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E-Book

Israels Schicksal

Wie der Zionismus seinen Untergang betreibt

AutorMoshe Zuckermann
VerlagPromedia Verlag
Erscheinungsjahr2014
Seitenanzahl208 Seiten
ISBN9783853718230
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis15,99 EUR
Seine politischen Führer und Ideologen haben den Staat Israel an eine historische Weggabelung manövriert, von der nur Sackgassen auszugehen scheinen. Israel sieht sich vor eine Wahl gestellt, die ihm letztlich nur zwei Möglichkeiten offenhält: Es kann sich zur Lösung des Konflikts mit den Palästinensern für die Zwei-Staaten-Variante entscheiden, d. h. eine Friedenslösung zwischen zwei souveränen Staaten Israel und Palästina akzeptieren. Israel kann aber auch eine territoriale Teilung zwischen Israel und Palästina torpedieren. Eine binationale Lösung wäre mit Entscheidungen verbunden, die den Zionismus - Israels Staatsideologie - gravierend belasten, ja das gesamte zionistische Projekt infrage stellen. Dass letztlich nichts an einer Zwei-Staaten-Lösung vorbeiführt, wie Zuckermann meint, leuchtet den meisten Politikern ein. Der Autor stellt daher die Frage, wie es dazu kommen konnte, dass die Rettung des zionistischen Projekts nicht wahrgenommen wird.

Moshe Zuckermann, 1949 in Tel Aviv geboren, ist Professor für Geschichte und Philosophie an der Universität Tel Aviv. Als Sohn von Holocaust-Überlebenden entschloss er sich nach zehnjährigem Aufenthalt in Deutschland mit 20 Jahren zur Rückkehr nach Israel. Er gilt als profunder Kritiker israelischer Politik. Zuletzt erschien von ihm bei Promedia ''Antisemit!' Ein Vorwurf als Herrschaftsinstrument' (2010, 3. Auflage 2014, als E-Book erhältlich).

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Leseprobe

Das Paradoxon


Etwas Elementares an Israels Politik bleibt unentschlüsselt. Dem Augenschein nach ist alles klar, liegt auf der Hand, spricht gleichsam »für sich selbst«; und dennoch wird aus dem vermeintlich Selbstverständlichen nicht die naheliegende Konsequenz gezogen, namentlich die praktische Verwirklichung dessen, was sich zwangsläufig als unentrinnbare Einsicht aufdrängt. Und das Merkwürdige: Alles wurde im vergangenen Jahrzehnt bereits dutzendfach bis ins letzte Detail ausdiskutiert, gerann mithin zum integralen Bestandteil des öffentlichen israelischen Politdiskurses. Um es einfach zu formulieren: Israel steht vor der historischen Entscheidung zwischen der Zwei-Staaten-Lösung, d. h., der Lösung des Konflikts mit den Palästinensern durch Anerkennung eines von den Palästinensern errichteten souveränen Staates an der Seite Israels, und der Lösung des Konflikts durch die Errichtung eines binationalen Staates, eines Staates also, in dem Juden und Palästinenser als gleichwertige Bürger gemeinsam leben würden. Es gibt keine andere strukturelle Möglichkeit außerhalb dieser beiden Grundoptionen. Denn die Ablehnung der Zwei-Staaten-Lösung bedeutet die objektive (graduelle) Entstehung einer binationalen Struktur, die, wenn von beiden Seiten akzeptiert, in einen binationalen Staat münden wird; wenn aber von beiden Seiten abgelehnt – und im Hinblick auf die Verfestigung dessen, was im jüdisch-israelischen Diskurs als »demographisch tickende Zeitbombe« apostrophiert wird, zu einem gestandenen Zustand, in dem Juden eine Minorität im eigenen Land bilden –, Israel zu einem Apartheidstaat im vollen Sinne des Wortes werden lassen wird. Diese letzte Möglichkeit wird von der westlichen Welt längerfristig kaum akzeptiert werden können, von den Palästinensern selbst ganz zu schweigen (für viele in der außerwestlichen Welt praktiziert das israelische Okkupationsregime schon seit langem eine vollentfaltete Apartheid-Ideologie); die Isolation Israels würde in diesem Fall Dimensionen annehmen, zu denen im Vergleich der historische Präzedenzfall des internationalen Boykotts gegen den südafrikanischen Apartheidstaat erblassen dürfte, wenn man die geopolitische Explosivität des israelisch-palästinensischen Konflikts in Rechnung stellt – denn der Nahostkonflikt kodiert mehr als »nur« ein herkömmliches Menschenrechtsproblem. Erwähnt sei zudem, dass die Option eines Bevölkerungstransfers im Sinne Meir Kahanes (oder in der gemilderten Version von Rehavam Zeevi und Avigdor Lieberman) hier gar nicht thematisiert zu werden braucht. Denn sie bildet keine historisch reale Lösung des Konflikts, solange sich die Palästinenser ihr widersetzen. Wollte man sie dennoch verwirklichen, würde ein solcher Akt nicht nur zwangsläufig zu einem regionalen Krieg zwischen Israel und der arabischen Welt führen, sondern es ist auch davon auszugehen, dass viele Israelis, einschließlich solcher, die sich der Lösung des israelisch-palästinensischen Konflikts gegenüber gemeinhin apathisch verhalten, eine solche Option ablehnen und sich ihrer Verwirklichung emphatisch widersetzen würden.

Was also letztlich auf der Waagschale liegt, ist der Fortbestand des zionistischen Staates, wie ihn sich der klassische Zionismus vorstellte und als Realität anvisierte (einschließlich des unhinterfragbaren Postulats, wonach Juden stets eine Mehrheit in ihrem Land zu bilden hätten). Die Verweigerung der Zwei-Staaten-Lösung bedeutet, so besehen, die Beschleunigung des historischen Endes des zionistischen Projekts, wie man es bis jetzt gekannt hat. Nichts führt an dieser Schlussfolgerung vorbei. Das besagt nicht, dass es nicht möglich sein werde, als Juden in einem künftig errichteten binationalen Staat zu leben, aber es ist auch klar, dass es sich nicht mehr um einen Staat der Juden handeln würde (auch nicht in der nebulösen Selbstdarstellung eines »jüdisch-demokratischen Staates«), sondern um einen Staat, der nunmehr keine »jüdische Einfärbung« bzw. ausgeprägte »jüdische Lebensweise« einzufordern hätte. Man kann sich das Leben von Juden in einem solchen Staat vorstellen, aber es geht dabei um das friedliche Zusammenleben mit Nichtjuden. So lebt ja etwa die Hälfte aller Juden an verschiedenen Orten der Welt bis zum heutigen Tag. Dies ist jedoch mitnichten das Begehren der allermeisten in Israel lebenden jüdischen Bürger. Diese verlangen dezidiert den »ewigen« Fortbestand des Judenstaates; ob nun demokratisch oder theokratisch, auf jeden Fall einen von Juden national beherrschten Staat. Genau dies war ja auch die erklärte ideologische Zielsetzung des politischen Zionismus von seinem Anbeginn – die Gründung einer nationalen Heimstätte für die Juden. Wie lässt sich also erklären, dass Israels offizielle Politik der letzten Jahrzehnte strukturell einen Weg beschreitet, der nicht anders enden kann als mit dem historischen Ende des zionistischen Staates? Wie lässt sich der tatkräftige Aktionismus der israelischen Politpraxis verstehen, der im Gegensatz zu allem, was sämtliche Knesset-Parteien (mit Ausnahme der Kommunisten und der nichtzionistischen arabischen Parteien) als unverbrüchliche Matrix ihrer Grundanschauung (nämlich die Erhaltung Israels als zionistischen Staat) proklamieren, steht bzw. dieses fundamentale Bekenntnis de facto von Grund auf unterminiert?

Eine mögliche Erklärung dafür liegt im Ideologischen. Begreift man Ideologie als falsches Bewusstsein, welches u. a. eine bestehende Realität rechtfertigen und wesentliche Kritik an ihr, mithin alternative Realitätsentwürfe effektiv unterwandern soll, so zeichnet sich die israelische Ideologie, die die Diskrepanz zwischen dem Festhalten am zionistischen Ideal und der realen Verhinderung seiner Verwirklichung zu überbrücken vermeint, durch unterschiedliche Gesinnungskoordinaten aus. Die religiöse Koordinate basiert auf dem Glauben, dass »alles zum Besten gerichtet« sei, »die Ewigkeit Israels nie versagen« werde, das »Volk in Einsamkeit« lebe und sich »nach anderen Völkern nicht zu richten« habe, die Territorien Eretz Israels mithin – Territorien des von Gott »verheißenen Landes« – nicht für besetzt zu erachten seien, daher auch nicht zur politischen Disposition stünden und ohnehin nicht verhandelbar seien. Diese Glaubensideologie steht in keinem Widerspruch zur politischen Praxis, da sie gar nicht erst gefordert ist, Rechenschaft über besagten Widerspruch abzulegen. Wer Gott fundamental vertraut, regt sich kaum je über politisch wie gesellschaftlich wechselnde Konjunkturen auf: Wer selbst noch nach der Shoah an der Doktrin festhält, dass man sich »in jeder Generation« erhebe, »um uns zu vernichten«, aber »Gott rettet uns [stets] vor ihnen«, wird sich nicht allzu schnell davon abschrecken lassen, dass »alle Welt gegen uns« sei – man erwartet von ihm kein rational fundiertes (sondern wenn überhaupt, ein eher zweckrationales) Argument über die Geschichte, ihre Auswirkungen und ihre realen Gefahren: Im hier erörterten Zusammenhang lehrt ihn die Geschichte einzig das, was das unerschütterliche Festhalten am Gottesglauben rechtfertigt.

Aber auch bei der säkularen Ideologiekoordinate, die den Anspruch einer rationalen Fundierung ihrer Gesinnung erheben müsste, stellt sich heraus, dass die ihr zugrunde liegenden Argumente mitnichten darauf aus sind, den offensichtlichen Widerspruch zwischen den entstehenden Realitätsstrukturen und der offiziellen Politik der israelischen Regierungen in den letzten Dekaden zu konfrontieren, geschweige denn, ihn zu beheben. Selbst nachdem man sich von der chimärenhaften Vision eines »Groß-Israels« verabschiedete (mithin eine, wie immer schwache, Einsicht in die Notwendigkeit einer zur verfolgenden Realpolitik demonstrierte), schafften es alle israelischen Regierungen, sich diversen Erklärungen, Apologien und Ausreden zu verschreiben, die allesamt den parteilichen Macht- und Herrschaftserhalt, den stagnierenden »Status quo« bzw. das Dogma der Alternativlosigkeit zu garantieren trachteten: Von der permanenten Postulierung eines amorphen »Recht-des-begangenen-Wegs«, über die Fetischisierung der »Sicherheit« als Schlüsselfaktor der nationalen Prioritätshierarchie (und die »Besiedlung« der besetzten Gebiete als Ableitung vom Primat der »Sicherheit«), bis hin zur dezidierten Proklamation, es gebe »keinen Partner für den Frieden« auf der palästinensischen Seite (bzw. die Erkenntnis, »die Araber« verstünden »nur Gewalt«) und der Selbstbelobigung Israels als der »einzigen Demokratie im Nahen Osten« – stets sah sich Israel »vergewaltigt«, den Weg der realen Lösung des Territorialkonflikts mit den Palästinensern nicht zu begehen, vielmehr genötigt, das Siedlungswerk (als »adäquate zionistische Antwort«) unentwegt zu erweitern, d. h., die notwendigen materiellen Bedingungen für einen wahren Frieden mit den Palästinensern objektiv (»Fakten im Gelände« schaffend) zu verhindern. Zieht man in Betracht, wie sehr sich die religiöse und die säkulare Ideologie miteinander verbandelten, mithin der religiöse Faktor zum integralen Bestandteil der israelischen politischen Kultur und ihrer Praxis mutierte (ein prononciert vormoderner Faktor also in eine sich selbst als modern-fortschrittlich verstehende politische Entität infiltriert wurde); und fügt man dem noch den sich zunehmend verfestigenden Hang des israelischen Diskurses zur Selbstviktimierung hinzu, eine Tendenz, die jede Kritik an Israels Politik und jeden Widerstand gegen diese als »Selbsthass« (seitens Juden) und »Antisemitismus« (seitens Nichtjuden) zu deuten weiß, ermisst man erst eigentlich die Macht des apathischen Sich-ab-findens mit dem krassen Widerspruch zwischen den Grundpostulaten der zionistischen Ideologie...

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