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Die Diktatur des Kapitals

Souveränitätsverlust im postdemokratischen Zeitalter

AutorHannes Hofbauer
VerlagPromedia Verlag
Erscheinungsjahr2014
Seitenanzahl240 Seiten
ISBN9783853718254
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis15,99 EUR
Global agierende Kapitalgruppen, euphemistisch 'Märkte' genannt, treiben Parlamente und Regierungen vor sich her. Die Wirtschaft steht längst nicht mehr im Dienste des Menschen. Hannes Hofbauer geht in seinem neuen Buch 'Die Diktatur des Kapitals' einer Entwicklung nach, die die Logik der kapitalistischen Akkumulation als einzig zulässige akzeptiert, nach der sich Gesellschaft zu richten hat. Damit herrscht eine Diktatur des Kapitals, die von ihren Ideologen als 'liberale Demokratie' oder als 'konstitutioneller Liberalismus' definiert wird. Das Buch versucht einen Brückenschlag von einer ökonomischen Analyse einer vom Prinzip der Akkumulation und des Profits getriebenen Gesellschaft zu den tagtäglichen Auswirkungen dieser Entwicklung. Die Durchsetzung liberaler Reformen und der kollektive und individuelle Souveränitätsverlust hängen miteinander zusammen.

Hannes Hofbauer, Jahrgang 1955, hat Wirtschafts- und Sozialgeschichte an der Universität Wien studiert. Er arbeitet als Publizist und Verleger. Im Promedia Verlag sind von ihm u. a. erschienen: 'EU-Osterweiterung. Historische Basis - ökonomische Triebkräfte - soziale Folgen' (2007) und 'Verordnete Wahrheit, bestrafte Gesinnung. Rechtsprechung als politisches Instrument' (2011).

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Leseprobe

Der Durchmarsch neoliberaler Globalisierung


Der Verlust des politischen Primats über ökonomische Prozesse zieht nicht erst seit der 2008 offen zutage getretenen Weltwirtschaftskrise eine Spur der sozialen Verwüstungen und des regionalen Auseinanderbrechens durch Europa. Schmerzlich musste die Bevölkerung im Osten des Kontinents bereits in den Jahren der Wende nach 1989/91 erfahren, welche gesellschaftlichen Auswirkungen eine forciert durchgesetzte kapitalistische Rationalität mit sich bringt und wie ohnmächtig demokratisch gewählte Strukturen der Kapitalmacht gegenüberstehen.28

Die Triebkraft gesellschaftlicher Entwicklung geht in einem auf Profit­maximierung basierenden Wirtschaftssystem wie dem unseren – wenig überraschend – von der Akkumulation von Kapital aus, weshalb die Gesellschaft zu Recht als kapitalistische bezeichnet wird. Dennoch war nicht zu allen Zeiten und an allen Orten ein ausschließlich ökonomisches Primat vorherrschend. Politische und mithin im Kontext EG-/EU-Europas parlamentarisch-demokratisch legitimierte Interventionen in die Sphäre des Kapitals waren nach dem Zweiten Weltkrieg an der Tagesordnung, freilich nur solche, die das Eigentums- und Akkumulationssystem selbst nicht in Frage stellten.

Vor dem Hintergrund der Teilung Europas in eine westliche und eine östliche Sphäre bewirkte die Systemkonkurrenz im Westen des Kontinents eine Art Wettstreit von Wertehaltungen. Die Attribute sozialistisch/sozialdemokratisch, konservativ, christlich und national repräsentierten Weltanschauungen, die sich in Abgrenzung zum als kommunistisch identifizierten Gegenüber sahen. Nicht zuletzt durch das politische Primat über wirtschaftliche Prozesse im Osten sahen sich die Eliten im Westen veranlasst, ihre ideologischen Attribute als politische Handlungsanleitungen zu verstehen. Diese ideologischen Attribute fußten zudem auf einer hundertjährigen Tradition als Weltanschauungsparteien, die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ihre Ursprünge hatten. Sozialisten standen für einen hohen Grad an Vergesellschaftung wichtiger Wirtschaftszweige, Christlich-Konservative bremsten bei sozialen Deregulierungen und ökonomischen Modernisierungsvorhaben und Nationale legten fallweise Wert auf eine entsprechende betriebliche Eigentümerschaft. Die Anerkennung des Nationalstaates als politischer Handlungs- und Bezugsrahmen war weltanschauungsübergreifend. Das liberale Element, dessen historische Grundlagen nicht auf Massenparteien, sondern auf sogenannten liberalen Klubs basierten, blieb in der europäischen Nachkriegszeit bis hinein in die 1980er-Jahre vergleichsweise schwach vertreten. Erst danach, im Anschluss an die Wirtschaftskrise Mitte der 1970er-Jahre, sind die oben angeführten politischen Attribute nach und nach zu vollkommen aussagelosen Adjektiven verkommen.

Die Systemkonkurrenz zwischen dem mittels Marshall-Plan konfigurierten transatlantischen Integrationsraum und der von Moskau geführten Transferrubel-Zone, militärisch gedeckt vom Nordatlantikpakt (NATO) und der Warschauer Vertragsorganisation, mag auf den ersten Blick kein stichhaltiges Argument dafür sein, warum Politik im Westen Europas soziale, christlich-konservative und nationale Belange mehr als heute berücksichtigt hat und berücksichtigen musste. Tatsächlich waren ja vor allem die ersten Jahrzehnte nach dem Krieg in Osteuropa von einer Zwangsökonomie zum Aufbau einer Investitionsgüterindustrie geprägt, die kaum Attraktivität auf Menschen in Westeuropa ausgeübt haben dürfte. Der planmäßigen Vernachlässigung der Konsumgüterindustrie standen mit der Vergesellschaftung weiter Teile der Ökonomie eine Umverteilung von oben nach unten und damit die Möglichkeit des sozialen Aufstiegs gegenüber. Die Sympathie für dieses Modell blieb theoretisch, die praktische Umsetzung förderte einen Mangel zutage, der auf völlig konträre Weise – über die Durchsetzung von Lohn-Preis-Abkommen – zwar auch im kapitalistischen Westen für die unteren Einkommensklassen negativ spürbar war, aber keine gesellschaftliche Anziehungskraft entfaltete.

Dennoch darf nicht vergessen werden, dass zu dieser Zeit in ganz West­europa eine starke kommunistische Bewegung existierte. Nicht nur in Italien und Frankreich, wo sie sich Jahrzehnte halten konnte und auch parlamentarische Erfolge erzielte, waren mit den kommunistischen Parteien gesellschaftliche Milieus vorhanden, die einem kapitalistischen Gesellschaftsmodell diametral entgegenstanden. Der Systemantagonismus war auch in Ländern wie Deutschland und Österreich spürbar und – für herrschende Kapitalkreise – bedrohlich. Wie sonst wäre die Kommunistenhatz in Westdeutschland zu erklären, die am 17. August 1956 im Verbot der KPD gipfelte. Zuvor waren bereits Parlamentarier der Kommunisten drangsaliert und – zeitlich beschränkt – aus dem Bundestag hinausgeworfen worden; mit dem Parteienverbot erlosch automatisch ihr Bundestagsmandat.

Auch die außerparlamentarische Linke fand sich im Fadenkreuz der Exekutive, und zwar im Wortsinn. Am 11. Mai 1952 kam es in Essen zu einem mas­­siven Polizeieinsatz gegen demonstrierende Jugendliche. 30 000 von ihnen hatten sich zusammengefunden, um gegen die Wiederbewaffnung und Re­militarisierung Westdeutschlands zu protestieren und forderten einen Friedensvertrag mit der DDR. Hunderte bewaffnete Polizisten stellten sich ihnen in den Weg. Der 21jährige Aktivist der Freien Deutschen Jugend, Philipp Müller, bricht tot im Kugelhagel zusammen, zwei weitere Demonstranten werden lebensgefährlich verletzt, 240 verhaftet.29

In Österreich konstruierte die bürgerliche Seite aus einem Gewerkschaftsstreik im Oktober 1950 einen kommunistischen Putschversuch, der vom US-geschulten Baugewerkschafter Franz Ohla30 mit aller Gewalt niedergeschlagen wurde. Ausgehend von der Stahlstadt Linz gingen ab 25. September 1950 in ganz Ostösterreich mehr als 120 000 Arbeiter auf die Straße, um gegen das 4. Lohn-Preis-Abkommen zu protestieren. Dieses Abkommen führte erneut zu Reallohnverlusten, was die ohnedies prekäre Versorgungslage weiter verschlechterte. Während des zweiwöchigen Streiks standen Tausende Gendarmen den Arbeitern gegenüber; die bürgerliche Presse verunglimpfte die Klassenauseinandersetzung, indem sie ihr den sozialen Charakter absprach und sie zum kommunistischen Putschversuch umdeutete.31 Die potenzielle Bereitschaft weiter Teile der Gesellschaft in den 1950er-Jahren, der kapitalistischen Rationalität die Gefolgschaft zu versagen, darf nicht unterschätzt werden. Und sie wurde es von Kapitalseite her auch nicht. Nach der ersten Welle harter Niederschlagungen sozialer und politischer Proteste, die alles links der Sozialdemokratie diskreditiert, wenn nicht sogar verboten hat, schwenkten die westeuropäischen Zentrumsländer auf einen Kurs selektiver Beteiligung integrationswilliger Kräfte ein. Vor allem Deutschland und Österreich experimentierten erfolgreich mit einem de facto außerparlamentarischen Instrument demokratischer Entscheidungsfindung, das später als Modell der »Sozialpartnerschaft« bezeichnet wurde.

Zum geo- und gesellschaftspolitischen Argument, das es ratsam erschienen ließ, die harte liberale und regulierungsfeindliche Variante des Kapitalismus vornehmlich mit sozialen Attributen zu zähmen, kommt noch ein wirtschafts­immanenter Faktor, warum Kapitalismus pur nach dem Zweiten Weltkrieg in Westeuropa nicht notwendig war. Nach sieben Jahren Krieg mit immensen Zerstörungen bot sich ein so weites Investitionsfeld, dass politische Interventionen, sei es im Sozial- und Regionalbereich oder in Fragen teilweise vergesellschafteten Eigentums von Kapitalinteressen, leicht abgefedert werden konnten. So riefen z.B. zwei Verstaatlichungsgesetze in Österreich 1946/47, die die gesamte Grundstoffindustrie, die Energiewirtschaft, Großbanken, Versicherungen und vieles mehr der Privatwirtschaft entzogen, keine Protestwelle auf Kapitalseite hervor32, im Gegenteil: die USA nickten den Vorgang ab, weil sie sich davon – allerdings vergeblich – eine wirtschaftliche Schwächung der sowjetischen Zone im Osten des Landes (die bis 1955 Bestand hatte) erhofften, und die Unternehmerseite konnte bis weit in die 1970er Jahre mit der Weiterverarbeitung von Grundstoffen wie z.B. Stahl, die von der verstaatlichten Industrie billig hergestellt worden waren, Profite erwirtschaften. Die verstaatlichte Grundstoffindustrie erzeugte billige Vorleistungen für private Unternehmen – übrigens über Österreichs Grenzen hinweg. In der staatlichen Linzer VÖEST günstig produzierter Stahl fand in der bundesdeutschen Autoindus­trie und der italienischen Maschinenindustrie willige Abnehmer.

Wie scheinbar grenzenlos der nach Investitionen gierende Markt nach 1945 war, zeigt ein Blick auf das Ausmaß der Kriegszerstörungen. Der bekannte britische Ökonom Angus Maddison hat sich 1973 die Mühe gemacht, die betriebswirtschaftlichen Schäden zu schätzen. Demnach waren im Jahr 1945 in Deutschland und Österreich 13% des heimischen Kapitalstocks zerstört bzw. unproduktiv gemacht, in Frankreich waren es 8%, in Italien 7% – die Sowjetunion sah sich gar 25% ihres Kapitalstocks beraubt.33 Unter solchen Vorzeichen war der von Kapitalinteressen getriebene Wiederaufbau von sozialen Regulierungen nicht zu bremsen. Das Problem lag anderswo, nämlich im fehlenden lokalen Kapital und der nicht vorhandenen Konvertibilität westeuropäischer Währungen. Mit dem »European Recovery Program«, vulgo Marshall-Plan, wussten die USA diesen Strukturschwächen zu Leibe zu rücken und für sich bzw. ihre großen Unternehmungen zu nutzen. Ein Kreditrahmen von 12,9 Mrd. Dollar34 für 15 Länder Westeuropas (und die Türkei) bildete die Grundlage dieses – wie schon der Name sagt –...

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