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E-Book

'Antisemit!'

Ein Vorwurf als Herrschaftsinstrument

AutorMoshe Zuckermann
VerlagPromedia Verlag
Erscheinungsjahr2014
Seitenanzahl208 Seiten
ISBN9783853718209
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis13,99 EUR
Antisemitismus ist eine der verruchtesten Formen moderner Ideologien. Diese Behauptung bedarf heutzutage keines Nachweises mehr, zu katastrophal waren seine Auswirkungen, als dass sie in Abrede gestellt werden könnte. Die Ächtung von Antisemitismus ist ohne jeden Zweifel eine gesellschaftliche Notwendigkeit. Problematisch und kontraproduktiv wird es dort, wo ein vermeintlich kritischer Diskurs in herrschaftliches Bekenntnis umschlägt, wo Anti-Antisemitismus politisch missbraucht wird, wo sich eine vermeintlich kritisch auftretende Rezeption als ideologisch entpuppt. Wenn beispielsweise Gegner der israelischen Vertreibungs- und Kriegspolitik wie Ilan Pappe oder Kritiker einer von ihnen identifizierten 'Holocaust-Industrie' wie Norman Finkelstein unter dem Deckmantel des Kampfes gegen den Antisemitismus Auftritts- und Diskussionsverbote erhalten, ist das eine demokratiepolitisch gefährliche Entwicklung. Mehr noch: Der Vorwurf des Antisemitismus dient israelischen Lobbies als Instrument, ihre Gegner mundtot zu machen, notwendige Debatten im Keim zu ersticken. Moshe Zuckermann wagt eine Analyse dieser Entwicklung. Für ihn steht fest, dass die Verwendung des Antisemitismus-Vorwurfs als Parole im vermeintlichen Kampf gegen Antisemitismus 'in eine fürchterliche Epidemie umgeschlagen ist.' Längst schon sei sie zum Totschlag-Ideologem eines durch und durch fremdbestimmten Anspruchs auf politisch-moralische Gutmenschlichkeit geronnen. Ob man diese Epidemie heilen kann, wird sich erst erweisen müssen. Dass man sie erklären muss, scheint dringlicher denn je.

Moshe Zuckermann, 1949 in Tel Aviv geboren, ist Professor für Geschichte und Philosophie an der Universität Tel Aviv. Als Sohn polnischer Holocaust-Überlebender entschloss er sich nach zehnjährigem Aufenthalt in Deutschland mit 20 Jahren zur Rückkehr nach Israel. Er gilt als profunder Kritiker israelischer Politik und tritt für eine Zwei-Staaten-Lösung des israelisch-palästinensischen Konflikts ein.

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Leseprobe

Zionismus und Antisemitismus


Der Zionismus wurde aus dem Antisemitismus geboren. Zwar wehren sich zionistisch gesinnte Israelis zuweilen gegen diese historische Einsicht, weil sie zu sehr auf einer negativen Bestimmung dessen basiere, was sie für eine aus sich selbst gewachsene Bestrebung des jüdischen Volkes nach kultureller Erneuerung und politischer wie gesellschaftlicher Souveränität erachten; die Erhabenheit der Selbstkonstituierung als Nation solle sich tunlichst keiner Fremdbestimmung verdanken. Und doch darf ihre Sicht des Zionismus als beschränkt angesehen werden. Denn nicht nur muss bezweifelt werden, ob es je eine Nationalstaatsbildung gegeben hat, die sich der Reibung daran, wovon sie sich zu emanzipieren trachtete, entziehen konnte; nicht nur ist darüber hinaus historisch nachweisbar, dass und wie sich das Bewusstsein der Notwendigkeit einer nationalen Heimstätte für Juden sowohl an europäischen Vorbildern infolge der Französischen Revolution orientierte als auch eben an der Heraufkunft des modernen Antisemitismus schärfte, sondern der in unzähligen Schriften zur umfassenden Ideologie geronnene Diskurs über die Begründung der geschichtlichen Notwendigkeit des Zionismus ist ohne sein zentrales Postulat der Diaspora-Negation schlechterdings nicht nachvollziehbar, wobei das zu negierende diasporische Dasein gerade von jenen als ein degeneriert-unwürdiges apostrophiert wurde, die sich der traditionellen, orthodox-religiösen jüdischen Lebenswelt entwunden hatten, um an die säkularisierte bürgerliche Gesellschaft einen Anspruch zu stellen, den diese ihnen gleichwohl weitgehend verweigerte – den der bürgerlichen Gleichstellung. Diese Gleichstellung wurde ihnen jedoch nicht mehr aus religiösen, sich aus überkommenem Judenhass speisenden Gründen verweigert, sondern eben im Zuge des sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts mit einiger Rasanz ausbreitenden, im Wesen religionsfernen Antisemitismus. Insofern das sogenannte „jüdische Problem“ als ein modernes gelöst werden sollte, standen den europäischen Juden die tendenzielle Selbstauflösung in der Assimilation, der universal-emanzipative Sozialismus oder eben der aufkeimende politische Zionismus zu Gebote. Und dieser verstand sich nun einmal selbst primär als Reaktion auf die sozialen Auswüchse des modernen Antisemitismus.

Diese Grundrelation zwischen Zionismus und Antisemitismus sollte indes zwei verschiedene, dialektisch freilich miteinander verschwisterte Wirkungen zeitigen. Zum einen verfestigte sich die Auffassung des Zionismus als „Antwort“ auf den Antisemitismus zum regelrechten Axiom zionistischer Ideologie. Nach der Shoah und der durch sie beschleunigten Gründung des Staates Israel avancierte dieses Axiom nachgerade zur zionistischen Staatsdoktrin. Noch im Jahr 2005 machte sich eine deutliche Spannung bemerkbar, als Yad-Vashem-Direktor Avner Shalev sich anlässlich der Neueröffnung des umgestalteten Museums zu behaupten anmaßte, der Zionismus sei nur eine der möglichen „Antworten“ auf die Shoah; der Besucher im Museum möge durchaus den Eindruck gewinnen können, eine jüdische Existenz in New York z.B. sei nicht minder legitim – dies aber in ausgesprochenem Gegensatz zur zuvor erfolgten Anweisung des israelischen Außenministeriums, die Zeremonien der Neueröffnung hätten vor allem die Botschaft zu übermitteln, dass Israel die einzige „Antwort“ auf eine Erscheinung wie die Shoah sei. Der brave Museumsdirektor vollführte kurz darauf den von ihm erwarteten Gesinnungsrückzieher.

Zum anderen erwuchs aber aus ebendiesem Axiom ein (vermeintliches) Paradoxon: Der Anspruch des Zionismus, den Antisemitismus (qua „Antwort“ auf diesen) zu überwinden, ließ die „Erhaltung“ des Antisemitismus in der Welt notwendig werden, solange das Projekt des Zionismus nicht zum historischen Abschluss gebracht worden ist – was zentralen Postulaten des Zionismus zufolge so lange der Fall sein muss, wie ein Großteil der Juden in der Welt, sei‘s aus lebensgeschichtlichem Zwang, sei‘s aus freier Wahl, nicht im für sie gegründeten zionistischen Staat leben. Die Forderung, Juden aus aller Herren Ländern mögen sich in Israel versammeln, verstand sich dabei nie als ein beliebiges Nice-to-have, sondern stets als raison d‘être des Judenstaates, der das Ziel jüdischer Massenimmigration ins Land entsprechend von Anbeginn zur vordringlichen Staatspolitik erhob. „Heimstätte“ stellte sich für Israels Zionismus daher nie als Möglichkeit dar, die man nach Belieben wahrnimmt oder nicht, sondern immer schon als ein praktisches Ziel, das man unter Verwendung großer materieller, diplomatischer, erzieherischer und ideologischer Ressourcen zu verfolgen hatte (und letztlich noch immer hat).

Was man sich dabei über Jahrzehnte (mit wenigen Ausnahmen) kaum je vor Augen zu führen gestattete, war der einer von solchem Geist beseelten Antisemitismus-Bekämpfung inhärente Widerspruch. Denn nicht um die konsequente Eliminierung des Antisemitismus in der Welt ging es den Sachwaltern des Zionismus, sondern um die zionistische „Antwort“ auf diesen bzw. die vom Zionismus angebotene Lösung des „jüdischen Problems“, welches – willkommener Weise – auf den in der Welt grassierenden Antisemitismus zurückgeführt werden konnte. Nicht nur hatten also Existenz und Entfaltung des Zionismus für ihn selbst Vorrang vor dem Kampf gegen den das Judentum bedrohenden Antisemitismus, sondern der reale Fortbestand des Antisemitismus in der als solcher apostrophierten Diaspora war sein Interesse. Der Zionismus initiierte zwar nicht den Antisemitismus, gab sich auch stets betroffen, wenn dessen Auswirkungen konkret zutage traten, aber nicht von ungefähr zeichneten sich die Reaktionen vieler Israelis auf antisemitische Erscheinungen im Ausland, nicht selten auch Kommentare der israelischen Medienwelt, durch eine zumeist offen artikulierte Schadenfreude aus: Recht geschieht es ihnen! Wenn diese Juden das Leben in Israel verschmähen und ein diasporisches Dasein bewusst vorziehen, mögen sie sich nicht wundern und darüber beklagen, dass sie antisemitischen Ausfällen ausgesetzt sind.

Das will wohlverstanden sein: Die Logik, wonach die Verschlechterung der Zustände, die den Antrieb zu ihrer Überwindung speisen, das Anliegen derer begünstigt, die sich um die Abschaffung der Zustände bemühen, ist nicht exklusiv dem Zionismus zuzuschreiben. Die dialektische Doktrin des Je-schlechter-desto-besser entstammt bekanntlich einem anderen historischen Zusammenhang, darf aber im übrigen als Erbteil nahezu aller Befreiungsbewegungen der Moderne angesehen werden. Was sie gleichwohl im Zionismus spezifisch auszeichnet, ist die binäre Rigorosität, mit der diese Doktrin hochgehalten wurde, um sich in eine stramme staatsoffizielle Politik mit entsprechendem ideologischen Anspruch zu übersetzen. Die radikale Verächtlichmachung des Diasporischen, die sich im hebräischen Substantiv gola und dem von diesem abgeleiteten Adjektiv galuti verdichtet findet, zeitigte nicht nur eine selbstherrliche Verdinglichung alles Israelischen, sondern auch die ideologische Perpetuierung einer Mischung aus Abscheu vorm Diasporischen und dem Schrecken vor einer absehbaren „nächsten Shoah“. Besonders in den ersten Jahrzehnten nach der Staatsgründung wuchs die Israel-Diaspora-Dichotomie zur Zentralachse einer stets herbeibemühten zionistischer Selbstvergewisserung heran. Noch 1976 durfte der damalige israelische Premierminister, Yitzhak Rabin, jüdische Abwanderer aus Israel in einem Interview als „schwächliche Abfallprodukte“ der israelischen Gesellschaft bezeichnen und sich dabei der Zustimmung eines Großteils der jüdisch-israelischen Bevölkerung gewiss sein. Das Ressentiment gegenüber den „verräterischen“ Emigranten wusste sich dabei der nicht minder konsensuellen Verachtung für ihre „Erbärmlichkeit“, sich freiwillig einem „degenerierten Dasein“ aussetzen zu wollen, verschwistert.

Von Bedeutung ist aber im hier erörterten Zusammenhang vor allem die ideologische Verzahnung von Diaspora (bzw. gola, Exil) und Antisemitismus: Wenn Zionismus im Kern die Überwindung der Diaspora zum Inhalt hatte, musste diese negativ konnotiert werden, und zwar so, dass der Gegensatz von Jüdischsein und nichtjüdischer Umwelt zum Paradigma existentieller Bedrohung für Juden heranwuchs. Wo das Diasporische sich nicht als primär antisemitisch auswies (etwa in den USA), behalf man sich mit der „Assimilation“ als propagandistischer Notwaffe, wobei orthodoxe Religiöse und säkulare Zionisten einander diesbezüglich in nichts nachstanden: So wie die pseudo-theologische Erläuterung geliefert werden konnte, die Shoah habe sich ereignet, weil das jüdische Volk vor der totalen Assimilation gestanden habe (also als Gottes Bestrafung und „Reinigung“ des auserwählten Volkes), reden Religiöse in Israel oft auch von der „Shoah der Assimilation“ (schoat ha‘hitbolelut) in unseren Tagen (also der kulturellen Selbstauf­lösung des jüdischen Volkes) und können sich dabei dem säkularen Zionismus, welcher das Menetekel der Assimilation im Interesse seiner politischen Zielsetzungen stets einzusetzen wusste, durchaus verbunden fühlen. Unschlagbare Waffe dieses Diskurses war und blieb gleichwohl der Antisemitismus. Denn nicht nur hat er der schleichenden Assimilation das akut Sensationelle voraus, er darf darüber hinaus auch, wann immer nötig, als ein historisch gefestigter „Beweis“ für die Vergeblichkeit aller Assimilation und die Verlogenheit aller universeller Emanzipationsbestrebungen herangezogen werden. Nichts lässt sich in den polemischen Schlachten der zionistischen Ideologie effektvoller instrumentalisieren, nichts geriet ihr zur besseren...

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