Auch von gelehrten Frauen wissen wir, die philologisch, historisch, philosophisch arbeiteten; aber sie locken uns wenig. Sie gehören den Zeiten des Niedergangs oder des Nachklassischen, den Zeiten des Hellenismus an, der auf die große Weltumwälzung Alexanders des Großen folgte. Gewiß stellen wir mit aller Hochachtung fest, daß die Tochter des Philosophen Aristipp zugleich ihres Vaters kluge Schülerin war; nach seinem Tod hat sie als Schulhaupt des Vaters Lehrbetrieb fortgesetzt. Eine gewisse Hestiäa trieb schon wie wir Topographie, bemüht um die Ortskunde des alten Troja. Großartiger noch die Leistung der Pamphila (sie fällt erst in die Zeit des Kaisers Nero), die eine Sammlung von Erinnerungen des Wissenswerten (Hypomnemata) in 33 Büchern hinterließ, die sich wesentlich mit der Geschichte der älteren griechischen Philosophen beschäftigten. Aber dies erwähnt zu haben, wird vielen genügen.
Einen Exzeß stellt ein fanatisches junges Mädchen dar aus der Zeit, wo die zynische Philosophie Mode wurde. Krates hieß ein Vertreter jener Lehre, die das »immer nur hübsch natürlich sein« predigte und sich den Hund zum Ideal und Vorbild nahm, ein Nachahmer des berühmten Diogenes, der, wie man weiß, als Junggesell in einem Tonfaß Haus hielt. Bedürfnislosigkeit war das Losungswort.
Das junge Ding – sie hieß Hipparchia – lief mit ihrem Bruder ihren Eltern fort, um es dem Krates gleich zu tun. Sie verliebte sich nicht in den Menschen selbst, der ein häßlicher Kerl war, sondern in seine Prinzipien und seine planvoll garstige Lebensweise und wurde so selbst zum weiblichen Rüpel. Glücklicherweise schriftstellerte sie nicht, und nur eine Szene aus ihrem Jugendleben wird uns beschrieben.
Bei einer Trinkgesellschaft am Hof des Königs Lysimachus mischte sie sich in den Männerkreis und traf dort den Philosophen Theodoros, der ihr widerwärtig war; denn er war Hedoniker und vertrat die gegensätzliche Lehre von der Freude und Genußsucht um jeden Preis. Da fragte sie ihn: »Billigst du den Satz: was dem einen recht ist, ist dem andern billig, oder: was du mit Recht tun kannst, kann ich auch mit Recht tun?« Er stimmte zu. »Nun denn: wenn du selbst die Peitsche nimmst und dich geißelst, so geißelst du dich mit Recht; wenn ich dich peitschen möchte, so täte ich es auch mit Recht.« Ob die Sache in Tätlichkeiten überging, steht nicht geschrieben, wohl aber, daß der Mann, den Geschmack der Zyniker nachahmend, statt jeder Antwort, während sie auf der Kline lag, ihr Kleid hochriß, damit die Verehrerin des Natürlichen ihre Natürlichkeit zeige.
Also auch solche Früchte trug damals das Paradies der Frauenemanzipation. Werfen wir dies hinter uns. Es ist erfreulicher, uns zur Sappho, der süßen, der zärtlichen, zu wenden. Denn uns treibt endlich die Sehnsucht nach dem Schönen. Wer in die griechische Vergangenheit greift, möchte überhaupt nur von Schönheit hören. Damit aber wandern wir in hochehrwürdige alte Zeiten zurück, die der Aspasia, der Artemisia und Xanthippe weit voranfliegen.
Das Dichten ist im primitiven Volksleben vielfach Sache der Frauen gewesen. Daher sind bei den Griechen die Musen weibliche Genien und jungfräulich, die Schützerinnen der dichterischen Phantastik und Ton- und Wortkunst gewesen. Das Land Pïerien nördlich des Olymp nannte man ihre Heimat; das Wort »Muse« aber bedeutet das Erinnern und Ersinnen zugleich. Also sind sie in erster Linie Erzählerinnen wie bei Homer, dessen Odyssee mit der Anrede an die Muse beginnt: »Sag' von dem Mann mir, Muse, dem vielgewandten, der so viel Irrsal und Abenteuer nach Trojas Zerstörung erlebt hat.« Aber sie ist da aristokratisch und beschäftigt sich nur mit erlesenem Personal, Helden und Göttern.
Ganz ebenso dachten dann auch namhafte Dichterinnen, die in der Literatur etwas später als Sappho auftraten und Ruhm gewannen wie die Korinna. Auch sie erzählte nur aus der Heldensage, aber sanglich, so daß Chöre in festlichem Anlaß es vortragen konnten.
Schlicht bürgerlich dagegen ist die Muse gesonnen, die der Sappho ihre Lieder gab. Da treten wir ins Privatleben mit seinen Beziehungen von Mensch zu Mensch und hören die schlichtere Herzenssprache. Sie gibt uns Ichpoesie, die vielfach vom Chorgesang absieht und sich gleichsam selbst zum Saitenspiel vorträgt.
Im 6. Jahrhundert v. Chr. haben diese Kunst zwei schöpferische Naturen begründet, beide Inselgriechen, beide auf der Insel Lesbos: ein Mann, Alkäus, ein Weib, Sappho; Lesbos, das schöne, eine kleine Welt für sich, ein Inselreich, das damals noch sein abgesondertes politisches Leben und Kulturleben hatte, wo man auch ein besonderes, dialektisch gefärbtes, äolisches Griechisch sprach. Für die Griechen, die hernach Geschichtsbücher schrieben, lag das fast wie Homer selbst und wie für uns das deutsche Mittelalter in grauer und meilenferner Vergangenheit.
Eine reiche Insel. Sie exportierte den gesuchtesten griechischen Inselwein. Die Sage aber erzählte, daß, als der Sänger Orpheus, dessen Zaubersang die wildesten Tiere bezwang, in Thrazien starb, seine Leier übers Meer von den Wellen nach Lesbos getragen wurde. So wurde das Eiland die Heimat der Musik und jedes Wohllauts.
Gleichwohl war es keine Insel der Seligen. Zwar herrschte damals dort Pittakus, der Gesetzgeber; aber er konnte der Friedlosigkeit im Volk nicht wehren. Viel lokaler Zwist und Parteihader bestand; mitteninne stand der stürmische Alkäus, und er sang erregend von Kampf und Seefahrt in kurzen Männerliedern und in neuen Tönen, für die er die Versform selbst ersann. Er war Mann der Tat und machte keine Schule.
Anders Sappho, die Frau, die er neben sich sah, wie sie lehrend wirkte und dichtete. Sie wußte sich trotz allem in tiefen Frieden zu hüllen und sang von Liebe, die eigentliche Schöpferin des Liebesliedes für die Griechen, des Sololiedes mit der schlichten Sprache echter Leidenschaft, das jeder singen konnte, der fühlte wie sie.
Gewiß hat sie sich dabei an das Volkslied angelehnt. Denn selbstverständlich ist, daß sie im Munde des Volkes Gesang schon vorfand, simple Verslein, kurzzeilig und stammelnd. Das Spinnen und jede Handarbeit hatten die Weiber schon immer mit irgendwelchem Singsang begleitet, so wie die Männer ihr rohes Ruderlied hatten, das den Takt des Ruderschlags begleitete. Sappho aber gab dieser Lyrik die gereinigte Kunstform, den Ausbau, die Rundung, den Zauber, der ihr eigen war, und einen Wohllaut durch die liebliche Klangfarbe der Silben, der dem ganzen Altertum vorbildlich erschienen ist. Dafür ersann auch sie, wie Alkäus, die Versformen neu, die eine weiche Rhythmik zeigten süßen Schalles, wie sie der Frauenzunge angemessen, und die geeignet waren, die Stimmungen der Sehnsucht und der Lebenswonne zu tragen.
Der Text aber genügte nicht; sie schrieb für den Gesang auch die Musik dazu, wobei sie die Tonart, die mixolydische, aus dem nahen Kleinasien entlehnte. Damals bestand in Kleinasien noch das lydische Reich des Königs Krösus, und so erklärt sich, daß Sappho so oft von Lydien redet. Der lydische Reichtum, die lydischen Streitwagen standen ihr in ihrer Phantasie vor Augen.
Auch der zärtliche Anakreon machte es in seiner Art ebenso. Er suchte es ihr gleichzutun. Aber er lebte erst ein halbes Jahrhundert später.
Was wissen wir vom Leben der Dichterin? Wir wissen, daß sie verheiratet war, aber früh Witwe wurde. Ob sie schon bei Lebzeiten des Gatten dichtete, läßt sich nicht erraten. Ich bezweifle es. Eine Tochter Kleïs hatte sie, über die sie sich in Versen zärtlich äußert:
Ein Töchterchen hab' ich. Bin ich nicht reich?
Den goldigsten Blümlein an Schöne gleich.
Heißt Kleïs und ist mein herzliches Ergetzen.
Gar nichts ist mir,
Verglichen mit ihr,
Das lydische Königreich mit allen seinen Schätzen.
Aber auch als sie Witwe geworden war, haben Männer sich irgendwie um sie beworben. Sie lehnte ab. So trat auch der Dichter Alkäus werbend an sie heran. Wir besitzen seine Anfrage und ihre Antwort. Es war ein sinniges dichterisches Spiel, die Frage und die Antwort, mit denen da die beiden Genies, die der Ruhm der Insel waren, sich begegneten; denn Alkäus machte seinen Antrag in der Versform der Sappho, und sie lehnte ab in der Versform des Alkäus. Dabei redete er sie schmeichelnd an: »Du heilige (oder keusche), veilchenbekränzte, sanft lächelnde Sappho, mich hindert die Scheu, zu dir ein offenes Wort zu sprechen . . .« Das Weitere fehlt leider. Sie erwiderte streng: »Verlangtest du nach dem, was edel und schön, und so, daß in dem, was deine Zunge spricht, sich nichts Arges einmischte, so würdest du das Auge nicht so niederschlagen und etwas sagen, was sich ziemt.«
Auch als sie alt geworden, gab es noch einen Bewerber. Da antwortete sie schlicht und nüchtern: »Bist du uns Freund, so...