegte ihn mit eintönigem Gesang, und ihre rauhe Stimme setzte eben ab; es war ihr, als ob sie selbst einnickte. Der Schatten von den hohen Bergen deckte das Dorf; es dunkelte rasch. Da meinte sie draußen ein Leuchten zu sehen, wie wenn sich die Morgenröte selbst vor ihre Hütte gestellt hätte und schiene, und eine süße Stimme rief dreimal: Polla!

 

Sie fuhr aus dem Traume auf, fand alles stockdunkel und rief ihren Mann, der hinter dem Herde stand, Knoblauch kaute und langsam das Öllämpchen am Herd entzündete: »Dossénn, mir war im Traum, als ob man mich von draußen riefe. Sieh doch einmal nach, was ist.«

 

Dossénn biß in eine große Zwiebel und sagte knurrend: »Glaubst du, ich soll deinen Träumen nachlaufen?«

 

»Gewiß, tu's, tu's!« bat die Frau. »Es hat dreimal gerufen.«

 

»Ich hab' nichts gehört,« sagte der Mann; aber er schlüpfte in seine schweren Holzschuhe, riß die knarrende Tür auf, die nach innen schlug, und sah auf der Schwelle etwas liegen. Er leuchtete: es war in ein rosenfarbiges Tuch gewickelt. Er hob es auf; da bewegte es sich. Es war ein Kind, kaum zwei Tage alt. »Ein Fallkind auf unserer Schwelle?« Ein Fluch wollte ihm entfahren.

 

Da stürzte aus dem Stall der Knecht ins Haus und rief ganz außer sich: »Dossénn, Dossénn, in diesem Augenblick haben deine beiden Säue geworfen: zweiunddreißig Ferkelchen auf einmal. Du bist ein reicher Mann geworden.«

 

Den Bauer durchfuhr es; er wollte zu seinen Säuen und den fremden Balg fortschleudern. »Was sollen wir damit?«

 

»Bist du unfromm?« rief da Polla energisch. »Siehst du nicht, daß das Glück uns den Eindringling ins Haus gebracht? Im selben Augenblick, als ich den Lichtschein sah, ist im Stall das prächtige Wunder geschehen. Wer weiß, wer das Kind brachte? Vielleicht war es irgendein Gott. Gib her das Kind, ich zieh' es mit auf.«

 

Eben fing der Findling erbärmlich an zu schreien. »Hör' nur, er brüllt, er brüllt! Das Leben tut weh; das bezeugt jeder rechte Säugling. Aber er lebt, er hat Kraft, zu leben.«

 

Und sie setzte den eigenen Sohn ab und nahm das fremde Kind an ihre Brust. Ihre Natur war stark genug und freute sich, beide zu nähren. »Die Götter hören jeden Kinderschrei,« sagte sie andächtig und selbstzufrieden. Erst als der Kleine wieder still geworden, wickelte sie ihn in Windeln von oben bis unten, daß nur das Köpfchen heraussah. Es schien gar kein schönes Kind zu sein.

 

Dossénn aber hatte inzwischen die Glücksbescherung in seinem Stall mit Wonne betrachtet. Zweiunddreißig Ferkel auf einmal! Dafür konnte er sich bald ein ganzes Ackerrind erstehen! Als ihn am anderen Morgen zwei Bälge statt eins aus dem Schlafe schrien, lachte er nur, sah sein Weib gespaßig an und sagte: »Du machst es schon; es bringt dich nicht um. Wenn nur meine Säue an den zweiunddreißig nicht krepieren!«

 

Kaum hatte er das gesagt und stand auf der Straße, da kam in einer Staubwolke ein reicher Mann aus Verona auf einem feinen zweirädrigen Lustwagen einhergefahren; auch noch ein Lastwagen kam im Gefolge. Der Mann hielt an, winkte mit der Peitsche und fragte: »Wir bauen in Verona einen großen Bau. Habt ihr nicht Ziegel im Dorf?«

 

»Ziegel! Ziegel! Ei, ihr lieben Götter! Ist's mit den Säuen noch nicht genug?«

 

Dossénn hatte in den letzten Jahren wirklich Ziegel gestrichen; aber sie standen unterm Verschlag, alle mißmutig und unverkauft. Seine Wirtschaft wollte nicht voran. Jetzt riß er das Maul auf vor Staunen, er hatte auf einmal einen Käufer und half selbst sie aufzuladen, und faßte einen ganz frischen Mut. Denn der reiche Mann sagte, er solle nur immer mehr Steine backen, so Jahr für Jahr; er werde sie ihm alle abnehmen, Fuhre um Fuhre.

 

»Polla, hast du es gehört?«

 

Polla stand in der Tür und nickte sprachlos, und ihre Augen gingen ihr über. Sie hielt beide Kinder auf den Armen, in jedem Arm eins; sonst hätte sie vor Überraschung das Gleichgewicht verloren.

 

Und der Wohlstand mehrte sich gleich, der Kasten schwoll zusehends, und es wurden auch noch ein paar Kinder mehr im Hause geboren. Die gediehen alle ganz wundervoll und strotzten wie die Gurken und Melonen.

 

Nur der kleine Findling – sie hatten ihn Fortuit genannt – war zart und enttäuschte sie. Er lernte laufen und sprechen wie jedes andere Kind und hatte eine liebliche Stimme, wie eine Hirtenflöte, dazu schöne dunkle Locken um die Schläfen, und große blaue Augen von übermenschlichem Glanz standen ihm im Kopf. Aber was nutzten die Stimme und die Augen? Das Bürschchen hatte einen kleinen Höcker, der Kopf war größer als nötig, und die Arme waren gar schwächlich und ohne Kräfte.

 

Polla hatte Mitleid mit dem Kleinen, und Fortuit hing mit Liebe an ihr. Dossénn aber sah jetzt mißmutig auf den Eindringling, der in der Wirtschaft nie nützen würde. Als der Junge sechs Jahre alt war, noch kein Reisig aus dem Walde schleppen konnte und nicht einmal ein paar Backsteine auf den Wagen hob, gönnte er ihm das Brot nicht. Fortuits große Augen sahen, was der Ziehvater dachte, und er begann auf einmal, ihn zu hassen und zu fürchten und drehte sich um, wie der Vater kam. Der packte ihn derb und schlug ihn. Tags darauf hörte Dossénn, der reiche Mann in Verona sei gestorben. Das Geschäft ging ein. Die Ziegelei stand still. Die Armut stand wieder vor der Tür.

 

Dossénns üble Laune wuchs; er mußte die Armut einlassen. Und eines Tages war auch Fortuit verschwunden.

 

»Ein Glück, daß wir ihn los sind!« murrte der Mann, machte sein dümmstes Gesicht und kaute an seinem Ärger, als hätte er Knoblauch im Munde.

 

Polla weinte: »Ich fürchte, das Glück zürnt uns darum, daß wir an dem Knaben nicht recht getan. Ich sah einen Schimmer wie Morgenröte, als er uns ins Haus kam. Du solltest ihn suchen gehen.«

 

Aber Dossénn war trotzig und suchte ihn nicht.

 

Fortuit faß weinend am Feldrain unter einem Wacholderbusch. Er ängstete sich sehr, aber er wollte doch eben artig wieder nach Hause schleichen. Da sagte ein Wanderer zu ihm: »Du armer Kauz, was gibt's denn zu weinen?« Derselbige Wanderer bemerkte, daß das Kind etwas bucklig war, und dachte: Aufgepaßt! Das gibt einen guten Handel. Bucklige sind besonders klug, und in Rom kauft man gern solche Knaben! Freundlich schmeichelnd nahm er Fortuit an der Hand, und der folgte ihm willig und voll Zutrauen.

 

»Wie heißt du?« fragte Fortuit.

 

»Ich heiße Atrox.«

 

Das gab eine lange Reise – erst zu Fuß, dann auf dem Karren, durch Berge und Tiefland und wieder durch Berge. Wie sonnig ist die Welt und wie groß! dachte Fortuit und sang vor sich hin und sah dankbar auf diesen Atrox, der doch nichts als ein Menschenhändler war. Der aber gab bald das Schmeicheln auf und sperrte den Knaben, um seine Mißgestalt noch zu steigern, in einen niedrigen Kasten, worin er nicht aufrecht sitzen konnte; so würde er noch besser verkäuflich sein.

 

Und Fortuit saß in sich gekrümmt und sah kläglich mit seinem feinen Gesicht aus dem Gitter hervor, wie ein mißhandelter Amor im Vogelkäfig; durch das Gitter bekam er sein Futter – bis sie endlich an einem Strom anlangten. Es war der Tiber.

 

Da stand ein schlechtes Wirtshaus, worin die Fuhrleute und Flößer verkehrten. Atrox fing sogleich mächtig zu trinken an, den Kasten aber ließ er in der Sonne auf der Straße stehen.

 

Zum Glück kam Verus, der Flößer; der entdeckte den Gefangenen, und es erbarmte sein Herz, denn er war ein starker und guter Mann. »Komm heraus, armer Junge!«

 

Zitternd hängte sich Fortuit an den Befreier und legte sein Haupt ohne Furcht in sein rauhes, struppiges Gesicht. So angeschmiegt, schlief er gleich ein im Arm des Fremden. Der trug ihn sorgsam zu seinem Weibe und trat dann zu Atrox an den Tisch, wo die Würfel lagen; und das Würfelspiel begann und endete erst am Morgen. Und siehe da: Verus gewann, Atrox verlor und verlor, bis er den Würfelbecher krachend auf den Tisch schlug.

 

»Was hast du noch zu verlieren?«

 

»Nichts als den Knaben.«

 

Da verspielte Atrox auch noch den...

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